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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Peter und Paul und Espen Aschenhans

Es war einmal ein Mann, der hatte drei Söhne, Peter und Paul und Espen Aschenhans; aber weiter als die drei Söhne hatte er auch nichts, denn er war so arm, daß er kein Hemd auf dem Leibe hatte, und deshalb sagte er oft und immer zu ihnen, sie sollten fort in die Welt gehen und zusehen, daß sie sich selber ihr Brot verdienten; denn zu Hause bei ihm würde es sowieso nichts anderes als den Hungertod geben.

Ein gutes Stück von seinem Häuschen entfernt lag das Königsschloß,



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und gerade vor den Fenstern des Königs war eine Eiche gewachsen, die war so groß und breit, daß sie das ganze Licht im Königsschloß wegnahm. Der König hatte demjenigen sehr viel Geld versprochen, der die Eiche fällen könnte; aber keiner war dazu imstande, denn sobald man nur einen Span vom Eichenbaum abgeschlagen hatte, wuchs gleich doppelt soviel wieder nach. Nun wollte der König auch einen Brunnen gegraben haben, der sollte das ganze Jahr Wasser geben; denn alle seine Nachbarn hatten einen Brunnen, nur er hatte keinen, und das, fand der König, sei doch eine Schande. Demjenigen, der einen solchen Brunnen graben konnte, daß er das ganze Jahr hindurch Wasser hielt, hatte der König Geld und andere Dinge versprochen. Es gab aber keinen, der es fertigkriegte, denn das Königsschloß lag hoch, hoch oben an einem Abhang, und kaum hatten sie ein paar Zoll tief in die Erde gegraben, da stießen sie auf den harten Felsen. Aber weil nun der König es sich in den Kopf gesetzt hatte, daß diese Arbeiten gemacht werden sollten, ließ er weit und breit auf allen Kirchplätzen ausrufen, daß derjenige, der die große Eiche auf dem Königshof fällen und ihm einen Brunnen verschaffen könnte, der das ganze Jahr hindurch Wasser hielt, die Königstochter und das halbe Reich dazu bekommen solle.

Es gab genug, die es versuchen wollten, das kann man sich denken; aber wie sie auch klopfen und hauen, wühlen und graben mochten, es half alles nichts; die Eiche wurde bei jedem Hieb immer dicker, und der Felsen wurde auch nicht weicher. Nach einiger Zeit wollten nun auch die drei Brüder los und ihr Glück versuchen. Damit war der Vater wohl zufrieden, denn bekämen sie nicht die Königstochter und das halbe Reich, so könnte es wohl sein, daß sie bei einem ehrbaren Manne in den Dienst kämen, dachte der Vater, und mehr wünschte er nicht. Als nun die Brüder andeuteten, daß sie zum Königshof wollten, sagte der Vater auf der Stelle ja, und Peter, Paul und Espen Aschenhans machten sich auf den Weg.

Als sie nun ein Stück gegangen waren, kamen sie an einen Waldabhang, und etwas weiter oben war ein steiler Hügel. Dort hörten sie etwas hauen und splittern oben auf dem Hügel.

»Ich bin wohl neugierig, was dort oben auf dem Hügel so haut«, sagte Espen Aschenhans.



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»Du bist immer so klug mit deiner Neugierde«, sagten der Peter und der Paul, »ist das ein Grund zum Wundern, daß dort auf dem Hügel ein Holzhacker steht und haut!«

»Es würde mir trotzdem Spaß machen zu sehen, was dort los ist«, sagte Espen Aschenhans und ging los.

»Nun ja, wenn du so ein Kind bist, dann wird es höchste Zeit, daß du laufen lernst!«riefen ihm die Brüder nach; aber Espen kümmerte sich nicht darum, sondern ging schnell den Berg hinauf, wo er das Hauen hörte, und als er dort ankam, sah er eine Axt, die dastand und ununterbrochen auf einen Kiefernstamm einhieb.

