Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Silberweiß und Liliwacker

Es war einmal ein König, der hatte eine Königin, die er sehr liebte. Aber nach einer Weile starb die Königin, und es blieb ihm nur seine einzige Tochter. Wie nun der König Witwer war, wandte sich sein ganzes Herz der kleinen Prinzessin zu, und er hatte sie lieb wie seinen Augapfel. Die junge Königstochter wuchs heran und wurde die schönste Jungfrau, von der man je gehört hat.

Als die Prinzessin fünfzehn Jahre alt war, traf es sich, daß eid großer Krieg ausbrach, und ihr Vater mußte gegen den Feind ausziehen. Der König hatte aber keinen Menschen, dem er seine Tochter während dieser Kriegsfahrt anvertrauen konnte, und da ließ er draußen im Wald einen großen Turm bauen, versah ihn mit reichlich Vorräten und setzte seine junge Tochter mit ihrer Magd hinein. Schließlich ließ er noch ein Verbot ausgehen, daß bei Todesstrafe sich kein Mann, wer es auch sein möge, dem Turm nähern dürfe, in dem seine Tochter mit ihrer Magd zusammen gefangengehalten wurde.

Nun glaubte der König, daß er alles getan habe, um seine Tochter zu schützen, und zog fort in den Krieg. Unterdessen saß die Prinzessin in dem Turm mit ihrer Magd zusammen. Aber in der Stadt hielten sich viele tapfere Königssöhne und andere junge Männer auf, denen der Sinn nach dem schönen Mädchen stand und die gerne einmal mit ihr reden wollten. Als sie merkten, daß ihnen das verwehrt war, wurden sie dem König bitter gram und sannen auf Rache.

Schließlich pflegten sie Rat mit einem alten Weib, das mehr verstand als andere Leute, und trugen ihr auf, es einzurichten, daß die Königstochter und die Magd in Unehre kämen, ohne daß sie von einem Manne Gewalt erlitten hätten. Die Alte versprach ihren Beistand und verzauberte einige Äpfel, legte sie in einen Korb und besuchte



Bd-05-242_Maerchen aus Schweden Flip arpa

damit den einsamen Turm, wo die beiden Jungfrauen festgesetzt waren.

Als die Königstochter und ihre Magd die Alte erblickten, die vor dem Fenster saß, bekamen sie große Lust, die schönen Äpfel zu versuchen. Sie riefen die Frau und fragten sie, was sie für die köstlichen Apfel verlange; aber die Alte sagte, sie wolle jeder einen Apfel schenken, sie sollten nur ein Körbchen am Turm hinunterlassen. Die Prinzessin und ihre Magd dachten an nichts Böses, sondern taten, wie das Troliweib gesagt hatte, und jede bekam ihren Apfel. Aber die verzauberte Frucht hatte eine wundersame Wirkung; die beiden Mädchen wurden schwanger, und ehe das Jahr um war, brachte jede einen Knaben zur Welt. Die Königstochter nannte ihren Sohn Silberweiß, und der Sohn der Magd bekam den Namen Liliwacker. Die beiden Knaben wuchsen auf und wurden größer und stärker als andere Kinder. Dazu waren sie von großer Schönheit und glichen einander wie zwei Kirschen, und man konnte wohl sehen, daß sie Geschwister waren.

Sieben Jahre waren vergangen, und der König sollte von seinem Kriegszug heimkommen. Da bekamen die beiden Mädchen große Angst und fürchteten, er möchte ihre Schande erfahren. Sie überlegten miteinander, wie sie ihre Kinder verstecken könnten. Als sich nun kein anderer Ausweg fand, nahmen sie mit großer Trauer Abschied von ihren Kindern und ließen sie in der Nacht vom Turm hinab, damit sie in der Welt ihr Glück versuchten. Beim Abschied schenkte die Königstochter dem Silberweiß ein kostbares Messer als Andenken an seine Mutter, aber die Magd hatte nichts für ihren Sohn. Die beiden Pflegebrüder wanderten nun in die Welt hinaus. Als sie eine Weile gereist waren, kamen sie in einen dunklen Wald. In diesem Wald begegneten sie einem Mann, der war hochgewachsen und sah wundersam aus. Er trug zwei Schwerter an der Seite und führte sechs große Hunde mit sich. Er grüßte freundlich: »Guten Tag, ihr Kleinen, wo kommt ihr her und wo wollt ihr hin?« Die Knaben erzählten, sie kämen von einem hohen Turm und wollten in die Welt hinaus, um ihr Glück zu versuchen. Da sagte der Mann: »Wenn es ist, wie ihr sagt, so kenne ich eure Herkunft besser als irgendein anderer. Und deshalb sollt ihr etwas zur Erinnerung an euren Vater



