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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Panzimanzi

Es war einmal jenseits des großen Meeres eine arme Frau. Die hatte eine sehr schöne, aber sehr faule Tochter, die immer nur auf der Bank vorm Hause saß oder im Dorf herumspazierte; niemals half sie in Haus und Hof. Ihre Mutter schlug und prügelte sie deswegen, aber es nützte nichts. Einmal knuffte und puffte sie das Mädchen gerade, als der König mit seinem Gefolge dort vorüberkam. »Warum schlägst du das Mädchen so?«fragte der König. »Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, da sie doch eine so schlechte, verstockte Natur hat, daß sie alles, was ihr in die Hände gerät, zu Goldfaden spinnt. Auch jetzt wieder, während ich in der Stadt war, um Brot zu kaufen, hat sie aus dem ganzen Bettzeug Goldfaden gesponnen. Nichts mehr ist da, wohin wir unser Haupt zur Ruhe legen könnten.«

Das machte den König nachdenklich. >Ei<, dachte er bei sich, >welch tüchtiges Mädchen! Die wäre gut als Frau für mich!<

Bald darauf spazierte der König wieder dort vorüber. Und wieder schlug und prügelte die arme Frau ihre Tochter.

»Warum schlägst du deine Tochter wieder?«fragte der König. »Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, nachdem sie jetzt sogar aus dem alten Zaun Goldfaden gesponnen hat.«

Der König wurde noch nachdenklicher.

Das drittemal schlug er schon vorsätzlich den Weg zum Haus der armen Frau ein. Und wieder sah er, daß die Frau ihre Tochter prügelte. Da wurde er böse und fuhr auf:

»Zum Teufel noch mal! Was schlägst du das arme Mädchen wieder?«

»Wie sollte ich sie nicht schlagen, großer König, nachdem sie doch aus dem ganzen Dach Goldfaden gesponnen hat. Ich brauche doch die Goldfaden nicht.«

»Du sollst sie nicht schlagen, weil sie eine so gute Spinnerin ist. Ich werde sie zur Frau nehmen; bei mir wird sie genug Zeug bekommen, aus dem sie Goldfaden spinnen kann.«



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Die arme Frau war sehr froh, ihre schlechte Tochter loszuwerden. Auch der König freute sich, denn das Mädchen war sehr schön, und er sagte sich auch, wenn sie hier aus dem Zaun Goldfaden machte, was würde sie erst bei ihm aus teurem, gutem Flachs für feines Goldgarn spinnen.

Sie schoben die Sache nicht auf die lange Bank, sondern heirateten bald und hielten einen so großen Hochzeitsschmaus, daß weit und breit in Stadt und Land der gelbe Saft floß.

Eine Woche nach der Hochzeit sagte der König zu seiner Frau: »Du langweilst dich wohl, liebe Gemahlin, weil du nicht spinnen kannst? Aber sei getrost, ich werde dir schon genug Flachs zum Spinnen verschaffen. Morgen ist in der Nachbarstadt großer Markt, da kaufe ich dir einen ganzen Wagen voll.«

Und der König kaufte einen so großen Wagen voll Flachs, daß acht Ochsen ihn kaum nach Hause ziehen konnten. »Jetzt kannst du spinnen, liebe Gemahlin«, sagte er.

Die arme Königin wagte nicht einzugestehen, daß sie gar nicht spinnen konnte. Sie schloß sich mit dem großen Haufen Flachs in ihrem Zimmer ein und weinte.

