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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Die verwunschene Ente

Es war einmal ein armer Mann, der hatte so viele Kinder, wie das Sieb Löcher hat, und noch eins dazu. Und wiederum bekam seine Frau mit einem Schlage zwei Kinder. Da sagte der arme Mann zu seiner Frau:

»Na, Frauen im Dorf sind schon alle vom Niedrigsten bis zum Höchsten unsere Gevattern; ich habe mir nun gedacht, ich werde sie ins Nachbardorf zum Taufen tragen, denn wir laden zu Gevatter und haben nicht mal das, was wir für uns selber brauchen.«

Die Frau antwortete: »Tragt sie nur ins Nachbardorf, Vater, und laßt sie taufen! Gott wird uns deswegen nicht strafen, denn er sieht ja, daß wir in Not sind.«

Da packte der Arme die beiden Kinder in einen Rucksack, nahm sie auf die Schulter und trug sie fort. Als er am Ende der Stadt angelangt war, sah er, wie gerade ein Kaufmannsgraf mit vier Pferden daherkam. Und da der Graf sah, daß ein armer Mann kam, sagte er zum Kutscher:

»Sieh, dort kommt ein armer Mann; wenn wir bei ihm sind, dann halte an, damit ich ihm das Lamm abkaufe.« Und der Graf rief den armen Mann an:

»Nun, armer Mann, gib mir das Lamm, damit ich's dir abkaufe!« Der Arme sprach: »Ho ho, Vater Graf, treibt nicht Euren Spott mit mir, ich trage kein Lamm, sondern zwei Kinder zur Taufe.« Da fragte ihn der Graf: »Warum trägst du sie ins Nachbardorf zum Taufen?



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»Weil meine Kinder so viele sind, wie das Sieb Löcher hat.«

»Nun, armer Mann, gib mir die beiden Kinder, damit ich sie dir abkauf e!«

»Lieber Vater Graf, habt die Güte und wartet ein bißchen, damit ich nach Hause gehe und meine Frau frage, ob ich sie verkaufen darf oder nicht.«

Der arme Mann eilte heim und fragte seine Frau. Sie antwortete ihm: »Geht, Vater, gebt sie hin! Gott wird uns nicht strafen, denn er sieht, daß wir kaum von einem Tag zum anderen zu leben haben.«

Der arme Mann rannte zum Grafen zurück. »Lieber Herr Graf, meine Frau hat gesagt, wir wollten Euch die beiden Kinder geben, für soviel Geld, wie sie wiegen.«

»Du armer Mann, laß uns in die Stadt gehen, um eine Waage zu erbitten, daß wir sie dort wiegen. Wenn ich dir nun aber beide Hälften deines Rucksacks mit Silber und Gold fülle, wär's dann recht?« »Es wäre schon recht, lieber Vater Graf!«

Da füllte der die beiden Hälften des Rucksacks, nahm die kleinen Kinder in den Wagen und sagte zum Kutscher:

»Kehre gleich um und eile dich so, daß du meinst, auf jeder Station werden vier Pferde verrecken; und wenn sie auch krepieren, so nehmen wir sofort andere.«

Die Gräfin hört, was für ein großes Gepolter da ist, läuft hinaus zum Tor und sieht, daß ihr Mann so jagen läßt, als wäre er blind. Gleich läßt sie das Tor öffnen, und mit verhängten Zügeln sprengt ihr Mann herein. Sofort aber hält er die Pferde auf dem Hofe an, und seine Gemahlin fragt ihn: »O mein Herzlieb, meine Augenweide, was ist die Ursache, daß du so schnell heimgejagt bist?«

»O liebe Frau, ich bringe, was uns mangelte, zwei kleine Kinder!« Die Gräfin greift zu, nimmt sie gleich vom Wagen herunter, und da sieht sie, daß eins ein Knabe, das andere ein Mädchen ist. Ungesäumt tauft sie sie, und zwar den Knaben »Blütensohn Janos«, das Mädchen hingegen »Grünhaarige Marzella«. Sie stellt auch gleich eine Amme für sie an.

Und die Kinder wuchsen so schnell heran, daß sie am dritten Tag



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schon so groß waren, als ob sie dreizehn Jahre wären. Da schickte der Graf sie in die Schule. Als es drei Tage waren, daß sie in die Schule gingen, wußte Blütensohn Janos schon mehr als der Lehrer. Das Mädchen, die Grünhaarige Marzella, ging noch eine Woche länger zur Schule als ihr Bruder.

