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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Die Schlange

Es war einmal ein alter Mann, der wohnte in einem Wald und hatte kein Brennholz mehr. Nur noch die alten faulen Bäume blieben ihm zum Umhauen. Eines Tages nun stand seine alte Frau vor der Hütte



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und spaltete das faule Holz klein. Da kroch eine junge Schlange heraus. >Ach<, sagte die Frau zu sich selber, >seht nur das stumme Getier an, das da am Boden kriecht; das kann Junge haben, und wir Menschen können keine Kinder bekommen!< Da sagte die Schlange: »Wenn ihr so gern Kinder haben wollt, nehmt doch mich und zieht mich auf!« — »Was!« schrie die Frau, »du kannst reden?« Dann ging sie mit der Schlange in ihre Stube und richtete ihr unterm Ofen eine Lagerstatt. Da kam der Mann nach Hause. Die Frau erzählte ihm, daß eine kleine Schlange aus dem Baum herausgekrochen sei und schließlich gesagt habe, sie möchten sie aufziehen. Also behielten sie sie unterm Ofen, bis sie sieben Jahre alt war. Da kam ihr der Gedanke, daß sie heiraten wolle. Da sagte der Mann: »Nun, da muß ich wohl sehen, daß ich draußen im Walde eine Schlangenfrau für dich finde.« Die Schlange sagte: »Nein, Pflegevater, ich will keine Schlange, ich will eine Prinzessin haben! Will der Pflegevater morgen zeitig gehen und mir die Prinzessin holen?« —»Nein, das getraue ich mir nicht«, sagte der Pflegevater, »denn ich habe Angst, der König könnte mich ins Gefängnis werfen.« Die Schlange sagte, er könne getrost gehen, wenn er es nur richtig anfinge. Also ging er denn hinauf ins Schloß und fiel auf der Treppe auf die Knie. Dann kam er in ein Gemach, und da fiel er wieder auf die Knie und bat, der König möge ihn nicht strafen, wenn er eine Bitte vor ihn brächte. Der König sagte: »Rede nur frei heraus! Es soll dir nichts geschehen?« Da sagte der Mann: »Ich habe eine Schlange unter meinem Kachelofen, die habe ich jetzt schon seit sieben Jahren; und die möchte nun gerne heiraten und verlangt die Prinzessin zur Frau.« — »Ja«, sagte der König, »wenn sie es fertigbringt, daß alle meine Obstbäume im Garten goldene Äpfel und silberne Äpfel und goldene Blätter und silberne Blätter tragen, dann kann sie die Prinzessin bekommen.«

Als der Mann heimkam, fragte die Schlange: »Wie ist es gegangen, Pflegevater?« Da sagte er: »Du sollst machen, daß alle seine Obstbäume in seinem Garten goldene Äpfel und silberne Äpfel und goldene Blätter und silberne Blätter tragen.« — »Das kann ich leicht, Pflegevater!« sagte die Schlange, »jetzt müßt Ihr hinausgehen und alle Arten Obststeine, Zwetschgensteine, Kirschensteine und alle



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anderen in Euer kleines Körbchen sammeln. Am Abend geht Ihr dann hinauf in den Garten und werft in jeden Baum eine Handvoll davon, so lange, bis Ihr bei allen Bäumen gewesen seid. Wenn Ihr dann an die Gartentür kommt, so schaut Euch um und seht, was daraus geworden ist.« Als er dann an die Tür kam und sich umschaute, sah es aus, als ob alle Bäume im Feuer stünden: sie waren von purem Gold.

Am nächsten Tag ging der Mann frühmorgens zum König und fragte, ob er seinen Garten gesehen habe. Der König sagte, er habe ihn gesehen, und die Schlange habe seine Tochter wohl verdient, aber sie müsse noch eine Probe bestehen, nämlich alle seine Gartenbänke und alle seine Gartenwege mit Perlen und Edelsteinen auslegen. Als der Mann heimkam, fragte die Schlange: »Wie ist es gegangen, Pflegevater?« Er antwortete: »Du sollst alle seine Gartenbänke und alle seine Gartenwege mit Perlen und Edelsteinen auslegen. Wie fangen wir denn das an?«

