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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Wie eine geschwätzige Bäuerin durch Klugheit und List belehrt wird

Ein reicher Edelmann gab einem Bauern ein Stück Land, daß dieser es selber bearbeite. Der Bauer grub zuerst einen tiefen Abzuggraben und stieß dabei auf ein verrostetes dickes Gefäß von Metall. Voller Neugier grub er tiefer, warf die Erde, so schnell er nur konnte, zur Seite, und vor seinen staunenden Augen blinkte ein Haufen Golddukaten.

Der Bauer gab sich alle Mühe, seine Freude zu verbergen, und bedeckte Gefäß und Inhalt sehr sorgfältig, denn er beschloß, bei Nacht wieder herzukommen, wenn niemand ihn sehen konnte. Doch das



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Gefäß, eine Art Henkelkrug und eine sehr solide Handwerksarbeit, war ungeheuer schwer. Nur zwei Personen gemeinsam würden es anheben können, wenn jeder von ihnen an einem Henkel anfaßte. Die Schwierigkeit war nun, eine zweite Person in ein solch wichtiges und gefährliches Geheimnis einzuweihen.

Von allen Seiten und hin und her betrachtet, schien nur ein einziger Mensch geeignet, ins Vertrauen gezogen zu werden, und das war seine eigene Frau.

Leider aber, und das wußte der Bauer genau, war die Frau geradeso dumm wie schwatzhaft. Noch nie in ihrem Leben hatte sie es fertiggebracht, über irgendwas den Mund zu halten. Was sie nur hörte, wenn es auch die geringste Kleinigkeit war und oft nur ein Gerücht, lief sie sofort in die Nachbarschaft, es weiterzutragen. Der Bauer hatte schon mehr als einmal Ärger deswegen gehabt. Was es auch koste: diesmal mußte er vorbeugen und verhindern, daß sie ihn durch ihre Torheit und ihr Geschwätz ins Unglück stürzen konnte. Das machte ihn tief nachdenklich, und er arbeitete grübelnd bis weit in die Dämmerung hinein.

Dann eilte er ins Dorf und kaufte sich mehrere Salamiwürste und andere Würste dazu sowie mehrere Stangen mit weißen Broten. Als er nicht mehr weit von seiner Hütte entfernt war, befestigte er die Salamiwürste an seinen eigenen Zaunpfählen und tat die Brotstangen zur Erde. Er legte einen Wildvogel in sein Fischnetz und einen Fisch, den er gerade geangelt hatte, in die Vogelschlinge. Nachdem das alles vollbracht war, trat er ein und wurde wie gewöhnlich von seiner Frau mit lautem Jammern und Klagen wegen ihres ärmlichen Lebens empfangen.

»Ruhig, Frau!«sagte der Bauer. »Jammere mir nicht länger über das, was wir doch nicht ändern können. Laß uns lieber im Netz und in der Schlinge, die ich gelegt habe, mal nachsehen, ob irgendwas darin ist, womit wir morgen zur Stadt gehen und es gegen Salz und Mehl eintauschen können.«

Während er so redete, wandte er sich von ihr weg und stellte sich, als wollte er hinaus auf den Weg, der waldwärts führte. Die Frau



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blieb wie erstarrt vor dem Zaun stehen, an dessen Pfählen die Würste steckten, schrie und staunte mit beinahe überschnappender Stimme: »Hier ist ein Wunder geschehen! Hier sind lauter Würste am Zaun! Riech bloß den Knoblauch! Wie kann sowas nur hierhergekommen sein?«

»Ruhig, sei ruhig, Frau!« sagte darauf der Bauer, innerlich erfreut, daß sein Plan so gut vorankam. »Das kannst du dir ja nur in deiner Dummheit einbilden! So etwas gibt es doch gar nicht!«

Die Frau schnüffelte an den Würsten herum, und während sie sich bückte, stieß sie schon mit der Fußspitze an eines der weißen Brote, die auf der Erde lagen.