Da sagte die Gräfin zu ihrem Mann:

»O mein Herzlieb, meine Augenweide, wie gern würde ich auch zur Messe gehen, um zu sehen, wer da alles ist.« Der Graf sagt: »Wem sollen wir die Läden überlassen?« Die Gräfin antwortet: »Wir setzen die beiden Kinder in die beiden Läden; denn sie verstehen sich aufs Verkaufen gut.« Der Graf sagt: »Wir wollen den beiden Kindern zwei Futtersäcke mit Geld geben; damit sollen sie spielen, bis wir zurückkommen; die beiden Läden aber schließen wir zu.« — Drauf reiste der Graf mit seiner Gemahlin zur Messe. Zu Hause fingen der Knabe und das Mädchen an, Karten zu spielen. So lange spielten sie, bis die Grünhaarige Marzella dem Blütensohn Janos alles Geld abgewonnen hatte. Da sagte Blütensohn Janos: »Liebe Schwester, sei so gut und leih mir ein Geldstück!«

Die Grünhaarige Marzella sagt: »Einem, der so gescheit ist wie du, gebe ich nicht mal einen Kreuzer!«

Blütensohn Janos sagt: »Nun, Schwester, dann leihe mir ein Geldstück auf meinen Rock.« Die Grünhaarige Marzella sagte: »Hier ist das Geldstück!«

Von neuem begannen sie zu spielen. Die Grünhaarige Marzella gewann wiederum dem Blütensohn Janos das Geldstück ab. Wiederum sagt Blütensohn Janos:

»Schwester, gib mir ein Geldstück auf meinen Hut!«

Nachdrücklich sagt sie: »Schau, hier ist dein Geldstück!«

Wiederum begannen sie zu spielen. Wiederum gewann die Grünhaarige Marzella das Geldstück Blütensohn Janos ab. Und jetzt sagt Blütensohn Janos:

»Grünhaarige Marzella, sei so gut und gib mir ein Geldstück auf meine Hosen!«

Die Grünhaarige Marzella gab wieder ein Geldstück. Wiederum begannen



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sie zu spielen. Wiederum gewann die Grünhaarige Marzella das Geldstück.

»Los, du Grünhaarige Marzella, du weißt doch, du bist meine Schwester.«

»Wie sollte ich das denn nicht wissen!«

»Also sei so gut und gib mir noch ein Geldstück!«

»Ich weiß gewiß, daß ich keinem eins gebe, der so gescheit ist wie du!«

»Gibst du's nicht, Schwester?«

»Nein, sicher nicht!«

»Na, wenn du's nicht gibst, dann mögen dich die Teufel holen!« Da holten sie die Teufel. Ihr Bruder aber schrie: »Na, na, tragt sie nicht fort! Ich habe es ja nicht gesagt, damit ihr sie fortträgt!«

Aber jetzt war's zu spät zum Reden, denn sie hatten sie bereits fortgeholt. Da grämte sich Blütensohn Janos, daß er allein geblieben war. »Und wenn nun der Graf heimkommt und das sieht, was wird dann aus mir?« Der Graf kam heim und sah, daß Blütensohn Janos allein war und in Hemd und Unterhosen. Der Graf sagt: »Nanu, Blütensohn Janos, wo ist deine Schwester?«

»Ich weiß nicht, lieber Vater Graf!«

»Wenn du nicht weißt, wo sie ist, so suche, bis du sie findest.« Blütensohn Janos grämte sich und zog durch siebenmal sieben Königreiche und noch weiter. Er kam zu einer Königsstadt. Vor dem königlichen Schloß waren, wie das so Brauch ist, Bänke zum Sitzen, und ersetzte sich da nieder. Alles, was ein König so zu haben pflegt: Windhunde, Esel und Jagdhunde bellten alle drinnen hinter dem Tor. Einen Kutscher verdroß es, daß die Hunde so bellten; er dachte bei sich, er wolle nachsehen, was für ein Tier die Hunde dort anbellten. Und da sah er, daß ein schmucker Bursche beim Tor saß. Der

Kutscher fragte ihn: »Wohin geht denn die Reise?«

»Ich bin ausgezogen, um mir einen Dienst zu suchen.«

»Wenn der erlauchte Vater König Euch bei zwei alten Pferden anstellte, würdet Ihr kommen?«

»Aber sehr gerne.«



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Der Kutscher ging hinauf zum König.