Die Schlange sagte: »Ach, das können wir ganz leicht machen, Pflegevater! Ihr müßt ausgehen, aller Art Scherben sammeln und sie ganz klein schlagen und am Abend in Euern kleinen Korb tun, und wenn alles dunkel ist, müßt Ihr ins Schloß gehen und die Scherben rundum werfen, auf die Bänke, auf die Wege und überall hin. Wenn Ihr dann aus dem Garten geht, so müßt Ihr Euch umschauen, wie schön es geworden ist.« —Als er heimkam, fragte die Schlange, ob er etwas gesehen habe. Er antwortete, ja, alles sei wie vergoldet gewesen, die Wege und die Bänke. Da sagte die Schlange: »Wollt Ihr nun morgen in aller Frühe aufs Schloß gehen und den König fragen, ob er mir jetzt seine Tochter geben will?«

Am Morgen in aller Frühe ging er hinauf und fragte den König: »Habt Ihr Euren Garten gesehen?« Er antwortete: »Ja, ich hab ihn gesehen, und die Schlange hat wohl meine Tochter verdient, aber sie muß noch eine Probe bestehen, sie soll mein ganzes Schloß vergolden.« Da ging der Mann wieder heim zu der Schlange. »Nun, was sagt der König jetzt?«fragte sie. »Er sagt, du bist noch nicht am Ende: du sollst ihm sein ganzes Schloß vergolden.« — »Das können wir ja leicht tun«, sagte die Schlange. »Der Pflegevater braucht nur in den Wald zu gehen und allerlei Grün zu holen, das sich in ein



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Bündel binden läßt. Dann nehmt Ihr das in Eurem Korb, geht hinauf ins Schloß und reibt mit dem Bündel die Wände ab, so weit Ihr reichen könnt. Bevor Ihr dann zur Tür hinausgeht, seht Ihr Euch um.« Da war das ganze Schloß wie vergoldet. — Da sagte die Schlange zu ihrem Pflegevater: »Wollt Ihr jetzt hinaufgehen und fragen, ob der König mir jetzt seine Tochter geben will?« Da sagte der König: »Ja, sie hat es verdient, nun soll sie sie auch haben.«

Da ging der Pflegevater heim zu der Schlange und sagte zu ihr: »Jetzt bekommst du die Prinzessin, nun kannst du hinauf ins Schloß kriechen.« Aber die Schlange sagte, nein, sie wolle im Wagen fahren, und der Pflegevater mußte in die Stadt gehen und einen Wagen auf den und den Tag bestellen und mit der Schlange aufs Schloß fahren.

Als sie durch die Straßen fuhren, waren alle Leute neugierig, rannten auf die Straße und wollten die Schlange sehen. Aber als sie sie sahen, bekamen sie solche Angst, daß sie wieder in ihre Häuser liefen und nicht mehr hinzusehen wagten. Sie kamen vor dem Schloß an, die Schlange drückte die Wagentür auf und kroch auf die Treppe zu. Da standen Vater und Mutter am Fenster und sahen das greuliche Tier. Und sie riefen ihrer Tochter zu: »Nimm dich in acht! Sonst frißt sie dich!«Sie sagte, nein, die Schlange habe sie teuer verdient. Da rannten die Eltern hinaus in ein anderes Gemach und schlossen die Tür hinter sich zu. Aber die Tochter blieb ganz allein im Saal stehen. Die Schlange kam herangekrochen und glitt an ihr hinauf, über die Füße und über die Beine und kam mit dem Mund bis hinauf zu ihrem Gesicht. Und da fiel auf einmal die Schlangenhaut von ihr ab, der schönste Prinz stand da. Sie umarmte ihn voller Freude und war außer sich vor Glück. Er berichtete, aus welchem Königreich er sei, und welches Königs Sohn und auf welchem Wege man dahin käme.

