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Märchen aus Dänemark Norwegen und Schweden

Märchen europäischer Völker


ZUR EINFÜHRUNG

Die nordischen Völker, zumal die Dänen, Norweger und Schweden, verfügen über einen gewaltigen und auch heutzutage noch munter fließenden Reichtum volkhafter Überlieferung aus Liedern, Sagen, Rätseln und Volksmärchen, auf dessen klassische Gültigkeit schon Jakob Grimm mit nachdrücklicher Bewunderung hingewiesen hat.

Inder heutigen hochzivilisierten Welt werden meist vordringlich die Namen Andersen und Selma Lagerlöf genannt, wenn von nordischen Märchen gesprochen wird. Ohne den hohen Verdiensten des volkstümlichsten Märchenerzählers aus Dänemark und der schwedischen Dichterin des »Gösta Verling« auch nur mit der leisesten Andeutung von deren erhabenem Ruhm etwas abstreiten zu wollen, erfordert es die besondere Programmatik unserer vorliegenden »Märchen der europäischen Völker«, daß wir gleich zu Anfang eindeutig erklären, daß wir aus rein sachlichen Gründen kein einziges der Märchen dieser Meister und Könige des typischen Kunstmärchens aufgenommen haben, die vornehmlich deren persönliche, kunstvoll genialische Schöpfungen sind.

Mit aller Bewußtheit beschränkt sich unsere Sammlung auf ausgesprochene Volksmärchen, für deren keines ein originaler Dichter oder Erzähler genannt werden kann. Volksmärchen wurden über Jahrhunderte hin frei und volkhaft überliefert, überall auf dem Lande beim Spinnen, Wollekämmen und Weben und auch bei Fest und Tanz von Mund zu Mund erzählt. Frohe und hintergründige Märchen wurden auf den Dörfern über Generationen hindurch von den Alten zu den Jungen und Kindern getragen. Ihre Ursprünge



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sind in den Sagas und den Königsgeschichten zu suchen, reichen weit in die Wikingerzeit und zur Edda zurück. Gerade hier bei den nordischen Völkern haben sie ihre wahre Heimat, liegt ihre Stammesherkunft. Von hier strömten sie weiter über altkeltische Einflußnahmen nach Irland, Schottland und zur Bretagne. Sie berührten sich desgleichen mit phantastischen Strömungen, die über Rußland aus dem Orient gekommen sind, und mit den großen Ritterdichtungen vom Hofe des Königs Artus und Karis des Großen, denn selbst alte Heiligenlegenden wie die berühmte Legenda Aurea sind schon in früher Zeit ins Schwedische übersetzt worden.

In Norwegen kam genau im gleichen Jahre, da in Deutschland die »Kinder- und Hausmärchen«der Brüder Grimm herauskamen, der Märchensammler P. C. Asbjörnson zur Welt. Nicht als Literat und Gelehrter, sondern rein als Forstmann ist er auf die Idee gekommen, sich von Jägern, Hirten und Sennen, Fischern und Bauern merkwürdige und seltsame im Volke umgehende Geschichten erzählen zu lassen, und diese hat er dann von der Mitte des 19. Jahrhunderts ab mit dem ihm befreundeten Jörgen Moe zusammen aufgezeichnet und drucken lassen. Fast zur selben Zeit begann Asbjörnson in Gemeinschaft mit befreundeten Lehrern und Landpastoren mit der Zusammenstellung eines ersten Bandes »Dänische und Norwegische Märchen«. Darin wimmelt es von seltsamen Abarten menschenähnlicher Gestalten - von Berg-, Wald- und Meergeistern, sagenhaften Wundergeschöpfen mit riesenhaften Nasen und Ohren, oft mehreren Köpfen, Kuhschwänzen und allerlei sonstigen seltsamen Gliedmaßen. Meist hausten sie duster dahindämmernd über riesigen in den Wäldern und Bergen versteckten Schätzen. Sie kamen inmitten der Wildnis häufig mit Hirten, Jägern, Holzfällern oder Fischern in Berührung, erschreckten die Menschen, halfen ihnen zuweilen auch, foppten sie und zeigten oft auch ausgesprochen bösartige Züge. Aus den über sie verbreiteten Geschichten hat übrigens der große norwegische Dramatiker Ibsen seine Anregungen zu Peer Gynts erregenden Erlebnissen mit dem »Großen Krummen« bezogen. Grundtvig, der bedeutsame Begründer der skandinavischen Märchenforschung, folgte beflissen dem Beispiel der Brüder Grimm, und sein Werk bezeugt, daß die drei nordischen Länder einen