»Erlauchter Vater König, mein Leben und Tod sind in Eurer Hand, draußen beim Tor sitzt ein schmucker Bursche; es wäre ganz gut, ihn bei den alten Pferden anzustellen.«

»Rufe den Burschen herauf!«

Der Bursche geht hinauf, grüßt den König:

»Guten Tag, erlauchter Vater König!«

»Willkommen, kleiner Bursche! Was führt dich her?«

»Mich führt nichts Schlimmes her. Ich bin ausgezogen, einen Dienst zu suchen, mein Glück zu versuchen.«

»Und wenn ich dich nähme, würdest du kommen?«

»Gewiß, erlauchter Vater König.«

»Was für Lohn forderst du jährlich?«

»Ich fordere nichts anderes als Kleidung und Essen. Am Jahresschluß mag mir der erlauchte Vater König das zahlen, was ich verdient habe.«

So wurden die beiden alten Pferde ihm in Hut gegeben. Und er begann, die beiden Pferde zu pflegen. Sie wurden so wie dreijährige Rosse. Na, und da hatte er also nichts zu tun; er dachte bei sich: >Wenn ich eine Flinte hätte, zöge ich hinaus ins Schneegebirge, schösse einen Hasen oder eine Taube und machte sie dem erlauchten Vater König zum Geschenk.<Und er dachte bei sich: >Ich werde hinaufgehen zum erlauchten Vater König und mir eine Flinte ausbitten.<

»Gott zum Gruß, erlauchter Vater König!«

»Was gibt's Neues, mein Kutscher?«

»Nichts als das, erlauchter Vater König: da ich nichts zu tun habe, möchte ich den erlauchten Vater König um eine Flinte bitten, daß ich ins Schneegebirge gehen und das Schneegebirge durchwandern kann. Wenn dann der erlauchte Vater König irgendwann einmal ins Schneegebirge schickte, so würde ich wissen, in welcher Richtung man gehen muß.«

»Nun, kleiner Knabe, dort ist das Gewehr, dort sind Patronen; nimm dir soviel mit, wie du brauchst.«



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Da machte er sich auf ins Schneegebirge. Er schritt durch den Wald, fand aber keinerlei Getier. Plötzlich hörte er, wie ein Jagdhund anschlug. Da dachte er bei sich: >Was auch immer es sei, das dieser Jagdhund aufgespürt hat, ich werde es ihm wegschießen, denn niemand kann mir's verbieten!<Wie er dem Bellen des Hundes nachging, kam er auf eine kleine Wiese; auf der Wiese war ein Milchsee; er sah, daß zwölf Wildenten drin badeten, und dachte bei sich: Ich werde ein paar von ihnen erschießen; die bringe ich dann heim. Als er niedergekniet war am Milchseegestade, die Flinte bereit hielt und auf die schönste Ente zielen wollte, rief die Verwunschene Ente: »Hallo, du Blütensohn Janos, dies Gewehr, das du just eben zum Antlitz hebst, senke es und leg's auf die Erde!« Dann kam die Verwunschene Ente aus dem See, übersprang sich, und aus ihr wurde ein Demanten-Fräulein. Die Fee Ilona sprach:

»Wohlan, Blütensohn Janos, nun komm her zu mir!«

Dann dachte Fee Ilona einen Tisch für ein Paar, Speisen und Getränke darauf; es ward.

»Jetzt komm, Blütensohn Janos, setz dich neben mich, mein Herzlieb, meine Augenweide!«

Sie hielten nun das Mittagsmahl gemeinsam. Als die Mahlzeit vorüber war, sprach Fee Ilona:

»Merk auf, du Blütensohn Janos, rühme dich meiner nicht, was für eine Liebste du hast, sondern laß drei Tage so hingehen, ohne daß du dich zu jemanden meiner rühmst.«

»Ja, mein Herzlieb, meine Augenweide.«

»Und nun, Janos, hast du Geld für dich?«

»Ich habe ein paar Kreuzer.« Da sprach Fee Ilona: »Schau diesen Geldbeutel, darin bleibt das Geld, und wenn du nichts anderes tust und alles hinauswirfst, er bleibt doch voll bis in alle Ewigkeit. Nun, du Blütensohn Janos, morgen pünktlich zur Mittagsstunde, um zwölf Uhr sei hier am Milchseegestade.«

Dann griff Fee Ilona zwei Wildenten und gab sie dem Blütensohn Janos. »Nun, die nimm und schenke sie dem König; doch wenn du gehst, laß es dir ja nicht in den Sinn kommen, in ein Wirtshaus zu