Bd-05-243_Maerchen aus Schweden Flip arpa

haben, ich will jedem von euch ein Schwert und drei Hunde geben. Aber eins müßt ihr mir versprechen, daß ihr euch niemals von euren Hunden trennt, sondern sie mitnehmt, wo ihr auch seid.« Die Knaben dankten dem Mann für seine guten Gaben und versprachen, es zu halten, wie er gesagt hatte. Darauf nahmen sie Abschied und zogen ihres Weges weiter.

Als sie weit gewandert waren, kamen sie an einen Kreuzweg. Da sagte Silberweiß: »Mir scheint, es würde uns besser gehen, wenn jeder für sich sein Glück versuchen könnte. Darum laß uns scheiden.« Liliwacker gab zur Antwort: »Dein Rat ist gut; aber wie soll ich von nun an wissen, ob es dir wohl geht in der Welt?« —»Ja«, sagte Silberweiß, »das soll dir ein Zeichen sein: solange das Wasser in dieser Quelle klar fließt, so lange lebe ich; wenn es aber rot und trübe wird, dann bin ich tot. Und ich weiß gewiß, daß du meinen Tod rächen wirst.« Silberweiß schrieb nun mit seinem Messer in die Quelle, dann nahm er Abschied von seinem Bruder, und jeder zog seines Weges. — Liliwacker kam bald darauf an einen Königshof und trat dort in Dienst. Aber jeden Morgen wanderte er zu der Quelle, um zu sehen, wie es seinem Pflegebruder ginge.

Silberweiß setzte nun allein seine Wanderschaft fort über Berg und Tal, bis er eine große Stadt erblickte. Aber in der Stadt sah es gar trübselig aus, denn die Häuser waren schwarz verhangen, und die Einwohner gingen traurig und sorgenvoll umher, als ob ein großes Unglück geschehen wäre. Silberweiß ging durch die Stadt und fragte, was denn an dieser Betrübnis schuld sei. Die Leute sagten: »Du kommst gewiß sehr weit her, daß du nicht weißt, wie der König und die Königin in Seenot waren und ihre drei Töchter verpfänden mußten. Gerade morgen soll der Meertroll kommen und die älteste Prinzessin morgen holen.« Ober diese Neuigkeit freute sich der Bursche und dachte, das sei eine schöne Gelegenheit, um Reichtum und Ruhm zu erringen, wenn ihm das Glück günstig wäre.

Als der Tag gekommen war, band Silberweiß sein Schwert an die Seite, rief seine Hunde und wanderte einsam hinunter ans Meer. Wie er nun am Meeresstrand saß, sah er, wie die Königstochter aus der Stadt geführt wurde, und mit ihr ging ein Höfling, der versprochen hatte, er wolle sie retten. Aber die Prinzessin war sehr traurig und



Bd-05-244_Maerchen aus Schweden Flip arpa

weinte bitterlich. Da trat Silberweiß auf sie zu und grüßte sie höflich. Als die Königstochter und ihr Gefolgsmann diesen tapferen Jüngling erblickten, erschraken sie sehr, weil sie dachten, das sei der Meertroll. Der Höfling lief aus lauter Angst davon und brachte sich auf einem Baum in Sicherheit.

