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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Die kleine Maus

Es lebte einmal ein König, der hatte drei Söhne. Er war nicht etwa ein mächtiger König, denn er besaß nur ein ganz winziges Königreich; doch er liebte es über alle Maßen, seine goldene Krone und sein königliches Gewand zu tragen. Aus der Krone waren schon viele Edelsteine herausgefallen, und sein Königsmantel, ja das ist leider wahr, sah allmählich recht abgenutzt aus. Er hatte schon allerlei



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Flecke, und der Hermelin schimmerte bereits gelb. Trotzdem, er war ein König, und das machte ihn sehr stolz.

Er hätte seine Söhne wie andere Prinzen erziehen müssen, ihnen Diener geben, die aufwarteten, und Pferde, um reiten zu können. Aber ach, für drei reichte es nicht. Die beiden ältesten -kräftige, stämmige Burschen -rissen alles, was sie nur konnten, an sich und trieben ihren Schabernack mit jedem, der kleiner und schwächer war als sie selber. Daher blieb nur selten etwas für den jüngsten Prinzen übrig, und die Diener hatten sich reichlich zu sputen, um dessen ältere Brüder zufriedenzustellen.

Der kleine Prinz mied die Brüder nach Möglichkeit; und um ihren höhnenden Reden zu entgehen, floh er zur Feuerstelle, setzte sich dort nahe an die Glut und lockerte die Schlacken. Wenn ihn die Brüder dort entdeckten, riefen sie spöttisch aus: »Sieh dir den nur an. In den Schlacken herumwühlen! Ist ja der reinste Schmutzfink!« Und so kam es, daß, als die drei Prinzen heranwuchsen, der jüngste den Spottnamen behielt, der ihm als Kind angehängt worden war: Schmutzfink. Da er immer kleiner und schwächer blieb als seine Brüder, verhöhnten sie ihn weiter wie einst.

Eines Tages ließ der König die drei Prinzen vor seinen Thron kommen und sprach zu ihnen:

»Meine lieben Söhne, ihr seid nun alle drei erwachsen, und deshalb ist es für euch an der Zeit zu heiraten. Ihr sollt in die Welt hinausziehen und nach einer hübschen und edlen Prinzessin - oder wenigstens nach einem hochgeborenen Fräulein -Ausschau halten. Und wenn ihr eine gefunden habt, die euere Werbung annimmt, dann gebt ihr diesen goldenen Apfel.« Und er überreichte einem jeden seiner Söhne einen goldenen Apfel.

Die Prinzen waren hocherfreut und verloren keine Zeit, um aufzubrechen und sich eine Frau zu suchen.

Die beiden Ältesten riefen ihre Diener und eilten in den Stall hinunter. Sie dachten, wenn sie mit einem großen Gefolge reisten, dann würde jedermann sie für die Söhne eines mächtigen Königs halten. Sie teilten alle im Stall stehenden Pferde unter sich und befahlen ihren Dienern aufzusitzen und loszureiten.

Schmutzfink hatte es nicht so eilig. Erst einmal wusch er sich ganz



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und gar, dann kämmte er seine Haare, und zuletzt bürstete er seine Kleider. Danach ging auch er zum Stall hinunter, öffnete die Tür und trat ein. Doch, armer Schmutzfink, da stand er nun und -der Stall war leer. Nicht ein einziges Pferd hatten seine Brüder für ihn zurückgelassen. Er sprang hinaus und konnte gerade noch die Brüder und ihre Dienerschaft in einer Staubwolke am äußersten Ende des Weges verschwinden sehen.

>Nun gut<, sagte er zu sich selber, >da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen.<

Und so machte er sich auf den Weg. Er marschierte bis zum Abend und kehrte dann in einem kleinen bescheidenen Wirtshaus ein. Schon früh am nächsten Morgen setzte er seinen Weg fort. So wanderte er, nur wenig ausruhend, mehrere Tage hindurch weiter.

Eines Mittags war es ganz ungewöhnlich heiß, und anstatt weiter auf der glühenden Landstraße zu marschieren, beschloß er, einen Pfad einzuschlagen, der in einen großen und schattigen Wald führte. Nach kurzer Zeit erreichte er diesen, und es war hier wirklich angenehmer zu wandern als in der heißen Sonne. Der Wald schien sehr groß zu sein, und allmählich fragte sich Schmutzfink, ob er denn überhaupt kein Ende nähme.