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gehen und dort zu trinken, daß du dich dort meiner rühmst, was für eine Liebste du hast.«

»Fürchte nichts, denn ich werde nicht prahlen.«

Damit zog er von dannen. Als er beim Schloß des Königs angelangt war, hörte er, daß die Burschen im Wirtshaus sangen. Er dachte bei sich: >Ich werde hineingehen und wenigstens einen Becher Wein trinken.<

Als er eingetreten war, grüßte er: »Guten Tag, Herr Wirt, bitte, ein

Viertel Wein!« Der Wirt gab es ihm. Er trank es gleich an der Türe.

Da sprachen die andern Burschen:

»Das scheint ein Bettler zu sein, der kein Geld hat, denn er trinkt dort an der Tür das eine Viertel Wein.«

Blütensohn Janos entgegnete: »Wer hat kein Geld, he?«

»Na du!«

»Also ich hätte keins, he?«

»Na, du doch!«

»Herr Wirt, wieviel Wein habt Ihr wohl?« fragte Blütensohn Janos.

»Das weiß der Himmel, ehe ich's nicht ausrechne, zuvor weiß ich nicht, wieviel's ist.«

»Haben der Herr Wirt wohl einen leeren Keller?«

»Jawohl.«

»Wenn ich ihn mit Zwanzigern und Talern vollwerfe, wär's recht so?«

»Gut.«

»Nun, dann kommt gefälligst mit mir, öffnet die Tür!«Dann stellte er sich in die Tür und warf den Keller so voll mit Zwanzigern und Talern, daß auch kein Pritzelchen mehr Platz hatte.

»Nun, ihr Burschen, geht und wälzt die Fässer aus dem Keller und trinkt, soviel ihr mögt.«

Damit ging er fort und legte dem König das Wildentenpaar vor. Der König freute sich sehr, daß sein Kutscher ihm ein Paar Wildenten gebracht hatte.

Anderntags zwölf Uhr langte Blütensohn am Milchseegestade an.



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Die Verwunschene Ente sprang aus dem Teich, übersprang sich, und aus ihr wurde ein Fräulein aus eitel Demant. Da sprach die Fee Ilona:

»Ich habe dir gesagt, du solltest dich meiner nicht rühmen, aber das ist nur eine Kleinigkeit, und wiederum bitte ich dich, rühme dich nicht und sei morgen mittag um zwölf Uhr hier.«Dann griff sie ein paar Wildenten. »Nun, die trage heim!« Er machte sich auf den Heimweg, und da hörte er, wie die Burschen im Wirtshaus sangen. >Ich werde hineingehen und einen Becher Wein trinken!<dachte er und sagte:

»Herr Wirt, bitte, einen Becher Wein!«

Der Wirt gab ihm gleich. Er trank ihn an der Tür. Die Burschen sprachen untereinander: »Wer ist deine Liebste?« —»Meine ist die von Dorfrichters.« —»Und deine?« — »Meine die von Notars.« —

»Und deine, Freundchen?« — »Meine die von Stuhlrichters.«

»Der hier scheint ein Zigeuner, denn er hat keine; denn wenn er eine hätte, würde er auch sagen, wer's ist.«

Da sprach Blütensohn Janos: »Wer hat keine Liebste, ha?«

»Na du!«

»Ich habe solch eine Liebste, daß meiner Liebsten Fußsohle weit schöner ist als eurer Königin Antlitz.«

Da stürzten sich die Burschen gleich auf ihn, und sie begannen ihn zu schlagen. Der König bemerkte, daß sie seinen Burschen schlugen; der König rief hinaus: »Heda, schlagt ihn nicht!«

»Laßt uns, erlauchter König; denn wenn Ihr wüßtet, warum wir ihn schlagen, würden der erlauchte Vater König ihn auch schlagen.«

»Na, haltet nur Frieden, bringt ihn herauf zu mir und erzählt mir, was er gefehlt hat.«

Und die Burschen sagten, jener habe gesagt, er habe solch eine Liebste, daß seiner Liebsten Fußsohle weit schöner sei als unserer Königin Antlitz. Da sagte der König, man solle ihn einsperren.