»Guten Tag!« sagte Espen Aschenhans, »was stehst du hier und haust?«

»Ja, nun stehe ich hier seit langer, langer Zeit und haue und warte auf dich«, antwortete die Axt.

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen; er nahm die Axt, schlug sie vom Schaft und steckte Axt und Schaft in seinen Schnappsack.

Als er wieder zu seinen Brüdern herunterkam, lachten sie und machten sich lustig über ihn. »Was hast du denn für Merkwürdiges oben auf dem Hügel gesehen?« sagten sie.

»Ach, es war nur eine Axt, die wir hörten«, sagte Espen.

Als sie wieder eine Weile gegangen waren, kamen sie an eine Felsenkuppe; dort hörten sie etwas hacken und graben. »Ich bin neugierig, was unter diesem Felsen hackt und gräbt?« sagte Espen Aschenhans. »Du bist immer so klug mit deiner Neugierde«, sagten Peter und Paul wieder, »hast du denn nie gehört, wie die Vögel an den Bäumen hacken und picken?«

»Ja, aber es würde mir doch Spaß machen, zu sehen, was es ist«, sagte Espen; und wie sie auch lachten und höhnten, er kümmerte sich nicht darum, sondern ging schnell zur Bergkuppe hinauf, und als er dort ankam, sah er eine Hacke dastehen und hacken und graben. »Guten Tag!« sagte Espen Aschenhans, »was stehst du hier und hackst und gräbst so ganz allein?«

»Ja, das tue ich«, sagte die Hacke, »nun stehe ich hier seit langer, langer Zeit und hacke und grabe und warte auf dich«, sagte sie.

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen wieder; er nahm die Hacke und



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schlug sie vom Stiel, steckte sie in seinen Schnappsack, und so rannte er wieder zu seinen Brüdern hinunter.

»Es war wohl etwas besonders Merkwürdiges, das du oben an der Felsenkuppe gesehen hast?« sagten der Peter und der Paul.

»Ach, es war nichts weiter, es war nur eine Hacke, die wir hörten«, sagte Espen.

Dann gingen sie wieder ein gutes Stück zusammen, bis sie an einen Bach kamen; Durst hatten sie nun alle drei, weil sie so weit gegangen waren, und so legten sie sich nieder, um zu trinken.

»Ich bin wirklich neugierig, wo dieses Wasser herkommt«, sagte Espen Aschenhans.

»Ich bin neugierig, ob du richtig im Kopf bist«, sagten der Peter und der Paul. »Wenn du nicht schon verrückt bist, wirst du wohl so lange neugierig sein, bis du es wirklich bist. Wo der Bach herkommt? Hast du denn nie gesehen, wie das Wasser aus der Erde quillt?«

»Ja, aber ich hätte trotzdem Lust zu sehen, wo es herkommt«, sagte Espen; damit ging er an dem Bach aufwärts, und wie die Brüder ihn auch riefen und über ihn lachten, so half das alles nichts, er ging weiter.

Als er weit hinaufgekommen war, wurde der Bach immer kleiner, und als er noch ein Stück weiter kam, sah er eine große Walnuß liegen, aus der sickerte das Wasser heraus.

»Guten Tag!« sagte Espen wieder, »was liegst du hier und sickerst und rieselst so ganz allein?«

»Ja, das tue ich«, sagte die Walnuß. »Hier liege ich seit langer, langer Zeit und sickere und riesele und warte auf dich.«

»Nun ja, hier bin ich«, sagte Espen; er nahm ein Moosbüschel und stopfte es in das Loch, so daß das Wasser nicht heraus konnte, und damit legte er die Walnuß in den Schnappsack und rannte wieder herunter zu seinen Brüdern.

»Nun hast du wohl gesehen, wo das Wasser herkommt; es sah wohl sehr merkwürdig aus, kann ich mir denken«, höhnten der Peter und der Paul.