Der Abend brach an, und es wurde dunkel. Furcht wollte ihn überkommen. Und um sich selber Mut zu machen, holte er den goldenen Apfel aus der Tasche, um ihn schnell einmal anzusehen. Dann warf er ihn in die Luft, fing ihn und warf ihn wieder hoch. Doch dieses Mal glitt er ihm aus der Hand und rollte davon. Er lief, so schnell er konnte, hinterher, doch je schneller er lief, desto rascher rollte der Apfel fort. Zuletzt sah er ihn in einem Haufen von trockenem Laub verschwinden. Er suchte unter den Blättern, aber da war nichts von dem goldenen Apfel zu sehen. >Es wird besser sein, ich räume alle Blätter beiseite<, sagte er zu sich selber, >dann muß ich ja den Apfel finden.<Also kehrte er alle Blätter auf eine Seite. Und da sah er nun etwas sehr Seltsames. Auf dem Grund, genauer, unter dem Blätterhaufen, befand sich eine kleine hölzerne Tür.

Ja, dachte Schmutzfink, es ist wirklich recht merkwürdig, mitten im Wald auf der Erde eine Tür zu entdecken. Da möchte ich doch wissen, wohin die führt. Er klopfte an, die Tür öffnete sich, und darunter



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erkannte er eine Höhle. Obgleich seine Brüder sich stets über ihn lustig gemacht hatten, war Schmutzfink mutig und abenteuerlustig. Weil er gern sehen wollte, was es wohl in der Höhle gäbe, sprang er hinunter. Er fiel mehrere Fuß tief bis auf ihren Grund, und da konnte er im Dämmerlicht gerade noch eine andere Tür erkennen, eine größere, mit einem sehr niedrig angebrachten Türgriff. Er drückte den Griff herunter und öffnete. Vor ihm lag ein winziger Raum mit einer niedrigen Decke. Der Raum war so blitzeblank, er glänzte wie eine neue Nadel, doch alles darin war ganz winzig. Da liefen klitzekleine Bänke rings um die Wände, auf denen ebenso winzige Kissen lagen. Und die Wände waren mit gewebten Tapeten geschmückt. Im Kamin brannte ein helles Feuer. Mitten im Raum stand ein Tisch mit winzigen Tellern und Tassen; aber nirgends war jemand zu sehen.

>Wo mag ich hier nur sein?< dachte Schmutzfink. >Ob ich mich einmal umsehe? Vielleicht finde ich hier meinen goldenen Apfel.< Er kniete nieder und schaute in jede Ecke, doch er konnte nichts entdecken. Dann aber fuhr er vor Staunen hoch. Denn neben dem Feuer stand eine kleine Maus. Sie sah ganz anders aus als alle die Mäuse, die er bisher gesehen hatte, denn sie trug ein blaues mit Spitzen besetztes Kleid. Sie war ganz überaus niedlich und reizend anzusehen. Ihre großen braunen Augen blitzten, und ihr Fell war von einem warmen Braun. Nun lief sie zum Tisch und sagte lächelnd:

»Willkommen in meinem Haus, junger Mann! Aber weshalb schaust du so traurig aus? Was gibt es denn? Hier in meinem Hause sollst du alles bekommen, was du haben möchtest!

Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
Als Schmutzfink die kleine Maus so sprechen hörte, glaubte er seinen Ohren nicht zu trauen. Er kniff sich in den Arm, um sicher zu sein, daß er nicht träume. Er kniff sich noch stärker, aber die Maus war nicht verschwunden. Er sah sie noch immer am Tisch stehen und hörte sie nochmals sagen:



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»Nun, mein Lieber, du schaust so traurig drein. Was hast du denn nur?«

»Wie könnte ich anders als traurig sein?« antwortete er. »Von meinem Vater erhielt ich einen goldenen Apfel als Morgengabe für meine zukünftige Braut. Nun habe ich den Apfel verloren und keine Braut gefunden. Glaubst du nicht, daß das genug ist, um traurig zu sein?«

»Oh, ist das alles?« sagte die kleine Maus. »Deswegen brauchst du dich nicht zu sorgen. Warum willst nicht mich zur Braut nehmen? Hab nur Vertrauen zu mir, und alles wird gut ausgehen.« Während sie so sprach, neigte sie ihr Köpfchen zur Seite und sah ihn mit ihren glänzenden Äuglein an. Schmutzfink konnte kaum sein Lachen zurückhalten, zugleich hörte er sich aber schon höflich antworten: »Ganz wie du möchtest, meine Liebe!«

Über diese Worte schien die Maus recht glücklich zu sein, und sie blickte ihn so strahlend an, daß Schmutzfink nicht anders konnte, als ihr zuzulächeln und sie überaus süß zu finden. Dann lief sie eilig vom Tisch fort auf den Gang und bückte sich in eine Ecke. Im nächsten Augenblick war sie auch schon wieder zurück und trug den goldenen Apfel in ihrem Mund.