Als Silberweiß ihren Schrecken merkte, sagte er: »Schöne Jungfrau, fürchtet Euch nicht vor mir, ich tue Euch nichts Übles.« Die Königstochter gab zur Antwort: »Bist du nicht der, der mich holen will?« —»Nein«, sagte Silberweiß darauf, »ich bin gekommen, um Euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin, daß ein so tüchtiger Kämpfer für sie eintreten wollte, und sie sprachen lang und freundlich miteinander. Dabei bat Silberweiß, die Königstochter möge ihm einen Gefallen tun und ihn lausen. Die Königstochter tat, wie er wollte, und Silberweiß legte seinen Kopf in ihren Schoß; aber währenddessen zog die Prinzessin einen goldenen Ring vom Finger und knüpfte ihn unbemerkt in die Locken des Burschen.

Auf einmal kam der Meertroll aus der Tiefe heraufgefahren, daß Schaum und Wogen weit herumwirbelten. Als der Troll Silberweiß sah, wurde er zornig und sagte: »Warum sitzest du bei meiner Prinzessin?« Der Jüngling sagte: »Ich denke, sie ist meine Prinzessin, nicht deine.« Der Meertroll sagte: »Das wollen wir erst sehen, aber zuerst sollen unsere Hunde kämpfen.« Silberweiß war auch nicht säumig, sondern hetzte seine Hunde gegen die des Trolls, und es gab einen harten Kampf. Aber am Ende hatten doch die Hunde des Burschen die Oberhand und bissen die Meerhunde tot. Da zog Silberweiß sein Schwert in hohem Schwung, stürzte auf den Meertroll los und führte einen mächtigen Hieb, daß das Haupt des Ungeheuers auf den Sand rollte. Aber der Troll schrie entsetzlich und stürzte hinaus ins Meer, daß das Wasser himmelhoch aufspritzte. Darauf zog der Jüngling sein silberbeschlagenes Messer, schnitt dem Trollkopf die Augen aus und steckte sie zu sich. Dann grüßte er die schöne Prinzessin und ging hastig seines Weges.

Als nun der Kampf vorbei war und der Jüngling seines Weges gegangen war, kroch der Höfling wieder von seinem Baum herunter und bedrohte die Prinzessin mit dem Tod, wenn sie nicht vor allen Leuten sage, daß er und kein anderer sie befreit hätte. Die Königstochter



Bd-05-245_Maerchen aus Schweden Flip arpa

getraute sich nicht nein zu sagen, denn sie fürchtete für ihr Leben. Also ging sie mit dem Höfling heim in das königliche Schloß, und sie wurden mit großen Ehren empfangen. Auch im Lande war die Freude groß, als man erfuhr, daß die älteste Prinzessin vor dem Meertroll gerettet sei.

Am nächsten Tage ging alles wieder genauso. Silberweiß ging hinunter an den Strand und traf die mittlere Prinzessin, wie sie dem Troll ausgeliefert werden sollte.

Aber als die Königstochter und ihr Begleiter ihn erblickten, erschraken sie sehr, denn sie dachten, er sei der Meertroll. Der Höfling kletterte wieder auf den Baum; aber die Prinzessin erfüllte die Bitte des Burschen und lauste ihn, wie ihre Schwester getan hatte. Und dabei band sie ihm ihren goldenen Ring in seine langen Haare.

Nach einer Weile kam vom Meer her ein großes Getöse, und heraus stieg ein Meertroll, der hatte drei Hunde und drei Köpfe. Aber die Hunde von Silberweiß siegten über die Meerhunde, und der Bursche selbst schlug den Troll mit dem Schwerte tot. Darauf nahm er sein silberbeschlagenes Messer, schnitt dem Troll die Augen aus und ging seines Weges. Aber der Höfling war nicht faul, kletterte von seinem Baum herunter und zwang die Prinzessin, einen Eid abzulegen, daß er und kein anderer sie befreit hätte. Sie gingen dann zurück ins Schloß, wo der Höfling mit großen Ehren empfangen und wie der größte Held gefeiert wurde.