Wie sie nun so dastanden und lachten und vergnügt waren, dachten Vater und Mutter, es sei offenbar doch keine Gefahr dabei, da sie Lachen hörten. Da machten sie die Tür auf und kamen herein, Vater und Mutter, und sahen den schönen Prinzen, der vor ihren Augen stand. Da waren sie voller Freude. Der Vater sah die Schlangenhaut, die auf der Erde lag, warf sie ins Feuer und verbrannte sie. Auf einmal schaute der Prinz zu Boden, und da war seine Schlangenhaut weg. Da sagte er: »Wo ist meine Schlangenhaut geblieben?« Der Vater



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sagte: »Die habe ich verbrannt.« Da sagte der Prinz: »Nun bin ich wieder im Unglück.« Denn die Haut hätte er jenen geben müssen, die ihm geholfen hatten. Da aber die Haut nun verbrannt war, hatte er diesen nichts zu geben und wurde wieder in alle möglichen Tiergestalten verwandelt. Zuletzt wurde er eine Taube. Da flog er nun im Saal herum und konnte nicht hinaus, weil Fenster und Türen geschlossen waren. Er flog an ein Fenster, stieß die Scheibe ein und kam durch das Loch ins Freie. Aber das zerbrochene Glas war scharf und schnitt scharfe Wunden in seinen Kopf.

Wie er draußen war, flog er nach Hause in das Schloß seines Vaters. Dort lag er im Bett und war so krank und schwach, daß man Ärzte zu ihm holte, aber keiner konnte ihn heilen. Elend lag er und in Schmerzen, und niemand konnte ihm helfen.

Daran dachte die Prinzessin und war sehr unglücklich, daß sie ihn auf diese Weise verlieren sollte. Da fiel ihr ein: >Kannst du denn nicht zu ihm reisen?< Am Abend, als alles ruhig und stille war, nahm sie ihr ganzes Gold und wollte zu ihm wandern. Sie hatte auch ein kleines Riechfläschchen mit ein wenig feiner Essenz darin, das nahm sie mit, um daran zu riechen, wenn es ihr schlecht werden sollte. Sie hatte das kleine Päckchen unterm Arm und schlich sich in den Wald hinunter. Als sie in den Wald kam, begegnete sie einem Fuchs. Der sagte zu ihr: »Wo willst du hin?« Sie sagte, sie wolle da und da hin, in das Königsschloß zu dem Prinzen, sie habe gehört, daß er krank wäre. Und sie fragte den Fuchs: »Willst du mir den Weg zeigen?« —denn sie war fremd und kannte den Weg nicht. Da ging der Fuchs mit ihr und ging voraus. Sie gingen immer weiter, bis sie an eine grüne Lichtung kamen, durch die ein Bächlein floß. Da sagte der Fuchs: »Hier mußt du dich niederlegen und von diesem Wasser trinken« — denn das war ein heilkräftiges Wasser, von dem man frisch wurde, und die Prinzessin war sehr erschöpft von der Wanderung.

Der Fuchs fragte sie, ob sie den schönen Vogelgesang höre, der in der Nacht im Walde erschalle. Sie sagte ja. Da fragte der Fuchs wieder: »Aber du verstehst nicht, was die Vögel singen?« — »Nein«, sagte sie, das wisse sie nicht. »Sie singen: Wenn man dem Prinzen, der jetzt krank liegt, den Kopf mit ihrem Blut einreibt, so wird er



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wieder gesund.« — »Kannst du mir nicht solches Vogelblut beschaffen?« fragte sie den Fuchs. »Was willst du mir geben, wenn ich es dir verschaffe?«sagte der Fuchs. »Ich will dir den ganzen Pack Gold geben, den ich hier bei mir habe, wenn du mir das Vogelblut verschaffst«, sagte die Prinzessin. »Aber ich kann es nicht, ehe sie hinter ihre grünen Gardinen geschlüpft sind«, sagte darauf der Fuchs.

Wie nun alle Vögel zur Ruhe gegangen waren, kletterte der Fuchs in die Bäume hinauf, biß einem Vogel nach dem anderen den Hals ab und warf sie alle der Prinzessin hinunter. Sie hatte aber nichts, um das Blut damit aufzufangen; da nahm sie ihr Riechfläschchen, leerte es aus und ließ das Blut von allen Vögeln hineintropfen. Da sagte der Fuchs: »Nun meinst du wohl, du seist am Ziel, weil du das Vogelblut hast; aber du müßtest auch noch von meinem Blut haben.« Und damit nahm er Abschied: »Jetzt will ich nicht mehr weiter mit dir gehen.« Da sagte die Prinzessin: »Ach, du mußt mir doch den Weg durch den Wald zeigen!« — »Was willst du mir dafür geben?«fragte der Fuchs. Da sagte sie: »Ich habe nichts mehr für dich, denn mein Gold hast du schon; aber willst du vielleicht den kleinen Goldring von meinem Finger haben?« Er bekam den Goldring und zeigte ihr den Weg durch den Wald. Sie ging und überlegte, wie sie es anstellen könnte, um auch von dem Fuchs Blut zu bekommen.

Der Fuchs ging voraus, und sie folgte ihm. Da stieß sie mit dem Fuß an einen Kieselstein, der im Weg lag; den hob sie auf. Der Fuchs trug den Kopf zurückgebogen, weil er den Pack Gold im Maul hielt. Da nahm sie den Kieselstein, an den sie gestoßen war, und hieb ihn damit in den Nacken, daß das Blut heraussprang. Dann lief sie hin, hielt ihr Fläschchen unter und füllte es mit dem Blut des Fuchses. Dann nahm sie all ihr Gold, das sie ihm als Lohn für die Führung durch den Wald gegeben hatte, wieder an sich.

Nun ging sie weiter, bis sie an das Schloß kam. Sie trat ein und ließ sich als eine kluge Frau melden, die den Prinzen gesund machen könne. Das wurde dem König ausgerichtet. Da kam der König heraus zu ihr und fragte sie, ob sie wirklich glaube, sie könne seinen Sohn heilen. »Ja«, sagte sie, »aber ich will eine Übereinkunft mit dir machen, nämlich, wenn ich ihn heile, will ich ihn zum Mann haben.«



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»Das sollst du auch, meine Tochter!« sagte der König, »wenn du ihn gesund machen kannst, so bekommst du ihn zum Mann.« Da sagte sie: »Willst du mir nun das Gemach zeigen, wo er liegt?« Als sie hineinkam, war das Fenster verhängt, denn sein Kopf war so schwach, daß er das Licht nicht ertragen konnte. Da ging sie zu ihm hin, nahm sein Haupt, entfernte das Haar von den Wunden und ließ das Blut aus ihrer Flasche hineintropfen. Dann klopfte sie ihm auf den Kopf, so stark sie konnte, damit das Blut auch gut in die Wunden hineinsickern konnte.

Als es gut in den Kopf eingedrungen war, kamen ihm die Kräfte wieder und er konnte sich im Bett aufrichten. In wenigen Minuten war er ganz gesund. Da schlüpfte sie hinter den Vorhang, daß er sie nicht sehen sollte. Sein Vater kam herein, weil er hörte, daß sich etwas in dem Gemach rührte. Da fragte er den Vater, wer ihn denn geheilt habe. Der Vater sagte, es sei ein kleines kluges Mädchen, die wolle ihn zum Manne haben, wenn er gesund würde. Da antwortete er: »Ach nein, Vater! Ich habe meine Liebste in dem und dem Königreich und habe so hart um sie gekämpft, und sie hat mich aus der Schlangenhaut erlöst.« Als sie hörte, daß er so treu zu ihr stand, trat sie hinter dem Vorhang hervor und sagte zu dem Prinzen: »Hier bin ich, hier bin ich, die dich aus der Schlangenhaut erlöst hat!«

Da waren sie froh und glücklich miteinander wie noch nie. Sie erzählte ihm, womit sie ihn gesund gemacht hatte, nämlich mit dem Blut von Vögeln und einem Fuchs. Er fragte seinen Vater, den König, ob er das Königreich und die Prinzessin bekommen dürfe, die er heiraten wollte. Sie sei die und die Königstochter aus dem und dem Königreich. Ob er nun mit ihr zu ihrem Vater reisen dürfe und Hochzeit halten? Da machten sie sich alle auf die Fahrt, der Königssohn und die Prinzessin und der König und die Königin in zwei Wagen: die Alten in dem einen und die Jungen in dem anderen. Sie reisten, bis sie zu seinem Pflegevater und seiner Pflegemutter in den Wald kamen. Die baten sie, doch mit zum Schloß zu fahren und die Hochzeit mitzufeiern; und nach der Hochzeit luden sie die Pflegeeltern ein, mit auf ihr Schloß zu kommen, dort sollten sie es ebenso gut haben, wie er es bei ihnen gehabt hatte.


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