Nun entschloß sich Fee Ilona und schrieb ein Zettelchen und schickte es durch ein winziges Hündchen zum König. Der König las das Zettelchen. Drauf stand geschrieben:



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»Merk auf, du König! Den du gefangensetzen ließest, der soll einen gemalten Tisch haben, und zwölf Kerzen sollen unaufhörlich vor ihm brennen, und von Speisen und Getränken das Auserlesenste soll ihm gebracht werden. Du jedoch laß morgen um acht Uhr deine zwölf Pferde vor die Demantkutsche spannen. Heiße deine Gemahlin und deine Tochter einsteigen, und jenen Gefangenen heiße hinten auf dem Bockende sitzen. Mit ihm zusammen erscheine morgen zur Mittagsstunde am Milchsee; denn glaube mir, du spielst mit deinem Haupt, wenn du nicht erscheinst.«

Das nahm der König nicht als Spaß, und Punkt acht Uhr waren die Pferde vor der Demantkutsche, sie saßen alle auf und fuhren zum Milchsee. Sie langten beim Milchseegestade an. Da rief ihnen die Verwunschene Ente zu: »Nun, Königin, schau in den Milchsee; was siehst du?«

Und da sah sie, daß er mit eitel Goldperlen ausgelegt war.

»Schau hinein, Prinzessin, und sage, was siehst du?«

Der König schaute hinein und sah, daß die Fußsohle der Verwunschenen Ente schöner war als seiner Gemahlin Antlitz. Die Verwunschene Ente sprach: »Wohlan, König, du kannst gehen, doch Janos bleibe hier! Nun, du König, wenn du in die Landstraße eingebogen bist, wandelt euch zur Steinsäule allesamt miteinander.« Drauf erwiderte der König: »Eselsgeschrei dringt nicht zum Himmel.«

Nun sprach Fee Ilona zu Blütensohn Janos:

»Ich hatte dir gesagt, du solltest dich meiner nicht rühmen, und wenn du nur noch einmal vierundzwanzig Stunden ausgehalten hättest, so wären wir einer des andern gewesen, doch so bleiben wir auf ewig voneinander geschieden.«

So nahm sie Abschied vom Blütensohn Janos: »Gott allein weiß, ob wir uns jemals, ob niemals begegnen werden.«

Dann flog die Verwunschene Ente selbzwölft auf und zog fort zum Sinaiberg.

Nun härmte sich Blütensohn Janos und dachte bei sich: >Solange will ich wandern, bis ich irgendwo Kunde höre von Fee Ilona!



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Und so ging er fort und zog durch sieben Lande, durch sieben Welten. Erlangte beim Schwarzen Meer an; dort erblickte er eine Mühle. Er dachte bei sich: >Siebenzehn Jahre um und um, daß ich keinen Bissen gegessen! Ich werde hineingehen und um ein kleines Brot oder einen Bissen Maisbrei bitten.<

Er ging hinein, und da sah er, daß kein Müller da war.

»Heda, wo steckst du, Müller!»

»Heda, hier bin ich beim Mühltrichter!«

Wie er hingeht, um den Müller zu erspähen, sieht er ihn nirgends.

Wiederum ruft er: »Wo steckst du, Müller?«

»Zum Teufel mit deinen Augen! Siehst du denn nicht, daß ich hier beim Mühltrichter bin und den Weizen aufschütte?« Er schaut hin und sieht, daß ein Däumlingsmüller dort steht. Blütensohn Janos fragt:

»Hör, Däumlingsmüller, für wen mahlst du denn diesen Weizen?«

»Den mahle ich für die Verwunschene Ente!«

»Und wer trägt das Weizenmehl fort?«

»Drei Schwäne.«

»Worin tragen sie's?«

»In drei Tonnen.«

»Nun, du Müller, was soll ich dir bezahlen, daß du mich in einer der Tonnen versteckst?«

»Oh«, sagte er, »mir zahle nichts, ich verstecke dich schon so; aber wenn jene drei Schwäne dich hinaus auf den Gipfel des Glasberges getragen haben und wenn sie dann merken, daß du dich drinnen bewegst, werfen sie dich so zurück, daß deine Knochen feiner zermahlen sein werden als das feinste Mehl.«

»Fürchte nichts, denn ich werde mich nicht regen.«

Da half ihm der Däumlingsmüller und verbarg ihn in einer Tonne. Die drei Schwäne langten an und flogen mit den drei Tonnen von dannen und flogen hinaus zum Gipfel des Glas berges und legten sie an ihrem Rastort nieder. Es fragt der eine Schwan die andern:

»Sind eure diesmal schwerer als sonst?«

»Unsere sind nicht schwerer.«



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»Nun, die meine ist aber um vieles schwerer als sonst.« Blütensohn Janos konnte es nicht mehr aushalten, den einen Fuß nicht zu rühren. Sie bemerkten ihn und schleuderten ihn vom Glasberg so zurück, daß sein Leib feiner zermahlen war als das feinste Mehl, als er unten war. Da ging der Müller hin und sammelte all seine Bröckchen und trug sie heim und formte einen Menschen. Dann berührte er ihn leicht mit einem Tüchlein, und auf der Stelle war er wieder lebendig. Wiederum sprach Blütensohn Janos:

»Wohlan, du Däumlingsmüller, sag mir, wie ich dorthin gelangen kann.«

Da sprach der Müller: »Nun, Blütensohn Janos, siehst du hier unten jenes Haus?«

»Jawohl.«

»Dort wohnt ein gottloser Schmied, der hat eine dreibeinige Stute; wenn du die kaufen und dann verkehrt beschlagen lassen und seinen Kutscher und seinen Wagen mitsamt Geschirr kaufen könntest, würdest du damit von dannen ziehen können.« Er ging hin:

»Guten Tag, du gottloser Schmied, was soll ich geben, damit du mir deine dreibeinige Stute und deinen Kutscher, deinen Wagen mitsamt Geschirr gibst? Ich möchte sie kaufen.«

»So viel Geld hast du gar nicht, um das zu kaufen.«

»Was forderst du denn?«

»Also packe mir jedes meiner Haare in Gold.«

Da sprach Blütensohn Janos: »Du, damit wollen wir keine Zeit verlieren; hast du eine leere Kammer?«

»Ja.

»Wenn ich sie nun mit Zwanzigern, mit Talern vollwerfe, wär's dann recht?«

Er sagte, es wäre ihm recht. Nun ließ er die Kammer mit Zwanzigern und Talern füllen. Dann stand er ihm bei und spannte die dreibeinige

Stute vor den Wagen. Da sagte die Zigeunerin zum Kutscher:

»Na«, sagte sie, »du siehst doch, wieviel Geld wir haben!«

»Jawohl.«

»Na, schau hier die Zigeunerwurzel! Wenn ihr auf des Glasbergs



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Gipfel zum Rastplatz gekommen seid, da wird Blütensohn Janos sich dort an einer Stelle niederlegen. Diese Wurzel stecke ihm verkehrt in seinen Rock!«

Und so geschah es auch. Als sie auf dem Gipfel angelangt waren, legte sich Blütensohn Janos unter einem Baum nieder, und der Kutscher steckte ihm die Wurzel verkehrt in seinen Rock. Da schlief Blütensohn Janos ein. Die Verwunschene Ente kam selbzwölft daher. Sie faßten Blütensohn Janos, spielten mit ihm Ball, zwölfmal, daß sie es gar nicht toller hätten treiben können, zwölfmal badeten sie ihn in ihren Tränen, zwölfmal trockneten sie ihn ab; aber trotzdem erwachte er nicht. Da sprach die Verwunschene Ente zu jenem Kutscher: »Sag deinem Herrn, ich hätte das gesagt: Morgen zur Mittagszeit, um zwölf Uhr, sei er hier; doch wenn er dann auch in so tiefem Schlummer läge wie jetzt, dann würde er mich fürderhin nicht wieder finden.«

Dann flog die Verwunschene Ente selbzwölft auf und zog von dannen. Da zog der Kutscher die Zigeunerwurzel aus seinem Rock, und Blütensohn Janos erwachte. Der Kutscher sprach: »Siehst du, wo sie fliegt?«

»Ich sehe es.«

»Nun, das sagte sie: du sollst morgen zur Mittagsstunde um zwölf Uhr hier sein, und wenn du dann auch so in tiefem Schlummer liegst wie eben, begegnest du ihr fürderhin nicht wieder.«

Dann kehrten sie zurück zum Schmied. Doch die Schmiedsfrau erwartete Blütensohn Janos mit einem prächtigen Nachtmahl. Blütensohn Janos jedoch in seinem Kummer brauchte kein Essen; er wartete nur, daß der andere Tag nahe, daß er noch einmal hinausgehen könnte zum Gipfel des Glasberges.

Am andern Tage mittags um zwölf Uhr waren sie draußen auf dem Gipfel des Glasberges. Wiederum legte er sich im Schatten nieder. Da mache sich der Kutscher an ihn heran und steckte ihm die Zigeunerwurzel verkehrt in seinen Rock; er schlief so fest ein, wie er fester gar nicht hätte schlafen können. Die Verwunschene Ente selbzwölft langte an. Sie warfen Ball, zwölfmal badeten sie ihn in ihren Tränen,



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zwölfmal trockneten sie ihn ab; dennoch wachte er nicht auf. Da zog die Verwunschene Ente sein Schwert heraus, und auf die Schwertklinge schrieb sie: »Hänge dein Schwert vom kleineren Nagel auf den größeren Nagel.« Dann sprach die Verwunschene Ente: »Sag deinem Herrn, er solle sich nicht fürder um mich abmühen; jetzt hätten wir uns finden können, jetzt, dies eine Mal, doch von nun an werden wir uns nicht wieder begegnen.« Dann flatterte die Verwunschene Ente selbzwölft auf und flog von dannen. Der Zigeunerbursche zog die Wurzel aus seinem Rock. Da erwachte Blütensohn Janos. »Na, siehst du, wo die Verwunschene Ente fliegt? Die Verwunschene Ente sagte: du sollst ihr nicht weiter nachziehen, denn Gott allein weiß, ob ihr euch finden werdet oder nicht. Doch sie sagte, ich solle dir ausrichten, daß du dein Schwert vom kleineren Nagel auf den größeren hängen sollst.«

Er ging zurück zum Schmied und nahm sein Schwert und metzelte den Schmied mitsamt seiner Familie nieder.

Dann machte er sich auf durch siebenmal sieben Königreiche und langte auf einem großen Schneegebirge an. Dort erblickte er einen Palast. Er dachte bei sich: >Ich werde hinaufsteigen in diesen Palast. Siebenzehn Jahre um und um sind's, daß keine Speise berührte meinen Mund; ich werde um einen Bissen Brot bitten oder um ein wenig Maisbrei, womit ich meine Seele laben kann.<

Ergeht hinauf in den Palast und sieht da, daß dort ein Tisch gedeckt ist mit Essen und Trinken für einen Menschen, doch er sieht nirgends jemanden, und er ruft, doch keiner antwortet. Er denkt bei sich: Wessen Essen dies auch sei, ich werde es aufessen; denn ich habe so viel Geld, daß ich es bezahlen kann! —Als er das Essen verzehrt hat, hört er ein wehmütiges Pfeifen. Er schaut zum Fenster hinaus, und da sieht er, wie eine riesige Schlange geradewegs ins Schloß hinaufkommt und ins Zimmer hinein, in dem er ist. Die Riesenschlange kroch unter den Tisch, legte den Kopf aufs Tischkreuz, begann sich einzurollen und bedeckte mit ihrem Rund den Fußboden des ganzen Zimmers: die Hälfte ihres Leibes war aber noch draußen. Sie fragte Blütensohn Janos:



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»Fürchtest du dich vor mir?«

»Zuerst, als ich dich sah, da habe ich mich wohl ein bißchen gefürchtet; aber jetzt fürchte ich mich nicht mehr.«

»Wohlan, Blütensohn Janos, ich sage dir eins: bringe drei Nächte für mich zu; denn nach deiner guten Tat erwartet dich Gutes. Essen, Trinken wirst du haben, wann es dir gefällt, dort ist Tabak, Pfeife und Zündhölzer, dort das Spiel Karten, mit denen du dich nach Belieben unterhalten kannst; doch abends leg dich oben auf das zurechtgemachte Bett, nach der Wand zu. Zwölf Riesen werden hereinkommen; die werden hier nachtmahlen und zum kleinsten sagen: >Mach das Bett!<Und er wird gehen und das Bett machen und dich dort erwischen. Du aber sprich nichts, sage nichts, laß sie nur mit dir machen, was sie wollen.«

So geschah es auch. Er legte sich oben aufs Bett nach innen zu, und schon kamen die zwölf Riesen. Sie nachtmahlten und sagten zum kleinsten:

»Du, mach das Bett!«

Er machte es und fand Blütensohn Janos. Da sprach er: »Ich habe eine Erdmaus gefunden.«

Die andern sprachen: »Bring sie her!«

Er trug ihn hin, und sie spielten so mit ihm Ball, daß sie's ärger nicht hätten treiben können. Dann sagten sie zum kleinsten: »Na, nun schüttle ihn aus dem Fenster!«

Und er schüttelte ihn aus dem Fenster. Gleich langte Janos auf der Erde an, und er war siebenmal schöner geworden, als er vordem gewesen war.