Am dritten Tag band Silberweiß sein Schwert an die Seite, rief seine drei Hunde und wanderte wiederum ans Meer. Als er am Strand saß, erblickte er die jüngste Prinzessin, wie sie aus der Stadt herausgeführt wurde, und mit ihr ging der tapfere Höfling, der behauptete, er habe ihre Schwestern gerettet. Aber die Prinzessin war sehr betrübt und weinte bitterlich. Da trat Silberweiß auf sie zu und begrüßte die schöne Jungfrau höflich. Als nun die Königstochter und ihr Gefolgsmann den stattlichen Jüngling erblickten, erschraken sie sehr, denn sie glaubten, es wäre der Meertroll. Aber der Höfling lief davon und versteckte sich auf einem hohen Baum, der am Meer wuchs. Als Silberweiß ihre Angst merkte, sagte er: »Schöne Jungfrau, erschreckt nicht vor mir, ich werde Euch nichts Übles tun.«Die Königstochter sagte: »Bist du denn nicht der, der mich holen will?«



Bd-05-246_Maerchen aus Schweden Flip arpa

»Nein«, gab Silberweiß zurück, »ich komme, um Euch zu befreien.« Da freute sich die Prinzessin sehr, daß ein so tapferer Held für sie kämpfen wollte, und sie redeten lang und freundlich miteinander. Dabei bat Silberweiß, die schöne Jungfrau solle ihm einen Gefallen tun und ihn ein wenig lausen. Die Königstochter wollte das gern tun, und Silberweiß legte seinen Kopf in ihren Schoß. Aber als die Prinzessin die goldenen Ringe erblickte, die ihre Schwestern dem Silberweiß ins Haar geknüpft hatten, wunderte sie sich sehr und band ihm unbemerkt noch einen in die Locken.

Da kam auf einmal der Meertroll aus der Tiefe geschossen mit schrecklichem Getöse, daß Schaum und Wellen hoch zum Himmel spritzten. Das Ungeheuer hatte diesmal sechs Köpfe und neun Hunde. Als der Troll sah, wie Silberweiß bei der jungen Königstochter saß, kam er in Wut und schrie: »Was hast du mit meiner Prinzessin zu schaffen?« Der Jüngling gab zur Antwort: »Ich denke, sie ist eher meine als deine Prinzessin.« Da sagte der Troll: »Das wollen wir erst sehen, aber zunächst sollen unsere Hunde miteinander kämpfen.«

Silberweiß war nicht faul, sondern hetzte seine Hunde gegen die Meerhunde, und es gab einen harten Kampf. Aber es ging so aus, daß die Hunde des Burschen die Oberhand gewannen und alle neun Meereshunde totbissen. Schließlich zog Silberweiß sein blankes Schwert, stürzte auf den Meertroll los und führte einen Hieb, daß alle seine sechs Köpfe im Sande rollten; das Untier schrie fürchterlich und stürzte ins Meer hinaus, daß das Wasser himmelhoch aufspritzte. Da nahm der Jüngling sein silberbeschlagenes Messer und schnitt aus den Köpfen alle zwölf Augen aus. Dann grüßte er die junge Königstochter und zog eilig seines Weges.

Wie nun der Kampf vorbei und der Jüngling seiner Wege gegangen war, kletterte der Höfling von seinem Baum herunter, zog sein Schwert und bedrohte die Prinzessin mit dem Tod, wenn sie nicht sagen wolle, daß er sie vor dem Troll errettet hätte, wie ihre Schwestern. Die Königstochter getraute sich nicht, nein zu sagen, denn sie hatte Angst für ihr Leben. Darauf gingen sie zusammen in das Schloß zurück. Aber als der König sie beide heil und lebendig vor sich sah, war am ganzen Hofe große Freude, und sie wurden mit



Bd-05-247_Maerchen aus Schweden Flip arpa

großen Ehren empfangen. Der Höfling war nun ein ganz anderer Kerl, als der dort droben auf dem Baum verkrochen saß. Der König ließ ein prächtiges Mahl herrichten, mit Lust und Spiel und Saitenklang und Tanz, und gab dem Höfling seine jüngste und liebste Tochter als Lohn für seine Tapferkeit.