»Mann, Mann!«schrie sie überrascht, hob das Brot auf, schnupperte daran und biß hinein. »Hier ist noch ein anderes Wunder geschehen! Der Zaun ist voller Würste, und statt Steinen liegen auf der Erde weiße Brote, die wir essen können!«

»Wenn es stimmt, was du da sprichst«, erwiderte ihr Mann, »dann sammle nur alles in deiner Schürze ein, und wir werden für eine ganze Zeit genug Essen in der Vorratskammer haben.«

Danach forderte er sie auf, in Netz und Schlinge nachzusehen, ob sich darin wohl etwas gefangen habe.

Sofort kam sie laut schreiend angestürzt: »Wunder über Wunder! Im Netz ist ein Huhn und in der Schlinge hängt ein Fisch!«

So nahmen sie nun alles Gefundene mit nach Hause, und als sie sich satt gegessen hatten, sprach der Bauer zu seiner Frau: »Es gibt da noch etwas, was ich dir gern anvertrauen möchte, aber du mußt mir heilig versprechen, niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon zu verraten, denn wenn du das tätest, würden wir nur darunter zu leiden haben und sehr unglücklich werden.«

Der Frau traten vor Neugier bereits die Augen aus dem Kopf, und sie schwor beim Andenken ihrer Mutter, daß nicht ein einziges Wort zu irgend jemandem über ihre Lippen kommen sollte.

»Gut, Frau, dann höre!«sagte der Bauer. »Im Garten unseres Herrn stieß ich heute beim Graben mit meinem Spaten auf ein Gefäß voll goldener Dukaten. Es sind ihrer soviele und das Gefäß ist so schwer,



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daß ein Mensch allein es nicht heben kann. Wir müssen es gemeinsam tun, indem wir es an den Henkeln herausheben.«

Dann befahl er, sie solle ihr bestes Kleid anziehen, er aber nahm ein Bündel Zweige und tauchte sie hinter ihrem Rücken in das Blut einer frisch geschlachteten Taube. Als sie das Loch erreicht hatten, bespritzte er seine Frau unbemerkt mit den Blutstropfen, worauf sie laut ausrief: »Welch schöne Nacht! Wie hell die Sterne scheinen, und trotzdem regnet es!«

»Was du aber noch nicht gemerkt hast«, erklärte der Bauer mit gespieltem Erstaunen, »daß in einer so seltsamen Nacht wie dieser die Regentropfen ganz rot sind wie Blut!«

Sie hoben dann zusammen das Gefäß aus der Grube, setzten es auf eine Karre und kehrten auf einem anderen Wege nach Hause zurück. Als sie nahe beim Schafstall des Gutsbesitzers vorbeikamen, hörten sie das traurig klingende Blöken der Herde.

»Was ist denn das für ein Rufen?«fragte die Bauersfrau, die wie immer vor Neugier am Platzen war.

»Wieso«, sagte der Bauer, »was sollte es wohl anderes sein als das Wehklagen der Dienerschaft, denn heute nacht ist der Teufel gekommen und hat unseren Herrn geholt!«

Schließlich kamen sie nach Hause. Das Gefäß mit den Dukaten wurde in die Scheune getragen, und sie legten sich beide schlafen. Am nächsten Morgen stand der Bauer ganz in der Frühe auf, schob den Karren hervor, rollte ihn wieder weg und versteckte die Dukaten, Schaufel um Schaufel, an einem anderen sicheren Ort. Kurz darauf wachte die Frau auf und bat und bettelte nun immerfort ihren Mann, er möge ihr Geld geben, damit sie alles etwas feiner herrichten könne, denn jetzt wären sie ja reich und könnten sich's leisten. Aber der Bauer machte ihr klar, daß sie damit nur ihr Geheimnis verraten würden. Das sagte er aber nur, weil er nicht mit irgendeinem andern den Schatz teilen wollte. Darüber gerieten sie nun in Streit und gingen schließlich wütend auseinander.

Sobald nun eine ihrer Nachbarinnen draußen zu sehen war, rief die Bauersfrau diese an, und völlig unfähig, ihren Mund zu halten, erzählte



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sie: »Nachbarin, ich muß dir was erzählen, aber ganz im Vertrauen. Zuvor aber mußt du mir versprechen, daß du es keiner Menschenseele weitererzählst.«

»Nachbarin, aber liebe Nachbarin, das ist doch selbstverständlich, daß du mir vertrauen kannst. Nicht einer einzigen Menschenseele hier im Dorf werde ich's weitersagen.«

Und so erzählte denn die Bauersfrau ihr alles. Diese Nachbarin nun hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihrerseits zur nächsten Nachbarin zu laufen und der zu berichten, was sie gehört hatte. Es dauerte nicht lange, und jeder, nah oder fern, hatte die Geschichte gehört, und bald auch kam sie dem Gutsherrn zu Ohren.

Der wurde wütend, rannte sofort in die Hütte des Bauern und rief: »Undankbarer Kerl, was schuldest du mir alles! Aus Freundlichkeit überließ ich dir ein Stück Land zur eigenen Bestellung, damit du dein Leben lang vor Hunger bewahrt bleiben würdest. Aber als du nun ausgerechnet auf diesem Stück Land einen Schatz goldener Dukaten fandest, stahlst du alles, statt mir Bescheid zu sagen, und verstecktest es vor mir. Auf der Stelle gibst du heraus, was du dir zu Unrecht angeeignet hast, oder es wird dir schlimm ergehen!«

Dabei wurde er mit jedem Wort wütender und schlug mit der Reitpeitsche derart gegen die Spitzen seiner Reitstiefel, daß das Knallen bis ans Ende des Dorfes zu hören war.

Der Bauer kriegte schreckliche Angst, aber er nahm sich mutig zusammen, und äußerlich ganz ruhig antwortete er: »Das ist ja alles gelogen. Nie und nimmer habe ich Dukaten gefunden. Vielleicht hat meine Frau so etwas dahergeredet, doch alle Leute hier im Dorfe wissen ja genau, daß sie eine große Schwätzerin ist und jedes Wort, das sie redet, nur reiner Unsinn ist. Wer kann denn solchen Redereien glauben?«

Als er das gerade gesagt hatte, stürzte seine Frau aus der Ofenecke, wo sie sich aus Angst vor dem Gutsherrn versteckt hatte, und schrie: »Du Schuft, natürlich hast du die Dukaten gefunden, das weißt du ganz genau! Ich selber habe dir ja auf dein Verlangen hin geholfen, das Gefäß auszugraben und auf die Karre zu heben.«



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»Und wann soll das denn gewesen sein?« fragte da der schlaue Bauer.

»Nun hör mal, das weißt du doch selber!« rief sie. »Das war doch der Abend, an dem der Zaun zum Waldweg gleichsam in Würste verwandelt war und an dem auf der Erde statt der Steine Weißbrote lagen. Ein Wildvogel war im Fischnetz, und in der Schlinge hing ein Fisch.«

Als sie das hörten, brachen alle Umstehenden in lautes Gelächter aus, und selbst der Gutsherr rief laut lachend: »Die Frau ist ja rein verrückt.«

»Seid ihr nun alle davon überzeugt?«fragte der Bauer, der sich nun sicher war, daß seine List gelungen war.

»Ich weiß es aber ganz genau«, schrie die Frau, starrsinniger noch als zuvor, »es war doch in jener Nacht, als die Sterne schienen und zugleich roter Regen vom Himmel fiel und als der Teufel kam und unseren Herrn davonschleppte, während die ganze Dienerschaft jammerte und weinte.«

Jetzt aber bekam der Gutsherr einen zweiten Wutanfall und befahl den Dienern, die Frau über eine Bank zu legen und sie mit dem Knüppel so zu bearbeiten, wie das selbst der Teufel nicht besser gekonnt hätte. Um ganz sicherzugehen, rissen die Diener den Boden der Scheune auf, und als sie nichts fanden, war das ganze Dorf endgültig davon überzeugt, daß die Bauersfrau nicht klar im Kopf sein konnte.

Als sie schließlich wieder allein waren, wandte sich der Mann zu seiner Frau und sagte: »Du siehst, Weib, daß ich dir nur gut geraten hatte, deinen Mund zu halten und zu niemandem über das zu sprechen, was wir miteinander bereden.«

Von da ab hielt die Frau ihre Zunge hübsch zwischen den Zähnen fest und erzählte nie mehr etwas von ihres Mannes Geschäften -geradeso, als habe ein Zauberspruch ihr für immer den Mund versiegelt.


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