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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Giske

Es war einmal ein Witwer, der hatte eine Haushälterin mit Namen Giske; sie wollte ihn gern zum Manne haben und bedrängte ihn ständig, daß er sie heiraten solle. Zuletzt hatte der Mann es so satt, daß er nicht wußte, was er anstellen solle, um sie loszuwerden.

Nun war es um die Zeit, da der Hanf reif war, die Heuernte war schon vorbei, und bald würde das Korn an die Reihe kommen. Zuerst sollte aber der Hanf gerupft werden. Giske meinte immer, sie sei sehr schön und auch-sehr tüchtig, und rupfte nun den Hanf so lange, bis ihr von dem strengen Geruch schwindlig wurde und sie umfiel. Da blieb sie nun auf dem Hanffeld in festem Schlaf liegen. Während sie schlief, kam der Mann mit einer Schere und schnitt ihr den Rock ab, dann schmierte er sie erst mit Talg und danach mit Ruß aus dem Schornstein ein, so daß sie schlimmer aussah als der Teufel selber.

Als Giske erwachte und sah, wie häßlich sie war, erkannte sie sich selbst nicht mehr wieder. »Bin ich es wirklich?«fragte sich Giske.

»Nein, ich kann es nicht sein, denn so häßlich bin ich doch nie gewesen, es muß der leibhaftige Teufel sein.«

Sie wollte wissen, wie das zusammenhing, ging hin und fragte ihren



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Hausherrn durch den Türspalt: »Ist eure Giske zu Hause, mein Herr?«

»Gott, ja, die Giske ist zu Hause«, sagte der Mann, denn er wollte sie gern loswerden.

>Ach, so kann ich also nicht die Giske sein<, dachte sie, und machte sich schleunigst davon, und der Mann war froh, daß sie fort war. Als sie ein Stück gegangen war, kam sie in einen großen Wald; dort begegneten ihr zwei Diebe. >Denen kann ich mich ja anschließen<, dachte Giske; >denn weil ich nun einmal der Teufel bin, ist eine Diebesbande wohl gerade die rechte Gesellschaft für mich.<

Die Diebe dachten aber nicht so. Als sie Giske erblickten, machten sie sich aus dem Staub, so schnell sie nur konnten, denn sie glaubten, der Böse selbst sei hinter ihnen her und wolle sie holen. Das half ihnen freilich nicht viel, denn Giske hatte lange Beine und war flink zu Fuß, und schon hatte sie die beiden eingeholt.

»Wollt ihr stehlen, dann gehe ich mit und helfe euch«, sagte Giske, »denn ich weiß hier gut Bescheid.«

Als die Diebe das hörten, meinten sie, das sei eine gute Gesellschaft und hatten gar keine Angst mehr.

Sie hätten vor, ein Schaf zu stehlen, sagten sie, sie wüßten aber nicht recht, wo sie eins fassen sollten.

»Ach, das ist doch nicht schwer«, sagte Giske; »denn ich habe bei einem Bauern dort hinten im Walde lange gedient und würde den Schafstall auch im Finstern leicht finden.«

Das fanden die Diebe vortrefflich; und als sie ans Ziel kamen, sollte Giske in den Schafstall gehen und das Schaf herauslangen, sie selber wollten es draußen in Empfang nehmen. Der Schafstall lag dicht bei der Stube, wo der Mann schlief, und Giske ging darum ziemlich still und vorsichtig in den Stall hinein; als sie aber erst drinnen war, rief sie zu den Dieben hinaus: »Wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf haben? Hier ist große Auswahl!«

»Scht, scht!« sagten die Diebe, »nimm nur was recht Fettes.«

»Ja, aber wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« schrie Giske.

»So schweig doch still!« sagten die Diebe, »nimm nur etwas recht Fettes, dann ist es einerlei, ob es ein Bock oder ein Mutterschaf ist.«



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»Ja, aber wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Wollt ihr einen Bock oder ein Mutterschaf? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« fuhr Giske hartnäckig fort.

»So halt doch dein Maul, und nimm nur was recht Fettes, sei es ein Bock oder ein Mutterschaf«, sagten die Diebe.

Indessen wurde der Mann in der Stube von dem Gebrüll wach und kam im bloßen Hemd heraus, um zu sehen, was los war. Die Diebe nahmen Reißaus, und Giske lief hinter ihnen her, wobei sie den Mann über den Haufen rannte.

»Wartet doch, Kerle! Wartet doch, Kerle!« schrie sie.

Der Mann, der nichts weiter als das schwarze Biest gesehen hatte, erschrak derart, daß er fast nicht wieder aufzustehen wagte, denn er glaubte, der Teufel selber sei im Schafstall gewesen. Er wußte sich keinen anderen Rat mehr, ging ins Haus, weckte alle seine Leute und fing mit ihnen an, in der Schrift zu lesen und zu beten, denn er hatte gehört, daß man so den Teufel austreiben könne.

Der nächste Abend kam. Die Diebe wollten nun eine fette Gans stehlen, und Giske sollte ihnen den Weg zeigen. Als sie zum Gänsestall kamen, sollte Giske hineingehen und herausreichen, denn sie wußte Bescheid, und die Diebe wollten die Gans in Empfang nehmen.

»Wollt ihr eine Gans oder einen Gänserich? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« schrie Giske, als sie in den Gänsestall gekommen war. »Scht, seht! Nimm nur ein recht schweres Ding!« sagten die Diebe.

»Ja, aber wollt ihr eine Gans oder einen Gänserich? Hier ist alles in Hülle und Fülle!« rief Giske.

»Still, still! Nimm nur ein recht schweres Ding, dann ist es einerlei, ob es eine Gans oder ein Gänserich ist; und halt deine Schnauze!« sagten sie.

Während nun Giske und die Diebe hin und her schimpften, fing eine von den Gänsen an zu schreien, dann noch eine, und bald schrien sie alle aus vollem Halse. Der Mann kam herausgeeilt, um zu sehen, was los war; die Diebe liefen auf und davon, so schnell sie nur konnten, und Giske raste hinter ihnen her, so daß der Bauer glaubte, es sei der schwarze Teufel selber; denn langbeinig war sie, und sie wurde durch keinen Rock aufgehalten.



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»Wartet doch ein bißchen, Kerle!«schrie Giske, »ihr könnt ja haben, was ihr wollt, eine Gans oder einen Gänserich.«

Sie hatten es aber zu eilig; und auf dem Hof, wo sie gewesen waren, fingen die Leute an zu beten, groß und klein, denn sie alle meinten bestimmt, der Teufel sei dagewesen.

Am dritten Tag, als es spät wurde, waren die Diebe und Giske so hungrig, daß sie sich nicht zu helfen wußten. Sie kamen auf den Gedanken, ins Vorratshaus eines reichen Bauern zu gehen, der am Waldrand wohnte, und sich dort etwas zu essen zu stehlen. Sie gingen also hin; aber weil die Diebe es nicht wagten, sollte Giske in das Vorratshaus steigen, und sie wollten draußen stehen und die Eßwaren in Empfang nehmen.

Als nun Giske hinaufkam, war da reichlich Auswahl, Fleisch und Speck und Wurst und Erbsenbrot. Die Diebe hießen sie still sein und sagten, sie solle nur etwas zu essen herauswerfen; denn sie wüßte wohl gut, wie es ihnen an den beiden vorigen Abenden ergangen wäre. Aber Giske war immer noch dieselbe: »Wollt ihr Fleisch oder Speck oder Wurst oder Erbsenbrot?« schrie sie, daß es nur so schallte, »ihr könnt haben, was ihr wollt, denn hier ist alles in Hülle und Fülle, in Hülle und Fülle!«

Durch diesen Lärm war der Mann auf dem Hofe wach geworden, und kam nun heraus, um zu sehen, was los war. Die Diebe liefen davon, so schnell sie konnten. Auf einmal kam auch Giske in großen Sprüngen dahergerannt, genauso schwarz und scheußlich wie vorher. »Wartet doch, wartet doch, Kerle!«schrie sie, »ihr könnt haben, was ihr wollt, denn hier ist alles in Hülle und Fülle!« Als der Mann das garstige Ungeheuer sah, glaubte er ebenfalls, der Teufel sei los, denn er hatte schon gehört, was an den beiden vorigen Abenden geschehen war. Er fing an zu beten, und dasselbe taten sie auf allen Höfen in der ganzen Gegend, denn sie wußten, daß man so den Teufel austreiben konnte.

Am Samstagabend wollten die Diebe einen fetten Ziegenbock als Festmahl für den Sonntag stehlen, und sie mußten es wohl auch nötig haben, denn sie hatten nun schon seit mehreren Tagen gehungert. Diesmal wollten sie aber nicht Giske mitnehmen; sie mache nur Lärm und richte Unheil an mit ihrem Maulwerk, sagten sie.



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Während nun Giske am Sonntagmorgen auf sie wartete, bekam sie selber einen entsetzlichen Hunger; denn drei Tage lang hatte auch sie wenig zu beißen gehabt. Darum ging sie auf ein Rübenfeld, zog einige Rüben aus und aß sie auf.

Als der Bauer, dem das Rübenfeld gehörte, aufgestanden war, fühlte er sich unruhig und mußte unbedingt rasch hinaus, um nach seinem Rübenfeld zu sehen, obwohl es doch Sonntag war. Also zog er seine Hose an und ging auf das Moor zu, das kurz vor dem höher gelegenen Rübenfeld lag. Als er so weit gekommen war, sah er etwas Schwarzes, das in seinem Rübenfeld herumwühlte, und sofort glaubte er auch, es sei der Teufel. Er sah zu, daß er nach Hause kam, so rasch er nur konnte, und erzählte, der Teufel sei in dem Rübenfeld. Die Leute auf dem Hof wurden fast von Sinnen, als sie das hörten; sie meinten aber, es sei das beste, nach dem Pfarrer zu schicken, damit er den Teufel binden könne.

»Nein, das geht nicht an«, sagte die Frau, »heute, am Sonntagmorgen, zum Pfarrer zu gehen; er steht nicht so früh auf, und wenn er schon auf ist, muß er seine Predigt studieren.«

»Oh, ich verspreche ihm einen fetten Mastkalbsbraten, dann wird er schon kommen«, meinte der Mann.

Er machte sich auf den Weg zum Pfarrhof; aber als er dort ankam, war der Pfarrer noch nicht aufgestanden. Das Dienstmädchen hieß nun den Mann in die Stube eintreten und ging hinauf zum Pfarrer und sagte, der Bauer warte unten und wolle ihn sprechen. Als der Pfarrer hörte, daß ein so achtbarer Mann unten in der Stube saß, zog er sich eilends die Hose an und kam sofort in Pantoffeln und Nachtmütze nach unten.

Der Mann trug ihm sein Anliegen vor, daß der Teufel in seinem Rübenfeld los sei. Wenn nun der Pfarrer mitkommen wolle, würde er ihm gern einen fetten Mastkalbsbraten schicken.

Der Pfarrer war gar nicht abgeneigt, rief seinen Knecht und bat ihn, dem Pferd den Sattel aufzulegen, während er sich ankleidete.

»Nein, Hochwürden, das geht nicht«, sagte der Mann, »denn der Teufel hält sich wohl nicht lange auf, und wenn er erst einmal los ist, kann schwer einer wissen, wo man ihn später suchen soll. Du wirst schon auf der Stelle mitkommen müssen.«



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Der Pfarrer kam also mit, wie er ging und stand, mit Nachtmütze und Pantoffeln an. Als sie aber zum Moor kamen, war es so sumpfig, daß der Pfarrer in seinen Pantoffeln nicht hinübergehen konnte. Da nahm der Mann ihn auf den Rücken und wollte ihn hinübertragen. Zuerst trat er ganz vorsichtig auf Äste und Baumwurzeln; als sie aber bis in die Mitte gekommen waren, bemerkte Giske die beiden und dachte, es seien die Diebe, die mit dem Bock kämen.

»Ist er fett? Ist er fett? Ist er fett?« schrie sie, daß es im Walde nur so hallte.

»Weiß der Teufel, ob er fett oder mager ist«, sagte der Mann, wie er das hörte, »willst du es aber genau wissen, kannst du selbst kommen und urteilen«, sagte er; vor Schrecken warf er den Pfarrer mitten in die Moorbrühe hinein und lief davon. Und wenn der Pfarrer nicht wieder herausgekommen ist, liegt er wohl sicher noch dort.


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