Drei Tage und drei Nächte lang weinte sie. In der dritten Nacht klopfte jemand ans Fenster: »Mach auf, Königin, mach das Fenster auf!«

Sie öffnete das Fenster, und da sprang ein winzig kleines Männlein herein. Es war drei Spannen hoch, sein Schnurrbart war zwei Fuß und sein Bart eine Eile lang. »Ich weiß, warum du dich kränkst, große Königin«, sagte das Männlein, »aber ich will dir helfen. Aus diesem Haufen Flachs Spinne ich dir in drei Tagen Goldgarn. Du mußt unterdessen mir meinen Namen erraten. Wenn du ihn errätst, kannst du zu Hause bleiben, errätst du ihn nicht, dann kommst du mit mir. Abgemacht?«

Die Königin überlegte, was sie tun sollte. Dann faßte sie den Entschluß, dem Männlein den Flachs zu geben. Entweder würde sie das Goldgarn bekommen oder mit dem Männlein gehen müssen. Das Männlein trug also den Flachs weg.



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Nun wurde aber die Königin noch trauriger, denn sie zerbrach sich den Kopf völlig umsonst - sie konnte den Namen des Männleins nicht erraten.

Am nächsten Tage schickte der König seine Jäger in den Wald; er wollte gern Wildbret essen. Als sie mit der Beute heimkehrten, fragte sie der König:

»Nun, was habt ihr im Wald gesehen?«

»Oh, großer König«, begann einer der Jäger, »ich habe was gesehen, aber so was, daß Ihr es mir wohl gar nicht glauben werdet.«

»Wenn du es gesehen hast, warum sollte ich es dir dann nicht glauben? Erzähle nur getrost.« Und der Jäger erzählte:

»Als es Abend wurde, machten meine Gefährten im Wald ein Feuer, setzten sich darum und sangen. Ich aber war schläfrig und ging weiter in den Wald hinein, um mir eine weiche bemooste Stelle zu suchen, wo ich mich hinlegen wollte. Und wie ich dort umherstreifte, stach mir ein glimmendes Feuerchen in die Augen. Ich stahl mich hin, um zu sehen, wer sich dort wärmte. Und da sah ich ein winziges Männlein, das über dem Feuer hin und her sprang. Winzig klein war das Männlein, drei Spannen hoch, und sein Schnurrbart war zwei Fuß und sein Bart eine Eile lang. Während es da hüpfte, rief es fortwährend: >Ich bin Panzimanzi, meinen Namen weiß niemand, ich backe und koche, und übermorgen hole ich mir eine schöne Braut.< Da ging ich zu meinen Gefährten zurück, um ihnen das Männlein zu zeigen, aber sie waren nicht mehr da.«

Ober diesen sonderbaren Vorfall wunderten sich alle. Nur die Königin war sehr erfreut: sie wußte, daß der kleine Mann kein anderer gewesen sein konnte als jener, der den Flachs fortgetragen hatte.

Frohgemut saß sie am Abend in ihrem Zimmer und ließ sogar das Fenster offen. Mit einemmal sprang das Männlein herein.

»Nun, Königin«, rief das springende Männlein, »die drei Tage sind um. Ich habe die Goldfaden gesponnen. Und du? Hast du meinen Namen erraten?«

»Jawohl, ich habe ihn erraten, mein lieber Panzimanzi.« Dem



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Männlein blieb vor Staunen der Mund offen. Er sagte kein Wort, holte nur still die Menge Goldgarn herein und sprang aus dem Fenster hinaus.

Am folgenden Morgen holte die Königin ihren Gemahl und ging mit ihm Arm in Arm in ihr Zimmer, um ihm zu zeigen, was sie geschafft hatte. »Sieh, mein lieber Gemahl«, sagte sie, »dieses viele schöne Goldgarn habe ich gesponnen.« Der König wurde von dem strahlenden Glanz fast geblendet, er mußte schier die Augen abwenden. Und wie er sich umdrehte, ging er gleich auf seine Frau zu und überhäufte sie mit Küssen.

Drei Tage darauf war in der Stadt, darin der König wohnte, großer Markt, und da kaufte er allen Flachs zusammen, der aufzutreiben war. Die Königin freilich weinte und jammerte, als sie diese Unmenge Flachs erblickte - was sollte sie jetzt nur tun?

