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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON NÛR ED-DÎN 'ALt UND ENIS EL-DSCHELÎS

Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß einst in Basra ein König lebte, der die Armen und die Bettler liebte und gegen seine Untertanen gütig war und von seinem Reichtum allen schenkte, die an Mohammed glaubten -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —; doch war er auch, wie ihn einer der Dichter schildert:

Stürmen die dichten Scharen gegen den König heran,
So schlägt er drein auf die Feinde mit dem schneidenden Schwert;
Dann schreibt er auf ihre Brust eine Schrift im Sturmesbraus
Am Tage, da du ihn siehst, wie er gegen die Reiter losfährt.

Er hieß König Mohammed, der Sohn des Sulaimân ez-Zaini, und er hatte zwei Wesire, deren einer el-Mu'în war, der Sohn des Sâwi, der andere aber el-Fadl, der Sohn des Chakân. Nun



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war el-Fadl ibn Chakân der edelmütigste der Menschen seiner Zeit, ein Mann von rechtschaffenem Lebenswandel, so daß sich alle Herzen zusammenfanden in der Liebe zu ihm und daß sich die Menschen zu ihm drängten, ihn um Rat zu fragen; und die Untertanen beteten für ihn um langes Leben, denn er hing dem Guten an und tat das Schlechte und Böse in den Bann. Der Wesir el-Mu'în ibn Sâwi dagegen haßte die Menschen und liebte das Gute nicht und war ein Ausbund von Schlechtigkeit; so wird von ihm gesagt:

Geh zu den Edlen, den Söhnen der Edlen! Denn die Edlen,
Die Söhne der Edlen sind's, die wiederum Edle erzeugen.
Und laß die Gemeinen, die Söhne Gemeiner! Denn die Gemeinen,
Die Söhne Gemeiner sind's, die wieder Gemeine erzeugen.

Und so sehr das Volk el-Fadl ibn Chakân liebte, so sehr haßte es el-Mu'în ibn Sâwi.

Nun geschah es eines Tages nach der Bestimmung des Allmächtigen, daß König Mohammed ibn Sulaimân ez-Zaini auf seinem Herrscherthrone saß, umgeben von seinen Würdenträgern, und daß er seinen Wesir el-Fadl ibn Chakân rufen ließ und zu ihm sagte: ,Ich möchte eine Sklavin so schön, wie es jetzt keine andere gibt, vollendet in Lieblichkeit, von ebenmäßiger Vollkommenheit und aller guten Gaben Vortrefflichkeit.' Da sprachen die Höflinge: ,Ein solches Mädchen ist nur um zehntausend Dinare zu haben'; und der König rief seinem Schatzmeister zu und sagte: ,Trag zehntausend Dinare in das Haus von el-Fadl ibn Chakân.' Der Schatzmeister tat, wie der Sultan befohlen hatte; und der Minister ging davon, nachdem der Sultan ihm den Auftrag gegeben, sich jeden Tag auf den Sklavenmarkt zu begeben und den Maklern die Sache ans Herz zulegen. Auch erließ er den Befehl, es solle kein Mädchen, dessen Preis über tausend Dinare betrug, verkauft werden, ehe



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man es dem Wesir gezeigt habe. So verkauften die Makler keine Sklavin mehr, ohne sie zuvor dem Minister zu zeigen; aber keine von allen Sklavinnen, die bei ihnen waren, gefiel ihm, bis eines Tages ein Händler zum Hause des Wesirs el-Fadl ibn Chakân kam, als dieser gerade zu Pferde stieg, um in den Palast zu reiten. Und der Händler ergriff seinen Steigbügel und sprach:

O du, der die Königswürde zu neuem Glanze gebracht,
Du bist der Wesir, dein immer die Sonne des Glückes lacht;
Du hast den erstorbenen Edelsinn unter den Menschen erweckt;
Dein Eifer u'erde belohnt, immerdar durch Allahs Macht!

Und er fuhr fort: ,Hoher Herr, das, wonach auf allerhöchsten Befehl gesucht wurde, ist endlich gefunden.' Der Wesir befahl: ,Bringe sie mir!' Da verschwand der Händler auf eine kurze Weile und brachte dann eine Maid, die war von edlem Wuchs und von schwellender Brust; ihr Blick von dunkler Gewalt, rund ihrer Wange Gestalt; ihr Leib war schmal, doch schwer die Hüften zumal; sie trug ein wunderschönes Gewand, und süßer als Honigwasser war ihrer Lippe Rand; ihre Gestalt war ebenmäßiger als die sich neigenden Zweige und ihre Rede zarter als der Zephir des Morgens, so wie einer von denen, die sie beschrieben, von ihr sagte:

Ein Wunder an Schönheit ist sie; ihr Antlitz ist wie der Vollmond;
Und si, her ist sie den Menschen als Trauben und Früchtesaft.
Ihr gab der Herr des Thrones Ehre und hohe Stellung,
Liebreiz und klugen Sinn, einen Leib, so schlank wie ein Schaft.
Am Himmel ihres Antlitzes stehen der Sterne sieben
Als Wächter fur die Wange und spähen von dort in die Ferne.
Sollte ein Mensch einen Blick sich zu erhaschen suchen:
Il,,, wurden Dämonen des Auges verbrennen mit einem Sterne.'



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Als der Wesir sie erblickte, gefiel sie ihm außerordentlich, und er wandte sich zu dem Händler und fragte: ,Wie hoch ist der Preis dieser Sklavin?' Der versetzte: ,Ihr Marktwert steht auf zehntausend Dinare; doch ihr Besitzer schwört, die zehntausend Dinare deckten nicht einmal die Kosten der Küken, die sie gegessen, des Weines, den sie getrunken hat, und der Ehrengewänder, die ihren Lehrmeistern verliehen wurden; denn sie erlernte die Kunst der schönen Schrift, die Grammatik, die Wortkunde, die Auslegung des Korans, die Grundsätze der Rechtswissenschaft und der Theologie, der Heilkunde und der Zeitrechnung, und sie versteht die Musikinstrumente zu spielen.' Da sprach der Wesir: ,Bring ihren Herrn her!' Der Händler holte ihn zur selbigen Stunde, und siehe, er war ein Perser, von dem nur noch wenig übrig war, den die Zeit abgenutzt und aufbewahrt hatte so manches Jahr; so wie der Dichter sagt:

Die Zeit erschreckt mich - o welch ein Schreck'!
Die Zeit hat Kraft und bleibt bestehn.
Einst konnte ich gehn und war nicht krank;
Heut bin ich krank und kann nicht gehn.

Der Wesir fragte ihn nun: ,Bist du es zufrieden, diese Sklavin dem Sultan Mohammed ihn Sulaimân ez-Zaini um zehntausend Dinare zu verkaufen t'Da erwiderte der Perser: ,Bei Allah, wenn ich sie dem König umsonst anböte, es wäre nur meine Pflicht.' Sofort befahl der Wesir, das Geld zu bringen; und es wurde herbeigeschafft und vor dem Perser abgewogen. Dann trat der Sklavenhändler zu dem Wesir und sprach zu ihm: ,Mit der Erlaubnis unseres Herrn, des Wesirs, ich habe etwas zu sagen.' Da rief der Wesir: ,Heraus mit dem, was du willst!' ,Ich halte dafür', fuhr der Händler fort, ,du solltest diese Sklavin dein König heute noch nicht bringen, denn sie kommt gerade von der Reise; der Luftwechsel hat ihr geschadet, und die Reise



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hat sie angegriffen. Sondern behalte sie zehn Tage hindurch ruhig in deinem Palaste, damit sie sich erhole und wieder werde, wie sie war. Dann aber schicke sie ins Badehaus und kleide sie in die schönsten Gewänder und führe sie zum Sultan; das wird dir mehr Glück bringen.' Der Wesir überlegte din Worte des Händlers und fand, daß es das Richtige war; so führte er sie in seinen Palast, wies ihr ein eigenes Zimmer an und ließ ihr an jedem Tag überreichen, wessen sie an Speise und Trank und anderen Dingen bedurfte. Also verblieb sie dort eine Weile.

Nun aber hatte der Wesir el-Fadl ibn Chakân einen Sohn, der war wie der Vollmond, wenn er aufgeht mit seiner Fülle von Licht; er hatte ein hellstrahlendes Angesicht, eine Wange von rosigem Schein, darauf ein Mal wie ein Ambratüpfelchen klein, mit Flaum schimmernd und fein, so wie ihn der Dichter besang in einem Liede von hohem Klang:

Ein Mond -mit seinen Augen entzückt er, wenn er blickt;
Ein Zweig -mit seinem Wuchse berückt er, wenn er sich bückt.
Wie Ebenholz sind seine Locken, seine Farbe wie helles Gold;
Sein Leib gleicht einem Rohre: alle Schönheit ist ihm hold.
O du, dessen Herze so hart ist und dessen Leib so zart,
Warum geschah es nicht, daß eines dem anderen ward?
Denn wenn des Leibes Zartheit in deinem Herzen wär,
Du zeigtest dem Liebenden keine Härte noch Grausamkeit mehr.
Und du, der du ob der Liebe mich tadelst -entschuldige mich!
Denn Elend hat den überwältigt, der also leidet wie ich.
Die Schuld trifft nur meine Augen und mein liebendes Herz:
Drum hör mit den Vorwürfen auf und überlaß mich dem Schmerz.

Nun wußte der Jüngling nicht, wie es mit dieser Sklavin stand; sein Vater aber hatte sie gewarnt und zu ihr gesagt: ,Wisse, meine Tochter, ich habe dich als Bettgenossin für den König Mohammed ibn Sulaimân ez-Zaini gekauft; und ich habe einen Sohn, der läßt keine Jungfrau im Stadtviertel ungeschoren;



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also sei auf der Hut vor ihm und laß ihn dein Gesicht nicht. sehen noch auch deine Stimme hören!' ,Ich höre und gehorche!' hatte das Mädchen erwidert; und er hatte sie verlassen und war davongegangen. Eines Tages nun geschah es nach der Bestimmung des Schicksals, daß die Maid sich in das Bad begab, das im Hause war, wo ein paar der Sklavinnen sie badeten. Dann kleidete sie sich in prächtige Gewänder, so daß ihre Schönheit und Lieblichkeit noch herrlicher hervortraten, und ging hinein zu der Herrin, der Gemahlin des Ministers, und küßte ihr die Hand; und die sprach zu ihr: ,Möge das Bad dir wohltun, o Enîs el-Dschelîs! Ist unser Bad nicht schön?' ,O meine Herrin', erwiderte sie, ,mir fehlte nichts als deine Gegenwart dort.' Da sprach die Herrin zu den Sklavinnen: ,Auf, laßt uns ins Bad gehen!' Sie entgegneten: ,Wir hören und gehorchen!', und alle standen auf mit ihr. Nun hatte sie zwei kleinen Sklavinnen aufgetragen, die Tür des Zimmers zu bewachen, in dem Enîs el-Dschelîs war, und hatte zu ihnen gesagt: ,Laßt niemanden zu dem Mädchen hinein!' Und die hatten ihren Gehorsam beteuert. Kaum aber ruhte Enis el-Dschelîs in ihrem Gemach, so kam der Sohn des Wesirs, dessen Namen Nûr ed-Dîn 'All lautete, herbei und fragte nach seiner Mutter und der Familie, und die beiden Sklavinnen erwiderten: ,Sie sind im Bade.' Die Maid aber, Enis el-Dschelîs, hatte von drinnen die Stimme des Nûr ed-Dîn 'All gehört, und sie sprach zu sich selber: ,Ich möchte doch wohl einmal wissen, was es mit diesem Jüngling ist, von dem der Wesir mir sagte, er ließe keine Jungfrau im Stadtviertel ungeschoren; bei Allah, es verlangt mich, ihn zu sehen!' Dann sprang sie auf, während noch die Frische des Bades auf ihr lag, ging zu der Tür hin und blickte auf Nûred-Dîn 'Alt und sah einen Jüngling, dem Monde gleich in seiner Fülle, und der Anblick weckte ihr tausend Seufzer. Doch auch der



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Jüngling warf einen Blick auf sie und sah sie an, und der eine Blick weckte auch ihm tausend Seufzer. Und beide wurden in das Netz der Liebe zueinander verstrickt. Da trat er hin zu den beiden kleinen Sklavinnen und schrie sie an, so daß sie vor ihm flohen und in der Ferne stehen blieben, um ihn anzuschauen und zu sehen, was er beginnen würde. Und siehe, er trat an die Tür des Gemaches, öffnete sie, ging hinein zu der Sklavin und fragte sie: ,Bist du die, die mein Vater für mich kaufte?' Sie erwiderte: ,Ja!' Da trat der Jüngling, der im Zustande der Trunkenheit war, zu ihr und nahm ihre Beine und legte sie sich um den Leib, und sie wand ihre Arme um seinen Hals und empfing ihn mit Küssen und mit Seufzern und dem Spiel der Liebe. Und er sog an ihrer Zunge und sie an seiner, und schließlich raubte er ihr die Mädchenschaft. Als aber die beiden kleinen Dienerinnen sahen, daß ihr junger Herr zu der Sklavin Enîs el-Dschelîs eingetreten war, da schrien sie laut und riefen; der Jüngling aber hatte schon seinen Willen an ihr getan, und nun lief er eilends davon und suchte zu entkommen aus Furcht vor den Folgen seiner Tat. Als die Gemahlin des Wesirs die Sklavinnen schreien hörte, sprang sie auf und kam aus dem Bade gelaufen, derweilen der Schweiß ihr das Gesicht herabrann, und rief: ,Was soll dieser Lärm im Hause?' Und als sie zu den beiden kleinen Sklavinnen kam, die sie vor die Tür des Gemaches gesetzt hatte, fragte sie: ,Heda, was gibt es?' Die beiden antworteten: ,Siehe, unser Herr Nûr ed-Dîn' Alî kam zu uns und schlug uns, und wir flohen vor ihm; er aber trat zu Enis el-Dschelîs und umarmte sie, und wir wissen nicht, was er noch weiter tat; doch als wir dich riefen, floh er.' Darauf ging die Dame zu Enîs el-Dschelîs und sprach zu ihr: ,Was ist geschehen?' ,O meine Herrin', entgegnete sie, ,während ich hier saß, siehe, da trat ein schöner Jüngling ein und fragte mich: ,Bist du die, die mein