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schier unerschöpflichen Reichtum von Märchen besitzen.

Wir bringen im vorliegenden Band, auf alle ordnende Systematik bewußt verzichtend, daraus eine vieltönige, reiche Auswahl, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, in ihren Motiven aber deutlich werden läßt, daß wir in der Welt der Märchen weiterhin ein weltumspannendes, herrliches und unvergleichbares Material besitzen. Berührungen mit niederdeutschen, keltischen, slawischen und mediterranen Zügen kehren immer wieder, so auch der Dumme und notorisch Faule, der von seiner Verwandtschaft gern aufgezogen und verspottet wird, sich am Ende aber stets als der Geschickteste und vom Glück Bestrahlte erweist. Im Skandinavischen heißt er öfters der Aschenhans oder der Aschenpeter. Völlig eigenwüchsig skandinavischer Herkunft ist das groteske, mitunter hilfsbereite, meist aber tückische und gefährliche Geschlecht der Trolle, wie sie an den Fjorden, im Hochgebirge und in abgelegenen Almhütten hausen. Ihnen nahe verwandt sind die mißgestalteten Meerungeheuer, auch Drauge genannt.

Zum Abschluß unseres Bandes geben wir drei alte schwedische Volksmärchen, die der zu Anfang unseres Jahrhunderts verstorbene, sehr begabte Gustav af Geijerstam im vertrauten und phantasievollen Volkston aufgeschrieben hat. Im Gegensatz zu Andersen und zur Lagerlöf darf man in diesen Gebilden echte und wahre Volksmärchen sehen. Wie er dazu kam, sie niederzuschreiben, darüber hat sich Geijerstam im Vorwort seiner gediegenen Volksmärchensammlung, die ihm ein Herzensanliegen gewesen ist, selber geäußert. Dort schrieb er:

»Aus der Kinderzeit lächeln uns viele liebe Erinnerungen wie Sterne am Frühlingshimmel an. Aber keine Erinnerung bringt eine so wunderbare und tiefe Stimmung mit sich wie ein altes Märchen in einem alten Buche, in dem wir einst mit kleinen Kinderhändchen voll glühenden Eifers und in dem unaussprechlichen Glück der Phantasiebefriedigung geblättert haben.

Im vergangenen Winter kam mir eines Tages ein solches Buch in die Hand, und ich fand Märchen darin, die ich vor mehr als dreißig Jahren gelesen habe. Ich las sie wieder mit gleich großer und ungemischter



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Freude wie das erste Mal, wenn auch diese Freude etwas anderer Art war. Und noch eins: Ich fand, daß mir diese alten Märchen, die ich jahrzehntelang nicht gelesen hatte, noch so lebendig bis in jede Einzelheit im Gedächtnis geblieben waren, wie es sonst nur unsere tiefsten und besten Erlebnisse zu tun pflegen . . . Deshalb habe ich gesammelt. Mögen sie dem neuen Geschlechte ebensoviel Freude bereiten wie damals mir und meinen Altersgenossen in der guten alten Zeit, als man noch das Vorlesen unterbrechen mußte, um das Talglicht zu schneuzen, dessen Docht zu lang geworden war.

K.R.


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