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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Gott weiß zu bestrafen

Es war einmal ein Landmann, der einen großen Bauernhof sein eigen nannte und dem nichts zum Wohlleben fehlte. In seinen Ställen stand das schönste Vieh, seine Pferde waren die feurigsten im Dorfe, und in seinen Gärten und Feldern blühte und reifte alles aufs beste.

Eines Abends bewirtete er einige Freunde und sprach zu ihnen: »Selbst wenn mein Gut dem Feuer zum Opfer fallen sollte und in Schutt und Asche aufginge, wäre es mir gleich!«

Er dachte hierbei an den schönen Batzen Geldes, den er sich im Laufe der Jahre zurückgelegt hatte. Und siehe da: Er hatte das Schicksal mit seinen lästernden Worten beschworen!

Einer seiner Freunde, der gerade auf den Hof gegangen war, stürzte in die Stube zurück und rief erregt:

»Feuer! Feuer! Die Ställe brennen lichterloh!«

»Wenn's brennt, laß es nur brennen!«beruhigte ihn der Hausherr, und als alle helfen wollten, das Feuer zu löschen, hielt er sie davon ab. So brannten Haus und Hof bis zum Grunde nieder, und alles lag in Asche. Doch der Bauer nahm es auf die leichte Schulter. Er hatte doch seine Ersparnisse in der Erle am Bache versteckt und konnte sich von diesem Gelde ein neues und noch viel schöneres Gut aufbauen. Doch es kam anders! Durch einen Wolkenbruch angeschwollen, trat das Wasser aus den Ufern und riß die Erle mit sich. So geschah es, daß der wohlhabende, überhebliche Mann über Nacht zum Bettler geworden war und nun, um sein Brot zu verdienen, Botengänge verrichten mußte. Eines Abends wurde er auf einem dieser Botengänge von der hereinbrechenden Nacht überrascht. Er kehrte bei einem reichen und gutherzigen Bauern ein und bat ihn um ein Nachtlager. Nach dem Abendessen, als sie gemütlich um den Tisch



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herum saßen, erzählte einer dem anderen seine Erlebnisse. Der Bote erzählte seinem Gastgeber und seiner Frau von jener Zeit, da auch er ein sorgenloses Dasein geführt hatte, und wie dann eine Feuersbrunst seinem Wohlstande ein Ende gesetzt hätte.

»Ich hatte zwar«, fügte er hinzu, »eine hübsche Summe Geldes zurückgelegt, die ich fürsorglich in einer Erle beim Bache verwahrte. Doch das Wasser hat meine Erle fortgetragen und mit ihr all mein Hab und Gut. So muß ich denn nun als Bote mein Dasein fristen und bin auf die Güte und Freigebigkeit meiner Mitmenschen angewiesen.«

Als der Bauer dieses seltsame Geschick vernahm, schaute er bedeutungsvoll seine Frau an. Die Erle, von der der Bote gesprochen hatte, war ihnen eines Morgens vom Bache zugetragen worden. Als sie den Baum entzweisägten, um Spaltholz daraus zu machen, fanden sie im Stamme zu ihrer großen Überraschung das viele Geld. Der Bauer und seine Frau berieten nun in ihrer Kammer, was sie tun sollten und auf welche Weise sie dem armen Boten seine Habe am besten zurückerstatten könnten, so daß er nicht ahnen sollte, woher es tatsächlich gekommen war.

»Weißt du, wie wir es am besten anstellen?« rief der Bauer. »Wir werden von einem Laib Brot den Boden wegschneiden, werden das Brot aushöhlen, mit dem Gelde füllen und die Öffnung dann wieder mit der Rinde verschließen. Dieses Brot wollen wir dem Boten dann als Wegzehrung mitgeben.«

Die Frau war einverstanden, und der Plan wurde ausgeführt. In der Frühe, als der Bote zum Gehen bereit war, reichten sie ihm den Laib Brot und sagten:

»Hier ist etwas für unterwegs -Ihr werdet es sicherlich gut gebrauchen können!«

Der Bote nahm dankend das Brot in Empfang, steckte es in seine Tasche, die er über die Schulter geworfen hatte, und machte sich auf den Heimweg.

Unterwegs begegnete er einigen wandernden Kaufleuten, die von Dorf zu Dorf zogen, um Kühe und Schweine zu kaufen. Sie erkannten



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den Boten, denn auch von ihm hatten sie einst manches grunzende Schweinchen gekauft, und sie fragten ihn, ob er wieder mal auf seinem Hofe etwas für sie zum Kauf habe. »Ich hatte -ich hatte«, seufzte der arme Mann. »Doch hat mich Unheil befallen, mein Gut brannte nieder, und ich bin ein Bettler und Landbote geworden.« Er erinnerte sich an den Laib Brot, den er in der Tasche trug, und fügte hinzu: »Hier kauft mir dieses frische Brot ab. Ich bin nicht hungrig, und es macht mir nur Mühe, es zu tragen. Die paar Groschen, die ihr mir dafür geben werdet, können mir auf meinem Wege gewiß nützlicher sein!«

Die Kaufleute waren es zufrieden, gaben ihm einige Groschen und gingen ihres Weges. Sie kamen bald zu dem Gehöft des gutherzigen Bauern, bei dem der Bote übernachtet hatte, und fragten ihn, ob er in seinem Staue Vieh zum Verkauf habe.