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Vater für mich kaufte?' Und ich erwiderte: ,Ja!', denn bei Allah, o meine Herrin, ich glaubte, seine Worte seien wahr; und alsbald trat er zu mir und umarmte mich.' ,Ist er dir sonst noch mit anderem genaht?' fragte die Dame; und sie erwiderte: ,Doch; er hat mir drei Küsse geraubt.' ,Er konnte dich also nicht verlassen, ohne dich zu entehren!' rief die Gemahlin des Wesirs und begann zu weinen und sich das Gesicht zu schlagen, und mit ihr taten es alle Sklavinnen; denn sie fürchteten, den Nûr ed-Dîn 'Alî würde sein Vater töten. Während sie so weinten, kam der Wesir Wesir herzu und fragte, was es gäbe: da sprach seine Gemahlin zu ihm: ,Schwöre mir, daß du beachten willst, was immer ich dir sage!' Er sprach: ,Ich will es.' Da erzählte sie ihm, was sein Sohn getan hatte, und er geriet in große Sorge, zerriß sich das Gewand, schlug sich das Gesicht und raufte sich den Bart aus. Seine Gemahlin aber sprach zu ihm: ,Töte dich nicht, ich will dir ihren Preis, zehntausend Dinare, aus eigenem Gelde geben.' Da hob er den Kopf zu ihr hin und rief: ,Weh dir! Nicht ihren Kaufpreis brauche ich; doch ich fürchte, mein Leben und mein Geld sind dahin.' ,O mein Gebieter, wie sollte das wohl sein!' ,Weißt du nicht, daß hinter uns jener Feind lauert, der da heißt el-Mu'în ibn Sâwi? Er wird, sobald er von dieser Sache vernimmt, zum Sultan gehen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 35. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir zu seiner Gemahlin sprach: ,Weißt du nicht, daß hinter uns jener Feind lauert, der da heißt el-Mu'în ibn Sâwi? Er wird, sobald er von dieser Sache vernimmt, zum Sultan gehen und zu ihm sprechen: ,Dein Wesir, von dem du glaubst, daß er dich liebe, nahm dir zehntausend Dinare ab und kaufte eine Sklavin, derengleichen niemand jemals



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sah; doch da sic ihm gefiel, sprach er zu seinem Sohne: ,Nimm sie; du bist ihrer mehr wert als der Sultan.' Und so nahm der sie und raubte ihr die Mädchenschaft, und jetzt ist diese Sklavin bei ihm.' Der König wird zwar sagen: ,Du lügst!' Aber er wird dem König antworten: ,Mit deiner Erlaubnis will ich ihn unversehens überfallen und sie dir bringen.' Und der König wird ihm Vollmacht geben, und er wird herfallen über das Haus und wird die Sklavin nehmen und zum Sultan bringen, der sie ausfragen wird; dann wird sie nicht leugnen können. Und mein Feind wird sprechen: ,Hoher Herr, du weißt, daß ich immer aufrichtig gegen dich bin, aber ich habe keine Gnade vor dir gefunden.' Dann wird der Sultan mich zum warnenden Beispiel machen, und ich werde zum Schaustück werden für alles Volk und das Leben verlieren.' Da sprach seine Gemahlin zu ihm: ,Laß niemanden wissen von dieser Sache; sie ist ja heimlich geschehen. Stelle in dieser Angelegenheit alles Gott anheim!' Da beruhigte sich das Herz des Wesirs.

Soweit der Wesir. Wenden wir uns nun zu Nûr ed-Dîn 'Alî; der blieb aus Furcht vor den Folgen der Sache den ganzen Tag lang in den Gärten. Erst gegen Ende der Nacht kehrte er in die Gemächer seiner Mutter zurück, wo er schlief, und vor Sonnenaufgang stand er wieder auf und ging in den Garten. So tat er einen Monat lang und zeigte sein Antlitz nie seinem Vater, bis schließlich seine Mutter zu seinem Vater sprach: ,Mein Gebieter, sollen wir wie die Maid so auch unsern Knaben verlieren? Wenn es noch lange in dieser Weise mit dem Jungen weitergeht, so wird er uns entfliehen.' Der Wesir fragte sie: ,Was ist denn zu tun?' Und sie erwiderte: ,Bleib heute nacht auf, und wenn er kommt, so packe ihn, schließe Frieden mit ihm und gib ihm die Maid zur Frau; denn sie liebt ihn, wie er sie liebt. Ich aber will dir ihren Preis bezahlen.' Da wartete



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der Wesir bis zur Nacht, und als sein Sohn hereinkam, packte er ihn und tat, als wolle er ihm den Hals durchschneiden; doch seine Mutter kam herzu und fragte ihren Gatten: ,Was willst du mit ihm beginnen?' Er versetzte: ,Ich will ihn töten.' Da sprach der Sohn zu seinem Vater: ,Ist denn mein Tod so leicht für dich?' Nun rannen die Tränen aus des Vaters Augen, und er rief: ,O mein Sohn, wie leicht war für dich der Verlust meiner Habe und meines Lebens!' Darauf antwortete der Jüngling: ,Höre, o mein Vater, was der Dichter sagt:

Vergib! Ich habe gefehlt! Stets pflegen die weisen Männer
Vollkommene Verzeihung dem Sunder zu gewahren.
Was soll dein Feind denn wohl erhoffen, solange er
Im tiefsten Elend ist, du aber in hohen Ehren?'

Nun ließ der Wesir ab von der Brust seines Sohnes und sagte: ,O mein Sohn, ich vergebe dir.' Denn sein Herz war weich geworden; und der Jüngling küßte seinem Vater die Hand, der zu ihm sprach: ,Mein Sohn, wäre ich gewiß, daß du an Enis el-Dschelîs recht handeln wolltest, so würde ich sie dir geben.' ,O mein Vater, wie sollte ich nicht recht an ihr handeln?' ,Ich gebiete dir, mein Sohn, kein anderes Weib als sie noch auch ein Nebenweib zu nehmen noch auch sie zu verkaufen.' ,O mein Vater! Ich schwöre dir, daß ich kein anderes Weib als sie nehmen noch sie verkaufen will.' Als er so geschworen hatte, ging er in die Kammer der Sklavin und lebte mit ihr ein Jahr lang; den König aber ließ Allah der Erhabene die Sache mit der Sklavin ganz vergessen. Und was el-Mu'în ibn Sâwi betraf, so war ihm zwar die Kunde hinterbracht worden; aber er durfte nicht davon sprechen, da el-Fadl bei dem Sultan in so hoher Gunst stand.

Als das Jahr zu Ende war, ging der Wesir Fadi ed-Dîn ihn Chakân in das Badehaus; wie er dann, noch schwitzend, hinaustrat,



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erkältete er sich in der rauhen Luft. So ward er an das Krankenlager gebunden, und es folgten die langen schlaflosen Stunden, und seine Krankheit nahm immer noch zu. Da rief er denn seinen Sohn Nûr ed-Dîn 'All, und als der vor ihm stand, sprach er zu ihm: ,Mein Sohn, wisse, dem Menschen ist sein Besitz zugeteilt, und bestimmt ist das Schicksal, das ihn ereilt; und alle Menschheit muß den Becher des Todes trinken.' Dann sprach er die Verse:

Ich bin sterblich. Hocherhaben ist Er, der unsterblich ist.
Und ich weiß, daß ich jetzt sicher sterben muß in kurzer Frist.
Keinen König gibt es, der im Tode noch das Reich behält:
Unvergänglich ist das Reich nur dessen, der unsterblich ist.

Dann fuhr er fort: ,Mein Sohn, ich habe keine andere Mahnung für dich, als daß du Allah fürchtest, stets das Ende bedenkest und dich der Sklavin Enis el-Dschelîs annimmst.' ,O mein lieber Vater', rief der Sohn, ,wer ist dir gleich! 'Wahrlich, du bist berühmt um deiner guten Taten willen, und die Prediger beten für dich auf den Kanzeln!' Dann sagte el-Fadl noch: ,O mein Sohn, ich hoffe, Allah der Erhabene werde mir die Aufnahme gewähren!', sprach die beiden Sätze des Glaubensbekenntnisses und ging ein zum Volke der Seligen. Der Palast aber hallte wider von Klagen, und die Nachricht von seinem Tode erreichte den König; und das Volk in der Stadt hörte von dem Hinscheiden des Wesirs el-Fadl ihn Chakân, und die Kinder in der Schule vergossen Tränen um ihn. Sein Sohn Nûr ed-Dîn 'All machte sich auf und rüstete zu seinem Begräbnis, und die Emire und Wesire und die Großen des Reiches und das Volk der Stadt erschienen zur Leichenfeier, und unter ihnen der Wesir el-Mu'în ihn Sâwi. Als der Leichnam aus dem Hause getragen wurde, begann einer aus der Menge diese Verse zu singen:



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Am fünften Tag' habe ich mich getrennt von meinen Freunden;
Und da wuschen sie mich auf einem Stein an der Tür.
Sie nahmen die Kleider mir ab, die ich so lange getragen,
Und solche, die ich noch nie getragen, gaben sie mir.
Es trugen die Bahre mit mir vier Männer auf ihren Schultern
Zum Bethause hin, und mancher betete für mich dort.
Sie beteten ein Gebet, ohne sich zur Erde zu neigen;
Es beteten all meine Freunde für mich anfeuern Ort.
In ein gewölbtes Gebäude legten sie mich darauf:
Die Zeit vergeht; aber ach, mein Tor tut sich nie wieder auf

Als dann die Erde ihn verbarg und das Volk und die Freunde auseinandergegangen waren, da kehrte auch Nûr ed-Dîn nach Hause zurück und klagte unter Tränen; und die Zunge seiner Not sprach diese Verse:

Er ist von dannen gezogen am fünften Tage 'gen Abend;
Wir sagten uns Lebewohl; und dann ließ er mich stehn.
Doch als er sich von mir wandte, da ging mit ihm die Seele.
Ich sagte: ,Kehre zurück!', doch sie: ,Wohin soll ich gehn?
Zum Leibe, in dem kein Leben und auch kein Blut mehr weilet,
In dem jetzt nichts mehr ist als klapperndes Gebein?'
Vom vielen Weinen sind meine Augen blind geworden,
Und meine Ohren sind taub, kein Laut dringt in sie ein.

Darauf blieb er eine lange Weile in tiefer Trauer um seinen Vater, bis es eines Tages, als er im Hause seines Vaters saß, an seiner Türe klopfte. Da stand Nûr ed-Dîn 'All auf und öffnete die Tür; und siehe, ein Mann von den Tischgenossen und Freunden seines Vaters trat herein, küßte ihm die Hand und sprach: ,O mein Herr, wer deinesgleichen hinterließ, der ist nicht tot; und dies ist der Weg, den auch der Prophet, der Herr der früheren und der kommenden Geschlechter, gegangen ist. Lieber Herr, sei wieder guten Muts und laß die Trauer!' Nûr



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ed-Dîn 'All aber stand auf, ging in den Gastsaal und schaffte alles dorthin, dessen er bedurfte. Seine Freunde versammelten sich wieder bei ihm, und er nahm seine Sklavin wieder zu sich; und seine Gesellschaft bestand aus zehn Söhnen der Kaufleute.

Er begann zu essen und Wein zu trinken, gab Gastmahl auf Gastmahl und streute seine Geschenke und Gunstbezeigungen aus. Schließlich aber kam eines Tages sein Verwalter zu ihm und sprach: ,O mein Herr Nûr ed-Dîn 'Alt, hörtest du nie den Spruch: Wer da ausgibt und rechnet nicht, der wird arm und merkt es nicht? Und der Dichter spricht:

Ich spare meine Gelder und bewahre sie sorglich;
Denn fürwahr, ich weiß, sie sind mir Schild und Schwert.
Wurde ich sic vergeuden an den schlimmsten der Feinde,
So wendete ich mein Glück zum Unglück auf dieser Erd.
Also eß ich davon und trinke davon zur Gesundheit
Und gebe niemandem einen Heller davon hin;
Ja, ich hüte mein Geld vor einem jeden Gesellen,
Der meiner Freundschaft unwert und von niedrigem Sinn.
Das ist mir doch lieber, als daß ich zum Lumpen sage:
Lei!, mir einen Dirhem bis morgen, ich gebe dir fünf zurück,
Und daß er sein Gesicht dann von mir wendet und umdreht
Und ich einem Hunde gleich dasteh mit betrübtem Blick.
Wie elend ergeht es doch dem Menschen ohne Geld,
Wenn seine Tugend auch strahlt wie die Sonne in der Welt!

O mein Herr', fuhr er fort, ,diese reichlichen Ausgaben und großen Geschenke vernichten den Wohlstand.' Als Nûr ed-Dîn 'All diese Worte von seinem Verwalter hörte, sah er ihn an und rief: ,Von allem, was du gesagt hast, will ich kein Wort beachten, denn ich habe den Spruch des Dichters gehört, der da sagt:

Wenn meine Hand Geld hat und ich davon nicht schenke,
So soll meine Hand verdorren, mein Fuß soll nicht mehr gehn!
Holt einen Geizhals, der durch seinen Geiz Ruhm erlangte;
Einen Spender, der starb durch Spenden, holt her und lasset mich sehn!'



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Dann fuhr er fort: ,Wisse, o Verwalter, es ist mein Wunsch, daß du, solange du Geld für mein Frühstück behältst, mich nicht mit der Sorge um mein Nachtmahl quälst!' Da ging der Verwalter fort seines Weges; Nûr ed-Dîn 'All aber ergab sich den Freuden im schönsten Leben und blieb bei seinem Tun. Und sooft einer seiner Zechgenossen zu ihm sagte: ,Dies ist ein hübsches Ding', rief er: ,Es ist ein Geschenk für dich!' Oder wenn ein anderer sagte: ,O Herr, das Haus dort ist hübsch', so rief er: ,Es ist ein Geschenk für dich!' Und er gab ihnen ein Gastmahl am Morgen und ein Gastmahl am Abend, bis er in dieser Weise ein ganzes Jahr verbracht hatte. Darauf, gerade als die Gesellschaft versammelt war, kam die Sklavin Enîs el-Dschelîs und sprach diese Verse:

Du dachtest gut von den Tagen, solange sie dir gut waren;
Auf das drohende Unheil des Schicksals gabst du nicht acht.
Von dem Frieden der Nächte ließest du dich umgaukeln;
Aber oft kommt das Dunkel auch in sternklarer Nacht.