»Hier sind sie beide, dein goldener Apfel und deine Braut«, sagte sie. »Doch warum jetzt nicht erst mal was essen und ausruhen, bevor du wieder gehst?«

Also setzte er sich an den Tisch, und die kleine Maus brachte ihm zu essen und zu trinken. Nach beendetem Mahl zeigte sie ihm einen anderen kleinen Raum, in dem ein wundervolles Bett mit weichen Kissen stand. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und versprach, ihn am nächsten Morgen zu wecken und an die Tür zu klopfen.

Am andern Tag begleitete ihn die kleine Maus, nachdem er gut gefrühstückt hatte, nach draußen, um ihm den nächsten Weg aus dem Walde zu zeigen. Und als sie sich verabschiedeten, sagte sie noch: »Auf Wiedersehen, mein Lieber, bitte vergiß mich nicht!«

»Oh, wie könnte ich meine kleine Braut vergessen!« erwiderte Schmutzfink und schied herzlich von ihr.

Als er endlich seines Vaters Königreich wieder betrat, begegneten ihm viele Reiter. Manche drehten sich nach ihm um, sobald sie den



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jungen Prinzen erkannten, doch die meisten ritten vorüber, ohne auch nur die geringste Notiz von ihm zu nehmen.

Als er weiter wanderte, traf er doch wirklich auf seine beiden Brüder mit ihrem ganzen Gefolge. Aber die waren viel zu stolz, um von gewöhnlichen Leuten, die zu Fuß unterwegs waren, irgendwelche Kenntnis zu nehmen, und so ritten sie vorbei, ohne ihn auch nur zu sehen.

Als alle drei Prinzen wieder zu Hause waren, ließ der König sie vor seinen Thron kommen. Nun mußten sie ihm von ihren Abenteuern berichten und ihm sagen, ob sie auch vornehme Bräute gefunden hätten. Der älteste Prinz, so erzählte er seinem Vater, war zwar in ein Königreich gekommen, doch die Tochter des Königs war bereits verheiratet. »Aber«, so meinte er, »ich fand eine ihrer Hofdamen, die sehr hübsch und von vornehmer Familie war, und so ist das also auch in Ordnung.«

»Nun, meinetwegen«, antwortete der König, ziemlich enttäuscht, »hoffentlich gibt sie wenigstens eine gute Hausfrau ab.« Und, sich zu dem zweiten Sohn wendend, fragte er: »Und was für eine Braut hast du gefunden?«

»Der König, den ich aufsuchte, hatte nur eine einzige Tochter, und die war schon mit einem steinreichen Prinzen verlobt; aber statt ihrer fand ich ein bildschönes Fräulein, die Tochter eines vornehmen Ritters, und das genügt ja.«

»Was für ein Elend!« rief da der König, »daß meine Söhne, die ich zu feinen Prinzen erzog, nicht fähig sind, Prinzessinnen aus königlichem Geblüt zu heiraten. Doch auch die hübscheste und vornehmste Prinzessin muß backen und weben können. Und ich hoffe, daß eure Fräuleins in diesen nützlichen Künsten nicht unerfahren sind.«

Zuletzt wandte er sich an den jüngsten Sohn, der beiseite stand und reichlich unglücklich aussah. Doch bevor der König überhaupt etwas sagen konnte, schrien schon die beiden älteren Prinzen los: »Sieh dir doch bloß Jung-Schmutzfink an! Hast du wohl ein Bräutchen gefunden, Junker Schmutzfink?«

»Doch, ja«, sagte der zögernd. »Doch sie ist bei weitem nicht so reich und schön wie die euren.«



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»Oh, ich sag' es ja, wenn Schmutzfink eine Braut gefunden hat, dann muß sie häßlich sein wie die Sünde und arm wie eine Kirchenmaus!« prustete der ältere Bruder.

»Ja, du hast so ziemlich recht. Sie hat mehr von einer Maus als von einem anderen Wesen an sich und wohnt auch in keinem Palast.« Die beiden Brüder schüttelten sich vor Lachen. Aber er achtete nicht darauf.