Mitten während des Hochzeitsfestes, als der König mit allen seinen Leuten zu Tisch saß, tat sich die Tür auf, und herein kam Silberweiß mit seinen Hunden. Der Jüngling trat dreist in den Festsaal und grüßte den König. Aber als die drei Königstöchter merkten, wer er war, wurden sie voller Freude, sprangen vom Tisch auf und liefen auf ihn zu. Darüber wunderte sich der König sehr und fragte, was das zu bedeuten habe. Da erzählte ihm die jüngste Prinzessin alles, was sich zugetragen hatte, von Anfang bis zu Ende, und daß Silberweiß sie gerettet habe, während der Höfling auf dem Baum saß. Zur genauesten Bestätigung zeigten ihm seine Töchter noch jede ihren Ring, den sie in Silberweißens Haar gebunden hatten. Aber der König wußte doch noch nicht recht, was er von der Sache zu halten hatte; da sagte Silberweiß: »Herr König! Damit du an deinen Töchtern nicht zweifelst, sollst du hier die Augen des Meertrolles sehen, den ich erschlagen habe.«Da sah der König und alle seine Leute, daß die Prinzessinnen die Wahrheit gesagt hatten. Der falsche Höfling mußte seine verdiente Strafe erleiden, aber Silberweiß wurde mit großen Ehren aufgenommen und bekam die jüngste Königstochter und mit ihr das halbe Reich.

Nach der Hochzeit zog Silberweiß mit seiner jungen Frau in ein großes Königsschloß und lebte da mit ihr ruhig und glücklich. Da geschah es einmal nachts, als alles schlief, daß es ans Fenster klopfte und eine Stimme sich vernehmen ließ: »Silberweiß, komm, ich habe mit dir zu reden.« Der König wollte seine junge Frau nicht aufwecken, stand eilig auf, band sein Schwert an die Seite, rief seine Hunde und ging hinaus.

Als er unter freiem Himmel war, stand ein Troll vor ihm, der sah schrecklich und grimmig aus. Der Troll sagte: »Silberweiß, du hast meine drei Brüder erschlagen, und ich bin gekommen, um ihren Tod zu rächen. Wir wollen an den Meeresstrand gehen und dort miteinander kämpfen.« Dieser Vorschlag war dem Jüngling recht, und er



Bd-05-248_Maerchen aus Schweden Flip arpa

ging mit dem Troll ohne Widerrede. Als sie nun ans Meer kamen, lagen da drei große Hunde, die dem Troll gehörten. Gleich hetzte Silberweiß seine Hunde auf die Trollhunde, und es gab einen harten Kampf; aber schließlich mußten die Trollhunde weichen. Da zog der König sein Schwert, ging tapfer auf den Troll los und versetzte ihm manch prächtigen Hieb, und es war ein gewaltiger Kampf. Als aber der Troll merkte, daß es ihm übel gehen würde, bekam er Angst und lief eiligst auf einen hohen Baum zu und kletterte hinauf. Silberweiß und seine Hunde rannten hinterdrein, und die Hunde bellten sehr. Da bat der Troll um sein Leben und sagte: »Lieber Silberweiß, ich will Wergeld nehmen für meine Brüder; heiß nur deine Hunde schweigen, daß wir miteinander reden können.« Der König hieß seine Hunde stille sein, aber es half nichts, sie bellten noch ärger als zuvor. Da riß der Troll drei Haare von seinem Kopfe, reichte sie Silberweiß und sagte: »Leg ein Haar über jeden Hund, dann werden sie schon stille sein.« Der König tat so, und gleich waren die Hunde still und lagen unbeweglich, als wären sie am Boden festgewachsen. Nun merkte Silberweiß, daß er betrogen worden war, aber es war zu spät. Schon stieg der Troll von seinem Baum herunter und zog sein Schwert und fing von neuem zu kämpfen an. Aber sie hatten noch nicht viel Hiebe gewechselt, da hatte Silberweiß schon die Todeswunde und lag in seinem Blut auf der Erde.

Nun müssen wir von Lillwacker berichten. Er ging am Morgen zu der Quelle am Kreuzweg und fand sie ganz blutig. Da wußte er, daß Silberweiß tot war, und dachte an sein Gelübde, seinen Tod zu rächen. Er rief seine Hunde, band sein Schwert an die Seite und wanderte, bis er an eine große Stadt kam. In der Stadt herrschte große Freude, die Leute standen auf den Gassen, und die Häuser waren mit Scharlach und prächtigen Teppichen ausgeschlagen. Liliwacker fragte, warum die Leute so fröhlich seien. Die Leute sagten: »Gewiß kommst du von weither, daß du nicht weißt, daß ein berühmter Held hierher gekommen ist, er heißt Silberweiß; er hat unsere drei Prinzessinnen befreit und ist nun des Königs Schwiegersohn.« Liliwacker fragte weiter, wie das alles zugegangen sei, dann zog er seines Weges fort und kam am Abend in das königliche Schloß, wo Silberweiß mit seiner schönen Königin wohnte.



Bd-05-249_Maerchen aus Schweden Flip arpa



Bd-05-250_Maerchen aus Schweden Flip arpa

Als nun Liliwacker zur Schloßpforte hineintrat, grüßten ihn alle als den König. Denn so ähnlich war er seinem Pflegebruder, daß man die beiden nicht unterscheiden konnte. Als der Bursche nun ins Schlafgemach kam, hielt ihn auch die Königin für Silberweiß. Sie ging auf ihn zu und sagte: »Herr König, wo bist du so lang geblieben, ich habe mit Sorgen auf dich gewartet.« Liliwacker sagte nicht viel und war wortkarg und schweigsam. Dann ging er mit der Königin zu Bett, aber er legte ein blankes Schwert zwischen sich und sie. Die junge Frau wußte nicht, was sie von alldem denken sollte, denn sonst war ihr Gemahl nicht so wunderlich gewesen. Aber sie dachte: >Man muß nicht nach anderer Leute Geheimnissen fragen< und sagte nichts.

In der Nacht, als alles schlief, klopfte es ans Fenster, und eine Stimme ließ sich vernehmen: »Liliwacker, komm, ich habe mit dir zu reden!« Der Jüngling stand eiligst auf, nahm sein gutes Schwert, rief seine Hunde und ging hinaus. Als er unter freien Himmel kam, stand derselbe Troll vor ihm, der Silberweiß erschlagen hatte. Er sagte: »Lillwacker, geh mit mir, dann sollst du deinen Pflegebruder sehen.«Dazu war Lillwacker gleich bereit, und der Troll ging voraus. Als sie an den Meeresstrand kamen, lagen da die drei großen Hunde, die der Troll mitgebracht hatte. Ein Stück davon weg, wo sie gekämpft hatten, lag Silberweiß in seinem Blut, und neben ihm lagen seine Hunde wie an der Erde festgewachsen. Da merkte Lillwacker, wie das alles zugegangen war, und dachte, er wolle gern sein Leben wagen, um für seinen Bruder Rache zu nehmen. Gleich hetzte er seine Hunde gegen die Trollhunde, und es gab einen harten Kampf. Aber schließlich blieben Lillwackers Hunde Sieger. Darauf zog der Bursche sein Schwert und hieb gewaltig auf den Troll ein. Als aber der Troll merkte, daß das Glück ihm nicht günstig war, flüchtete er sich auf einen hohen Baum. Lillwacker mit seinen Hunden lief hinterdrein, und die Hunde bellten sehr. Da bat der Troll demütig um sein Leben und sagte: »Lieber Lillwacker, ich will dir Wergeld für deinen Bruder geben, aber heiß deine Hunde still sein, damit wir reden können.«Zugleich reichte der Troll ihm drei Haare von seinem Kopfe und sagte: »Lege über jeden Hund ein Haar, dann werden sie schon still sein.« Aber Lillwacker merkte seine List, deshalb



Bd-05-251_Maerchen aus Schweden Flip arpa

nahm er die drei Haare und legte sie über die Trollhunde. Gleich fielen die zu Boden und blieben wie tot liegen.

