Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


Die kleine Wildente

Es war einmal eine Frau, die hatte drei Kinder; von zweien war sie die Stiefmutter, nur das dritte war ihr rechtes Kind. Der Sohn zog fort, um sich einen Dienst zu suchen, und kam zum König an den Hof, wo er sehr geschätzt wurde.

Die Töchter aber blieben daheim bei der Mutter. Sie war derart böse gegen die Stieftochter, wie sie es nur sein konnte, und ihr letztes Ziel



Bd-05-019_Maerchen aus Daenekark Flip arpa

war, ihr das Leben zu nehmen. Aber das Mädchen selber war stets brav und gut und ein liebes kleines Ding. Eines Tages nun nahm die Mutter sie, setzte sie auf den Brunnenrand und hieß sie Garn winden. Als sie nun treulich an ihrer Arbeit saß, kam die Mutter von rückwärts heran und stieß sie kopfüber in den Brunnen. Aber es war nicht so viel Wasser darinnen, daß sie ertrinken konnte; so suchte sie unten im Brunnen lange herum, bis sie ein altes rostiges Tor fand. Da hinein ging sie und fand Leute darin, die hatten viel zu tun, denn sie waren gerade beim Backen, und waren übel dran, denn sie hatten ein kleines Kind, das krank und schwächlich war, und sie konnten es nicht richtig pflegen, weil sie so viel zu tun hatten. Da sagte sie, ob sie nicht das Kind für eine Weile hüten solle, denn es tue ihr leid, wie es weine. Ja, wenn sie das wolle, sagten sie, sei es ihnen ganz recht. Also hütete sie das Kind den ganzen Tag, spielte mit ihm und brachte es zur Ruhe, und das Kind war sehr gern bei ihr.

Am Abend sagten die Leute, nun dürfe sie drei Wünsche tun, weil sie mit dem Kind so lieb gewesen sei. Sie aber wollte sich nichts anderes wünschen, als daß sie wieder aus dem Brunnen herauskäme. Da sagte die Frau, wenn sie sich selbst nichts wünsche, so wolle sie die Wünsche für sie tun, und aus dem Brunnen werde sie schon herauskommen. Der erste Wunsch war, jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar löste, sollte es hell werden, wenn es auch sonst noch so dunkel wäre. Der andre Wunsch sollte sein, daß jedesmal, wenn sie ausspuckte, sie einen goldnen Ring spucken sollte; und der dritte war, wenn sie einmal in Wassersnot sei, so solle sie nicht ertrinken können, sondern wie eine kleine Wildente auf dem Wasser schwimmen. Als diese Wünsche ausgesprochen waren, sorgten die Leute dafür, daß sie wieder aus dem Brunnen herauskam, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter.

»Was! Kommst du wieder?« rief diese. Da spuckte das Mädchen auf den Boden, und es kam eine Menge schöner Goldringe aus ihrem Mund und lagen und glänzten am Boden. Als die Stiefmutter sie sah, kam sie gerannt und wollte sie auflesen, aber das Mädchen las sie selber eilig zusammen und steckte sie in die eigene Tasche. Am Abend, als es dunkel wurde, nahm sie ihre Haube ab und machte ihr Haar auf. Da wurde es so hell im Zimmer, als ob es hellichter Tag wäre.



Bd-05-020_Maerchen aus Daenekark Flip arpa

Die Frau wurde nun noch neugieriger und fragte das Mädchen aus, was sie bei den Leuten unten im Brunnen getan habe, weil diese sie so beschenkt hätten. »Das will ich Euch sagen«, sagte sie, »sie waren beim Backen da unten und hatten auch ein kleines Kind, das habe ich gehütet, und dafür taten sie drei gute Wünsche über mich.«

»Da soll meine eigne Tochter gleich morgen auch hinunter und drei Wünsche erfüllt bekommen«, sagte die Frau. Am Morgen schickte sie ihr eigne Tochter auch an den Brunnen, und als sie am Brunnenrand saß und spann, rannte die Frau hin und stieß sie hinunter. Das Mädchen suchte so lang, bis es das rostige Tor fand und zu den Leuten hineinkam. Heute waren sie beim Schlachten und hatten viel damit zu tun. Als sie hörte, daß das Kind schrie, bot sie sich an wie ihre Schwester, daß sie es gerne ein wenig hüten wolle. Aber es war sehr unruhig, und sie war böse und zornig mit ihm, so daß es ganz verärgert wurde und die ganze Zeit weinte, und je ärger sie weinte, um so ungeduldiger wurde sie und schlug und knuffte das Kind. Am Abend durfte sie auch drei Wünsche tun, und als sie nur bat, aus dem Brunnen herauszukommen, weil sie genug hatte von da unten, da sagten sie: »Du kommst ganz sicher wieder heraus.« Aber dann wünschten sie ihr erstlich, daß jedesmal, wenn sie ihre Haube abnähme und ihr Haar aufmachte, es um sie herum dunkel werden solle, und wenn es auch hellichter Tag wäre, und weiter, daß ihr am Kopf ein Fuchsschwanz wachsen solle, und je öfter man ihn abschnitte, desto länger solle er werden. Zuletzt sagte die Frau: »Und mein dritter Wunsch soll sein, daß jedesmal, wenn sie spuckt, eine graue Kröte ihr aus dem Mund springt.« Die Wünsche waren getan, und daraufhin waren die Leute darüber einig, daß man ihr aus dem Brunnen helfen müsse, und so kam sie wieder zu ihrer Mutter.