»Ich habe nichts für euch«, antwortete der Bauer, »doch kommt in die Stube und ruht ein wenig aus. Ich will euch schnell einen Imbiß holen.«

»Macht Euch keine Mühe, Gevatter«, riefen die Kaufleute, »wir haben unterwegs von einem armen Boten diesen frischen Laib Brot erstanden und wollen ihn jetzt verzehren!«

Der Bauer und die Bäuerin erschraken gar sehr bei diesen Worten und ahnten wohl, was sich zugetragen hatte! Und als dann die Kaufleute das Brot auf den Tisch legten, sahen sie, daß ihre Befürchtung berechtigt war und hier das von ihnen so sorgfältig bereitete Brot, in dem sie dem armen Manne sein Eigentum hatten zurückgeben wollen, wiederum auf ihrem Tische lag. Der Bauer winkte seiner Frau zu und sagte zu den Kaufleuten:

»Folgt mir in den Stall, vielleicht wird sich doch das eine oder das andere Stück finden, das ihr kaufen könnt!«

»So laßt uns gehen!« riefen die Kaufleute und eilten aus der Stube. Die Frau, die nicht dumm war, hatte den Wink, den ihr Mann ihr noch vorm Verlassen der Stube gegeben hatte, wohl verstanden. Sie eilte in die Küche, holte schnell einen andren Laib Brot, legte ihn auf den Tisch und versteckte den anderen. Als die Gäste aus dem



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Staue zurückkamen, ließen sie sich's gut schmecken, verabschiedeten sich bald und zogen ihres Weges. Nach einiger Zeit kam der Bote wiederum mit einem Schreiben in das Gehöft und wurde von dem Bauern und seiner Frau voll Freude empfangen. Die beiden waren glücklich, ihn wiederzusehen, und hofften, daß es ihnen gelingen werde, ihm diesmal das Geld unbemerkt zurückzuerstatten. Sie bewirteten ihn aufs beste, bereiteten ein bequemes Nachtlager für ihn vor, und als er am Morgen das Gehöft verlassen wollte, wickelten sie das Geld in ein Tuch und legten es in seine Tasche.

Der Weg führte den Boten durch den Obstgarten des Bauern. Er sah die reifen, roten Äpfel einladend von den Ästen hängen und konnte der Versuchung nicht widerstehen.

»Oh, was für schöne Äpfel!« rief er. »Ich will mir einige mit auf den Weg nehmen!«

Er hängte seine Tasche auf einen Ast und streckte seine Arme nach den Äpfeln aus. Im selben Augenblicke erblickte er jedoch den Bauern, der ebenfalls in den Garten gekommen war. Voll Schreck, bei einem Diebstahl ertappt zu werden, lief der arme Bote davon und ließ die Tasche am Baume hängen. Der Bauer nahm sie vom Ast herunter, schüttelte traurig den Kopf und seufzte:

»Ach, der arme Kerl! Er erschrak so sehr, daß er seine Tasche vergaß !«

Nach einigem Überlegen fügte er hinzu:

»Er muß über den kleinen Steg gehen, der über unseren Bach führt! Wenn ich durchs Gestrüpp entlang des Baches eilen werde, vermag ich noch vor ihm dort anzulangen und kann ihm unbemerkt die Tasche auf den Steg legen, wo er sie sicherlich finden wird!«

Er führte sein Vorhaben aus, legte die Tasche nieder, sich selbst aber verbarg er in den Büschen, um zu beobachten, was nun geschehen werde. Es dauerte nicht lange, und der Bote kam zu der schmalen Brücke. Er blieb nachdenklich stehen und sprach laut zu sich selbst:

»Wie glücklich bin ich doch, daß ich gute, gesunde Augen habe und durch Botengänge meinen Lebensunterhalt verdienen kann! Wie furchtbar wäre es, wenn ich blind würde -wie könnte ich dann noch



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über einen so schmalen Steg gehen? Ich will doch mal versuchen, ob es mir überhaupt gelänge, hinüberzukommen!«

Und er schloß die Augen, tappte vorsichtig mit seinem Wanderstab vor sich hin, überschritt die Tasche mit dem Gelde und ging weiter, ohne sich auch nur umzusehen.

Der gute Bauer saß da wie vom Schlage gerührt und wollte seinen Augen nicht trauen! Dann aber sagte er: »Der hat sicherlich unseren Herrgott sehr verärgert und muß nun dafür büßen!«


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