Als sie ihre Verse geendet hatte, siehe, da klopfte jemand an die Tür; Nûr ed-Dîn stand auf, und ohne daß er es bemerkte, folgte ihm einer seiner Zechgenossen. Als er geöffnet hatte, fand er seinen Verwalter und fragte ihn, was es gebe. Der antwortete: ,O Herr, was ich für dich befürchtete, ist jetzt geschehen!' ,Wie dast' ,Wisse, in meiner Hand bleibt nicht mehr eines Dirhems Wert, weder mehr noch weniger. Hier hast du meine Bücher, in denen du die Ausgaben findest, die ich gemacht habe, und das Verzeichnis deines einstigen Besitzes.' Als Nûr ed-Dîn 'All diese Worte hörte, beugte er den Kopf nieder und sagte: ,Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah!' Doch als der Freund, der ihm heimlich gefolgt und hinausgegangen war, um zu spionieren, des Verwalters Worte hörte, kehrte er zu seinen Freunden zurück und sprach zu ihnen: ,Seht



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zu, was ihr tun wollt, denn Nûr ed-Dîn 'All hat keinen Heller mehr.' Und als dann Nûr ed-Dîn selbst zu ihnen zurückkam, zeigte sich ihnen die Bestürzung auf seinen Zügen. Darauf erhob sich einer von den Tischgenossen, blickte den Nûr ed-Dîn an und sprach zu ihm: ,O mein Herr, gestattest du mir, mich zurückzuziehen?' ,Und weshalb heute so früh?' fragte er, und der andere versetzte: ,Mein Weib harrt ihrer Niederkunft, so darf ich ihr nicht fernbleiben; ich muß heimkehren und nach ihr sehen.' So ließ er ihn fort, und ein zweiter stand auf und sagte: ,O mein Herr Nûr ed-Dîn, ich möchte jetzt zu meinem Bruder gehen, denn er beschneidet heute seinen Sohn.' Kurz, ein jeder bat unter irgendeinem Vorwand um die Erlaubnis, fortzugehen, bis alle zehn den Nûr ed-Dîn 'All allein gelassen hatten. Da rief er seine Sklavin und sprach zu ihr: ,Enis el-Dschelîs, siehst du, in welcher Lage ich bin?' Und er erzählte ihr, was der Verwalter ihm gesagt hatte. Sie antwortete: ,Mein Gebieter, schon viele Nächte trug ich mich damit, von diesen Dingen zu dir zu reden, aber ich hörte, wie du sagtest:

Solang das Glück dir Gaben gibt, gib du davon
Den Menschen allen, ehe es von dannen zieht.
Denn Geben treibt es nicht davon, wenn es dir naht;
Und Geiz hält es nicht fest, wenn es entflieht.

Als ich diese Verse von dir hörte, schwieg ich und wagte kein Wort an dich zu richten.' ,Enis el-Dschelîs', sagte da Nûr cd-Dîn 'All, ,du weißt, ich habe meinen Reichtum nur auf meine Freunde verschwendet, die mich jetzt als Bettler zurückgelassen haben, aber ich denke, sie werden mich nicht ohne Unterstützung im Stiche lassen.' ,Bei Allah', erwiderte sie, ,die werden dir nichts nützen.' Doch Nûr ed-Dîn sagte: ,Ich will auf der Stelle aufstehn und zu ihnen gehn und an ihre Türe klopfen; vielleicht erhalte ich von ihnen etwas, das mir zum Kapital



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dient, auf daß ich damit Handel treiben kann, wenn ich Scherz und Spiel beiseite lasse.' Dann stand er unverzüglich auf und ging fort, bis er in die Straße kam, in der all die zehn Freunde wohnten. Dort trat er an die erste Tür und klopfte; eine Sklavin kam heraus und fragte: ,Wer bist du?' Er antwortete: ,Sage deinem Herrn, Nûr ed-Dîn 'All stehe an der Tür und lasse ihm sagen: Dein Sklave küßt dir die Hand und harrt deiner Güte.' Da ging die Sklavin hinein und tat es ihrem Herrn kund; der aber schrie sie an: ,Geh zurück und sage ihm: Mein Herr ist nicht zu Hause.' Die Sklavin ging zurück zu Nûr ed-Dîn und sprach zu ihm: ,Mein Herr, siehe, mein Gebieter ist nicht zu Hause.' Da wandte jener sich ab und sagte zu sich selber: ,Wenn auch dieser ein Hurensohn ist und sich verleugnen läßt, so ist doch vielleicht ein anderer kein solcher Hurensohn.' Darauf ging er weiter zur nächsten Tür und sprach wie das erste Mal; aber auch der ließ sich verleugnen; so sprach Nûr ed-Dîn die Verse:

Fort sind sie, die, standst du an ihrer Tür,
Mit Fleisch und Braten einstmals dich beschenkt.

Und danach sprach er: ,Bei Allah, ich muß sie doch alle erproben; vielleicht, daß einer unter ihnen an ihrer aller Stelle tritt.' So machte er bei allen zehn die Runde; doch keiner war unter ihnen, der die Tür geöffnet oder sich ihm gezeigt oder einen Bissen Brotes mit ihm gebrochen hätte; da sprach er die Verse:

Der Mensch ist in der Zeit des Glücks dein Baume gleich;
Alle stehen um ihn, solang er an Fruchten reich.
Aber sie laufen fort, verliert er Früchte und Laub,
Und überlassen ihn roh der Hitze und dem Staub.
Verderben über sie alle, die Kinder unserer Zeit!
Nicht einer tinter zehnen besitzt noch Ehrlichkeit.

Dann kehrte er zu seiner Sklavin zurück, mit noch betrübterem Herzen, und sie sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, habe ich



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nicht gesagt, daß sie dir nichts nützen würden?' Er versetzte: ,Bei Allah, keiner war unter ihnen, der mir sein Gesicht zeigte, und keiner wollte mich kennen!' ,Mein Gebieter', sprach sie, ,verkaufe allmählich die Geräte und den Hausrat und lebe von dem Erlös, bis Allah der Erhabene uns hilft.' Da verkaufte er alles, was im Hause war, bis nichts mehr übrig blieb. Dann blickte er Enis el-Dschelîs an und fragte sie: ,Was sollen wir nun beginnen?' Sie erwiderte ihm: ,Mein Gebieter, mein Rat ist der, daß du sofort aufstehst, mich in den Basar hinabführest und mich verkaufest. Du weißt, dein Vater kaufte mich um zehntausend Dinare: vielleicht, daß dir Allah einen ähnlichen Preis zuteil werden läßt; und wenn es sein Wille ist, uns wieder zusammenzubringen, so werden wir uns wiedersehen.' Er aber rief: ,O Enis el-Dschelîs, bei Gott, es wird mir nicht leicht, mich auch nur auf eine Stunde von dir zu trennen!' Aber sie sprach: ,Bei Gott, mein Gebieter, auch mir wird es nicht leicht; doch die Not hat ihr eigen Gebot, so wie der Dichter sagt:

Des Lebens Nöte zwingen den Menschen wohl dazu,
Den Ausweg einzuschlagen, der guten Brauch nicht ehrt.
Und wer sich dazu bringt, ein Mittel zu ergreifen,
Tut's nur um eine Sache, die solchen Mittels wert.'

Da sprang er auf und ergriff sie, während ihm die Tränen, dem Regen gleich, die Wange niederliefen; und mit der Zunge seiner Not sprach er die Verse:

Bleib! Gib mir einen Blick auf den Weg noch, eh du scheidest;
Ich will ein Herze stärken, das fast beim Abschied bricht.
Doch wenn in alledem du nur eine Qual empfindest,
Laß mich in Schmerzen sterben, du aber quäl dich nicht!

Dann ging er mit ihr hinab in den Basar und übergab sie dem Makler und sagte zu ihm: ,O Hâddsch Hasan, erkenne den



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Wert dessen, was du ausrufen sollst!' ,O mein Herr Nûr cd-Dîn versetzte der Makler, ,die Herkunft ist unverkennbar!' Und dann fuhr er fort: ,Ist dies nicht Enis el-Dschelîs, die einst dein Vater von mir um zehntausend Dinare erstand?' ,Sie ist es', antwortete Nûr ed-Dîn. Da ging der Makler zu den Händlern und sah, daß noch nicht alle versammelt waren. Dann wartete er, bis sie alle kamen und bis der Markt sich füllte mit Sklavinnen aller Nationen, mit Türkinnen, Fränkinnen und Tscherkessinnen; mit Abessinierinnen, Nubierinnen und Negerinnen; mit Griechinnen, Tatarinnen, Georgierinnen und vielen anderen. Wie also der Markt sich gefüllt hatte, trat er hervor, blieb stehen und rief:

,O ihr Kaufleute all! Ihr Herren des Geldes zumal!
Nicht alles, was rund ist, ist eine Nuß;
Nicht alles, was lang ist, eine Banane;
Nicht alles, was rot ist, ist ein Stück Fleisch;
Nicht alles, was weiß ist, Milch mit Sahne!'
O ihr Kaufleute, ich bring diese kostbare Perle her,
Für die kein Preis genügend wär!
Für wieviel soll ich sie ausrufen?'

,Rufe sie aus um viertausendfünfhundert Dinare!' antwortete einer der Händler. Als nun der Makler zum ersten das Angebot von viertausendfünfhundert Dinaren ausrief, siehe, da kam der Wesir el-Mu'în ihn Sâwi durch den Basar, und da er Nûr ed-Dîn 'Alt an dem einen Ende des Basars stehen sah, sprach er bei sich: ,Was steht der Sohn des Chakân hier herum? Hat dieser Lümmel noch genug, um sich Sklavinnen zu kaufen?' Dann blickte er sich um und hörte den Makler, der im Markte ausrief und den die Händler alle umstanden, und sprach bei sich: ,Ich bin gewiß, er hat keinen Heller mehr und brachte die



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Sklavin Enis el-Dschelîs her, um sie zu verkaufen. Ah, die tut meinem Herzen wohl!' Darauf rief er nach dem Makler, der zu ihm trat und vor ihm den Boden küßte; da sprach der Wesir zu ihm: ,Ich will diese Sklavin, die du zum Verkauf ausrufst.' Der Makler aber konnte nicht widersprechen, sondern sagte: ,O mein Herr, es sei, in Gottes Namen'; dann führte er die Sklavin herbei und zeigte sie ihm. Sie gefiel ihm, und er fragte: ,O Hasan, wieviel ist für sie geboten?' ,Viertausendfünfhundert Dinare als Angebot zum ersten! 'El-Mu'în sprach: ,Viertausendfünfhundert Dinare sind mein Gebot.' Als die Händler das vernahmen, da wagte keiner von ihnen, einen Dirhem höher zu bieten, sondern sie hielten sich zurück, weil sie die Tyrannei des Wesirs kannten. Dann blickte el-Mu'în ibn Sâwi den Makler an und sprach: ,Was stehst du hier? Geh hin und biete für mich viertausend Dinare, und fünfhundert sollen für dich sein!' Da ging der Makler zu Nûr ed-Dîn und sagte: ,O mein Herr, deine Sklavin geht dir um ein Nichts dahin.' ,Wieso?' fragte er, und der Makler erwiderte: ,Wir hatten das Angebot mit viertausendfünfhundert Dinaren eröffnet; da kam dieser Tyrann da, el-Mu'în ibn Sâwi, und ging durch den Basar, und als er die Sklavin erblickte, gefiel sie ihm, und er rief mir zu: Biete für mich viertausend Dinare, und fünfhundert sollen für dich sein. Ich aber zweifle nicht daran, er weiß, daß das Mädchen dir gehört, und wenn er dir ihren Preis sofort auszahlen würde, so wäre alles gut. Doch ich kenne seine Tyrannei; er wird dir auf einen seiner Wechsler eine Anweisung geben und wird jemanden hinter dir herschicken und den Leuten sagen lassen: Bezahlt ihm nichts! Und sooft du hingehen wirst, um das Geld zu fordern, werden sie sagen: Wir zahlen dir bald! So werden sie Tag für Tag mit dir verfahren, trotzdem du stolzen Geistes bist! Und schließlich, wenn sie deines Drängens müde werden



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so werden sie sagen: Zeig uns den Wechsel. Aber sobald sie ihn nur in den Händen haben, werden sie ihn zerreißen, und du hast den Preis des Mädchens verloren!' Als Nûr ed-Dîn 'All diese Worte des Maklers vernahm, sah er ihn an und fragte ihn: ,Was soll ich jetzt tun? 'Der antwortete ihm: ,Ich will dir einen Rat geben, und wenn du ihn befolgst, so wird er dir von größtem Nutzen sein.' ,Und der ist?' fragte Nûr ed-Dîn, worauf der Makler erwiderte: ,Tritt sofort an mich heran, während ich mitten auf dem Markt stehe, nimm die Sklavin aus meiner Hand und gib ihr einen starken Schlag und sage zu ihr: Du Metze, ich habe meinen Schwur gehalten und dich auf den Sklavenmarkt geschleppt, weil' ich geschworen hatte, dich in den Basar zu bringen und dich von dem Makler zum Verkauf ausrufen zu lassen. Wenn du das tust, so wird die List vielleicht auf den Wesir und das Volk Eindruck machen, und sie werden glauben, du habest sie nur auf den Markt gebracht, um deinen Schwur zu erfüllen.' Da sprach Nûr ed-Dîn: ,Das ist das Beste.' Der Makler verließ ihn, kehrte mitten auf den Markt zurück, nahm die Sklavin bei der Hand und winkte dem Wesir el-Mu'în ibn Sâwi und sagte: ,O mein Herr, dies hier ist ihr Besitzer!' Unterdessen trat Nûr ed-Dîn an den Makler heran, riß ihm die Sklavin aus der Hand, schlug ihr ins Gesicht und rief: ,Heda, du Metze! Ich habe dich auf den Basar geschleppt, um mich von meinem Eid zu lösen; jetzt schere dich nach Hause und widersprich mir nicht mehr! Heda! Brauche ich deinen Preis, daß ich dich verkaufen sollte? Wenn ich mein Hausgerät verkaufen würde, so brächte es mir viele Male deinen Wert!' Doch als el-Mu'în ibn Sâwi den Nûr ed-Dîn erblickte, rief er: ,Holla! Hast du überhaupt noch etwas zum Verkaufen und zum Kaufen?' Nun wollte der Wesir gewaltsam Hand an ihn legen, aber da blickten die Händler den Nûr ed-Dîn an, den sie



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alle sehr gern hatten; und der Jüngling sprach zu ihnen: ,Hier bin ich in eurer Hand; ihr kennt ja seine Tyrannei.' ,Bei Gott!' rief der Wesir, ,wenn ihr nicht wäret, so hätte ich ihn totgeschlagen!' Da sahen alle den Nûr ed-Dîn mit bedeutsamen Blicken an, als wollten sie sagen: ,Rechne ab mit ihm! Nicht einer von uns wird zwischen euch treten.' Da trat Nûr ed-Dîn an den Wesir heran, und beherzt, wie er war, zog er ilm von seinem Sattel herunter und warf ihn zu Boden. Nun befand sich dort eine Grube' mit Lehm; in die fiel der Wesir mitten hinein. Nûr ed-Dîn aber schlug und prügelte auf ihn ein, und einer der Schläge traf auf seine Zähne, sodaß sich sein Bart vom Blute färbte. Bei dem Wesir waren zehn Mamluken, und als die sahen, was mit ihrem Herrn geschah, legten sie ihre Hände an die Schwertgriffe und wollten die Schwerter zücken, um über Nûr ed-Dîn herzufallen und ihn niederzuhauen; aber die Umstehenden riefen ihnen zu: ,Der eine ist ein Wesir, der andere der Sohn eines Wesirs; vielleicht versöhnen sie sich eines Tages wieder, und dann verwirkt ihr beider Gunst. Oder ein Hieb trifft euren Herrn, so sterbt ihr alle des ärgsten Todes; daher wäre es besser, ihr mischtet euch nicht zwischen sie.' Als dann Nûr ed-Dîn den Wesir nach seines Herzens Lust verprügelt hatte, nahm er seine Sklavin und ging nach Hause. Auch der Wesir ging sofort seiner Wege, und sein Gewand war in drei Farben gefärbt: schwarz vom Lehm, rot vom Blut und aschenfarben. Als er sich in diesem Zustand sah, da nahm er eine Matte und legte sie sich um den Nacken; auch nahm er zwei Büschel von Halfagras in die Hand und ging fort, bis er unten vor dem Palast stand, in dem der Sultan war, und rief: ,O größter König unserer Zeit, mir ist Gewalt angetan, mir ist



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Gewalt angetan!' Da führte man ihn vor den König; der schaute ihn an, und siehe, es war sein Großwesir. Sofort fragte er: ,O Wesir, wer hat solches an dir getane' Da weinte der Wesir und schluchzte und sprach die Verse:

Soll mich die Welt bedrucken, während du in ihr weilst?
Sollen die Wölfe mich fressen, und du, der Löwe, bist hier?
Sollen die Durstigen alle aus deinem Brunnen trinken?
Und, wo du dem Regen gleichst, soll ich dursten bei dir?