»Aber was ist das für ein Schwanz, der dir da am Kopf hängt?«fragte die Mutter sie; »den wollen wir doch abschneiden.« Sie holte eine Schere und schnitt den Schwanz ab, aber da wurde er länger; sie schnitt noch einmal zu, aber da wurde er so lang, daß er auf dem Boden nachschleppte, und so wie er war, mußte sie ihn behalten. Seit der Zeit nannten die Leute sie Fuchsschwanz.

Des anderen kleinen Mädchens Bruder diente beim König und war recht gut angeschrieben bei ihm. Jeden Tag nach Tisch bat er um Erlaubnis,



Bd-05-021_Maerchen aus Daenekark Flip arpa



Bd-05-022_Maerchen aus Daenekark Flip arpa

in den Wald gehen zu dürfen. Da wurde der König neugierig, und eines Tages schlich er ihm nach, um zu sehen, was wohl der Grund sei, daß er jeden Tag in den Wald ging. Da hatte der Bursche ein wunderschönes Bildnis in einen Baum geschnitzt, und das war das Bild seiner Schwester. Der König fragte ihn, was das für ein Bild sei, das er da habe, ob es etwa ein Götze wäre, zu dem er bete? Nein, sagte er, das sei seine Schwester, die sei daheim und es gehe ihr sehr schlecht, denn ihre Stiefmutter sei gar böse zu ihr, und nun gehe er jeden Tag da heraus und bitte den lieben Gott, er möchte ihr doch helfen, und es möge ihr besser gehen. Zugleich erzählte er auch, wie schön sie sei, und der König sagte zuletzt, wenn sie so schön sei, so solle der Bursche heimreisen und sie holen, es könne sein, daß er sie zur Frau haben wolle.

Der Bursche machte sich auf den Weg und kaufte unterwegs schöne Kleider für seine Schwester, denn er wußte sehr genau, daß sie viel zu geringe Kleider hatte. Mit diesem Einkauf hatte er Glück, denn die Kleider paßten ihr ausgezeichnet, und sie sah schön aus darin. Er richtete seinen Auftrag aus, daß er sie mit an den Hof nehmen werde, sie solle dem König dienen. Ja, sagte da die Mutter, sie und Fuchsschwanz wollten auch mit. Er konnte ihnen die Reise nicht gut verbieten, und so machten sie sich zu viert auf den Weg.

Als sie aufs Meer hinaus kamen - denn sie mußten zu Schiff zum Königsschloß fahren -, war das Wetter so stürmisch, daß der Bruder auf Deck ging und zu seiner Schwester sagte: »Hüte dich!« Denn die Wellen schlugen erschrecklich über Bord hinein. Aber sie konnte nicht hören, was ihr Bruder sagte, denn ihre Stiefmutter hatte sie so sehr aufs Ohr geschlagen, daß sie davon schwerhörig geworden war. Da fragte sie die Mutter: »Was hat mein Bruder da gesagt?«

»Er sagt, du sollst dein Kleid ausziehen und es meiner Tochter zum Anziehen geben.« Was ihr Bruder ihr befahl, das tat sie gerne. Also zog sie ihr Kleid aus und tauschte das ein, das Fuchsschwanz getragen hatte. Bald darauf rief ihr Bruder wieder: »Schwester, hüte dich!«

»Was sagt mein Bruder da?« fragte sie. »Er sagt, du sollst den Schmuck von deinem Kopf nehmen und ihn meiner Tochter aufsetzen.« Ja, was ihr Bruder befahl, das täte sie gerne, antwortete sie und



Bd-05-023_Maerchen aus Daenekark Flip arpa

nahm den Schmuck von ihrem Kopf und setzte ihn Fuchsschwanz auf. Aber er stand dieser nicht sonderlich gut, weil sie den Schwanz an ihrem Kopf hatte. Da rief ihr Bruder wieder: »Schwesterlein, hüte dich doch!«

»Was sagt mein Bruder da?«

»Er sagt, du sollst deinen Kopf in meinen Schoß legen, daß ich dich lausen kann«, sagte die Mutter; und sie tat es auch, denn was ihr Bruder befahl, das tat sie gerne. Im gleichen Augenblick aber warf die Mutter sie hinaus ins Meer.

Doch sie ertrank nicht, sondern wurde eine kleine Wildente, die hinter dem Schiff herschwamm.

Als sie an Land kamen, ging der König vom Schloß herunter ihnen entgegen und fragte, ob das seine Schwester wäre. Jetzt hatte er keine andre Schwester mehr als diese. Da wurde der König zornig und sagte, er müsse hinunter ins Schlangenverlies, und die Schlangen sollten ihn fressen. Das war damals die Strafe, wenn sich jemand etwas Schweres zuschulden hatte kommen lassen. Also wurde er auf des Königs Befehl hinunter ins Schlangenverlies geworfen.

