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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Die gute Fee und die zwölf hilfreichen Monate

Es war einmal eine böse Stiefmutter, die ihre liebliche Stieftochter Marica aus ganzer Seele haßte. Ihre eigene Tochter aber liebte sie abgöttisch.

Die arme Marica war fleißig und arbeitsam und mühte und plagte sich vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Doch all dies war vergeblich -sie konnte ihrer Stiefmutter auch gar nichts recht machen. Die grausame Frau schalt und peinigte Marica unaufhörlich, sie mußte in einem Holztroge schlafen, und die spärlichen Mahlzeiten wurden ihr wie einem Hunde vorgeworfen.

Als die Stiefmutter sah, daß trotz aller Demütigungen das Mädchen gut und geduldig blieb und überdies von Tag zu Tag schöner wurde, kannte ihr Zorn keine Grenzen.

Eines Tages sandte sie die beiden Mädchen zum Flusse, um Wolle zu waschen. Ihrer eigenen Tochter gab sie weiche, weiße Strähnen mit, doch Marica warf sie einen großen Knäuel schwarzer Wolle zu und drohte ihr:

»Wenn du diese schwarze Wolle nicht schneeweiß waschen kannst, dann komm mir nie wieder vor die Augen -ich werde dich glatt davonjagen.«

Das arme Mädchen weinte und bat die Stiefmutter, doch nichts Unmögliches von ihr zu verlangen. Aber ihr Bitten und Flehen blieb erfolglos und fand nur taube Ohren. Und so mußte sie denn traurig ihrer Halbschwester zum Flusse folgen.

Unter einer Weide packten die beiden Mädchen ihre Bündel aus und fingen zu waschen an. Da, ganz unvermittelt stand ein wunderschönes, weißgekleidetes Mädchen neben ihnen. Ein Weilchen sah sie



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den fleißigen Wäscherinnen mit freundlichem Lächeln zu und sprach hierauf:

»Guten Morgen, ihr beiden! Kann ich euch behilflich sein?«

Höhnisch antwortete die wahre Tochter der Stiefmutter:

»Ich brauche deine Hilfe nicht, denn meine Wolle ist weiß und sauber, aber unser Stiefkind hier wird deine Hilfe sicher nicht verschmähen. Ihre Wolle wird wohl so bald nicht weiß werden!«

Als das fremde Mädchen dies hörte, trat sie zur schluchzenden Marica hin und sagte:

»Komm, Kind, wir wollen gemeinsam versuchen, die schwarze Wolle weiß zu waschen!«

Beide fingen nun emsig zu arbeiten an, und als sie eine Weile die schwarzen Strähnen im fließenden Wasser gewaschen hatten, sahen sie, daß ihre düstere Farbe langsam schwand, die Wolle immer blasser wurde, bis sie schließlich weiß wie frisch gefallener Schnee vor ihnen lag.

Und lautlos, wie sie gekommen war, verschwand die fremde Maid wieder. Da wußte Marica, daß eine gute Fee ihre hilfreiche Hand schützend über sie hielt.

Als die beiden Mädchen nach Hause zurückkamen und die Stiefmutter sah, daß Marica die unmöglich scheinende Aufgabe erfüllt hatte, steigerte sich ihr Zorn nur noch mehr. Sie mußte nun Marica im Hause behalten, und sie sann über neue Bosheiten nach.

Der Winter kam ins Land - es war grimmig kalt. Wiesen und Felder waren eingeschneit, und lange Eiszapfen hingen von Dächern und Bäumen. Da rief die Stiefmutter Marica zu sich und befahl ihr:

»Nimm dieses Körbchen und gehe in die Berge, um für mich reife Erdbeeren zum neuen Jahre zu holen! Wage nicht, mit leeren Händen zurückzukommen, denn mein Haus wäre dir dann verschlossen!«

Das arme Mädchen wußte nicht aus noch ein, sie weinte und flehte die Stiefmutter um Gnade an:

»Wie könnte ich, Arme, denn jetzt im Winter reife Erdbeeren finden?«



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»Tue, wie dir geheißen!« schrie die böse Frau - und Marica mußte gehorchen.

Als sie schluchzend über die Berge wanderte, kamen ihr zwölf Jünglinge entgegen. Es waren die zwölf Monate des Jahres. Sie wünschte ihnen guten Morgen und trat zur Seite, um ihnen den Weg freizugeben. Die jungen Männer dankten und fragten Marica, was sie so einsam in den Bergen suche.