»Ach, es war bloß ein Loch, wo es herauslief«, sagte Espen, und da lachten die anderen und machten sich lustig über ihn; aber Espen Aschenhans kümmerte sich nicht darum.



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Als sie noch ein Stück gegangen waren, kamen sie zum Königsschloß. Aber da nun alle im ganzen Königreich gehört hatten, daß sie die Prinzessin und das halbe Reich gewinnen konnten, falls sie die große Eiche fällen und dem König einen Brunnen graben könnten, waren so viel gekommen, die ihr Glück versucht hatten, daß die Eiche jetzt doppelt so groß und dick war wie am Anfang; denn es wuchs zweimal soviel an, wie mit der Axt abgeschlagen wurde, wie du dich wohl erinnerst. Deshalb hatte nun der König die Strafe ausgesetzt, daß diejenigen, die versuchten, die Eiche zu fällen und es nicht konnten, auf eine Insel gesetzt und ihnen beide Ohren abgeschnitten werden sollten.

Aber die beiden Brüder ließen sich dadurch nicht abschrecken, sie meinten, sie würden die Eiche schon herunterkriegen, und Peter, der der älteste war, sollte es zuerst versuchen. Aber es ging ihm genau wie allen anderen, die an der Eiche gehauen hatten; denn für jeden Span, den er abschlug, wuchs zweimal soviel wieder nach, und so nahmen die Leute des Königs ihn und schnitten ihm beide Ohren ab und setzten ihn auf die Insel. Nun wollte Paul sich daranmachen, aber es ging ihm genauso; als er zwei bis drei Hiebe getan hatte und die Leute des Königs sahen, wie die Eiche dicker wurde, nahmen sie ihn auch und setzten ihn auf die Insel und schnitten ihm die Ohren noch dichter ab, denn sie meinten, er habe wohl lernen können, etwas vorsichtiger zu sein.

Nun wollte Espen Aschenhans sich daranmachen.

»Wenn du unbedingt so aussehen willst wie ein gezeichnetes Schaf, können wir dir gerne sofort die Ohren abschneiden, dann sparst du dir die Mühe«, sagte der König; er war ihm böse wegen seiner Brüder.

»Ich könnte schon Spaß daran haben, mich trotzdem zuerst mal zu versuchen«, sagte Espen; und das mußten sie ihm erlauben.

Er nahm seine Axt aus dem Schnappsack und steckte sie wieder auf den Schaft. »Hau selber!« sagte Espen zur Axt, und die fing an zu hauen, daß die Späne nur so flogen, und da dauerte es nicht lang, bis die Eiche herunter war. Nachdem das getan war, nahm Espen die Hacke vor und steckte sie auf den Stiel. »Grabe selber!« sagte Espen, und die Hacke fing an zu graben und zu wühlen, daß Erde



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und Steine nur so herumstoben, und da mußte es mit dem Brunnen schon etwas werden, wie ihr euch vorstellen könnt. Als er ihn so groß und tief bekommen hatte, wie er ihn haben wollte, nahm Espen Aschenhans seine Walnuß hervor und legte sie in eine Ecke auf den Grund; dann nahm er das Moosbüschel wieder heraus. »Sickere und riesele!«sagte Espen, und die Nuß fing an zu rieseln, daß das Wasser nur so aus dem Loch strömte, und nach einer Weile war der Brunnen bis zum Rande gefüllt.

Nun hatte Espen Aschenhans die Eiche umgehauen, die vor dem Fenster des Königs das Licht wegnahm, und einen Brunnen auf dem Königshof gegraben, und da bekam er auch die Prinzessin und das halbe Reich, wie der König gesagt hatte; und gut war es für Peter und Paul, daß sie ihre Ohren verloren hatten, denn sonst hätten sie zu jeder Zeit und Stunde hören können, was alle Leute sagten, daß Espen Aschenhans doch nicht zu Unrecht so neugierig gewesen war.


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