,Hoher Herr', fuhr er fort, ,jedem, der dich liebt und dir dient, wird es so ergehen!' Da rief der Sultan: ,Heda, rasch, sage mir, wie dies mit dir geschehen ist und wer solches an dir getan hat; deine Ehre ist ein Teil meiner Ehre.' Der Wesir antwortete: ,Wisse, hoher Herr, ich ging heute auf den Sklavenmarkt, mir eine Köchin zu kaufen, und da fand ich auf dem Basar eine Sklavin, so schön, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe; ich wollte sie für unsern Herrn, den Sultan, erstehen und fragte den Makler nach ihr und ihrem Besitzer, und der erwiderte: Sie gehört 'All, dem Sohne des el-Fadl ibn Chakân. Nun gab vor einiger Zeit unser Herr, der Sultan, seinem Vater zehntausend Dinare, damit er ihm dafür eine schöne Sklavin kaufte, und er kaufte jene Sklavin, die ihm gefiel; doch er mißgönnte sie unserem Herrn, dem Sultan, und gab sie seinem eigenen Sohne. Als dann der Vater gestorben war, verkaufte der Sohn, was er an Häusern und Gärten und Hausgerät besaß, und verschwendete alles, bis er nicht einen Heller mehr hatte. Schließlich führte er die Sklavin auf den Markt, um sie zu verkaufen, und übergab sie dem Makler, der sie ausrief; und die Händler boten immer höher auf sie, bis ihr Preis auf viertausend Dinare stieg; da sprach ich zu mir selber: Ich will sie für unseren Herrn, den Sultan, erwerben, denn sie wurde zuerst mit seinem Gelde bezahlt. So sprach ich zu Nûr ed-Dîn:



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,Mein Sohn, nimm von mir viertausend Dinare als Kaufpreis für sie!' Doch als er meine Worte hörte, sah er mich an und schrie: ,Du Unheilsalter! Den Juden und Christen will ich sie verkaufen, aber nicht dir!' ,Ich kaufe sie nicht für mich', erwiderte ich, ich kaufe sie für unseren Herrn, den Sultan, der so gütig gegen uns ist.' Als er gar diese Worte von mir hörte, füllte ihn die Wut; und er riß mich hochbetagten Mann vom Rosse herunter und schlug mich mit seinen Fäusten und hieb auf mich ein, bis er mich liegen ließ, wie du mich siehest; und all das geschah mir einzig, weil ich gekommen war, um die Sklavin für dich zu kaufen!' Dann warf der Wesir sich zu Boden und fing an zu weinen und zu zittern. Als der Sultan seinen Zustand gesehen und seine Geschichte gehört hatte, da schwoll die Zornesader zwischen seinen Augen; darauf wandte er sich nach den Großen des Reiches um, und siehe, schon standen vierzig schwerttragende Mannen vor ihm. Zu denen sprach der Sultan: ,Geht sofort hinab zu dem Hause des 'All ibn Chakân, plündert es und reißt es nieder und bringt mir ihn und die Sklavin gefesselt! Schleift sie beide auf ihren Gesichtern und bringt sie so vor mich!' ,Wir hören und gehorchen', versetzten sie, bewaffneten sich, gingen hinab und machten sich auf nach dem Hause des 'All Nûr ed-Dîn. Nun hatte der Sultan einen Kämmerling, 'Alam ed-Din Sandschar, der ehemals bei el-Fadl ibn Chakân, dem Vater des 'All Nûr ed-Dîn als Mamluk gedient hatte; dann hatte er eine andere Stelle gefunden, und schließlich hatte der Sultan ihn zu einem seiner Kämmerlinge gemacht. Als der den Befehl des Königs hörte und sah, wie die Feinde sich rüsteten, seines einstigen Herren Sohn zu erschlagen, konnte er es nicht ertragen; so verließ er die Gegenwart des Königs, stieg auf sein Roß, ritt zum Hause des Nûr ed-Dîn und pochte an die Tür. Da kam Nûr ed-Dîn heraus, und als er ihn sah, erkannte



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er ihn und wollte ihn begrüßen; jener aber sagte: ,O mein Gebieter, dies ist nicht die Zeit, um Grüße zu tauschen und Worten zu lauschen. Höre, was der Dichter sagt:

Rette dein Leben, wenn dir vor Unheil grau!!
Lasse das Haus beklagen den, der es erbaut!
Du findest schon eine Stätte an anderem Platz;
Für dein Leben findest du keinen Ersatz!'

,O 'Alam ed-Dîn, was gibt est' fragte Nûr ed-Dîn; und er antwortete:, Steh auf und fliehe um dein Leben, du mit der Sklavin! Denn el-Mu'în hat für euch beide eine Falle gelegt, und wenn ihr ihm in die Hände fallt, so wird er euch töten lassen. Der Sultan hat bereits vierzig Schwertträger gegen euch ausgesandt, und ich rate euch, flieht, ehe euch das Unheil erreicht!' Dann griff Sandschar in seinen Beutel, und als er dort vierzig Dinare fand, nahm er sie, gab sie dem Nûr ed-Dîn und sagte: ,O Herr, nimm dies und reise damit! Hätte ich noch mehr, ich gäbe es dir. Aber dies ist nicht die Zeit für Entschuldigungen.' Nun ging Nûr ed-Dîn zu der Sklavin hinein und tat ihr alles kund; fast lähmte der Schreck ihre Hände. Dann eilten die beiden sofort aus der Stadt hinaus, und Allah deckte sie mit dem Schleier seines Schutzes, so daß sie das Ufer des Stromes erreichten, wo sie ein Schiff vorfanden, das zur Ausfahrt bereit war. Der Kapitän aber stand mittschiffs und rief: ,Wer noch etwas zu tun hat, sei es, Vorrat zu kaufen oder von den Seinen Abschied zu nehmen, oder wer etwas vergessen hat, der hole es sofort, denn wir stehn im Begriff zu segeln'; und da alle sagten: ,Wir haben nichts mehr zu tun, o Kapitän!', rief er seiner Mannschaft zu: ,Hallo! Löset die Taue und zieht die Pfähle aus!' Da fragte Nûr ed-Dîn: ,Wohin, o Kapitäne' Der antwortete: ,Nach der Stätte des Friedens, nach Baghdad.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie



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hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 36. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß, als der Kapitän sprach: ,Nach der Stätte des Friedens, nach Baghdad', Nûr ed-Dîn 'All und die Sklavin an Bord gingen; und die Schiffer stießen ab und setzten die Segel. Da zog das Schiff dahin, als sei es ein Vogel auf seinen Schwingen; wie es so schön einer der Dichter sagt:

Schau auf ein Schiff! Sein Anblick nimmt deine Augen gefangen.
Es überflügelt den Wind in seinem eiligen Flug.
Es gleicht dem schwebenden Vogel, den die gebreitete Schwinge
Aus dem Äther herab wohl auf das Wasser trug.

So segelte nun das Schiff mit ihnen dahin, und der Wind war ihnen günstig.

Lassen wir jene und wenden wir uns zu den Mamluken! Die kamen zum Hause des Nûr ed-Dîn 'Alt und brachen die Türen auf, gingen hinein und durchsuchten alle Räume, doch fanden sie keine Spur von den beiden; so rissen sie das Haus nieder, kehrten zum Sultan zurück und erstatteten ihm Bericht. Da sprach er: ,Sucht nach ihnen beiden, wo immer sie seien!', und sie antworteten: ,Wir hören und gehorchen.' Dann ging der Wesir el-Mu'în ibn Sâwi nach Hause, nachdem ihm der Sultan ein Ehrengewand verliehen und sein Herz sich beruhigt hatte; denn der Sultan hatte gesagt: ,Kein andrer als ich wird Blutrache für dich nehmen!', und der Wesir hatte ihm langes Leben und Gedeihen gewünscht. Dann ließ der Sultan in der Stadt verkünden: ,O ihr Untertanen alle! Es ist der Wille unseres Herrn, des Sultans, daß, wer immer auf Nûr ed-Dîn 'All trifft, den Sohn des el-Fadl ihn Chakân, und ihn dem Sultan bringt, ein Ehrengewand empfangen soll und tausend Goldstücke; wer ihn aber verbirgt oder weiß, wo er ist, und es nicht meldet, der verdient die schwere Strafe, die ihn treffen wird.'



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Da begannen alle nach Nur cd-Dîn' Alî zu suchen; aber niemand vermochte eine Spur oder Nachricht von ihm zu finden.

Lassen wir nun jene und wenden wir uns zurück zu Nûr ed-Dîn und seiner Sklavin! Die kamen wohlbehalten in Baghdad an; da sprach der Schiffsführer zu ihnen: ,Baghdad heißt dieser Ort; es ist ein sicherer Hort. Von ihm zog der Winter mit seiner Kälte fort, doch das Frühjahr mit seinen Rosen hielt seinen Einzug dort. Die Bäume blühen all, und die Bächlein fließen zumal.' Da stieg Nûr ed-Dîn 'All mit seiner Sklavin aus dem Schiffe und gab dem Kapitän fünf Dinare; dann gingen sie ein wenig weiter, und das Geschick führte sie in die Gegend der Gärten hinein. Dort kamen sie zu einem Platze und sahen, daß er gefegt und gesprengt war; Bänke liefen an ihm entlang, und Krüge hingen dort, gefüllt mit Wasser. Oben war ein Gitterwerk aus Rohr über den ganzen Weg, und am oberen Ende des Weges war ein Gartentor, doch das war verschlossen. ,Bei Gott', sprach Nûr ed-Dîn zu der Sklavin, ,dies ist ein herrlicher Ort!' Sie antwortete: ,Mein Gebieter, laß uns eine Weile auf dieser Bank sitzen, damit wir ausruhen!' Also setzten sie sich auf die Bank; dann wuschen sie sich Gesicht und Hände, und ein kühler Luftzug hauchte über sie hin, und sie versanken in Schlaf; hocherhaben ist Er, der niemals schläft!

Nun hieß dieser Garten der Lustgarten, und darin stand ein Schloß, das hieß das Schloß der schönen Aussicht und der Bilder; und das Ganze gehörte dem Kalifen Harûn er-Raschîd, der diesen Garten und das Schloß zu besuchen und dort zu sitzen pflegte, wenn ihm die Brust beklommen war. Der Palast hatte achtzig vergitterte Fenster, und achtzig Lampen hingen darin mit einem großen, goldenen Kronleuchter in der Mitte. Wenn der Kalif dorthin kam, so befahl er den Sklavinnen, die Fenster zu öffnen und mit seinem Tischgenossen Ishâk ihn



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Ibrahim Lieder zu singen, bis ihm die Brust weit ward und sein Kummer sich legte. Zum Garten aber gehörte ein Hüter, ein sehr alter Mann, der hieß Scheich Ibrahim; und wenn er ausging an irgendwelche Geschäfte, so hatte er des öfteren am Gartentor Leute getroffen, die sich dort mit leichtfertigen Frauen vergnügten; und dann war er sehr zornig geworden. Doch er geduldete sich, bis eines Tages der Kalif zu ihm kam; dem berichtete er davon. Da sprach der Kalif: ,Wen du nur triffst am Tore des Gartens, mit dem verfahre, wie du es für richtig hältst!' Als nun gerade an jenem Tage Scheich Ibrahîm, der Gärtner, ausging, um etwas zu besorgen, was er brauchte, fand er die beiden am Tore schlafend, bedeckt mit einem einzigen Mantel; da sagte er: ,Bei Gott, eine schöne Geschichte! Die beiden wissen nicht, daß der Kalif mir erlaubt und gestattet hat, jeden zu töten, den ich hier ertappe; aber ich will diesem Paar eine kräftige Tracht Prügel geben, auf daß in Zukunft sich niemand mehr dem Tore nähere.' So schnitt er eine grüne Palmenrute ab, trat zu ihnen hin und hob den, Arm, bis man das Weiße seiner Armhöhle sah, und wollte eben zuschlagen; doch er besann sich und sagte bei sich: ,O Ibrahîm, willst du sie schlagen, ohne daß du weißt, wie es mit ihnen steht? Vielleicht sind sie Fremde oder Wandersleute, und das Geschick hat sie hierher getrieben. Ich will ihr Antlitz enthüllen und sie betrachten.' Da nahm er den Mantel von ihren Gesichtern und sagte: ,Es ist ein hübsches Paar, und es wäre unrecht, wenn ich sie schlüge.' Darum deckte er ihre Gesichter wieder zu, beugte sich über den Fuß des Nûr ed-Dîn 'All und begann ihn zu reiben; nun schlug Nûr ed-Dîn seine Augen auf, und als er einen Greis von würdigem und ehrgebietendem Aussehen zu seinen Füßen sah, da schämte er sich und zog sie ein und setzte sich auf. Und er ergriff Scheich Ibrahîms Hand und küßte sie. Da



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sprach der Alte: ,Mein Sohn, woher bist du?' Und er erwiderte: ,Lieber Herr, wir beide sind Fremde', und eine Träne rann ihm aus dem Auge. ,Mein Sohn', sprach Scheich Ibrahim, ,wisse, der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —hat befohlen, den Fremden zu ehren; willst du nicht aufstehen, mein Sohn, und in den Garten treten und dich trösten durch seinen Anblick, daß dein Herz sich erfreue?' ,Lieber Herr', erwiderte Nûr ed-Dîn, ,wem gehört denn dieser Garten?' Jener antwortete: ,Mein Sohn, ich habe diesen Garten von meiner Familie geerbt.' Der Zweck, um dessentwillen Scheich Ibrahim dies sagte, war nur der, daß sie sich beruhigen und in den Garten eintreten sollten. Als Nûr ed-Dîn diese Worte vernommen hatte, dankte er ihm, und beide, er und die Sklavin, standen auf und folgten dem Scheich in den Garten; und siehe, es war ein Garten, doch welch ein Garten! Das Tor war gewölbt wie eines Palastes Bogengang, darüber sich Wein mit Trauben von vielerlei Farben schlang: die roten glichen Rubinen, während die schwarzen wie Ebenholz schienen. Dann traten sie in eine Laube, und dort fanden sie Bäume mit Früchten, die hingen bald allein und bald zu zwein. Auf den Ästen die Vögelein sangen ihre Lieder so rein: die Nachtigall schlug ihre Weisen so lang; der Kanarienvogel füllte den Garten mit seinem Sang; der Amsel Flöten schien das eines Menschen zu sein; und der Turteltaube Gurren klang wie das Stöhnen eines, der trunken vom Wein. Die Bäume, die dichten, waren beladen mit reifen, eßbaren Früchten und standen alle in doppelten Reihn: da war die Aprikose weiß wie Kampfer, eine andere mit süßem Kern, eine dritte aus Chorasân; die Pflaume war mit der Farbe der Schönheit angetan; die Weißkirsche leuchtete heller als wie ein Zahn; die Feigen sahen sich zweifarbig, rötlich und weißlich, an. Und Blumen waren da, wie Perlen und Korallen



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aufgereiht, die Rosen beschämten durch ihre Röte die Wangen der schönen Maid; die gelben Veilchen sahen aus wie Schwefel, überdem Lichter hängen zu nächtlicher Zeit; Myrten, Levkojen, Lavendel, Anemonen, mit Wolkentränen geschmückt ihr Blätterkleid; es lachte das Zahngeheg der Kamille; die Narzisse schaute die Rose an mit ihrer Augen schwarzer Fülle; Bechern glichen die Limonen, goldenen Kugeln die Zitronen; die Erde war mit Blumen aller Farben wie mit einem Teppich bedeckt; der Frühling war gekommen und hatte dort alles zu frohem Leben erweckt, den Bach zum Springen, die Vögel zum Singen, den Lufthauch zum Klingen in der allermildesten Jahreszeit.

Darauf führte Scheich Ibrahim sie in den hohen Saal, und sie betrachteten seine Schönheit und jene Lampen hinter den vergitterten Fenstern. Da dachte Nûr ed-Dîn seiner früheren Gelage und rief: ,Bei Allah, dies ist ein herrlicher Ort!' Dann setzten sie sich nieder; Scheich Ibrahim brachte ihnen zu essen, und sie aßen, bis sie satt waren, und wuschen sich danach die Hände. Und Nûr ed-Dîn trat an eins der vergitterten Fenster und rief seine Sklavin zu sich; sie kam, und nun versanken beide in den Anblick der Bäume, der dichten, mit ihren mancherlei Früchten. Dann wandte er sich zu dem Gärtner und sprach: ,O Scheich Ibrahim, hast du nichts zu trinken? Denn die Menschen pflegen nach dem Essen zu trinken.' Da brachte der Scheich ihm frisches Wasser, kühl und angenehm; jener aber sagte: ,O Scheich Ibrahim, dies ist nicht der Trank, den ich begehre.' ,Begehrst du etwa Wein?' ,Ja, freilich, o Scheich!' ,Davor behüte mich Allah; seit dreizehn Jahren habe ich solches nicht mehr getan, denn der Prophet -Allah segne ihn und gebe ihm Heil! —hat den verflucht, der ihn trinkt, keltert, verkauft oder kauft!' ,So höre zwei Worte!' ,Sprich!' ,Wenn dieser



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verfluchte Esel hier verflucht wird, wird dich da etwas von seinem Fluche treffen?' ,Nein.' ,So nimm hier den Dinar und die zwei Dirhems und steige auf diesen Esel und mache halt in weitem Abstand von einem Weinladen, und wen du dort beim Einkauf findest, den rufe herbei und sprich zu ihm: Nimm diese zwei Dirhems für dich, und für diesen Dinar kaufe Wein und setze ihn auf den Esel. So hast du ihn weder getragen noch gekauft, und kein Teil des Fluches wird auf dich entfallen.' Da lachte Scheich Ibrahim über die Worte und sagte: ,Bei Allah, mein Sohn, ein witzigerer Mann als du und feinere Worte als deine sind mir noch nicht begegnet.' Dann tat er, was Nûr ed-Dîn ihm gesagt hatte, und der dankte ihm dafür und sprach: ,Wir sind jetzt deine Schutzbefohlenen, und es liegt dir daher ob, unsere Wünsche zu erfüllen; also bringe uns her, was wir brauchen.' ,Mein Sohn, hier steht dir meine Vorratskammer zur Verfügung', erwiderte jener und zeigte auf die Speisekammer des Beherrschers der Gläubigen, ,geh hinein und entnimm daraus, was du willst! Es ist mehr darin, als du brauchst.' Nûr ed-Dîn trat also in die Kammer und erblickte darin Gefäße aus Gold und aus Silber und aus Kristall, besetzt mit allerlei Edelgestein. Und er nahm einige davon heraus, trug sie auf, goß den Wein in Krüge und Flaschen und freute sich des schönen Anblicks, derweilen Scheich Ibrahim ihnen Früchte und Blumen brachte. Dann zog sich der Alte zurück und setzte sich fern von ihnen nieder, derweilen sie tranken und sich vergnügten, bis der Wein Gewalt über sie gewann; ihre Wangen röteten sich, ihre Augen blickten übermütig, und ihre Locken lösten sich, und ihr Glanz wurde immer höher. Da sprach Scheich Ibrahîm bei sich: ,Warum sitze ich so fern? Und warum sollte ich mich nicht zu ihnen setzen? Wann werde ich wieder jemand bei mir haben wie diese beiden, die zwei Monden gleichen?'



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So trat er vor und setzte sich nieder am Rand der Estrade, und Nûr ed-Din sprach zu ihm: ,Lieber Herr, bei meinem Leben, komm näher herbei!' Da kam Scheich Ibrahim zu ihnen heran, und Nûr ed-Dîn füllte einen Becher, sah den Scheich an und sprach zu ihm: ,Trinke, damit du den Geschmack erprobest!' ,Gott behüte mich davor!' erwiderte er, ,dreizehn Jahre habe ich solches nicht mehr getan.' Nûr ed-Dîn aber tat, als vergäße er, daß Scheich Ibrahim da war, und er trank den Becher aus und warf sich zu Boden, als habe die Trunkenheit ihn übermannt; da blickte Enîs el-Dschelîs ihn an und sprach: ,O Scheich Ibrahim, sieh, wie dieser Mann mich behandelt'; und der fragte: ,O meine Herrin, was ist mit ihm?' ,So macht er es immer mit mir', rief sie, ,er trinkt eine Weile und schläft dann ein; so bleibe ich allein, und ich habe keinen Trinkgenossen, der mir bei meinem Becher Gesellschaft leistet und zu dessen Becher ich singen kann.' Durch diese Worte ward das Herz des Alten gerührt, und seine Seele neigte sich ihr zu, und er sprach: ,Bei Allah, dies ist nicht gut!' Dann füllte sie einen Becher, sah den Alten an und sprach: ,Bei meinem Leben, du mußt ihn nehmen und trinken, weise ihn nicht zurück, heile mein krankes Herz!' Da streckte Scheich Ibrahim seine Hand aus, nahm den Becher und trank ihn aus; sie aber füllte einen zweiten Becher, hielt ihn gegen das Licht und sagte: ,O mein Gebieter, hier ist noch ein zweiter für dich.' Doch er sprach: ,Bei Allah, ich kann ihn nicht mehr trinken; was ich getrunken habe, ist für mich genug.' Sie aber entgegnete: ,Nein, bei Allah, du mußt es doch tun!' Da nahm er den Becher und trank ilm aus; dann gab sie ihm den dritten, und er nahm ihn und wollte gerade trinken, doch siehe, Nûr ed-Dîn begann sich aufzurichten. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 37.



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Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Nûr ed-Dîn sich aufrichtete und sagte: ,O Scheich Ibrahim, was ist dies? Habe ich dich nicht vor einer Weile beschworen? Und da hast du dich geweigert und gesagt, du hättest solches dreizehn Jahre lang nicht mehr getan!' ,Bei Allah', sprach der Scheich beschämt, ,ich habe keine Schuld, sie hat mich gebeten.' Nûr ed-Dîn lachte, und sie saßen und tranken weiter, aber die Sklavin wandte sich zu ihrem Herrn und flüsterte ihm heimlich zu: ,Mein Gebieter, trinke und nötige den Scheich Ibrahim nicht, damit ich dir einen Scherz mit ihm zeigen kann.' Dann füllte sie ihres Herrn Becher und reichte ihn ihm, und er füllte den ihren und reichte ihn ihr, und also fuhren sie ein übers andere Mal fort, bis Scheich Ibrahim sie schließlich ansah und sagte: ,Was ist dies für eine gute Kameradschaft? Gott verfluche sie, die so gierig sind! Du reichst mir nicht den Becher, wenn ich an der Reihe bin, mein Bruder! Was ist denn das für ein Benehmen, du Mann Gottes?' Da lachten die beiden über seine Rede, bis sie auf den Rücken fielen; dann tranken sie und gaben ihm zu trinken und hörten nicht auf zu zechen, bis ein Drittel der Nacht verstrichen war. Nun sprach die Sklavin: ,O Scheich Ibrahim, mit deiner Erlaubnis will ich aufstehn und eine der Kerzen, die hier aufgereiht stehen, anzünden.' ,Das tu', erwiderte er, ,doch zünde nicht mehr als eine an!' Da sprang sie auf und begann mit der ersten Kerze und zündete immer mehr an, bis alle achtzig brannten; dann setzte sie sich wieder hin. Darauf sprach Nûr ed-Dîn: ,O Scheich Ibrahim, was schenkst du mir? Willst du mir nicht erlauben, eine von diesen Lampen anzuzünden?' ,Zünde eine an', erwiderte er, ,und störe auch du mich nicht weiter!' Da stand er auf und begann mit der ersten Lampe und zündete immer mehr an, bis alle achtzig brannten und der Palast mit den Lichtern



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zu tanzen schien. Da sprach der Scheich, den die Trunkenheit überwältigt hatte: ,Ihr beiden seid kühner als ich!' Dann stand er auf und öffnete all die Fenster und setzte sich wieder; und sie begannen zu zechen und Verse zu sprechen, während der Saal im Lichtmeer um sie flimmerte.

Nun hatte Allah, der mächtig ist über alle Dinge und der für jede Ursache eine Wirkung festsetzt, es so gefügt, daß der Kalif sich in ebendiesem Augenblick das Mondeslicht anschaute und durch eines der Fenster blickte, die nach der Seite des Tigris lagen. Da sah er den Glanz der Lampen und Kerzen im Flusse widerstrahlen, und als er die Augen hob, sah er, daß das Gartenschloß im Glanz der Kerzen und Lampen flimmerte. Und er rief: ,Her zu mir mit Dscha'far, dem Barmekiden!' Im selben Augenblick stand auch schon der Minister vor dem Beherrscher der Gläubigen, der ihn anschrie: ,Du Hund von einem Wesir, willst du mir diese Stadt Baghdad wegnehmen, ohne mir ein Wort davon zu sagen?' ,Was mögen diese Worte bedeuten?' fragte Dscha'far; und der Kalif erwiderte: ,Wenn mir die Stadt Baghdad nicht genommen wäre, so wäre das Schloß der Bilder nicht erleuchtet mit Lampen und Kerzen, noch wären seine Fenster aufgetan. Weh dir! Wer sollte solches wagen, wenn mir nicht das Kalifat genommen wäre?' Da sprach Dscha'far mit zitternder Brust: ,Wer hat dir kundgetan, daß das Schloß der Bilder erleuchtet ist und seine Fenster geöffnet sind?' ,Tritt her und sieh!' erwiderte der Kalif; und Dscha'far trat an den Kaufen heran, und als er zu den Gärten hinabsah, sah er das Schloß durch das Dunkel der Nacht herstrahlen; und da er dachte, Scheich Ibrahîm, der Gärtner, habe es wohl aus einem geheimen Grunde erlaubt, so wollte er ihn entschuldigen und sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, Scheich Ibrahim sagte in der vergangenen Woche zu mir: O mein Herr



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Dscha'far, ich möchte meinen Söhnen eine Freude machen, bei dem Leben des Beherrschers der Gläubigen und bei deinem Leben! Ich fragte ihn: Was verlangst dw Und er sagte: Verschaff mir die Erlaubnis von dem Beherrscher der Gläubigen, das Beschneidungsfest meiner Söhne im Gartenpalast zu feiern. Darauf sprach ich zu ihm: Geh hin und beschneide sie, und ich will zum Kalifen gehn und es ihm sagen. Da ging er davon unter dieser Voraussetzung, und ich vergaß, es dir zu sagen.' ,O Dscha'far', sprach der Kalif, ,zunächst hast du dich nur in einer Weise gegen mich vergangen, aber es sind zwei Vergehen daraus geworden. Du hast zwei Fehler begangen, erstlich weil du mir keinen Bericht erstattet hast, und zweitens, weil du dem Alten nicht gabst, wonach er verlangte; denn er kam und sprach so zu dir nur, um dir eine Bitte um etwas Geld zu unterbreiten, als Beitrag zu dem Aufwand; du aber hast ihm nichts gegeben und auch mich nicht in Kenntnis gesetzt.' ,O Beherrscher der Gläubigen', sprach Dscha'far, ,ich habe es vergessen.' ,Nun, bei meinen Ahnen und Vorfahren', rief der Kalif, ,ich will den Rest dieser Nacht nicht anders verbringen als in seiner Gesellschaft; denn wahrlich, er ist ein frommer Mann, der für die Glaubensmänner und die Armen sorgt und sie bewirtet: sie sind wohl jetzt versammelt, und vielleicht wird das Gebet von einem unter ihnen uns in dieser Welt und in der nächsten Gutes bringen. Und bei dieser Gelegenheit wird dem Alten meine Gegenwart Nutzen und Freude bereiten.' ,O Beherrscher der Gläubigen', sprach Dscha'far, ,der größere Teil der Nacht ist verstrichen, und sie werden schon beim Aufbruch sein.' Der Kalif aber entgegnete: ,Ich will doch auf jeden Fall zu ihm gehen.' Da schwieg der Wesir; denn er war ratlos und wußte nicht, was er beginnen sollte. Der Kalif stand auf und nahm Dscha'far mit sich und Masrûr, den Eunuchen, und die drei



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verließen verkleidet den Palast in der Stadt und zogen durch die Straßen als Kaufleute, bis sie das Tor jenes Gartens erreichten. Da trat der Kalif vor, und als er das Gartentor geöffnet sah, da staunte er und sagte: ,Sieh, Dscha'far, wie Scheich Ibrahim entgegen seiner Gewohnheit das Tor noch um diese Zeit offen gelassen hat!' Dann traten sie ein und gingen weiter, bis sie zum Ende des Gartens kamen und unten vor dem Palaste standen. Nun sprach der Kalif: ,O Dscha'far, ich möchte sie belauschen, ehe ich zu ihnen hinaufgehe, damit ich sehe, was sie treiben, und die Glaubensmänner erblicke; denn bislang habe ich noch keinen Laut von ihnen vernommen noch auch, wie ein Fakir den Namen Gottes anruft.' Dann blickte er um sich und sah einen großen Walnußbaum und sprach zu Dscha'far: ,Ich will auf diesen Baum steigen, denn seine Zweige reichen bis dicht an die Fenster, und so zu ihnen hineinsehn.' Darauf stieg er auf den Baum und kletterte von Ast zu Ast, bis er einen Zweig erreichte, der einem der Fenster gegenüberstand, und er setzte sich darauf und sah durch das Fenster. Da sah er ein Mädchen und einen Jüngling, zwei Monden gleich -Preis sei Ihm, der sie schuf und formte! —, und bei ihnen sah er den Scheich Ibrahim sitzen, der einen Becher in der Hand hielt und rief: ,Trinken ohne Singen kann keine Freude bringen; ja, ich habe einen Dichter sagen hören:

Laß ihn kreisen, den Wein, in großen und kleinen Bechern,
Und nimm ihn aus der Hand des strahlenden Mondes, des Schenken!
Und trinke nie, ohne daß gesungen wird; denn ich schaute,
Wie selbst die Knechte pfeifen, wenn sie die Pferde tranken!'