Marica faßte Mut und erzählte ihnen, was ihr widerfahren sei und wie sie nun die böse Stiefmutter auf die Suche nach frischen Erdbeeren in die Berge gejagt hatte. Da sprach einer der Männer:

»Wir wollen dir behilflich sein, doch mußt du uns erst eine Frage beantworten. Sage uns, Marica, welcher Monat ist der beste des Jahres?«

»Alle Monate sind gut«, antwortete Marica, »doch scheint mir der Monat März der beste zu sein, denn er bringt neue Hoffnung.« Die zwölf Jünglinge waren mit ihrer Antwort zufrieden und sagten:

»Folge weiter diesem Pfade! Er führt in ein weites Tal, auf dessen östlichen Hängen du so viele reife Erdbeeren finden wirst, wie du nur wünschest.«

Marica dankte den freundlichen Jünglingen und wanderte dem Tale zu. Und es geschah, wie die Monate es gesagt hatten. Sie fand die Beeren am Osthange des Tales, füllte ihr Körbchen und machte sich auf den Heimweg.

Die erstaunte Stiefmutter ließ sich genau von Marica erzählen, was sich in den Bergen zugetragen hatte.

Als die Fröste nachließen und Tauwetter eintrat, sagte die Stiefmutter zu ihrer eigenen Tochter:

»Geh in die Berge, um Erdbeeren für mich zu holen! Vielleicht wirst auch du den zwölf Jünglingen begegnen, und sie werden auch zu dir so gütig und großherzig sein, wie sie es zu Marica waren.«

Die Tochter stattete sich fein aus, nahm das Körbchen auf den Arm und lief lachend hinaus. Es dauerte nicht lange, und auch ihr kamen die zwölf jungen Männer entgegen. Doch kein freundlicher Gruß



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kam über des Mädchens Lippen, sie sah sie nur hochmütig an, und vorlaut rief sie ihnen zu:

»Zeigt mir, wo die reifen Erdbeeren wachsen, unserem Stiefkinde habt ihr auch den Weg gewiesen!«

»Wir wollen auch dir helfen«, entgegnete einer der Männer, »doch sage uns erst, welcher der beste Monat des Jahres ist.« Sie antwortete schnell, ohne zu zögern:

»Welcher der beste Monat des Jahres ist, wollt Ihr wissen? Keinen habe ich gerne, alle sind schlecht, doch der Monat März ist der schlimmste von allen!«

Im selben Augenblicke verfinsterte sich der Himmel, schwarze Wolken senkten sich tief herab, bis sie Berg und Tal verhüllten. Ein furchtbarer Sturm brach los, und der Wind heulte, und eisiger Regen peitschte die Erde. Hastig kehrte das zu Tode erschreckte Mädchen um und lief, so schnell es seine Beine nur tragen konnten, unverrichteterdinge nach Hause zurück.

Inzwischen hatte sich die Kunde von Maricas Schönheit und Güte im ganzen Lande verbreitet. Ein hübscher und wohlhabender Bauernbursche wollte um ihre Hand anhalten. Doch die Stiefmutter gönnte ihrem Stiefkinde solches Glück nicht und spann wiederum einen bösen Plan.

Als der Abend herankam, für den der junge Mann seinen Besuch und seine Eltern angekündigt hatte, jagte die böse Frau Marica aus dem Hause und zwang sie, sich im Hühnerstalle ihr Nachtlager zu richten. Hierauf reinigte und schmückte sie das Haus, bereitete eine festliche Mahlzeit vor und putzte ihre eigene Tochter aufs beste heraus. Dann begrüßte sie die Gäste freundlich, führte sie ins Haus und sagte, auf ihre eigene Tochter weisend:

»Dies ist meine geliebte Stieftochter Marica.«

Doch kaum hatten diese Worte ihre trügerischen Lippen verlassen, als draußen im Hofe ein Hahn laut zu krähen begann:

»Kikeriki, kikeriki, im Hühnerstalle ist die schöne Marie! Kikeriki!«

Die Gäste sahen einander fragend an. Der junge Mann stürzte aus



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der Stube, fand bald Marica in ihrem Versteck und brachte sie ins Haus zurück.

Der Betrug der Stiefmutter kam nun ans Tageslicht, und sie und ihre Tochter wurden zum Gespött des ganzen Dorfes.

Maricas Anmut bezauberte den jungen Mann, und er führte sie noch am selben Abend heim. Eine fröhliche Hochzeit wurde gefeiert, und Marica lebte seither glücklich und zufrieden mit ihrem Manne noch lange, lange Zeit -kein Wunder, denn die gütige Fee und die zwölf hilfreichen Monate waren ja ihre treuen Freunde!


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