Als es nun Abend wurde, kam eine kleine Wildente und schwamm in den Rinnstein hinein, so daß sie in des Königs Küche kam: dort warf sie alle ihre Federn ab und wärmte ihren nackten Körper am Feuer. Ein kleiner Hund saß in der Küche. Zu dem ging die Ente hin und sagte:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«


***
Dann gab sie dem Hund ein Reis, das er ihrem Bruder hinreichen sollte, damit er die Schlangen abwehren könne, und zuletzt spuckte sie einen goldenen Ring für das Küchenmädchen, weil diese ihr erlaubt hatte, sich am Feuer zu wärmen. Nun lag da wirklich ein alter Schelm hinterm Ofen, und die ganze Zeit über war er wach und hörte zu. Schließlich, als die Ente alle ihre Federn wieder angezogen



Bd-05-024_Maerchen aus Daenekark Flip arpa

hatte, sagte sie noch: »Jetzt komme ich noch zweimal, wenn ich dann nicht erlöst werde, muß ich mein Leben lang am Strande gehen.«Das hörte der Knecht auch; aber er traute sich nicht, es dem König zu sagen, denn wenn es nicht stimmte, fürchtete er, auch ins Schlangenverlies zu kommen.

Am nächsten Abend kam die Ente wieder und schwamm in den Rinnstein wie vorher; als sie hineinkam, schüttelte sie ihre Federn ab und sagte zu dem Hund:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«


***
und dabei warf sie ihm ein Reis hin, das er ihrem Bruder geben sollte, damit er die Schlangen abwehren könne, und dann spuckte sie einen Goldring für das Küchenmädchen, zum Dank, weil diese ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. Endlich sagte sie noch: »Jetzt komme ich noch einmal, und wenn ich da nicht erlöst werde, muß ich mein Leben lang am Strande bleiben.« Da lag der alte Schelm wieder und hörte das alles, und am folgenden Tag erzählte er dem König alles, wie es zugegangen war und was er gehört hatte. Nun wollte der König sich die nächste Nacht selber hinter den Herd legen und hören, und wenn es nicht stimmte, was der Knecht gesagt hatte, so solle er ins Schlangenverlies wandern.

Als es wieder Abend wurde, kam sie wie zuvor durch das Rinnsteinloch hereingeschwommen und sagte zu dem Hund:

»Rupfer, Zupfer unter der Bank!
Schläft der König in seinem Hof?
Schläft der alte Schelm hinterm Ofen?
Schläft im Schlangenverlies der Bruder?
Schläft Schwester Fuchsschwanz und schläft
ihre Mutter?«



Bd-05-025_Maerchen aus Daenekark Flip arpa



***
Da warf sie dem Hund ein Reis zu, das er ihrem Bruder geben solle, damit er sich die Schlangen fernhalten könne, und spuckte einen Goldring für das Küchenmädchen, weil die ihr erlaubt hatte, sich zu wärmen. »Jetzt komme ich niemals mehr und muß mein Leben lang am Strand gehen«, sprach sie und watschelte hin und her auf dem Boden mit ihrem bloßen Körper, denn ihre Federn hatte sie abgeschüttelt wie gewöhnlich, als sie kam; aber die hatte der König heimlich an sich genommen, während sie auf und ab ging, und als sie nun fort wollte, brauchte sie ihre Federn, aber sie konnte sie nicht finden.

Da begann sie gar heftig zu klagen: Jetzt habe sie nicht einmal ihre Federn mehr und müsse ganz gewiß erfrieren, denn sie könne nicht mehr kommen und sich wärmen. Jedoch der Augenblick kam, wo sie fort mußte, und da wollte sie zum Rinnstein hinausschwimmen wie gewöhnlich; aber der König packte sie, und da sie ihm entfliehen wollte, griff er fest zu. Da wurde sie in einen Käse verwandelt, und als erden ein wenig in die Asche legen wollte, wurde daraus ein Aal. Er nahm ein Messer und wollte ihm den Kopf abschneiden, aber da verwandelte er sich in die schönste Jungfrau, die er je gesehen hatte. Nun wurde zu allererst hinunter zu ihrem Bruder geschickt, daß er aus dem Schlangenverlies befreit werde, und die Schlangen hatten ihm nichts zuleide getan, weil er unschuldig hineingekommen war. Dann wurden Fuchsschwanz und die Stiefmutter ergriffen und mußten bekennen, was sie gegen ihre Schwester und ihren Bruder unternommen hatten. Zur Strafe dafür wurden sie in eine Tonne mit Stacheln darin gesteckt, und davor wurden vier wilde Pferde gespannt. Die rannten nach allen Himmelsrichtungen mit ihnen, und so kamen sie elend ums Leben. Der König aber nahm das kleine Mädchen zur Frau, und ihr Bruder dient ihnen noch heute.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt