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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Die kleine Rosa und die lange Leda

Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten eine einzige Tochter. Man nannte sie die kleine Rosa, weil sie so lieblich und verständig war; alle, die sie sahen, hatten sie gern.

Nach einiger Zeit aber starb die Königin, und der König heiratete eine andere Gemahlin. Die neue Königin hatte ebenfalls eine einzige Tochter, aber diese war hochfahrend von Gemüt und häßlich von Ansehen; sie mußte sich daher gefallen lassen, daß man sie die lange Leda nannte. Die beiden Stiefschwestern wuchsen nun zusammen an dem Königshof auf; aber jeder, der sie sah, merkte den großen Unterschied zwischen ihnen.



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Die Königin und die lange Leda waren sehr neidisch auf die kleine Rosa und taten ihr alles erdenkliche Unrecht an. Aber die Königstochter war immer freundlich und ergeben und tat alle Arbeit, wenn sie auch noch so schwer war. Das erbitterte die Königin noch mehr, und sie wurde immer böser, je mehr Klein-Rosa es ihr in allem recht zu machen suchte.

Eines Tages gingen die Königin und die beiden Prinzessinnen im Garten spazieren, der neben dem Königssaale lag. Da hörte sie, wie der Gärtner mit seinem Burschen sprach und ihn bat, eine Axt zu holen, die zwischen den Bäumen liegengeblieben war. Als die Königin das hörte, sagte sie, Klein-Rosa solle die Axt holen. Der Gärtner sträubte sich und meinte, so geringe Dienste schickten sich nicht für eine Königstochter; aber die Königin ließ nicht nach und bekam ihren Willen.

Als nun Klein-Rosa in den Hain gegangen war, wie die Königin ihr befohlen hatte, sah sie dort die Axt liegen; aber drei weiße Tauben hatten sich auf den Stiel gesetzt, um auszuruhen. Da nahm die Königstochter ein Stück Brot, zerbröckelte es in der Hand, reichte es den kleinen Tauben und sagte freundlich:

»Meine armen kleinen Tauben! Geht jetzt bitte von hier fort, denn ich muß die Axt meiner Stiefmutter bringen.«

Die Tauben aßen der Jungfrau aus der Hand und gaben willig den Stiel frei; Klein-Rosa nahm die Axt, wie man ihr befohlen hatte. Aber sie war noch nicht weit gekommen, da fingen die Tauben untereinander ein Gespräch an und überlegten sich, welchen Lohn sie dem jungen Mädchen geben sollten, das so freundlich zu ihnen gewesen.

Die eine sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß sie doppelt so schön wird, wie sie schon ist.«

Die andere sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß ihr Haar sich in Goldhaar verwandelt.«

Und die dritte fügte hinzu: »Jedesmal, wenn sie lacht, soll ein roter Goldring aus ihrem Munde kommen.«

Nachdem sie so gesprochen, flogen die Tauben davon; aber alles ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten.

Als nun Klein-Rosa zu ihrer Stiefmutter zurückkam, staunten alle



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über ihre unvergleichliche Schönheit, über ihr leuchtendgelbes Haar und die roten Goldringe, die ihr immer aus dem Munde kamen, wenn sie lachte. Aber die Königin ließ sich genau erzählen, wie alles zugegangen sei, und von Stund' an hegte sie noch tieferen Haß gegen ihre Stieftochter als zuvor. Die böse Stiefmutter dachte nun Tag und Nacht nur daran, wie ihre eigene Tochter ebenso schön werden könne, wie Klein-Rosa war. Deshalb ließ sie heimlich den Gärtner rufen und gab ihm Anweisung, wie er es machen sollte. Darauf ging sie mit den beiden Prinzessinnen im Garten spazieren, wie sie zu tun pflegte. Als sie nun an dem Gärtner vorbeikam, sagte er, er habe seine Axt im Hain vergessen. Der Bursche solle sie holen. Da sagte die Königin, die lange Leda solle die Axt suchen. Der Gärtner widersetzte sich dem natürlich und meinte, so geringe Dienste ständen einer vornehmen Jungfrau nicht an; aber die Königin beharrte auf ihren Worten und setzte ihren Willen durch.