Als aber der Kalif solches vom Scheich Ibrahim erblicken mußte, da schwoll ihm die Ader des Zornes zwischen den Augen, und er stieg hinab und rief: ,O Dscha'far, noch niemals sah ich Fromme in solchem Zustand; so steige auch du auf diesen



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Baum und sieh sie dir an, damit dir die Segnungen der Frommen nicht verloren seien!' Als Dscha'far die Worte des Beherrschers der Gläubigen vernahm, da wurde er verwirrt, und er stieg hinauf in die Krone des Baumes, blickte hinein und sah Nûr ed-Dîn und die Sklavin und den Scheich Ibrahim, der einen Becher in der Hand hielt. Bei diesem Anblick war er des Todes gewiß, und er stieg hinab und trat vor den Beherrscher der Gläubigen, und der sprach zu ihm: ,O Dscha'far, Preis sei Gott, der uns die Vorschriften des Heiligen Gesetzes auch äußerlich befolgen läßt!' Dscha'far aber konnte vor lauter Bestürzung kein Wort sagen; dann sah der Kalif um an und sagte: ,Ich möchte wissen, wer sie hierher gebracht und wer sie in mein Schloß eingelassen hat! Aber nie noch sahen meine Augen solche Schönheit wie die dieses Jünglings und dieses Mädchens!' Dscha'far, der nun Hoffnung schöpfte, den Kalifen Harûn er-Raschîd zu besänftigen, erwiderte: ,Du sprichst die Wahrheit, o unser Herr und Sultan!' Jener darauf: ,Dscha'far, laß uns beide auf den Zweig da gegenüber dem Fenster steigen, damit wir an ihrem Anblick Vergnügen haben.' Da kletterten die beiden auf den Baum, spähten hinein und hörten Scheich Ibrahîm sagen: ,O meine Herrin, die Würde sank, da ich vom Weine trank; doch der ist nicht süß ohne Saitenklang!' ,Bei Allah', erwiderte Enis el-Dschelîs, ,o Scheich Ibrahim, hätten wir nur ein Musikinstrument, so wäre unsere Freude vollkommen.' Als der Alte die Worte der Sklavin vernahm, stand er auf, und der Kalif sprach zu Dscha'far: ,Was wird er jetzt wohl tun?' Dscha'far erwiderte: ,Ich weiß es nicht.' Scheich Ibrahîm aber verschwand, und alsbald kehrte er mit einer Laute zurück; der Kalif sah sie an und erkannte sie als die des Abu Ishâk, seines Tischgenossen. ,Bei Allah', sagte der Kalif, ,wenn dieses Mädchen schlecht singt, so lasse ich euch alle kreuzigen;



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doch wenn sie gut singt, werde ich ihnen verzeihen und nur dich ans Kreuz schlagen lassen.' Da rief Dscha'far: ,O Allah, laß sie schlecht singen!' Der Kalif fragte: ,Weshalb?', und er antwortete: ,Wenn du uns alle kreuzigen läßt, so leisten wir einander Gesellschaft.' Da lachte der Kalif über seine Worte. Darauf nahm die Sklavin die Laute, sah sie an, stimmte sie und spielte eine Melodie, die alle Herzen in Sehnsucht nach ihr entflammte. Dann sang sie diese Verse:

O du, die du dein armen Liebenden helfen kannst,
Der Liebe und der Sehnsucht Feuer verbrennt mein Herz!
Was du nur immer tuest, ich hab es wohl verdient
Ich bin ja dein Schutzbefohlner; verspotte nicht meinen Schmerz!
Ja, ich bin jetzt verlassen und in Elend versunken;
Was du immer mir tuen willst, das tue an mir!
Doch welch ein Ruhm wäre es, wenn du mich sterben ließest?
Ach, ich fürchte ja nur, du sündigtest dann an mir!

Da sprach der Kalif: ,Bei Allah, das ist schön! O Dscha'far, in meinem Leben vernahm ich noch keine so entzückende Stimme.' ,Dann ist des Kalifen Zorn wohl gar verschwundene' sagte Dscha'far; und Harûn er-Raschîd erwiderte: ,Ja, er ist weg.' Dann stiegen sie beide vom Baum herab, und darauf wandte sich der Kalif zu Dscha'far und sprach zu ihm: ,Ich möchte hineingehen und mich zu ihnen setzen und das Mädchen vor mir singen hören.' ,O Beherrscher der Gläubigen', rief Dscha'far, ,wenn du zu ihnen hineingehst, so werden sie sicher erschrecken, und Scheich Ibrahim wird vor Angst sterben.' Doch der Kalif entgegnete: ,Dscha'far, du mußt mir etwas ersinnen, wie ich sie durch eine List täuschen und zu ihnen hineingehen kann, ohne daß sie mich erkennen.' Dann gingen die beiden zum Tigris hinunter, indem sie sich die ganze Sache überlegten; und siehe, da stand ein Fischer, der unter den Fenstern des Schlosses fischte. Nun hatte vor einiger Zeit der Kalif den



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Scheich Ibrahim rufen lassen und ihn gefragt: ,Was ist dies für ein Lärm, den ich unter den Fenstern des Schlosses höre?' Der hatte erwidert: ,Es sind die Stimmen von Fischern, die Fische fangen.' Da hatte der Kalif befohlen: ,Geh hin und verbiete ihnen diese Stelle!' So war den Fischern jener Ort verboten. In jener Nacht jedoch war ein Fischer namens Karîm vorbeigekommen, und da er die Gartentüre offen sah, so sprach er bei sich selber: ,Dies ist eine Zeit der Unachtsamkeit; ich will diese Gelegenheit benutzen und ein wenig fischen.' Dann nahm er sein Netz und warf es ins Meer, doch siehe, da stand mit einem Male der Kalif allein dicht vor ihm. Jener erkannte ihn und rief: ,He, Karîm!' Als der Fischer seinen Namen rufen hörte und den Kaufen sah, zitterte seine Brust, und er rief aus: ,Bei Allah, o Beherrscher der Gläubigen, ich tat es nicht, um den Befehl zu verhöhnen; nur die Armut und die Sorge um die Meinen trieben mich zu dieser Tat.' Da sprach der Kalif: ,Tu einen Wurf in meinem Namen!' Da trat der Fischer froh ans Ufer und warf das Netz aus; und er wartete, bis es sich ganz ausgebreitet hatte und auf dem Grunde lag. Dann zog er es auf und fand mancherlei Fische darin. Darüber freute der Kalif sich und sprach: ,Zieh dein Gewand aus o Karîm!' Der legte also sein Gewand ab; was er trug, war ein Kittel aus grober Wolle, der an hundert Stellen geflickt war und von geschwänzten Läusen wimmelte, und einen Turban, den er seit drei Jahren nicht mehr aufgewickelt, an den er aber jeden Fetzen Stoffes genäht hatte, dessen er habhaft wurde. Als er nun Kittel und Turban abgelegt hatte, zog auch der Kalif zwei Gewänder aus, die waren von Seide aus Alexandrien und Baalbek, ferner ein loses Untergewand und einen langärmeligen Mantel. Dann sagte er zu dem Fischer: ,Nimm das und zieh es an!' Er selber aber legte den Kittel und den Turban des Fischers an, und



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er zog die Enden des Kopftuchs als Schleier vor das untere Gesicht. Dann sagte er zu dem Fischer: ,Jetzt geh deiner Wege!' Und der küßte ihm die Füße, dankte ihm und sprach die Verse:

Du erwiesest mir Gunst; laut will ich den Dank dafür kunden;
Du hast mich im Übermaße beschenkt mit allen Dingen.
Ich will dir danken, so lang ich lebe; und bin ich gestorben,
So soll mein Gebein im Grabe statt meiner dein Lob singen.

Kaum aber hatte der Fischer seine Verse beendet, so begannen die Läuse dem Kaufen über die Haut zu kriechen; da hub er an, sie bald mit der Rechten und bald mit der Linken vom Halse wegzufangen und fortzuwerfen, und er rief: ,O Fischer, weh dir! Das ist aber doch eine Fülle von Läusen in deinem Kittel!' ,O Herr', erwiderte der Fischer, ,jetzt quälen sie dich noch, aber wenn eine Woche vergangen ist, fühlst du sie nicht mehr und denkst auch nicht mehr daran.' Der Kalif aber lachte und sagte zu ihm: ,Mann! Soll ich diesen Kittel so lange auf dem Leibe behalten?' Da sprach der Fischer: ,Ich möchte dir wohl noch was sagen!' Jener darauf: ,Sprich, was du zu sagen hast!' ,Es kam mir in den Kopf, o Beherrscher der Gläubigen', sagte der Fischer, ,da du das Fischen zu erlernen wünschest, damit du ein nützliches Handwerk verstehst, so paßt dir dieser Kittel recht gut.' Der Kalif lachte über seine Worte; dann ging der Fischer seiner Wege. Darauf nahm der Kalif den Korb mit den Fischen auf, legte ein wenig Gras darüber, ging damit zu Dscha'far und trat vor ihn hin. Dscha'far hielt ihn natürlich für Karîm, den Fischer, und da er um ihn besorgt war, so sagte er: ,O Karîm, was hat dich hierher geführte Flieh um dein Leben, denn der Kalif ist heute nacht in dem Garten; wenn er dich sieht, so ist es um deinen Hals geschehen!' Als der Kalif die Worte Dscha'fars vernahm, lachte er, und an dem Lachen erkannte dieser ihn, und er fragte: ,Kann es sein, daß du es bist,



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unser Herr, der Sultan?' Der Kalif antwortete: ,Ja, Dscha'far, und du bist mein Wesir, und ich bin mit dir hierher gekommen; und dennoch kennst du mich nicht; wie also sollte Scheich Ibrahim mich erkennen, der doch betrunken ist? Bleib hier, bis ich zu dir zurückkehre!' ,Ich höre und gehorche', sprach Dscha'far. Dann trat der Kalif an die Tür des Schlosses und pochte leise. Da sagte Nûr ed-Dîn: ,Scheich Ibrahim, es klopft dort jemand an die Tür.' ,Wer ist an der Tür?' rief der Scheich, und der Kalif erwiderte: ,Ich bin es, Scheich Ibrahim!' ,Wer bist du?' ,Ich bin Karîm, der Fischer; ich höre, du hast Gäste, und ich habe dir ein paar Fische gebracht, und wahrlich, es sind gute Fische!' Als Nûr ed-Dîn hörte, daß von Fischen die Rede war, da freute er sich, er wie die Sklavin, und beide sagten zu dem Scheich: ,O Herr, mach ihm die Tür auf und laß ihn uns seine Fische bringen!' So tat Scheich Ibrahim die Tür auf, und der Kalif trat ein in der Verkleidung des Fischers und begrüßte sie. Da sprach Scheich Ibrahim: ,Willkommen dem Räuber, dem Dieb, dem Spieler! Komm, laß uns deine Fische sehen!' Also zeigte er sie ihnen, und als sie sahen, daß die Fische noch lebendig waren und sprangen, rief die Sklavin: ,Bei Allah, mein Herr, diese Fische sind wirklich gut; wenn sie nur gebraten wären!' Scheich Ibrahim versetzte: ,Bei Gott, meine Herrin, du hast recht.' Dann wandte er sich an den Kalifen: ,O Fischer, weshalb brachtest du uns diese Fische nicht gebraten? Auf jetzt, brüte sie fur uns, und dann bringe sie uns!' ,Zu Befehl!' erwiderte der Kalif, ,ich will sie für euch braten und herbringen.' Sie riefen noch: ,Mach schnell!' Da eilte der Kalif schon fort, bis er zu Dscha'far kam, den er anrief. Der antwortete: ,Hier bin ich, o Beherrscher der Gläubigen; steht alles gut?' ,Sie wollen die Fische gebraten', sprach der Kalif; und Dscha'far entgegnete: ,O Beherrscher der Gläubigen, gib



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sie mir her, ich will sie braten.' ,Bei den Gräbern meiner Ahnen und Vorväter', sprach der Kalif, ,ich will sie allein mit eigener Hand braten!' Dann ging er in die Hütte des Gärtners, suchte nach und fand dort alles, dessen er bedurfte: Salz, Safran, Thymian, und was sonst nötig war. Er ging zum Kohlenbecken und setzte die Bratpfanne auf und briet ein schönes Gericht; und als es fertig war, legte er es auf ein Bananenblatt, holte aus dem Garten vom Wind abgeschüttelte Früchte, Limonen und Zitronen, und trug das Ganze hinauf und setzte es ihnen vor. Da begannen der Jüngling und das Mädchen und der Scheich Ibrahim zu essen; und als sie mit dem Essen fertig waren, wuschen sie sich die Hände, und Nûr ed-Dîn sprach zu dem Kalifen: ,Bei Allah, o Fischer, du hast uns heute nacht eine rechte Wohltat erwiesen.' Und er griff in seinen Beutel und nahm drei von den Dinaren, die Sandschar ihm beim Abschied gegeben hatte, und sagte: ,O Fischer, entschuldige mich! Denn, bei Allah, hätte ich dich vor dem gekannt, was jetzt über mich gekommen ist, ich hätte dein Herz von der Bitterkeit der Armut befreit; doch nimm jetzt dies, es ist das Beste, was ich dir geben kann.' Dann warf er dem Kaufen die drei Goldstücke hin, und der nahm sie und küßte sie und steckte sie ein. Nun aber war sein einziges Ziel bei alledem, die Sklavin singen zuhören; und deshalb sprach er zu Nûr ed-Dîn: ,Du hast mich freigebig belohnt; doch ich erbitte eines noch von deiner grenzenlosen Güte, daß du nämlich dieses Mädchen singen lässest, damit ich es höre.' Da rief Nûr ed-Dîn: ,O Enîs el-Dschelîs!' Sie erwiderte ,Ja!' Und er fuhr fort: ,Bei meinem Leben, singe uns etwas um dieses Fischers willen; denn er möchte dich gern hören!' Als die Sklavin die Worte ihres Herrn vernommen hatte, griff sie zur Laute, stimmte sie, schlug die Saiten und sang die Verse:



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Die Finger der zarten Maid griffen wohl in die Laute,
Und als sie die Saiten rührte, wurde die Seele entrückt.
Sie sang, und ihr Gesang brachte dem Tauben Heilung;
Und der Staunte sprach: Fürwahr, du hast uns beglückt.

Dann spielte sie von neuem und spielte so hinreißend, daß sie die Sinne bezauberte, und nun sang sie die Verse:

Es ward uns hohe Ehre, da du unser Land betratest;
Dein Glanz war es, der das Dunkel der finsteren Nacht vertrieb.
Darum geziemt es sich, daß ich meine Halle mit Moschus,
Mit Rosenwasser und Kampfer durchdufte dir zulieb.

Nun ward der Kalif so begeistert und so von Leidenschaft hingerissen, daß er sich im Übermaße des Entzückens nicht mehr beherrschen konnte, sondern ausrief: ,Bei Allah, ist das schön! Bei Allah, ist das schön! Bei Allah, ist das schön!' Da fragte Nûr ed-Dîn: ,O Fischer, gefällt dir dies Mädchen?' Der Kalif antwortete: ,Bei Allah, ja!' Und da sprach Nûr ed-Dîn: ,Sie ist ein Geschenk an dich, eine Gabe des Freigebigen, der sein Versprechen nicht zurücknimmt und der sein Geschenk nicht widerruft!' Dann sprang er auf die Füße und ergriff ein loses Gewand, das er über den Fischer warf, und hieß ihn die Sklavin nehmen und gehen. Sie aber sah ihn an und sprach: ,O mein Gebieter, gehst du ohne ein Lebewohl? Wenn es denn sein muß, so bleib nur, bis ich dir Lebewohl gesagt habe und meine Not verkünde.' Und sie begann diese Verse zu singen:

Es herrschen in mir die Sehnsucht und treues Gedenken und Kummer;
Des Schmerzes Allgewalt machte zum Schatten mich.
Mein Freund, o sage mir nicht, ich könnte dich je vergessen;
Denn Leiden bleibt doch Leiden; der Kummer währt ewiglich.
Könnte ein menschliches Wesen auf seinen Tränen schwimmen,
So wär ich die erste, die schwämme auf ihrer Tränen Flut.
O du, zu dem die Liebe mein ganzes Herz durchdringet.
Wie Wasser in, Becher durchdrungen u'ird von des Mischweines Glut,



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Dies ist die Trennung, die ich seit langem zitternd ahnte; In meinem Inneren treibt deine Liebe ihr grausames Spiel. O Ibn Chakân, du bist mein einziger Wunsch, meine Hoffnung, Deine Liebe in meinem Herzen kennt weder Ende noch Ziel. Einst vergingest du dich an unserem Herren und Fürsten Um meinetwillen und zogest weit in die Ferne dahin. Möge dich Gott mein Scheiden niemals gereuen lassen! O gäbest du mich einem Edlen von untadligem Sinn!

Als sie ihr Lied geendet hatte, antwortete ihr Nûr ed-Dîn mit diesen Versen: Sie bot mir Lebewohl am Tage der Trennung und sagte, Während die Tränen ihr rannen in der Sehnsucht Leid: Was wirst du einst beginnen, wenn ich von dir geschieden? Da sprach ich: Frage Den, der da ist in Ewigkeit.

Als der Kalif sie singen hörte: ,O gäbest du mich einem Edlen', da wuchs seine Neigung zu ihr, und es war ihm hart und schwer, sie so zu trennen; darum sprach er zu dem Jüngling: ,O Herr, siehe, diese Sklavin sagte in ihren Versen, du habest dich an ihrem Herrn vergangen und an dem, dem sie gehörte; also tu mir kund, an wem hast du dich vergangen, und wer hat einen Anspruch an dich?' ,Bei Allah, o Fischer,' erwiderte Nûr ed-Dîn ,mir und diesem Mädchen widerfuhr ein wunderbares Erlebnis und ein seltsames Begegnis; und würde es mit Sticheln in die Augenwinkel gestichelt, es wäre eine Warnung für jeden, der sich warnen ließe.' Da rief der Kalif: ,Willst du mir nicht erzählen, was dir im Leben widerfuhr, und mir deine Erlebnisse kundtun? Das kann dir vielleicht helfen; denn Allahs Hilfe ist nahe!' ,O Fischer,' fragte Nûr ed-Dîn, ,willst du unsere Geschichte in Prosa hören oder in Versen?' Der Kalif erwiderte darauf: ,Prosa sind Worte nur, doch Verse sind eine Perlenschnur.' Dasenkte Nûr ed-Dîn den Kopf und sprach diese Verse:



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O ihr Freunde, seht, ich habe meinem Schlote ganz entsagt,
Weil sofern von meinem Lande jetzt an mir der Kummer nagt.
Ja, ich hatte einen Vater, der so milden Herzens war.
Ach, der ist mir jetzt entschwunden; er weilt in der Toten Schar.
Über mich, nach seinem Scheiden, brausten Lebensstürme hin,
Und dadurch bin ich geworden ganz betrübt in meinem Sinn.
Er erwarb mir eine Sklavin, eine wunderschöne Maid,
Einem Zweig glich ihres Leibes zarte Ebenmäßigkeit.
Was an Vatersgut ich erbte, gab ich alles für sie aus,
Und ich spendete den guten Freunden damit manchen Schmaus.
Als ich sie verkaufen mußte, quälte mich der Kummer sehr,
Doch den Trennungsschmerz zu dulden, nein, das wurde mir zu schwer.
Wie der Rufer auf dem Markte zum Verkaufe sie hielt feil,
Sieh, da bot auf sie ein alter Graukopf, der war schlecht und geil.
Darob ist in meiner Seele ein gewalt'ger Zorn entbrannt;
Und sogleich riß ihre Hand ich hastig aus des Knechtes Hand.
Jener elende Halunke schlug nach mir in seiner Wut,
Und es brannte mächtig in ihm seines Ketzerzornes Glut.
Grimmig hieb ich mit der Rechten und der Linken auf ihn ein,
Und so heilte ich dann schließlich meines Herzens schwere Pein.
Doch von Angst erfüllet lief ich eilig in mein Haus zurück,
Und aus Furcht vor meinem Feinde barg ich ,nich vor seinem Blick.
Da befahl des Landes Herrscher, daß man mich ergreifen sollt;
Doch es kam der treugesinnte Kämmerer, der war mir hold;
Gab mir einen Wink, ich solle in die weite Ferne fliehn
Und zum Ärger meiner Feinde ihren Blicken mich entziehn.
Also zogen wir aus unsrem Haus davon in finstrer Nacht,
Und die Suche nach der Heimstatt hat uns gen Baghdad gebracht.
Jetzo habe ich, o Fischer, nichts an Schätzen hier bei mir,
Dir zu schenken - nur das eine! Und fürwahr, das gab ich dir.
Meines Herzens Allerliebste machte ich dir zum Geschenk.
Ja, ich gab für dich mein Herzblut -dessen sei du eingedenk!

Als er sein Lied beendet hatte, sprach der Kalif zu ihm: ,O mein Herr Nûr ed-Dîn, erzähle mir deine Geschichte genauer.' Da erzählte er ihm alles von Anfang bis zu Ende, und als der Kalif alles vernommen hatte, sprach er zu ihm: ,Wohin gedenkst



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du jetzt zu gehen?' ,Gottes Welt ist weit', erwiderte er. Der Kalif aber sprach: ,Wenn ich dir ein Schreiben an den Sultan Mohammed ibn Sulaimân ez-Zaini mitgebe, und wenn er es liest, so wird er dir keinerlei Leid antun.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die Achtunddreißigste Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif zu Nûr ed-Dîn also sagte: ,Ich will dir ein Schreiben an den Sultan Mohammed ihn Sulaimân ez-Zaini mitgeben, und wenn er es liest, so wird er dir kein Leid antun.' Nûr ed-Dîn aber fragte: ,Wie! Gibt es in der Welt einen Fischer, der mit Königen im Briefwechsel steht? Das ist etwas ganz Unmögliches!' Darauf erwiderte der Kalif: ,Du sprichst die Wahrheit; aber ich will dir den Grund sagen. Wisse denn, ich lernte mit ihm in derselben Schule und unter demselben Lehrer, und ich war Klassenerster. Seither ist ihm das Glück hold gewesen, so daß er Sultan wurde, während Gott mich erniedrigte und mich zum Fischer machte; aber niemals sende ich zu ihm, ohne daß er meine Bitte erfüllt; ja, und wenn ich jeden Tag tausend Bitten an ihn senden würde, er würde sie alle erfüllen.' Als Nûr ed-Dîn seine Worte hörte, sagte er: ,Gut! Schreibe, daß ich es sehe!' Da nahm der Kalif Tintenkapsel und Rohr und schrieb, was folgt: ,Im Namen Allahs des Erbarmenden, Erbarmungsreichen! Des Ferneren: Dieser Brief ist von Harûn er-Raschîd ibn el-Mahdi an Seine Hoheit Mohammed ibn Sulaimân ez-Zaini, den von meiner Huld Umfangenen, den ich in einem Teil meines Reiches zu meinem Statthalter gemacht habe. Der Überbringer dieses Schreibens ist Nûr ed-Dîn 'Alt, der Sohn des el-Fadl ibn Chakân, des Wesirs. Und sobald es Dir zu Händen kommt, entkleide Dich der königlichen Würde und bekleide ihn damit.



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Widersetze Dich meinem Gebote nicht, und Friede sei mit Dir!' Dann übergab er dies Schreiben dem Nur ed-Dîn, und der nahm es und küßte es und legte es in seinen Turban und machte sich alsbald auf die Reise.

Lassen wir ihn nun dahinziehen und wenden wir uns wieder dem Kalifen zu! Scheich Ibrahim sah ihn, der noch immer im Fischergewande war, groß an und rief: ,Du gemeinster der Fischer, du hast uns ein paar Fische gebracht, die zwanzig Piaster wert waren, und hast drei Dinare dafür erhalten; und jetzt willst du auch das Mädchen noch nehmen?' Als der Kalif das hörte, schrie er ihn an und gab Masrûr ein Zeichen, der sich entdeckte und auf ihn zustürzte. Inzwischen aber hatte Dscha'far einen der Gärtnerburschen zum Pförtner des Palastes geschickt, um für den Fürsten der Gläubigen eins der königlichen Gewänder zu holen; und dieser kehrte mit dem Gewande zurück und küßte den Boden vor dem Kalifen. Und der warf ab, was er an Kleidern auf dem Leibe hatte, und legte jenes Gewand an. Scheich Ibrahim saß noch immer auf seinem Stuhl, und der Kalif blieb stehen, um zu sehen, was geschehen werde. Doch Scheich Ibrahim war fassungslos vor Bestürzung, und er vermochte nichts zu tun, als sich auf die Finger zu beißen und zu sagen: ,Schlafe ich denn oder wache ich!' Der Kalif aber sah ihn an und rief: ,O Scheich Ibrahim, in welchem Zustand muß ich dich hier sehen?' Da wurde er plötzlich wieder nüchtern, warf sich zu Boden und sprach die Verse:

Vergib mir die Sunde, in die mein Fuji hineingeglitten!
Der Sklave erwartet ja von seinem Herren die Hull.
Ich habe nun gestanden, und das gebot mein Vergehen.
Doch wo ist nun, was dir gebietet verzeihende Huld?

Da verzieh der Kalif ihm und befahl, die Sklavin ins Stadtschloß zu bringen, und als sie dort angekommen war, teilte er



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ihr eigene Gemächer zu, bestimmte Dienerinnen für sie und sagte zu ihr: ,Wisse, ich habe deinen Herrn als Sultan nach Basra gesandt, und so Allah der Erhabene will, werde ich ihm das Königliche Kleid entsenden und zugleich auch dich.'

Lassen wir nun jene und kehren wir zu Nûr ed-Dîn zurück! Der war immerfort weiter gewandert, bis er Basra erreichte; und dort begab er sich in den Palast des Sultans und stieß einen lauten Schrei aus, so daß der Sultan ihn hörte und holen ließ. Als er vor ihn trat, da küßte er den Boden vor ihm, zog das Schreiben hervor und überreichte es. Als der Sultan die Aufschrift von der Hand des Beherrschers der Gläubigen sah, stand er auf und küßte sie dreimal; und als er gelesen hatte, sprach er: ,Ich höre und ich gehorche Allah dem Erhabenen und dem Beherrscher der Gläubigen!' Dann berief er die vier Kadis und die Emire, und er stand schon im Begriff, sich der königlichen Gewalt zu entledigen, siehe, da trat der Wesir el-Mu'în ibn Sâwi ein. Dem gab der Sultan das Schreiben, und als der es gelesen hatte, zerriß er es und steckte die Fetzen in den Mund, kaute sie und spie sie aus. Der Sultan aber rief zornig: ,Weh dir! Was trieb dich zu solcher Tüte' ,Bei deinem Leben! O unser Herr und Sultan', erwiderte el-Mu'în, ,dieser Mensch ist nie bei dem Kaufen noch auch bei seinem Wesir gewesen; er ist ein Galgenstrick, ein Satan, ein Betrüger, der einen Fetzen fand, darauf der Kalif geschrieben hatte, ein nichtiges Blatt, und er hat es zu seinen Zwecken benutzt. Der Kalif hätte ihn nicht hergeschickt, um dir die Herrschaft zu nehmen, ohne einen Kabinettsbefehl und ohne Einsetzungsdiplom. Der da ist nicht vom Kalifen gekommen, niemals, niemals, niemals! Wenn die Sache wahr wäre, so hätte der Kalif einen Kammerherrn mit ihm geschickt oder einen Wesir; aber er ist allein gekommen.' ,Was ist zu tun?' fragte da der Sultan, und der



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Minister erwiderte: ,Überlasse mir diesen Burschen, ich will ihn unter meine Aufsicht nehmen und ihn unter der Obhut eines Kämmerlings nach der Stadt Baghdad senden. Wenn er die Wahrheit redet, so wird er uns den Kabinettsbefehl und das Diplom mitbringen; bringt er es nicht, so werde ich meine Forderung von diesem meinem Schuldner einziehn.' Als der Sultan des Ministers Worte hörte, sagte er: ,Da hast du ihn!' So nahm der Wesir ihn vom König entgegen und führte ilm in sein Haus und rief seine Sklaven, die Nûr ed-Dîn zu Boden warfen und schlugen, bis er in Ohnmacht fiel. Und der Wesir ließ ihm schwere Fesseln um die Füße legen und führte ihn ins Gefängnis, wo er den Wächter rief, einen Mann namens Kutait, der heraustrat und vor ihm den Boden küßte. Zu dem sprach er: ,O Kutait, ich wünsche, daß du diesen Burschen nimmst und ihn in eine der unterirdischen Zellen des Gefängnisses wirfst und ihn folterst bei Tag und bei Nacht.' ,Ich höre und gehorche', versetzte der Kerkermeister; dann führte er den Nûr ed-Dîn in das Gefängnis und schloß die Tür hinter ihm. Darauf ließ er eine Bank, die hinter der Tür stand, fegen und legte eine Decke darauf und ein Ledertuch und hieß Nûr ed-Dîn sich darauf setzen, löste ihm die Fesseln und behandelte ihn freundlich. Der Wesir schickte jeden Tag den Befehl, ihn zu schlagen, aber der Kerkermeister unterließ es; und so ging es vierzig Tage hindurch. Am einundvierzigsten aber kam ein Geschenk vom Kalifen; und als der Sultan es sah, gefiel es ihm, und er befragte die Minister darüber, und einer von ihnen sagte: ,Vielleicht ist dieses Geschenk für den neuen Sultan bestimmt.' Da rief der Wesir el-Mu'în ibn Sâwi: ,Es wäre besser gewesen, ihn gleich am Tage seiner Ankunft hinzurichten'; und der Sultan rief: ,Bei Allah, du hast mich an ihn erinnert! Geh hinunter und hole ihn, so will ich ihm den Kopf abschlagen lassen.' ,Ich höre



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und gehorche', sprach el-Mu'în; und er stand auf und sagte: ,Ich will in der Stadt verkünden lassen: Wer immer sich durch das Schauspiel ergötzen will, wie Nûr ed-Dîn ibn Fadl ibn Chakân enthauptet wird, der möge sich zum Palast begeben! Dann werden Herr und Knecht herbeiströmen, um zuzusehen; also heile ich mein Herz und bereite meinen Neidern Schmerz.' ,Tu, wie du willst!' sprach der Sultan. Nun ging der Wesir hocherfreut davon, begab sich zu dem Wachthauptmann und befahl ihm, den Aufruf so zu erlassen. Doch als die Leute den Ausrufer hörten, trauerten alle und weinten, die Kinder selbst in der Schule und die kleinen Kaufleute in ihren Läden; und einige wetteiferten, Plätze zum Zusehen zu finden, und andere gingen zum Gefängnis, um ihm das Geleit zu geben. Und alsbald kam der Wesir mit zehn Mamluken in das Gefängnis, und Kutait, der Kerkermeister, fragte ihn: ,Was wünschest du, o Herr Wesir?' Der erwiderte: ,Bring mir den Galgenstrick her!' Der Kerkermeister aber sagte: ,Er ist im traurigsten Zustand, weil ich ihn so viel geschlagen habe.' Dann trat er in das Gefängnis und hörte den Nûr ed-Dîn diese Verse sprechen:

Wer ist es, der mir hülfe in meinem tiefen Elend,
Das mir so schweres Leiden, doch keine Arznei gebracht?
Verbannung hat mein Herz, meine Lebenskraft gebrochen;
Die Zeit hat meine Freunde zu meinen Feinden gemacht.
Ihr Leute, ist unter euch kein Freund, der Mitleid kennet,
Der meine Not mitfühlt und der meinen Ruf erhört?
Der Tod ist mir jetzt leicht mit allen seinen Ängsten,
Und Hoffnung auf Lebensfreude habe ich mir verwehrt.
O Herr, bei unserem Leiter, dem auserkornen Verkünder,
Dem Ozean des Wissens, dem Herrn der Fürsprecher all,
Ich bitte dich, befreie mich jetzt, verzeih meine Sünde,
Und wende von mir ab mein Leiden und meine Qual!

Nun zog der Kerkermeister ihm die reinen Gewänder aus, legte



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ihm zwei schmutzige Kleider an und führte ihn vor den Wesir. Nûr ed-Dîn blickte ihn an und sah, daß es sein Feind war, der seinen Tod begehrte. Als er das sah, weinte er und sprach: ,Bist denn du so sicher gegen das Geschicke Hast du nicht den Spruch des Dichters gehört:

Wo sind die Könige der Perser, die einstigen Helden?
Sie häuften ihr Gut - es verging, und auch sie selber vergingen!

Dann fuhr er fort: ,O Wesir, denke daran, daß Allah -Preis sei ihm, dem Erhabenen! — zu tun vermag, was er will!' ,O 'All', erwiderte jener, ,glaubst du mich mit solchem Geschwätz zu schrecken, wo ich dir heute noch den Hals abschlagen lassen werde, dem Volk von Basra zum Trotze Ich mache mir keine Gedanken; möge das Schicksal tun, was es will! Um deine Mahnung kümmere ich mich nicht, sondern ich halte mich an den Spruch des Dichters:

Laß nur die Tage, wie sie wollen, schalten
Und füge dich in des Geschickes Walten!

Und wie vortrefflich sagt doch ein anderer:

Ein Mann, der seinen Feind noch überlebt
Um einen Tag, erreicht, was er erstrebt.'

Dann befahl der Wesir seinen Dienern, Nûr ed-Dîn auf den Rücken eines Maultiers zu setzen; aber die Diener, denen dies hart ankam, sagten zu Nûr ed-Dîn: ,Laß uns ihn steinigen und in Stücke hauen, wenn auch unser Leben daraufgeht.' Doch der rief: ,Das sollt ihr nimmermehr tun! Habt ihr denn nicht des Dichters Wort gehört:

Ganz unverrückbar ist die Zeit, die mir bestimmet.
Und sind einst ihre Tage zu Ende, so sterbe ich.
Und schleppten mich auch die Löwen in ihr verstecktes Lager,
Sie könnten die Tage nicht enden, bis meine Zeit verstrich.'



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Dann riefen sie vor Nûr ed-Dîn aus: ,1$ies ies ist die geringste Strafe für den, der Könige mit Fälschungen betrügt.' Sie führten ihn so durch ganz Basra, und schließlich brachten sie ihn unter das Fenster des Palastes und setzten ihn dort auf das Blutleder. Nun trat der Henker an ihn heran und sagte: ,Lieber Herr, ich bin nur ein Sklave, dem dies befohlen ist; wenn du noch einen Wunsch hast, tu ihn mir kund, damit ich Im erfülle, denn dir bleibt von deinem Leben nur noch die kurze Frist, bis der Sultan sein Gesicht am Fenster zeigt.' Da blickte Nûr ed-Dîn nach rechts und nach links und vor sich und hinter sich, und er sprach die Verse:

Ich sehe das Schwert und den Henker, das Blutleder ist zur Stelle,
Und ruft: O meine Not, mein furchtbares Mißgeschick!
Seh ich denn keinen Freund, der mitfühlt, der mich rettet?
Ich bitte euch flehentlich: O, gebt mir Antwort zurück!
Die Zeit meines Lebens verstrich, und mein Verhängnis ist nahe;
Find ich denn keinen Erbarmer, der Gotteslohn erstrebt?
Der auf mein Elend blickt und auf meine Leiden schauet
Und mir einen Wassertrunk reicht, der meine Qualen hebt?

Nun begann das Volk um ihn zu weinen. Der Henker aber ging hin, holte einen Trunk Wasser und reichte ihm den; doch der Wesir sprang auf, schlug mit der Hand nach dem Krug und zerbrach ihn; und er schrie den Henker an und befahl ihm, Nûr ed-Dîn den Kopf abzuschlagen. Da verband er ihm die Augen, und das Volk schrie laut wider den Wesir, und Klagen erschollen und vieles Fragen von einem zum andern. In dem Augenblick wirbelte Staub empor, und eine Wolke legte Himmel und Erde einen Schleier vor; und als der Sultan, der im Palaste saß, das sah, rief er den Leuten zu: ,Seht nach, was es gibt!' Der Wesir sagte: ,Wir wollen doch erst diesem Burschen den Hals abschlagen!' Aber der Sultan befahl: ,Warte, bis wir sehen, was dies bedeutet!'



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Nun war jene Staubwolke der Staub, den Dscha'far, der Barmekide, der Wesir des Kalifen, mit seiner Schar aufwirbelte; und der Grund seines Kommens war dieser: Dreißig Tage lang hatte der Kalif nichtmehr an das Geschick des Nûr ed-Dîn 'All gedacht, und niemand hatte ihn daran erinnert, bis er eines Nachts an dem Gemache der Enis el-Dschelîs vorüberkam und sie weinen und mit schöner, zarter Stimme diese Verse des Dichters singen hörte:

Dein Bild steht immer vor mir, ob nah oder fern du bist:
Und meine Lippe nennt deinen Namen zu jeglicher Frist.

Dann weinte sie noch lauter, und siehe, da öffnete der Kalif die Tür, trat in das Gemach ein und fand Eins el-Dschelîs in Tränen. Kaum wurde sie des Kaufen gewahr, da warf sie sich zu Boden, küßte ihm dreimal die Füße und sprach diese Verse:

O du, dessen Ursprung so rein ist und dessen Geburt so edel,
Du Zweig voll reifer Früchte, des edelsten Hauses Sproß,
Ich mahne dich an das Versprechen, das deine hohe Güte
Uns gab. Es sei doch ferne von dir, du sagest dich los!

Da fragte der Kalif: ,Wer bist du?' Sie antwortete: ,Ich bin die, die 'All ibn el-Fadl dir zum Geschenk gemacht hat, und ich sehne mich danach, daß du dein Versprechen, das du mir gegeben hast, erfüllen und mich zu ihm mit der Ehrengabe schicken möchtest; jetzt bin ich hier seit dreißig Tagen, ohne die Süße des Schlafes gekostet zu haben.' Da ließ der Kalif den Barmekiden Dscha'far zu sich entbieten und sagte zu ihm: ,Dscha'far, es sind dreißig Tage her, seit ich nichts von Nûr cd-Dîn 'All ibn el-Fadl gehört habe, und ich kann mir nichts anderes denken, als daß der Sultan ihn getötet hat; aber beim Leben meines Hauptes und bei den Gräbern meiner Väter und Almen, wenn ihm etwas Arges widerfahren ist, so will ich wahrlich den, der es veranlaßt hat, vernichten, und wäre er mir



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der teuerste von allen Menschen! Also wünsche ich, daß du aufbrechest nach Basra, noch in dieser Stunde, und mir Nachricht bringest von dem König Mohammed ibn Sulaimân ez-Zaini, wie er mit Nûr ed-Dîn 'All ibn el-Fadl verfahren ist.' Und er fügte noch hinzu: ,Wenn du dich auf dem Wege länger aufhältst, als nötig ist, so will ich dir den Kopf abschlagen. Und ferner erzähle meinem Herrn Vetter die ganze Geschichte des Nûr ed-Dîn 'All und wie ich ihn mit meinen schriftlichen Befehlen entsandte; und wenn du siehst, o mein Vetter, daß der König anders gehandelt hat, als ich befahl, so bringe ihn und seinen Wesir el-Mu'în ibn Sâwi her, wie auch immer du sie antriffst. Bleib nicht länger unterwegs, als nötig ist!' ,Ich höre und gehorche', erwiderte Dscha'far, und er machte sich augenblicks bereit und zog fort, bis er nach Basra kam. Dort hatte die Nachricht von seinem Kommen bereits den König Mohammed ibn Sulaimân Sulaimân ez-Zaini erreicht. Und als nun Dscha'far bei seiner Ankunft das wilde Gedränge des Volkes sah, da fragte er: ,Was hat dieser Trubel zu bedeuten?' Und man erzählte ihm, was mit Nûr ed-Dîn' Alî geschah. Als Dscha'far das hörte eilte er zum Sultan und grüßte ihn und meldete ihm, weshalb er komme und daß der Kalif, falls dem Jüngling Arges widerfahren wäre, den Schuldigen umbringen werde. Dann nahm er den König und den Wesir Mu'în ihn Sâwi in Haft und ließ sie bewachen; und nachdem er befohlen hatte, Nûr ed-Dîn loszulassen, setzte er ihn an Stelle des Mohammed ibn Sulaimân als Sultan auf den Thron. Dann blieb er noch drei Tage lang in Basra, die Zeit der Gastpflicht, und am Morgen des vierten Tages wandte Nûr cd-Dîn 'All sich an ihn und sprach: ,Mich verlangt nach dem Anblick des Beherrschers der Gläubigen.' Da sagte Dscha'far zu Mohammed ibn Sulaimân: ,Mache dich fertig zur Reise, denn wir wollen das Morgengebet verrichten



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und alsbald nach Baghdad ziehen'; der erwiderte: ,Ich höre und gehorche.' So beteten sie und ritten alle davon; und bei ihnen war auch der Wesir el-Mu'în ibn Sâwi, der zu bereuen begann, was er getan hatte. Nûr ed-Dîn ritt Dscha'far zur Seite, und sie zogen ohne Aufenthalt dahin, bis sie Baghdad, die Stätte des Friedens, erreichten. Darauf traten sie zu dem Kalifen ein und erzählten ihm die Geschichte des Nûr ed-Dîn, wie sie ihn am Rande des Todes getroffen hatten. Da nahte der Kalif sich dem Jüngling und sprach zu ihm: ,Nimm dies Schwert und triff mit ihm den Nacken deines Feindes.' Der nahm das Schwert aus seiner Hand und trat an el-Mu'în heran; aber der sah ihn an und sagte: ,Ich habe nach meiner Natur gehandelt, handle du nach deiner Natur!' Da warf Nûr ed-Dîn das Schwert aus der Hand, blickte den Kaufen an und sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, er hat mich mit seinen Worten entwaffnet'; und er sprach den Vers:

Ich überlistete ihn durch Schlauheit, als er kam;
Denn den edlen Mann überlistet ein kluges Wort.

,So laß ihn denn!' rief der Kalif; und er sprach zu Masrûr: ,Du, Masrûr, geh hin und schlag ihm den Kopf ab!' Da ging Masrûr hin und schlug ihm den Kopf ab. Dann sprach der Kalif zu Nûr cd-Dîn 'All: ,Erbitte dir eine Gnade von mir!' ,Mein Gebieter', erwiderte er, ,ich trachte nicht nach der Königswürde von Basra, ich sehe meine Ehre nur darin, dir zu dienen und dein Angesicht zu schauen.' ,Herzlich gern', sprach der Kalif. Dann ließ er Enis el-Dschelîs rufen, und als sie vor ihm stand, überhäufte er sie beide mit seiner Gunst und gab ihnen einen seiner Paläste in Baghdad und verlieh ihnen jährliche Einkünfte; den Nûr ed-Dîn 'All machte er zu einem seiner Tischgenossen, so daß er immer bei dem Beherrscher der Gläubigen blieb und das schönste Leben genoß, bis ihn der Tod ereilte.



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Und doch«, fuhr Schehrezâd fort, »ist diese Geschichte nicht wunderbarer als die Geschichte vom Kaufmann und seinen Kindern. «Der König fragte: »Wie ist die Geschichte? «Und Schehrezâd erzählte


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