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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Das Märchen von Rarasch, dem Kobold

In einem Dorfe lebte ein Bauer, der Palicka hieß. Als er eines Tages in die nahe Stadt zum Markte ging, sah er am Wege unter einem Birnbaum ein schwarzes Huhn sitzen. Sein Gefieder war durchnäßt, es zitterte vor Kälte und piepste jämmerlich. Der gutmütige Bauer erbarmte sich des armen Wesens, nahm es unter seinen Mantel und trug es nach Hause. Dort setzte er es hinter den warmen Ofen, und als es wiederum trocken war, ließ er es zu den anderen Hühnern auf den Hof hinauslaufen.

In der Nacht, als alles friedlich schlief, hörte der Bauer plötzlich in der Kammer ein seltsames Geräusch, und eine schrille, durchdringende Stimme rief:

»Wacht auf, Gevatter Palicka, ich habe Euch Kartoffeln gebracht!« Schwups war der Bauer aus seinem Bette draußen, lief zur Kammer und riß die Türe auf. Welch sonderbarer Anblick bot sich ihm da! —Am Boden lag ein Haufen Kartoffeln, und über ihnen flatterte von einem Flammenkranz umgeben das schwarze Huhn.

»Hinweg, du Bösewicht!«schrie der erschrockene Bauer, schlug eilig die Türe zu und legte sich aufs Ohr. Doch mit seiner Ruhe war's vorbei, denn es war ihm klargeworden, welch bösen Gast er ins Haus gebracht hatte. In aller Herrgottsfrühe sprang er auf, nahm einen Sack, füllte ihn mit den unerwünschten Kartoffeln und warf ihn, voll Abscheu, auf den Düngerhaufen.

In der folgenden Nacht wurde er wiederum von der kreischenden Stimme geweckt:



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»Gevatter Palicka, ich habe Euch heute Gerste, Korn und Weizen gebracht!«

Doch diesmal stand der Bauer nicht mehr auf, um nachzusehen. Er lag im Bette, zitterte vor Angst wie Espenlaub und betete laut.

Und als es zu dämmern begann, nahm er Besen und Schaufel, warf das Getreide in die Jauchegrube und fegte die Stube fein säuberlich aus, so daß auch nicht ein einziges Körnchen am Boden zurückblieb.

Gevatter Palicka wußte sich keinen Rat und war sehr niedergeschlagen. Er hätte gerne die Ereignisse, die sich auf seinem Hofe zutrugen, vor den Nachbarn geheimgehalten, doch es gelang ihm nicht. Die Bauern hatten nämlich in den beiden vergangenen Nächten eine brennende Fackel in Palickas Haus gleiten sehen, doch keine Flammen schlugen aus, und das Haus blieb unversehrt. Überdies hatte eine Nachbarin das fremde, schwarze Huhn auf Palickas Geflügelhofe bemerkt. All dies erschien ihnen höchst sonderbar, und es erhoben sich Stimmen im Dorfe, die munkelten, daß sich Gevatter Palicka dem Teufel verschrieben hätte.

Seine Freunde jedoch, die den Bauern als ehrlichen und gottesfürchtigen Mann kannten, beschlossen, ihm zu helfen und ihn vor der drohenden Gefahr zu warnen. Als sie zu ihm kamen, erzählte ihnen Palicka alles und bat sie inständig, ihn von dem Übel zu befreien. »Überlegt doch nicht so lange«, riet ein junger Hitzkopf, »tötet den Bösewicht!«

Und er selbst ergriff einen Stock und wollte auf das schwarze Huhn losschlagen. Doch im gleichen Augenblicke sprang das Huhn auf seinen Rücken, hackte mit dem Schnabel auf seinen Kopf los und rief dazu:

»Ich bin Rarasch, der Kobold! Ich bin Rarasch, der Kobold! Ich bin Rarasch, der Kobold!«

Da war guter Rat teuer! Zu guter Letzt rieten die Freunde Palicka, sein Gehöft zu verkaufen, wegzusiedeln und auf diese Weise den Unhold loszuwerden. Dem Bauer gefiel der weise Vorschlag, und er sah sich sogleich nach einem Käufer um. Sosehr er auch suchte - -



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es fand sich keiner, der den Hof mitsamt dem Kobold haben wollte, und so blieb dem armen Palicka nichts anderes übrig, als sein Hab und Gut stückweise zu verkaufen. Er verschleuderte Getreide, Vieh und Geräte, kaufte für den schmalen Erlös ein kleines Gut im Nachbardorfe und zog aus. Und wie er zum letzten Male zu seiner alten Wohnstätte kam, um noch Waschtrog, Eimer und anderes Hausgerät aufzuladen, zündete er ein Bündel Stroh an und setzte mit eigener Hand sein altes Gehöft in Brand.

Dann sprang er schnell auf den Wagen, knallte mit der Peitsche und rief:

»Verbrenne, du Bösewicht, der mich von meinem Hofe vertrieben hat, auf dem ich so lange glücklich und zufrieden gelebt habe!« »Hihihi«, kicherte da eine wohlbekannte, kreischende Stimme hinter seinem Rücken. Erschrocken wandte er sich um und erblickte am Wagen, auf einem Schafte sitzend, das schwarze Huhn. Es schlug mit den Flügeln und sang dazu:

»Wir gehen fort, wir ziehen aus,
wir ziehen weg aus diesem Haus.
Wir gehen fort, wir ziehen aus,
wir ziehen weg aus diesem Haus.«


***
Der arme Bauer saß da wie vom Donner gerührt und war der Verzweiflung nahe. Da kam es ihm in den Sinn, daß sich vielleicht Rarasch durch freundliches Zureden und gute Behandlung erweichen ließe und von selbst wegziehen würde. Er bat daher seine Frau, dem schwarzen Huhn täglich einen Teller voll Milch und dazu drei Stück Kuchen vorzusetzen. Das schwarze Huhn ließ sich's gut schmecken, doch schien es nicht die Absicht zu haben, sich von Gevatter Palicka trennen zu wollen.

Eines Abends, als Jirka, der Stallknecht, müde von seiner schweren Arbeit nach Hause kam, erblickte er auf der Schwelle die drei Stück Kuchen, die hierfür den Kobold bereitlagen. Da er hungrig war, ergriff er ein Stück und aß es gierig auf. Im selben Augenblick jedoch



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saß auch schon das schwarze Huhn auf seinem Rücken, hämmerte mit dem Schnabel auf ihn los und rief:

»Erster Bissen - zweiter Bissen,
für den dritten wirst du büßen müssen!«


***
Als Gevatter Palicka am frühen Morgen seinen Stallknecht wecken ging, fand er diesen mehr tot als lebendig im Bette liegen. Jirka klagte ihm sein Mißgeschick und wollte den Hof auf der Stelle verlassen. Gevatter Palicka, der seinen fleißigen Knecht nicht verlieren wollte, lief zu Rarasch und bat ihn kniefällig, von seinem Hofe abzuziehen.

»Hihihi«, kicherte der Bösewicht und rief:

»Willst du deine Ruhe wieder,
setz mich unterm Birnbaum nieder!«


***
Schnell ergriff Gevatter Palicka das schwarze Huhn und trug es eilig zurück an die Stelle, an der er es zum ersten Male erblickt hatte.

Von dieser Stunde ab ließ ihn Rarasch, der Kobold, in Frieden.


Copyright: arpa, 2015.

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