Als nun der Troll sah, daß sein Anschlag mißglückt war, bekam er große Angst und sagte: »Liebster Liliwacker! Ich will dir Wergeld für deinen Bruder geben, wenn du mich nur in Frieden läßt.« Der Jüngling gab zur Antwort: »Was kannst du mir geben, das meines Bruders Leben aufwiegt Der Troll gab zurück. »Hier hast du zwei Flaschen. In der einen ist Wasser, das die Kraft hat, wenn du einen Toten damit bestreichst, er wieder lebendig wird; das Wasser in der anderen Flasche aber hat die Eigenschaft, daß, wenn du etwas damit bestreichst und jemand die Stelle berührt, er sich nicht mehr vom Fleck rühren kann. Ich meine, daß man größere Kostbarkeiten nicht leicht finden kann.«

Lillwacker sagte: »Dein Vorschlag gefällt mir, und ich will ihn annehmen. Aber noch etwas mußt du mir versprechen: daß du meines Bruders Hunde wieder losmachst.« Der Troll ging darauf ein, kletterte vom Baum herunter und blies die Hunde an, daß sie wieder los wurden. Dann nahm Lillwacker die beiden Flaschen und ging mit dem Troll vom Strande weg.

Als sie eine Weile gegangen waren, kamen sie an eine große steinerne Platte, die nahe am Weg lag. Da ging II wacker eilig voraus und bestrich sie unbemerkt mit dem Wasser aus der einen Flasche. Als der Troll nun daran vorbeiging, hetzte Lillwacker alle seine sechs Hunde auf einmal auf ihn, der Troll wich zurück und berührte den Stein. Da blieb erhängen und konnte sich weder vor-noch rückwärts rühren. Aber nach einer Weile ging die Sonne auf und schien auf den Stein. Als der Troll die Sonne sah, zerplatzte er und war mausetot. Lillwacker lief darauf zu seinem Bruder zurück und besprengte ihn mit dem Wasser aus der anderen Flasche, daß er wieder lebendig wurde. Das war eine große Freude, wie man sich wohl denken kann. Die beiden Pflegebrüder gingen darauf zum Schloß und erzählten sich unterwegs ihre Schicksale und Abenteuer. Liliwacker berichtete, wie er seines Bruders Not erfahren hatte und wie er ins Schloß gekommen war und für den König gehalten wurde. Er scherzte, daß er mit der jungen Königin zu Bett gegangen war, ohne daß sie merkte, daß er nicht ihr rechter Gemahl war. Aber als Silberweiß das



Bd-05-252_Maerchen aus Schweden Flip arpa

hörte, kam ihm der Gedanke, Liliwacker habe der Königin etwas angetan; da wurde er aufgebracht, und in seinem Zorn zog er sein Schwert und stieß es seinem Bruder in die Brust. Liliwacker sank tot zu Boden, und Silberweiß ging allein heim in sein Schloß. Aber Liliwackers Hunde wollten ihren Herrn nicht verlassen und lagen winselnd um ihn herum und leckten seine Wunde.

Am Abend, als der junge König und seine Gamahlin zu Bette gingen, fragte ihn die Königin, warum er so wortkarg und ernsthaft gewesen sei. Silberweiß gab nur knapp Antwort. Da sagte die Königin: »Es hat mich sehr wunder genommen, was du wohl in den letzten Tagen erlebt hast, aber am liebsten möchte ich doch wissen, warum du diese Nacht ein nacktes Schwert zwischen uns gelegt hast?« Nun wurde es hell vor Silberweiß, und er begriff, daß er seinen Bruder unschuldig erschlagen hatte, und es reute ihn bitterlich, daß er ihm seine Treue so schlecht gelohnt hatte. Der König stand gleich auf und ging zu der Stelle, wo sein Bruder lag. Da goß er Lebenswasser aus seiner Flasche und benetzte die Wunde damit. Gleich wurde Liliwacker wieder lebendig, und die beiden Brüder gingen mit viel Freuden wieder ins Schloß zurück.

Als sie zurückkamen, erzählte Silberweiß seiner Königin, wie Liliwacker ihn vom Tod errettet hatte und was ihnen sonst noch für Abenteuer geschehen waren. Da war große Freude am ganzen Königshof, und der Jüngling wurde von allen mit großen Ehren und Huldigungen empfangen. Als er eine Zeitlang da war, freite er die mittlere Prinzessin und bekam ihr und ihrer Verwandten Jawort. Darauf wurde die Hochzeit mit großem Staat gefeiert, und Silberweiß teilte das halbe Reich mit seinem Pflegebruder. Die beiden Brüder lebten in Frieden und Einigkeit zusammen, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt