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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Der große und der kleine Peter

Es waren einmal zwei Brüder, die hießen beide Peter. Der ältere wurde der große Peter genannt, und der jüngere der kleine Peter. Nach dem Tode des Vaters übernahm der große Peter den Hof und nahm sich eine reiche Frau. Der kleine Peter aber blieb daheim bei seiner Mutter und lebte von deren Leibgeding, bis er mündig wurde. Als er dann soweit war, wurde ihm sein Erbteil ausgezahlt, und der große Peter sagte ihm, er dürfe nun nicht länger mehr auf dem Hofe sein und aus der Tasche seiner Mutter leben. Es wäre richtiger, wenn er in die Welt hinausginge und irgendwo eine Arbeit annähme.

Das leuchtete dem kleinen Peter auch ein; er kaufte sich ein schönes Pferd und eine Fuhre voll guter Fettigkeiten und zog damit in die Stadt, und für das Geld, das er daraus löste, kaufte er Branntwein und andere Getränke. Kaum war er wieder zu Hause, so richtete er eine große Gasterei aus und bewirtete und traktierte Verwandte und Bekannte, und die bewirteten und traktierten ihn von sich aus wieder. So lebte er in Saus und Braus, solange sein Geld reichte. Als aber das Geld alle war und der kleine Peter auf dem trockenen saß, ging er einfach wieder zu seiner alten Mutter. Er besaß nichts mehr als ein Kalb.

Im Frühjahr führte er das Kalb zur Weide, auf die Wiese des großen Peter. Der aber ärgerte sich darüber und schlug das Kalb tot. Der kleine Peter zog ihm die Haut ab, hing diese in der Badestube auf, daß sie richtig trocknete, rollte sie dann zusammen, steckte sie in einen Sack und ging damit im Ort herum, um sie so zu verkaufen. Wo er aber damit hinkam, lachten ihn die Leute aus und sagten ihm, daß sie keine geräucherte Kalbshaut brauchen könnten. Als er weit gewandert war, kam er gegen Abend an einen Hof. Er ging hinein und erbat Unterkunft für eine Nacht.



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»Nein, ich kann dich nicht hereinlassen«, sagte die Bäuerin, »mein Mann ist auf die Alp gegangen, und ich bin alleine zu Hause. Du mußt schon versuchen, im nächsten Hofe unterzukommen; wenn dir das nicht gelingt, kannst du wieder herkommen, denn über Nacht sollst du nicht im Freien bleiben.«

Als Peter am Fenster der guten Stube vorbeiging, sah er, daß ein Priester in der Stube saß, mit dem die Frau wohl besonders einig zu sein schien, denn sie bewirtete ihn mit Bier und Branntwein und setzte ihm eine große Schüssel mit Rahmgrütze vor. Als der Priester mitten beim Essen und Trinken war, kam der Bauer nach Hause. Die Frau hörte ihn aber im Hausgang und zeigte sich schlau -sie stellte die Schüssel mit Grütze unter die Ofenbank, Bier und Branntwein in den Keller und versteckte den Priester in einer großen Kiste. Während das geschah, stand der kleine Peter draußen und sah alles. Als aber der Mann eingetreten war, ging auch er ins Haus und bat um Unterkunft. »Ja«, sagte der Mann, »du kannst hier übernachten«, und er hieß ihn, an den Tisch zu kommen und zu essen. Der kleine Peter setzte sich an den Tisch, nahm die Kalbshaut mit und legte sie unter seine Füße.

Als sie eine Weile dasaßen, fing er an, der Haut Tritte zu versetzen. »Was sagst du jetzt schon wieder? Kannst du nicht stillschweigen?« sagte der kleine Peter. — »Mit wem redest du denn?« fragte der Mann. »Ach, das ist eine Wahrsagerin, ich habe sie in der Kaibshaut«, gab Peter zur Antwort. »Was sagt sie denn?«wollte der Mann wissen. »Sie sagt, es stehe wohl eine Schüssel Rahmgrütze unter der Ofenbank«, sagte der kleine Peter. »Mit ihrer Wahrsagekunst ist es nicht weit her«, meinte der Mann, »hier ist seit Jahr und Tag keine Rahmgrütze mehr im Hause gewesen.« Aber Peter sagte, er möge doch nachsehen; das tat der Mann, und da fand er die Rahmgrütze. Nun fingen sie an, sich daran gütlich zu tun, und als sie mitten im Essen waren, gab Peter der Kalbshaut wieder einen Tritt. »Bst«, sagte er, »kannst du denn gar nicht den Mund halten?« — »Was sagt die Wahrsagerin denn?«fragte der Mann. »Sie sagt, es stehe wahrscheinlich Bier und Branntwein unter der Kellertreppe«, gab Peter zur Antwort. »Und wenn sie noch niemals falsch prophezeit hat - diesmal stimmt's sicher nicht«, sagte der Mann, »Bier und Branntwein?



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Das haben wir überhaupt nie im Haus gehabt.« — »Sieh nur nach!« sagte Peter. Der Mann tat es, fand die Getränke und freute sich sehr darüber.

»Wie hoch hast du die Wahrsagerin bezahlt? Die möchte ich haben, du magst verlangen dafür, was du willst!« sagte der Mann. »Ich habe sie von meinem Vater geerbt und nicht für besonders wertvoll gehalten«, gab Peter zurück. »Freilich habe ich keine große Lust, sie herzugeben, aber schließlich kannst du sie haben, wenn du mir die alte Kiste geben willst, die da in der guten Stube steht.« —»Aber der Schlüssel dazu ist verloren!« schrie die Bäuerin. »Ich nehme sie auch ohne Schlüssel«, meinte Peter; und er einigte sich mit dem Bauern rasch über den Handel. Peter bekam einen Strick statt des Schlüssels, und der Mann half ihm noch die Kiste auf den Rücken laden. Dann trottete er mit ihr davon. Als

er eine Weile gegangen war, kam er auf eine Brücke; darunter lief ein reißender Strom, der schäumte, gurgelte und toste, daß die Brücke nur so bebte. »Der Branntwein! Der Branntwein!« sagte Peter. »Ich merke schon, ich habe davon zu reichlich genommen! Warum sollte ich denn die Kiste hinter mir herschleppen? Wäre ich nicht betrunken und närrisch gewesen, hätte ich sie gewiß nicht gegen die Wahrsagerin eingetauscht. Jetzt die Kiste in den Fluß, und zwar schnell!«Er fing an, den Strick loszumachen. »O weh, laß mich um Gottes willen heraus! Ich bin der Priester vom hiesigen Pfarrhof, den du in deiner Kiste hast«, schrie der in der Kiste. »Das wird wohl der Teufel selber sein, der mir weismachen will, er sei Priester geworden«, sagte der kleine Peter, »aber ob er sich nun als Priester oder Küster ausgibt, in den Fluß muß er doch!«

Darauf rief der Priester: »Ach nein, ach nein, ich bin wirklich der Gemeindepriester, ich war zur Seelsorge bei der Bäuerin. Der Bauer ist böse und wild, drum mußte sie mich in der Kiste verstecken. Ich habe eine silberne Uhr bei mir und eine goldene Uhr, die sollst du haben und achthundert Taler dazu. Laß mich bloß heraus!« Darauf meinte Peter: »Nein, nein, seid ihr es wirklich?«Er nahm einen Stein und schlug den Deckel der Kiste in Stücke, der Priester kroch heraus, rannte eilig und leichtfüßig heim nach dem Pfarrhof, denn seine Uhren und sein Geld drückten ihn nun nicht länger.



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Der kleine Peter ging nun selber auch nach Hause und sagte zum großen Peter: »Heute stehen die Kalbshäute hoch im Preis auf dem Markt.« —»Was hast du denn für das jämmerliche Fell bekommen?« fragte der große Peter. »Gerade so jämmerlich, wie es war«, sagte der kleine Peter darauf, »habe ich achthundert Taler dafür bekommen; aber die Haut von größeren und fetteren Kälbern gilt das Doppelte«, sagte der kleine Peter und zeigte das Gold vor. »Das ist schön, daß du mir das sagst«, sagte der große Peter. Er brachte alle seine Kälber und Kühe um und ging mit den Fellen in die Stadt. Als er auf den Markt kam und die Gerber ihn fragten, was er für die Felle wollte, sagte er: »Achthundert für die kleinen und für die großen im Verhältnis mehr.«Aber die Leute lachten nur, hielten ihn zum Narren und sagten, er brauche es nicht gerade so anzufangen, er könne auch billiger ins Tollhaus kommen; da merkte er, wie alles gelaufen war und daß der kleine Peter ihm einen Streich gespielt hatte. Als

er wieder nach Hause kam, war er wenig froh, sondern schwor und fluchte, er wolle in der Nacht den kleinen Peter umbringen. Der kleine Peter stand da, hörte alles, und als er sich mit seiner Mutter ins Bett gelegt hatte und es Abend wurde, bat er seine Mutter, ihm ihren Platz zu lassen, er friere so sehr und an der Wand sei es wärmer. Die Mutter tauschte den Platz. Bald darauf kam der große Peter mit einem Beil in der Hand, schlich sich zu dem Bette hin und hieb mit einem Schlag der Mutter den Kopf ab. Am

folgenden Morgen ging der kleine Peter zum großen Peter hinein. »Gott tröste und bessere dich, du hast unsere Mutter umgebracht«, sagte er, »der Henker wird es nicht richtig finden, daß du ihr auf diese Art das Leibgedinge auszahlst. Da bekam es der große Peter gewaltig mit der Angst und bat den kleinen Peter, er solle um Gottes willen nichts sagen. Wenn er aber stillschweigen wolle, bekäme er achthundert Taler. Der kleine Peter strich das Geld ein, setzte seiner Mutter den Kopf wieder an, legte sie auf einen Karren und fuhr mit ihr auf den Markt. Dort setzte er sie hin und gab ihr einen Korb mit Äpfeln an jeden Arm und einen Apfel in jede Hand. Ein Schiffer kam des Weges daher, der hielt sie für eine Marktfrau und fragte, was die Äpfel kosten sollten. Aber die Alte gab keine



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Antwort. Der Schiffer fragte noch einmal. Sie gab wieder keine Antwort. »Wieviel Apfel bekomme ich für den Schilling?« schrie er zum drittenmal, aber die Frau saß da, als ob sie ihn nicht sehe und höre. Da geriet der Schiffer in Zorn und gab ihr eine Ohrfeige, daß ihr der Kopf über den Markt rollte. In dem Augenblick kam der kleine Peter gerannt; er jammerte und drohte dem Schiffer, er werde ihn ins Unglück bringen, weil er ihm seine alte Mutter umgebracht habe. »Lieber Freund, sei nur still und sag nicht, was du weißt, dann will ich dir achthundert Taler geben«, sagte der Schiffer, und so wurden sie einig.

Als der kleine Peter wieder nach Hause kam, sagte er zum großen Peter: »Alte Weiber stehen heute hoch im Preis auf dem Markt; ich habe für unsere Mutter achthundert Taler bekommen«, und er zeigte ihm das Geld. »Das ist recht, daß du mich das wissen läßt«, sagte der große Peter. Er hatte eine alte Schwiegermutter, die brachte er um und zog aus, um sie zu verkaufen. Aber als die Leute hörten, daß er eine Tote feilbot, wollten sie ihn ins Gefängnis stecken, und er konnte nur mit genauer Not entkommen. Als der große Peter nun wieder nach Hause kam, war er derart voller Wut auf den kleinen Peter, daß er drohte, ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit sofort auf der Stelle umzubringen. »Ja, ja, diesen Weg müssen wir ja alle gehen, und zwischen heute und morgen ist nur die Nacht. Aber wenn ich jetzt dran glauben muß, habe ich nur noch eine Bitte an dich: steck mich in den Sack, der hier hängt, und trag mich an den Fluß!« sagte der kleine Peter, und der große hatte nichts dagegen. Er stopfte ihn in den Sack und machte sich so auf den Weg. Aber als er kaum ein kleines Stück gegangen war, fiel ihm ein, daß er etwas vergessen hatte, das er rasch noch holen wollte. Inzwischen stellte er den Sack an den Straßenrand. Da kam ein Mann des Wegs mit einer großen ansehnlichen Schafherde.

»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«

rief da der kleine Peter im Sack, und die ganze Zeit über summte und brummte er diese Worte weiter. »Darf ich nicht auch mit?«fragte



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ihn der mit der Schafherde. »Ja, wenn du den Sack aufbinden und statt meiner selbst hineinkriechen willst, dann kannst du auch hinkommen«, antwortete der kleine Peter, »ich kann gut warten auf ein andermal. Aber du mußt immer rufen, wie ich gerufen habe, sonst kommst du nicht an den rechten Ort!«Der Mann band den Sack auf und setzte sich an die Stelle des kleinen Peters. Peter band den Sack wieder zu, und der Mann fing an zu rufen:

»Ins Himmelreich! Ins Paradies!
Ins Himmelreich! Ins Paradies!«


***
und sagte immerzu den Spruch vor sich hin. Nachdem Peter ihn glücklich im Sack untergebracht hatte, zog er rasch mit der Herde davon und machte einen weiten Umweg.

Indessen kam der große Peter wieder, nahm den Sack auf den Rücken und trug ihn an den Fluß, und während er ging, saß der Schafbauer drinnen und rief immerzu:

»Ins Himmelreich! Ins Paradies!«


***
»Ja, ja, versuch nur selber, ob du den Weg findest!« sagte der große Peter und warf ihn ins Wasser.

Nachdem der große Peter das getan hatte und wieder heimwärts ging, kam ihm sein kleiner Bruder entgegen, der die Schafherde vor sich hertrieb. Der große Peter wunderte sich sehr und fragte, wie denn der kleine Peter wieder aus dem Fluß herausgekommen sei und wo er die schöne Schafherde aufgelesen habe. »Das war ein brüderlicher Freundschaftsdienst von dir, daß du mich ins Wasser geworfen hast«, sagte darauf der kleine Peter. »Ich bin gleich auf den Grund gesunken wie ein Stein, und da sah ich viele Schafherden, das kannst du mir glauben. Da drunten gehen sie zu Tausenden, die eine Herde schöner als die andere. Und hier kannst du gleich sehen: prächtige Wolle haben sie!« Der große Peter antwortete ihm: »Das ist schön von dir, daß du mir das erzählst«; er lief heim zu seiner Frau, nahm sie mit ans Ufer des Flusses, kroch in einen Sack und ließ sie den Sack eiligst zubinden und über eine Brücke ins Wasser werfen. »Ich will



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eine Schafherde holen; aber sollte ich zu lange da unten bleiben, so ist es nur, weil ich mit der Herde nicht zurechtkomme. Dann mußt du auch ins Wasser springen und mir helfen«, sagte der große Peter.

»Ja, bleib nur nicht so lange aus, ich warte so sehr auf die Schafe«, gab die Frau zur Antwort. Sie blieb stehen und wartete eine Weile, aber schließlich dachte sie, ihr Mann könne wohl die Schafherde nicht richtig zusammentreiben, und sprang selbst auch ins Wasser. Nun war der kleine Peter sie alle los, erbte Haus und Hof, Pferde und Einrichtung und hatte selber Geld genug, um sich Rinder dazuzukaufen.


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