Nachdem einige Zeit vergangen war, ließ der Vater seine Söhne eines Tages zu sich kommen und sprach: »Nun habe ich allmählich genug von euren jungen Fräuleins gehört, wie schön sie sind und aus was für vornehmen Familien sie kommen. Jetzt möchte ich lieber einmal den Beweis haben, daß sie auch gute Hausfrauen sind. Jede eurer Bräute soll jetzt einen Kuchen backen, und den habt ihr mir hierher zu bringen.«

Die beiden älteren Brüder eilten wieder mit ihren Bedienten in den Stall und sattelten so schnell wie nur möglich sämtliche Pferde. Schmutzfink aber mußte wie das vorige Mal zu Fuß gehen. Wieder wanderte er die Landstraße entlang, bis er an den Wald kam. Dann schlug er den Waldweg ein und dachte dabei: >Ich will jetzt zu meiner kleinen Maus gehen und sie wiedersehen. Doch wie sollte sie einen Kuchen backen können? Sie ist viel zu winzig, als daß sie so etwas wie einen Kuchen zustande bringen könnte.< Er

fand den Haufen trockenen Laubes und auch die versteckte Tür, drückte die Klinke nieder und trat in den kleinen Raum. Da stand das Mäuslein am Tisch, schaute ihn mit ihren glänzenden Augen an und sagte mit ihrer sanften freundlichen Stimme: »Willkommen, mein Lieber! Warum aber schaust du schon wieder so traurig aus?

Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
»Ich danke dir, Liebes«, antwortete Schmutzfink, »doch so froh ich darüber bin, dich wiederzusehen, wie sollte ich nicht zugleich traurig sein, denn mein Vater verlangt, daß ich ihm einen Kuchen bringe, den du gebacken hast, damit er sehen kann, ob du eine gute Hausfrau



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bist. Du lieber Himmel, wie solltest du, die du so klein bist, einen Kuchen backen können?«

»Ach, wenn es weiter nichts ist!« lachte die kleine Maus. »Deswegen brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Uberlaß das nur mir, und ich will dir einen Kuchen backen, geradesogut, wie eine andere ihn backen kann.«

Und sie lief durch die Tür hinaus zu einem flachen Stein und rief laut: »Hierher, alle meine kleinen Dienerinnen. Jede von euch bringe ein paar Gran vom feinsten Mehl.« Und in Sekundenschnelle sah Schmutzfink Dutzende von kleinen zierlichen Mäusen aus allen Richtungen herbeieilen und jede auf ihrem Näslein etwas Mehl herantragen. Sie schütteten alles in einen kleinen Trog, der auf den Stein gestellt worden war, während andere winzige Mäuslein ein Feuer unter dem flachen Stein entzündeten. Dann zog sich Schmutzfinks Bräutchen eine weiße Schürze über und begann, den Teig in den Trog zu kneten. Sie knetete und knetete und rollte ihn und rollte ihn, und zuletzt buk sie ihn auf dem flachen Stein und ruhte nicht, bevor sie den herrlichsten Kuchen fertig hatte, weiß wie Schnee und so schön und süß, wie man sich ihn nur wünschen konnte. Dann packte sie ihn ein und gab ihn Schmutzfink.

Er nahm ihn voller Freude und dankte ihr viele Male. Nun konnte er ohne Sorge sein, hatte er doch seinem Vater einen Kuchen vorzuzeigen! Also setzte er sich und aß und trank, was die kleine Maus ihm auftischte, und lauschte ihren Scherzen und heiteren Erzählungen. Und nachher führte sie ihn wieder zu dem kleinen Raum, wo er nach diesem anstrengenden Tag sofort einschlief.

Wieder ging sie am nächsten Morgen nach dem Frühstück ein Stück Wegs mit ihm durch den Wald und bat ihn, sie nicht zu vergessen. Dann mußte er hinaus auf die staubige Landstraße, um weiter in sein Heimatland zu wandern. Als er seines Vaters Königreich betrat, hörte er Huf geklapper und heiteres Stimmengewirr. Er schaute auf und erkannte seine Brüder und ihren Troß, die alle vorüberritten, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen.

Als er zu Hause eintraf, hatte der König die Prinzen bereits an den Thron gerufen. Er war eben dabei, die Kuchen zu probieren, die deren Bräute gebacken hatten. Als Schmutzfink kam, hörte er gerade



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noch, wie seine älteren Brüder sich damit brüsteten, was für gute Hausfrauen ihre Verlobten seien. Nichts gäbe es, was sie vom Backen nicht wüßten.