Und als sie da saß und weinte, fiel ihr auf einmal ein, daß in ihrem Dorf drei häßliche Bettlerinnen wohnten. Die eine hatte einen Buckel, so groß wie ein Brot, der zweiten hing die Unterlippe bis auf die Brust herab, und die dritte hatte eine so lange Zunge, daß sie ihr aus dem Munde hing und um den Bauch schlotterte. Diese drei Bettlerinnen ließ die Königin zu sich rufen und befahl ihnen, zum König betteln zu gehen. Wenn er sie dann fragen würde, wovon sie so verunstaltet seien, sollten sie ihm sagen: vom vielen Spinnen.

Nach dem Mittagessen ging der König ein wenig im Hof spazieren. Und wie er so umherspazierte, hörte er, daß die Pforte knarrte. Er schaute hin und sah, daß eine arme Frau sich abmühte, hereinzukommen. Sie hatte einen so großen Buckel, daß sie sich kaum durch die Pforte zwängen konnte. Als es ihr endlich gelungen war, ging sie auf den König zu und bat ihn in Gottes Namen um ein Almosen. Er gab ihr einen Dukaten und fragte sie: »Oh, du arme Frau, wovon bist du denn so bucklig geworden? Oder bist du vielleicht so geboren?«

»Nein, großer König«, antwortete die Bettlerin, »geboren bin ich nicht so. In der ganzen Stadt gab es kein so schönes Mädchen wie mich. Aber ich war immer sehr fleißig, habe Tag und Nacht gesponnen,



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und von dem vielen Gebücktsitzen bin ich dann so bucklig geworden.« «

Da wurde der König nahdenklich. Sofort fiel ihm seine Gemahlin ein. Und nachsinnend ging er weiter auf und ab.

Nach einer Weile knarrte wieder die Pforte. Und abermals kam eine Bettlerin. Der hing die Unterlippe bis auf die Brust. Der König gab auch ihr einen Dukaten und fragte sie:

»Sag, du arme Frau, wovon hat sich denn deine Lippe so gedehnt? Oder bist du vielleicht so geboren?«

»Ach nein, großer König«, antwortete die Bettlerin, »sieben Komitate weit gab es kein Mädchen, das mir an Schönheit gleichkam. Aber ich habe mein Lebtag sehr viel gesponnen, ich habe den Flachs gekaut, und davon hat sich dann meine Lippe so gedehnt.«

Da nahm sich der König vor, seiner Gemahlin zu sagen, sie solle weniger spinnen, und er wollte sogleich ins Haus gehen. Doch in diesem Augenblick begannen die Hunde zu bellen. Er drehte sich um, wer da käme, und da kam durch die knarrende Pforte die dritte Bettlerin. Wie sie auf den König zuging, schaukelte ihre heraushängende Zunge hin und her und schlug ihr fortwährend auf den Bauch.

Als der König das sah, bekam er einen Schreck. Schnell gab er der Frau einen Dukaten und fragte sie: »Um Gottes willen, wovon ist denn deine Zunge so entsetzlich lang geworden?«

»Ach, großer König«, sagte die Bettlerin, »das ist vom vielen Spinnen gekommen. Man muß immer am Faden lecken, wenn man spinnt. Vom Lecken ist meine Zunge so lang geworden.«

Darauf lief der König ins Schloß, geradenwegs zu seiner Gemahlin. Er erzählte ihr, was er gesehen und gehört hatte, wie schrecklich die drei Bettlerinnen gewesen waren. Und dann setzte er hinzu: »Wirf den Spinnrocken fort, wirf die Spindel fort, nicht eine Spanne Goldgarn sollst du mehr spinnen!«

Die Königin stellte sich, als ob ihr das sehr leid tue. Sie begann zu weinen und zu bitten, aber das war vergeblich. Der König ließ den ganzen Flachs verbrennen, sogar die Asche ließ er vom Hof wegtragen



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Von da an hatte die Königin keine Sorgen mehr.

Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie noch heute glücklich mit ihrem Gemahl, dem König.


Copyright: arpa, 2015.

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