Als nun die lange Leda in den Hain gekommen war, wie die Königin ihr befohlen hatte, da sah sie die Axt dort liegen; aber drei strahlend weiße Tauben hatten sich auf den Stiel gesetzt, um auszuruhen. Da konnte die böse Jungfrau ihre Schlechtigkeit nicht unterdrücken, sondern warf Steine auf die Vögel, schalt sie und sagte:

»Fort mit euch, häßliche Vögel! Was untersteht ihr euch, dazusitzen und die Axt zu beschmutzen, die ich mit meinen weißen Händen anfassen soll?«

Bei diesen Scheltworten flogen die Tauben davon, und die lange Leda nahm die Axt, wie ihr befohlen war. Aber sie war noch nicht weit gekommen, da fingen die Tauben untereinander ein Gespräch an und überlegten, welchen Lohn sie der häßlichen Jungfrau für ihre Bosheit geben sollten. Da sagte die eine: »Mein Geschenk soll sein, daß sie doppelt so häßlich wird, wie sie schon ist.«

Die andere hinwieder sagte: »Mein Geschenk soll sein, daß ihr Haar wie Dornen aussieht.«

»Und ich«, fügte die dritte hinzu, »schenke ihr, daß immer ein Frosch aus ihrem Munde hüpft, wenn sie zu lachen anfängt.«

Nachdem sie so gesprochen, flogen die drei Tauben davon; aber alles ging in Erfüllung, wie sie gesagt hatten.

Als nun die lange Leda wieder zu ihrer Mutter zurückkam, wunderten



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sich alle über ihr abstoßend häßliches Aussehen, über ihr Haar, das einem Dornenbusch glich, und über den Frosch, der jedesmal aus ihrem Munde hüpfte, wenn sie lachen wollte. Aber die Königin war sehr betrübt über dies große Unglück, und die Leute erzählen sich, daß sie und ihre Tochter seit diesem Tage selten gelacht hätten.

Die Stiefmutter konnte jetzt Klein-Rosa nicht länger vor Augen sehen, sondern trachtete danach, sie zu verderben und umzubringen. In dieser Absicht ließ sie heimlich einen Schiffer rufen, der sollte sie in ein fernes Land fahren, und sie versprach ihm viel Gold, wenn er die Königstochter an Bord nehmen und sie in die Tiefe des Meeres versenken würde.

Der Schiffer wurde vom Golde betört, das ja immer so viel Unheil in dieser Welt anrichtet, und entführte Klein-Rosa des Nachts, wie es die Stiefmutter gewünscht hatte. Aber als das Fahrzeug in See gegangen und weit auf das trügerische Meer hinausgekommen war, entstand ein heftiger Sturm, und das Schiff ging mit Mann und Maus unter; ausgenommen allein Klein-Rosa. Sie wurde von den Wellen getragen, bis sie an eine grüne Insel kam, fern im Meer. Hier fristete sie eine Zeitlang ihr Leben, ohne einen Menschen zu sehen oder zu hören; ihre Nahrung bestand aus wilden Beeren und Wurzeln, die im Walde wuchsen.

Als Klein-Rosa eines Tages am Meeresstrande wanderte, fand sie Kopf und Gebein eines Hirschkalbes, das von wilden Tieren zerrissen war. Weil aber noch frisches Fleisch daran saß, nahm die Königstochter das Gerippe und steckte es an eine Stange, damit die kleinen Vöglein es sehen und sich daran satt essen könnten.

Darauf legte sie sich auf den Boden und tat einen kleinen Schlaf. Aber sie hatte nicht lange geschlafen, da wurde sie von einem lieblichen Gesange geweckt, der war viel schöner, als man sich vorstellen kann. Klein-Rosa lauschte und glaubte zu träumen; denn sie hatte niemals etwas so Liebliches empfunden oder gehört.

Als sie sich nun umblickte, da hatte sich das Gerippe, das sie den kleinen Vögeln des Himmels zur Nahrung hingestellt hatte, in eine grüne Linde verwandelt, und der Kopf des Hirschkalbes war zu einer kleinen Nachtigall geworden; die saß ganz oben in der Krone der Linde. Aber jedes einzelne kleine Lindenblatt fing an in seltsamer



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Weise zu klingen, so daß die Töne eine wunderbare Harmonie gaben; und die kleine Nachtigall oben im Wipfel sang; wer es hörte, der mußte wähnen, im Himmel zu sein.

Nach diesem Tage schien es der Königstochter nicht mehr so schwer zu sein, einsam auf der grünen Insel zu leben. Wenn sie traurig war, brauchte sie nur zu der klingenden Linde zu gehen, und ihr wurde wieder froh zu Sinne. Und doch konnte sie ihre Heimat nicht ganz und gar vergessen, sondern setzte sich oft an den Strand und blickte mit großer Sehnsucht übers Meer, dessen Wellen von Land zu Land wandern. Als Klein-Rosa eines Tages wie gewöhnlich am Strande saß, bemerkte sie ein schönes Fahrzeug, das über das weite Meer segelte. Auf dem Schiff befanden sich viele frische Jünglinge, deren Häuptling ein Königssohn war. Als sich nun das Fahrzeug der Insel näherte und die Schiffsleute den lieblichen Gesang hörten, der über das Wasser erklang, da dachten sie, es müsse ein verzaubertes Land sein, und wollten gleich wieder in See gehen. Aber ihr Häuptling sagte, sie dürften nicht wegfahren; erst müsse er wissen, woher der wunderbare Gesang käme. Da ließen sie ihm seinen Willen.

Als nun der Königssohn an Land gekommen war und das Spiel der Linde und den Gesang der Nachtigall hörte, da wurde ihm wunderlich zumut. Und es kam ihm vor, als wenn er etwas so Liebliches und Schönes nie vernommen. Aber noch seltsamer wurde er bewegt, als er näher kam und unter der grünen Linde eine Jungfrau sitzen sah, deren Haar wie Gold glänzte und deren Antlitz strahlte wie der weißeste Schnee. Der Königssohn grüßte die schöne Jungfrau und fragte, ob ihr die Insel gehöre. Klein-Rosa bejahte es. Der Königssohn fragte darauf, ob sie eine Seejungfrau sei oder ein menschliches Wesen. Da erzählte ihm die Jungfrau die Abenteuer, die sie erlebt hatte, und wie sie vom Sturm an die einsame Insel geworfen sei; zugleich sagte sie, woher sie stamme und aus welchem Geschlecht. Da wurde der Königssohn frohen Sinnes und konnte die Schönheit und Anmut des jungen Mädchens nicht genug preisen. Sie sprachen lange miteinander; schließlich fragte der Königssohn, ob Klein-Rosa ihn nach Hause begleiten und seine Königin werden wolle; sie gab ihr Jawort und ihre Einwilligung. Darauf segelten sie von der Insel fort und kamen zum Reiche des Königssohnes.



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Aber Klein-Rosa nahm die grüne Linde mit sich und pflanzte sie auf den Königshof. Und das Laub der Linde klang, und die Nachtigall sang, daß die ganze Gegend ihre Lust und Freude daran hatte. Als Klein-Rosa eine Zeitlang verheiratet war, wurde sie Mutter eines schönen Jungen. Da dachte sie an ihren alten Vater und schickte ihm Nachricht von allem, was sie erlebt hatte. Aber sie wollte ihn nicht wissen lassen, daß die Königin schuld an ihrem Unglück sei. Über diese Nachricht freute sich der König sehr und mit ihm seine Mannen; denn alle hatten Klein-Rosa lieb. Aber die Königin und die lange Leda waren sehr aufgebracht, daß Rosa noch am Leben sei, und beratschlagten untereinander, wie sie der Königstochter ein Leid antun könnten.

Die falsche Stiefmutter machte sich darauf zurecht und sagte, sie wolle zu Klein-Rosa fahren und sie besuchen. Als sie hinkam, wurde sie aufs allerbeste empfangen; denn die Königstochter wollte nicht an all das Böse denken, das ihr die Stiefmutter zugefügt hatte; die Königin aber stellte sich sehr freundlich und sagte viele schöne Worte.

Eines Tages sagte die Stiefmutter zu Klein-Rosa, sie wolle ihr eine Liebesgabe geben zur Erinnerung an ihre Verwandten. Die Stieftochter hatte kein Arg daraus, sondern bedankte sich für das Geschenk. Da zog die Königin ein seidenes Hemd hervor, das mit Gold bestickt war. Aber das schöne Hemd war auf die scheußlichste Weise verzaubert; als Klein-Rosa es anzog, wurde sie plötzlich in eine Gans verwandelt, die flog zum Fenster hinaus und warf sich ins Meer. Aber da die Königstochter schönes gelbes Haar hatte, so bekam die Gans goldene Federn. Im selben Augenblick hörte die Linde auf zu klingen und die Nachtigall zu singen, und der ganze Königshof wurde von Sorge und Kummer befallen. Am meisten von allen aber trauerte der Gemahl Klein-Rosas, der junge König, und er wollte sich gar nicht trösten lassen.

Wenn nachts der Mond schien und die Fischer des Königs auf dem Meere waren, um ihre Netze einzuziehen, bemerkten sie eine schöne Gans mit goldenen Federn, die schaukelte sich auf den Wellen. Darüber wunderten sie sich sehr, und es schien ihnen ein merkwürdiges Wahrzeichen zu sein. Aber eines Nachts schwamm die schöne Gans



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zum Boot des Fischers hin und begann ein Gespräch mit ihm. Sie grüßte und fragte ihn:

»Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?

Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Als der Fischer das hörte und die Stimme der Königin erkannte, wurde ihm wunderlich zumut, und er antwortete:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da seufzte die schöne Gans und schien sehr betrübt zu sein. Sie sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«


***
Im selben Augenblick verschwand der Vogel. Aber der Fischer fuhr nach Hause und erzählte dem jungen König, seinem Herrn, was er gesehen und gehört habe.

Der König gab jetzt Befehl, man solle die goldene Gans fangen, und versprach den Fischern eine große Belohnung, wenn sie seinen Auftrag ausführen würden.

Da machten die Männer ihre Schlingen zurecht und ihre anderen Fischergeräte und begaben sich auf die See, um ihre Netze zu prüfen. Als der Mond aufgegangen war, kam die schöne Goldgans wieder



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auf den Wellen zu ihrem Boot geschwommen. Sie grüßte und sagte: »Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?

Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Der Fischer antwortete wie voriges Mal:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da wurde die schöne Gans sehr traurig und sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie mehr komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«


***
Bei diesen Worten wollte der Vogel wieder fortschwimmen; aber die Fischer warfen schnell ihre Schlingen über sie. Da fing die Gans an, mit den Flügeln zu schlagen und kläglich zu schreien:
»Laßt los oder haltet fest!
Laßt los oder haltet fest!«


***
Zugleich vertauschte sie ihre Gestalt und wurde zu Schlangen, Drachen und anderem furchtbaren Getier. Als die Fischer das merkten, da bangten sie um ihr Leben und ließen die Schlingen los, so daß der Vogel entkam.



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Aber als der König den Ausgang ihrer Fahrt vernahm, da wurde ihm schlecht zumut, und er sagte, sie dürften sich nicht durch ein Blendwerk erschrecken lassen. Er ließ darauf neue und stärkere Schlingen herstellen, um die goldene Gans zu fangen, und verbot den Fischern bei Lebensstrafe, sie entkommen zu lassen, wenn sie sich nächstes Mal wieder zeigen würde.

Als in der dritten Nacht der Mond aufgegangen war, ruderten die Fischer des Königs wieder aufs Meer, um ihre Netze zu prüfen. Sie warteten lange, aber keine Goldgans kam. Endlich kam sie wieder über die Wellen gefahren und schwamm zu ihrem Boot hin. Der Vogel grüßte wie zuvor:

»Guten Abend, Fischer! Wie steht es zu Hause auf dem Königshof?

Klingt meine Linde noch?
Singt meine Nachtigall?
Weint mein Bübchen klein?
Freut sich mein Herr Gemahl?«


***
Der Fischer entgegnete:
»Zu Hause auf dem Königshof steht es schlecht:
Deine Linde klingt nicht mehr,
Deine Nachtigall singt nicht mehr,
Dein Bübchen weint bei Tag und Nacht,
Nichts deinem Herren Freude macht.«


***
Da seufzte die schöne Gans und sagte:
»Ach, ich Arme!
Hin ist all mein Glück,
Nie mehr komm' ich nach Hause zurück!
Gute Nacht, Fischer! —
Ich komme noch zweimal her
Und dann niemals mehr.«



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Die Gans wollte darauf fortschwimmen, aber die Fischer warfen ihre Schlingen und hielten sie fest. Da wurde der Vogel sehr ängstlich, schlug heftig mit den Flügeln und schrie:

»Laßt los oder haltet fest!
Laßt los oder haltet fest!«


***
Sie wechselte darauf ihre Gestalt und wurde zu Schlangen, Drachen und anderen gefährlichen Tieren. Aber die Fischer fürchteten den Zorn des Königs und hielten getreulich die Schlingen fest. Da gelang es ihnen, die goldene Gans zu fangen, und sie brachten sie zum Königshof, wo man sie streng bewachte, daß sie nicht entkommen könnte. Aber der Vogel war still und mürrisch und wollte nicht sprechen; da wurde der Kummer des Königs noch größer, als er vorher gewesen. Einige Zeit später geschah es, daß ein altes Weib von seltsamem Aussehen auf den Königshof kam und den König zu sprechen wünschte. Die Wache antwortete, wie ihr befohlen war, der König sei aus Kummer und Betrübnis für niemanden zu sprechen; aber die Alte ließ sich nicht abweisen, und da wurde sie vorgelassen.

Der König fragte sie, was sie wünsche. Die Alte antwortete: »Herr König! Man hat mir erzählt, daß deine Königin in eine goldene Gans verwandelt sei und daß du Tag und Nacht über dieses große Unglück trauerst. Jetzt bin ich hergekommen, um den Zauber zu lösen und dir deine Gemahlin wiederzugeben; nur mußt du mir versprechen, eine Bedingung zu erfüllen.«

Als der König das hörte, wurde er sehr froh und fragte, was es denn für eine Bedingung sei, die sie stelle.

»Ich habe ein Haus auf dem Berge, der auf der andern Seite des schwarzen Flusses liegt. Ich bitte dich darum, du mögest eine Steinmauer rund um den Berg ziehen lassen, damit deine Rinder mich nicht erschrecken, wenn sie auf die Weide gelassen werden.« Dieser Wunsch schien dem König gering zu sein, und er versprach der Alten, er wolle ihn gern erfüllen. Aber doch zweifelte er noch, ob die Alte ihr Wort halten würde. Die Alte fing nun an, umständlich alles zu erzählen, was Klein-Rosa von ihrer bösen Stiefmutter



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erlitten hatte. Aber der König wollte es erst nicht glauben, denn er konnte sich gar nicht denken, daß die alte Königin so falsch sei. Da bat ihn die Alte, er möge ihr das schöne Seidenhernd zeigen, das Klein-Rosa von ihrer Stiefmutter zum Geschenk erhalten hatte.

Der König ließ das Hemd holen, und darauf gingen sie zusammen in das Zimmer, wo die Goldgans eingeschlossen war. Als sie dort hingekommen waren, ging die Zauberin zur schönen Gans und zog ihr das Hemd an. Da löste sich der Zauber. Klein-Rosa bekam ihre rechte Gestalt wieder, und statt der goldenen Gans stand eine schöne Frau da, mit goldgelbem Haar wie ehedem. Aber im selben Augenblick begann die Linde wieder zu klingen und die Nachtigall in ihrem Wipfel zu singen, daß es eine Lust war. Jetzt herrschte Freude am ganzen Königshof; und der König erkannte, daß ihm die alte Frau die Wahrheit gesagt habe, und hielt ehrlich sein Versprechen, das er ihr gegeben.

Klein-Rosa und ihr Gemahl rüsteten sich darauf, um zu dem alten König, dem Vater Rosas, zu fahren.

Als sie dort angekommen waren, freute sich der König so sehr, daß er von neuem jung wurde, und mit ihm freute sich sein ganzes Reich; denn alle hatten zu ihrer Betrübnis von dem Unglück erzählen hören, das die Königstochter betroffen hatte. Aber eine war da, die wurde nicht froh, und das war die alte Königin; denn sie merkte sehr wohl, daß ihre Falschheit entdeckt und ihre Zeit vorüber sei. Als nun der alte König alles Böse erfuhr, das seine Tochter von ihrer bösen Stiefmutter erlitten hatte, wurde er sehr zornig und verurteilte die Königin zum Tode. Aber Klein-Rosa bat um das Leben ihrer Stiefmutter, und da ließ der König ihr den Willen und warf seine Gemahlin auf Lebenszeit in den Turm. Die Tochter der Königin, die lange Leda, mußte dieselbe Strafe auf sich nehmen wie ihre Mutter. Aber der junge König und Klein-Rosa kehrten in ihr eigenes Reich zurück.

Und da klingt die Linde,
Da singt die Nachtigall,
Da weint der Prinz weder bei Tag noch bei Nacht,
Und der König freut sich alleweil und lacht.


Copyright: arpa, 2015.

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