»Schaut mal Schmutzfink an!« schrien sie, als sie sahen, wie er sein Päckchen hervorzog. »Nicht wahr, du hast da wohl einen Kuchen mitgebracht, den deine Mäusebraut gebacken hat?«

»Ja, das habe ich«, antwortete Schmutzfink ruhig, »aber gewiß wird er nicht so köstlich sein wie die euren.«

»Mal sehen, was mit dem los ist! Der muß ja in der Asche gebacken worden sein, damit er zu dir paßt«, spotteten sie.

»Da habt ihr recht, denn sie machte ein Feuer unter einem flachen Stein mitten im Walde.«

Die beiden Brüder wollten sich vor Lachen ausschütten, doch als sie den Kuchen dann sahen, den Schmutzfink aus seinem Paket wickelte und dem Vater überreichte, blieb ihnen gar schnell das Lachen im Halse stecken. Er war schöner, als sie je einen Kuchen gesehen. Und nachdem alle davon gekostet hatten, war es gar keine Frage mehr, wessen Kuchen der beste war. Selbst die beiden älteren Brüder mußten zugeben, daß sie einen solch köstlichen Kuchen bisher noch nie geschmeckt hätten.

»Er muß im Walde ein altes Bäckerweib getroffen haben!« riefen sie. Aber Schmutzfink beachtete sie gar nicht.

Nun, einige Zeit danach, rief der König seine Söhne wieder zu sich und sagte: »Jetzt will ich einmal sehen, ob eure jungen Fräuleins auch so gut weben, wie sie backen können -das heißt Schmutzfinks Braut hatte ja am besten gebacken. Geht und laßt euch von euren Bräuten ein Stück selbstgewebten Stoffes geben und bringt es mir!« Und so zogen die drei Brüder wiederum hinaus.

Schmutzfink war sehr bedrückt, denn daß seine kleine Maus nicht zu weben vermochte, dessen war er sicher. Zwar konnte sie backen, doch wie sollte sie, die so zierliche und winzige, an einem Webstuhl sitzen und weben? Als er durch den Wald schritt, war ihm ganz elend zumute. Schließlich kam er zu dem trockenen Blätterhaufen und fand die Tür darunter. Er öffnete sie, sprang in die Höhle, drückte drunten die Klinke der zweiten Tür und betrat den kleinen Raum des Mäusleins. Genau wie sonst erwartete sie ihn, lächelte und



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sprach: »Sei willkommen, liebster Schatz! Ich hoffe, daß deine Leute meinen Kuchen mochten. Doch weshalb bist du schon wieder traurig?

Bist du müde, magst du sitzen;
bist du hungrig, magst du essen;
bist du durstig, magst du trinken.«


***
»Ich danke dir, meine Liebe. Aber mir ist nicht nach Essen und Trinken zumute. Wie sollte ich nicht traurig sein? Mein Vater hat mich beauftragt, ihm ein Stück Stoff zu bringen, das du gewebt hast, damit er sehen kann, ob du genausogut weben wie backen kannst. Wie aber sollte ein so winziges Wesen wie du am Webstuhl sitzen und weben können?«

»Oh, da sorge dich nicht! Vertrau mir nur, ich will genausogut weben, wie ich gebacken habe - du wirst es gleich sehen.«

Und wieder rief sie ihre Dienerinnen, und eine Menge kleine Mäuse rannten herzu, einige trugen silberne Fäden, andere Spinnräder und Spindeln. Andere wieder stellten eiligst einen Webstuhl auf. Und nun setzte sich Schmutzfinks kleine Braut an den Webstuhl und begann so schnell zu weben, daß seine Augen dem Schiffchen nicht zu folgen vermochten. Sie hielt nicht inne, ehe sie nicht fertiggewebt hatte, und zeigte ihm dann einen Stoff, so weiß wie Schnee, so weich wie Seide und so hauchzart wie Spinnweben, und er war größer als das größte Tafeltischtuch. Die kleine Maus faltete es und faltete es so viele Male, daß es klein genug wurde, um in einer Walnußschale Platz zu finden. Und dann gab sie Schmutzfink die Waldnußschale. Er steckte sie in seine Tasche und fühlte sich so innig glücklich wie ein Sandmännchen, weil er nun ein handgewebtes Stück seinem Vater vorweisen konnte.

Die kleine Maus deckte den Tisch, brachte ihm zu essen und zu trinken, und er setzte sich hin und freute sich des trefflichen Mahls. Und während er aß, erzählte sie ihm die reizendsten Geschichten und erwies sich wirklich als die vollendeteste Wirtin. Als Schmutzfink gegessen hatte, mußte er feststellen, daß es ihm noch nie so gutgegangen war wie jetzt eben hier. Die kleine Maus führte ihn wiederum



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in den Raum, wo er während der Nacht schlafen konnte. »Gute Nacht, ich wecke dich morgen früh wie sonst«, sagte sie.