Nun ging er wieder hinauf und aß und trank. Als er fertig war, hörte er den traurigen Gesang. Er blickte aus dem Fenster, und da sah er, daß die Schlange kam, aber bis zur Brust herab hatte sie schon einen Frauenleib. Die Schlange kam ins Zimmer und fragte Blütensohn Janos: »Hast du dich heut nacht gefürchtet?«

»Ich habe mich kein bißchen gefürchtet.«

»Mein Herzlieb, meine Augenweide, bring diese zwei Nächte für mich zu, und nach deiner guten Tat erwartet dich Gutes.«



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Dann ging die Schlange wieder fort. Blütensohn Janos legte sich auf die innere Seite des zurechtgemachten Bettes. Die zwölf Riesen traten ein und nachtmahlten. Sie sprachen zum kleinsten: »Mach das Bett!«

Er ging hin und erblickte Janos. Wieder sagte er:

»Ich habe wieder eine Erdmaus gefunden.«

»Gib sie her, damit wir mit ihr Ball spielen können.« Und sie spielten wieder mit ihm Ball und sprachen zum kleinsten: »Schüttle ihn aus dem Fenster!«

Und er schüttelte ihn aus, und er war noch nicht auf der Erde, da war er ein siebenmal schönerer Mann geworden, als er vordem gewesen war.

Dann ging er wieder hinauf und aß zu Mittag. Während des Mahles hörte er den lauten Gesang. Er blickte zum Fenster hinaus und sah, daß die Schlange kam und schon bis herab zur Hüfte in Frauengestalt war. Dann kam die Schlange ins Zimmer hinauf und sprach: »Nun, mein Herzlieb, meine Augenweide, nun mußt du noch eine Nacht kein bißchen schlafen.«

Dann sprach sie: »Tür und Fenster öffne zuletzt; zwölf Banden werden herkommen, sich vor Tür und Fenster stellen und immerfort musizieren. Du geh im Zimmer spazieren. Sie werden dich durch Tür und Fenster hinausrufen, doch du nahe ihnen nicht, und wenn jemand hereintreten will, schlage ihn ungesäumt nieder.«

Der Abend nahte. Die zwölf Banden kamen, stellten sich an Tür und Fenster auf, begannen dort sehr lustig ihre Musik. Sie riefen Blütensohn Janos; doch er ging nicht hinaus. Um zwölf Uhr verstummte die Musik, und die Banden zogen von dannen. Da machte er sich das Bett zurecht und legte sich nieder und schlief auch ein.

Frühmorgens kam Fee Ilona zu ihm und herzte und küßte ihn wieder und wieder. Blütensohn Janos erwachte von den glühenden Küssen, und siehe da, vor ihm stand Fee Ilona. Da sprach Fee Ilona: »Nun, mein Herzlieb, meine Augenweide, ich bin dein, du bist mein.«

Dann aßen und tranken sie. Darauf bestrich Blütensohn Janos die



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vier Ecken des Palastes mit einer goldenen Gerte, da wurde dieser zu einem goldenen Apfel, und den steckte er in seine Tasche. Sie machten sich auf und wanderten durch siebzehn Königreiche, siebzehn Welten. Sie langten bei einem riesigen Haus auf einer kleinen Wiese an, und sie gingen hinein. Dort sahen sie in einem Zimmer, daß sein Anzug auf einem Haken hing, und er erblickte die Grünhaarige Marzella, und sie umarmten und küßten sich.

»Ach, meine Seele, meine Schwester, wie gut, daß wir uns noch im Leben getroffen haben; jetzt gehen wir zusammen heim.«

Da sprach Fee Ilona: »Dort sollen wir sein, wo ich's denke.« Und da waren sie auch schon zu Hause am Ende der Stadt. Blütensohn Janos holte den Goldapfel hervor und schleuderte ihn so hinauf, wie es besser gar nicht möglich gewesen wäre, und da wurde aus ihm ein zwölfstöckiger Palast auf einem Hahnenfuß, der war mit einer goldenen Kette an einen goldenen Stern gebunden und drehte sich darauf immerzu der lieben Sonne zu. Durch siebzehn Reiche ließen sie es künden; Herzöge und Grafen, Prinzen und erlesene Zigeunerburschen erschienen zur Hochzeit, Priester und Henker wurden gerufen. Der Priester traute sie, der Henker stäupte sie; noch jetzt dauert die große Hochzeit.


Copyright: arpa, 2015.

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