Am nächsten Tag bedankte er sich für alle ihre Güte und vor allem für das herrliche Gewebe, das er in seiner Tasche mitnahm. Wie gewöhnlich begleitete die kleine Maus ihn ein Stück durch den Wald. Dann mußte er wieder den langen und ermüdenden Weg auf der Landstraße, die in seine Heimat führte, hinter sich bringen. Wieder sah er seine Brüder mit allem ihrem Gefolge an sich vorüberziehen. Er konnte sogar hören, was sie von ihren vornehmen Bräuten sprachen. Falls sie ihn sahen, ließen sie es sich doch keineswegs anmerken.

Als er das Schloß betrat, erfuhr er, daß seine beiden Brüder schon zum König gerufen wurden, um ihm zu zeigen, was ihre Bräute gewebt hatten. Als er in die große Halle eintrat, in der sein Vater auf dem Thron saß, sah er ihn schon die Webereien auseinanderbreiten, die seine Brüder gebracht hatten.

»Gut«, sagte der König. »Ich finde nichts daran auszusetzen. Eure Bräute haben sehr hübsch gewebt.« Und nun fanden seine älteren Brüder kein Ende mit Lobpreisungen ihrer so überaus tüchtigen Bräute. Sie brüsteten sich: niemand vermöchte je besser zu weben als diese.

Dann bemerkten sie Schmutzfink an der Tür und schrien lauthals, ob sein Bäckerweib wohl auch etwas gewebt habe.

»Ja, das hat sie«, erwiderte Schmutzfink ruhig. »Doch wird es wohl nicht so gut wie das eure sein.«

»Das wird sie wohl aus Zweigen und Spinnweben gemacht haben, wenn sie auch das wieder im Wald gemacht hat«, lachten sie los. »Gewiß, sie hat keinen sehr guten Webstuhl, und der Stoff sieht tatsächlich eher Spinnweben als was anderem ähnlich, und so habt ihr vielleicht recht.« Und Schmutzfink nahm die Walnuß aus seiner Tasche, und seine beiden Brüder prusteten vor Lachen über ihn; er aber kümmerte sich nicht darum. Er öffnete die Nußschale und faltete den Stoff auseinander, den die kleine Maus gewebt hatte. Voller Staunen blickten ihn alle an, denn er war weich wie Seide und hauchdünn wie Spinngeweb. Es war in der Tat die herrlichste Weberei, die man je gesehen hatte. Selbst die beiden Brüder konnten es nicht



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ableugnen. Und noch lange Zeit danach sprach jedermann im Schloß von dem wundersamen Webwerk, das Schmutzfinkens Braut geschaffen hatte, denn wirklich war etwas Derartiges noch nie gesehen worden.

>Aber selbst wenn sie weben und backen kann, auf keinen Fall kann sie so vornehm sein wie unsere Bräute<, dachten die Brüder.

Nun, jedenfalls ein paar Monate später sagte der Vater zu seinen Söhnen: »Jetzt weiß ich, daß eure Bräute backen und weben können —das heißt, Schmutzfinkens Braut war die beste, beim Backen wie beim Weben. Jetzt will ich aber auch wissen, wie sie aussehen. So geht also und holt sie her, damit ich sie begutachten kann.«

Als Schmutzfink den Wald betrat, freute er sich schon auf seine kleine Maus. Wie aber sollte er es anfangen, sie mit nach Hause zu bringen und dem Vater und den Brüdern zu zeigen? >Ob ich lieber doch wieder umkehre?<, und je länger er darüber nachdachte, um so schwerer wurde ihm eine Entscheidung. Er war immer noch beim Überlegen, als er schon vor dem Laubhügel stand. So sprang er schließlich doch in die Höhle, öffnete unten die Tür und trat in das Zimmerchen ein. Da stand die kleine Maus am Tisch, begrüßte ihn wie sonst und fragte, ob seine Leute mit ihrem Weben zufrieden gewesen seien. Doch als sie sein trauriges Gesicht sah, fragte sie weiter, was ihn wohl so bedrücke. Und er antwortete:

»Könnte ich denn anders als bedrückt sein, da mein Vater eine stattliche Hochzeit für meine Brüder und mich ausrichtet und wir ihm jeder unsere Bräute vorstellen sollen? Was glaubst du wohl, was sie zu Hause sagen werden, wenn sie sehen, daß du nur ein winziges Mäuslein bist?«

»Oh, deswegen sei ja nicht traurig! Da wird schon Rat werden. Wenn du mir nur vertraust, kann ich mich so herrlich kleiden, daß du dich ganz gewiß nicht deiner Braut zu schämen brauchst. Komm, setze dich und iß, was ich für dich vorbereitet habe! Ich will inzwischen mein Hochzeitskleid anziehen.«

Also setzte sich Schmutzfink hin und fing an zu essen, denn der lange Weg durch den Wald hatte ihn hungrig gemacht. Die kleine Maus rief ihre Dienerinnen und ließ sich ihr Hochzeitskleid bringen. Und Dutzende sehr junger Mäuslein rannten herzu, jede ein Mause



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feil im Munde. Und alle diese Pelzchen zogen sie der Braut an. Als Schmutzfinks Herzliebste sie sämtlich übergestreift hatte, sah sie wie ein runder Peizball aus und konnte sich kaum mehr bewegen. Dann schleppten andere Mäuslein einen silbernen Löffel herbei, hoben die Braut hoch und setzten sie hinein. Am Löffelgriff banden sie zwölf dicke Käfer an, und davor setzten sie noch vierzehn Flöhe als Vorgespann. Und zuletzt kamen noch sechs Mäusekinderchen, drei an jeder Löffelseite, um die Braut zu begleiten. Nachdem alles fertig war, gab diese ein Zeichen, und der Brautzug setzte sich in Bewegung.

Die Käfer begannen zu traben, die Flöhe zu hüpfen und die kleinen Mäuschen zulaufen, was sie nur konnten, und so ging es über Stock und Stein. Schmutzfink folgte; er wußte nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Gleich würden sie die Landstraße erreichen und auf seine Brüder und deren Gefolge stoßen. >Lieber möchte ich auf der Stelle tot sein, als ihr hämisches Lachen hören zu müssen<, dachte er. Plötzlich hielt der ganze Zug vor einem Steg, der über einen kleinen Bach führte. Die Braut rollte sich in all ihren Pelzen aus dem Löffel auf den Steg hinab und sagte zu Schmutzfink:

»Schwinge nun dein Schwert und schlage den Löffelgriff ab!«

>Nun<, dachte da Schmutzfink, >das ist ja eine seltsame Bitte!<Aber er tat, was sie wollte, schwang sein Schwert und durchschnitt so den Löffel. Da geschah etwas überaus Seltsames. Der Löffel fiel in den Bach, und im selben Augenblick stand am Ufer des Baches die kostbarste Staatskarosse, wie die eines Kaisers oder Königs nicht prächtiger hätte sein können. Sie schimmerte silbern und golden, und in den Glasscheiben spiegelte sich die Sonne derart, daß der Glanz fast blendete. Zwölf grauscheckige Schimmel waren vor die Kutsche gespannt, und vierzehn Reitknechte in prächtigen Uniformen ritten voran. Schmutzfink war sprachlos vor Überraschung und sah nur verwirrt die kleine Maus an, die in allen ihren Pelzen, umgeben von ihren sechs kleinen Mäuschen, mitten auf dem Steg saß.

»Nun«, sagte sie, »schwinge dein Schwert noch einmal und schlage mir den Kopf ab!« Schmutzfink erblaßte bei diesem Ansinnen. Er brachte das einfach nicht fertig, denn er liebte sie viel zu sehr, um ihr etwas anzutun, wenn sie auch im Grunde nur eine Maus war.



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Doch sie bat ihn nochmals darum und sagte: »O bitte, bitte, lieber Schmutzfink, sei doch so lieb! Tue doch ja, worum ich dich bitte, und schlage mir den Kopf ab!« Schmutzfink aber weigerte sich. Da weinte und jammerte sie so lange, bis er nicht weiter widerstehen konnte, sein Schwert zog und es mit aller Kraft schwang. Und es schnitt durch alle Pelze hindurch, die sie trug, der Kopf sprang heraus und rollte hinunter in den Bach. Im selben Augenblick aber stand am Ufer des Baches die bezauberndste Prinzessin, die er sich je hätte vorstellen können. Sie war schöner als irgendein menschliches Wesen, so glaubte er, überhaupt sein könnte. Ihr Gewand war silbern, Purpurseide, mit Hermelin eingefaßt, umhüllte sie. Auf dem Haupt trug sie eine goldene Krone, die mit kostbar schimmernden Juwelen besetzt war, und in ihrer Hand hielt sie einen goldenen Apfel. Ihr zur Seite standen sechs liebliche Brautjungfern mit Blumenkränzen im Haar, um ihr zu dienen.

Schmutzfink mochte seinen Augen nicht trauen. Er kniff sich wieder in den Arm, so wie er es damals getan hatte, als er die kleine Maus zum erstenmal gesehen und gehört hatte, daß sie sprechen konnte. Aber sie waren wirklich da: die Prinzessin und ihre Brautjungfern, die Kutsche und auch die Vorreiter.

»Wie danke ich dir, Liebster, daß du mir den Kopf abgeschlagen hast!«sprach die Prinzessin mit der gleichen wohlbekannten Stimme der kleinen Maus. »Hättest du es nicht getan, so wäre nie der Zauber von mir gewichen. Ich habe mich nämlich früher einmal geweigert, einen gräßlichen Troll zu heiraten. Aus Rache verwandelte er mich in eine Maus. Und ich konnte davon nicht wieder befreit werden, wenn sich nicht jemand fände, der mich so sehr liebte, daß er mir auf mein Flehen hin sogar den Kopf abschlagen würde.«

Dann lud die Prinzessin Schmutzfink zu sich in den Wagen ein. »Nun wollen wir zur Hochzeit in euer Schloß fahren«, sagte sie, »so daß sie dort deine Braut sehen können. Und dann wollen wir wieder zu uns heimfahren in den Wald.«

So fuhren sie nun schnell des Wegs. Inzwischen waren die beiden älteren Brüder schon auf dem Schloß angekommen und hatten ihre Bräute dem König vorgestellt. Natürlich war dieser immer noch recht enttäuscht, daß er keine Prinzessinnen zu Schwiegertöchtern



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bekam, doch freute ihn ihr feines Benehmen und ihr angenehmes Äußere ->das war<, dachte er, >alles in allem nicht hübscher und auch nicht häßlicher als das von allen jungen Mädchen<.

Die älteren Prinzen setzten sich dann, um Schmutzfink zu erwarten, und malten sich aus, wie wohl seine Braut sich neben ihren reichen und feinen Bräuten ausnehmen werde. Mitten in ihre Unterhaltung drang das Geräusch vieler Pferdehufe - so vieler Hufe, daß man es glatt hätte für fernen Donner halten können. Sie blickten zum Fenster hinaus und sahen, wie sich in einer Staubwolke der prächtigste Zug dem Schlosse näherte, den sie je erblickt hatten. Als er näher kam, unterschieden sie die bunten Wämse der Vorreiter, dahinter die von Gold und Silber strotzende Karosse, die von zwölf herrlichen Schimmeln gezogen wurde. Sie fragten sich, ob da wohl der Kaiser höchstselber oder ein mächtiger fremder König zu ihrer Hochzeitsfeier käme.

Staatskutsche und Gefolge hielten vor dem Schloß, und heraus stieg eine so bildschöne, eine so lieblich ausschauende Prinzessin, daß niemand die Augen von ihr lassen konnte. Zuletzt bemerkten sie auch den schönen Prinzen an ihrer Seite, und da konnten die beiden Brüder wieder nichts anderes sagen, als was sie von jeher gewohnt waren: »Sieh bloß, der junge Schmutzfink!« Bescheiden wie stets, sagte der: »Ich wollte euch nur meine Braut vorstellen.«

Nun, die Bräute waren überhaupt nicht miteinander zu vergleichen. Schmutzfinkens Braut strahlte wie der Mond zwischen den Sternen an wolkenlosem Himmel.

Es gab im ganzen Schloß eine unvorstellbare Aufregung, niemand konnte sie je wieder vergessen.

Doch nach kurzem Verweilen sagte die Prinzessin zu Schmutzfink, daß sie nun wieder gehen und nach Hause fahren müßten. Sie fuhren auch am selben Tage wieder zurück. Jetzt aber führte eine breite Allee durch den Wald - und dort, wo der trockene Blätterhaufen gelegen hatte, stand ein ganz herrliches Schloß. Alle kleinen Mäuse waren nun wieder Menschen, die froh und eifrig ihrer Arbeit nachgingen. Denn sie bereiteten alles für eine ganz wunderbare Hochzeit vor - und es war ja nicht nur eine Hochzeitsfeier, sondern auch die ihrer aller Befreiung aus dem bösen Zauberbann.



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So wurde der von seinen Brüdern stets höhnisch »Schmutzfink« Genannte ein mächtiger König, der nun, nach allen Abenteuern, auf lange Zeit mit seiner bildschönen Königin zusammen ein glückliches Leben führen konnte.


Copyright: arpa, 2015.

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