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Märchen

aus Polen Ungarn und der Slowakei

Märchen europäischer Völker


Messire Twardowski

Nicht weit von Krakau, am Ufer der Weichsel, steigt das Land allmählich zu waldlosen Hügeln und Kalksteinfelsen auf - ein trauriger, ein trostloser Anblick. Das Volk meidet die Gegend, und wenn das nicht möglich ist, bekreuzigt man sich inbrünstig und beschleunigt den Schritt, denn hier war dereinst das Gebiet Messire Twardowskis, des berühmten Arztes und Magiers.

Man wußte nicht, woher er kam, man wußte nur, daß er ein Edelmann war, daß er in einem abgelegenen Hause vorm Stadttor wohnte und dort sehr ärmlich mit einem Knaben zusammen hauste, angeblich einem Waisenkind. Er hatte weder Verwandte noch Freunde und war trotz seines vielen Wissens arm und unbemittelt. Mitunter begegnete man seinem Schüler, der zähneklappernd das



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kärgliche Mittagessen durch den eisigen Nordwind nach Hause trug.

Verachtete er den Reichtum, oder verstand er es nicht, sich seiner zu bedienen? Wer mochte wissen? Er jedenfalls vertraute sich niemandem an.

Die wildesten Gerüchte über ihn waren im Umlauf. In einem Punkt aber stimmten alle überein: Er hatte mit Zauberei zu tun, das stand fest. Und um ihr nachzugehen, suchte er spät, zur Mitternacht, die einsame Gegend auf. Hier bereitete er die geheimnisvollen Elixiere, die von allen Krankheiten heilten, denen gegenüber andere machtlos waren.

In hellen Nächten und in solchen mit Mondschein setzte er sich auf einen ausgehöhlten Stein, der leicht einem Sessel ähnelte, und dachte über vieles nach, was der menschliche Geist nicht zu fassen vermochte: das Leben, den Tod, Weisheit und Glück. Er saß da, stumm und zergrübelt; aber seine einsamen Gedanken machten ihn nicht froh.

Wer ihn jedoch in dieser Sommernacht gesehen hätte, wie er eilig seinen gewohnten Weg hinaufstieg, dem wäre wohl bewußt geworden, daß sich jetzt etwas Glückhaftes in diesem Leben vorbereitete.

Messire Twardowski, weit davon entfernt, den Hügel wie sonst mit langsamen Schritten und weltabgewandter Miene zu erreichen, kletterte geradezu beschwingt aufwärts und sang dabei. Seine Mantelärmel flatterten im Wind, sein Degen schlug gegen die Kiesel des Wegs, seine Pelzkappe hatte er aus der Stirn geschoben, und der Federbusch des Silberreihers am Schuh zitterte leicht hin und her. Er eilte zu seinem »Stuhl«, wie er den großen Stein nannte, der ihm stets als Sitz diente und wo er seine Gedanken zu sammeln versuchte, die ihm durch den Kopf gingen.

»Bei Gott oder dem Satan!«sprach er, während er sich auf den Stein setzte. »Wenn ich jetzt nicht Herr der Welt werde, dann ist es nicht die Schuld meiner Eltern, denen ich Wissen und Forschertrieb ohnegleichen verdanke! Es heißt, man müsse suchen, um zu finden. Mein ganzes Leben lang habe ich gesucht und gesucht, aber nirgends Antwort



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erhalten und nichts finden können. Heute aber triumphiere ich. Ja, ich werde triumphieren! Ganz zufällig und dank einem alten Zauberbuch, das mir in die Hände gefallen ist, kenne ich nun die Formel, durch deren Hilfe ich den Fürsten der Hölle heraufbeschwören kann. Künftig kann mir nichts mehr widerstehen. Mein wird die Macht sein, der Ruhm, der Reichtum, ewige Jugend und alles mir noch unbekannte Wissen der Menschen, um dessentwillen ich mich unablässig über die Schriften der Weisen beugte, um ihnen ihre Geheimnisse zu entreißen.«

Er war außer sich, aber die Einsamkeit und Stille ringsum brachten ihn wieder zur Besinnung. Er stand auf. Mit der Degenspitze grub er eine Vertiefung in den Boden, kniete davor nieder, und während er sich mit festgeschlossenem Munde darüberneigte, sprach er im Innern langsam Worte, die kein menschliches Ohr je erfahren sollte. Danach erhob er sich wieder, warf ein kleines goldenes Kreuz, das er am Hals getragen hatte und das die letzte Erinnerung an seine fromme Kinderzeit war, weit von sich, schloß die Augen und wartete.

Ein leises Hüsteln verriet ihm, daß er nicht mehr allein war. Er wandte sich in die Richtung, aus der jener Ton kam, und erkannte einen Mann in den besten Jahren, der mittelalterliche Tracht trug: Kniehose, enganliegendes Wams und erbsengrüne Weste, einen kleinen, auf den Rücken herabhängenden Zopf und darüber einen Dreispitz. Das Wams verbarg nicht den Pferdeschwanz, der frech hervorstand. Die weißen Strümpfe verhüllten nur unzureichend gräßliche hörnerne Hufe wie die von Ziegenböcken. Die Enden der Ärmel konnten die langen gebogenen Krallen nicht verbergen. Seine Augen phosphoreszierten, und sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, das sich von einem beißenden Grinsen schwerlich unterscheiden ließ.

Diese grausige Erscheinung erfüllte Messire Twardowski mit höchster Freude. Er strich mit der Hand über seinen lang herabhängenden Schnurrbart und betrachtete das seltsame Etwas.

»Was willst du von mir?«fragte nun dieses wie aus dem Nichts aufgetauchte



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Wesen. »Viele Jahrelang hat mich niemand mehr gerufen, ich kann kaum noch sprechen. Ich bin geradezu glücklich darüber, endlich wieder mit jemandem reden zu können, der das Wissen der Magier neuerdings aufgespürt hat.«

»Ich habe dich gerufen«, erwiderte ihm Messire Twardowski, »um dich mir dienstbar zu machen. Denn du hast es in mir mit einem Meister und keineswegs mit einem Knechte zu tun.«

»He, he!« lachte der Teufel hämisch, denn dieser war es. »Da sind wir ja schnell zu Sache gekommen. Du wirfst mir bereits das Tau zu. Weißt du auch, was ich als Gegengabe verlange?«

»Was für eine kindische Frage! Du scheinst mir wirklich nicht schlau genug für einen Teufel! Wenn ich dich zu rufen wußte, konntest du da annehmen, daß ich deine Bedingungen nicht kenne? Ich bin bereit, dir meine Seele zu verschreiben.«

»Ich weiß, was sie wert ist, und werde sie bezahlen.«

»Ich verlange von dir bedingungslosen Gehorsam.«

»Gut«, sagte der Teufel. »Aber ich werde weder deinen Leib noch deine Seele irgendwohin bringen und dir auch keinerlei Beweis meiner Macht zeigen, bevor du mir nicht diesen schon bereitgehaltenen Pakt unterschreibst. Denn so ein Dokument habe ich immer bei mir. Ein hübscher winziger Einstich linker Hand, ein Tropfen Blut, der Siegel und Unterschrift zugleich hergibt, und du bist der Erste unter allen Menschen.«

»Das also sind deine Bedingungen, nun höre die meinen: du darfst dich meiner nicht vor dem Tage bemächtigen, an dem ich selber, müde des Lebens, wünschen werde, die Augen für immer zu schließen. Und außerdem mußt du vorher noch drei Proben deiner Macht, die ich von dir fordern werde, ablegen.«

»Das sind sehr harte Bedingungen«, antwortete der Böse. »Mit den Proben bin ich einverstanden, nicht umsonst bin ich der Teufel. Aber deine erste Bedingung! Da mußt du dir doch selber sagen, die ist für mich unannehmbar. Welcher Mensch würde wohl freiwillig die Erde verlassen wollen, wenn alles hier für ihn nur Glück und Freude wäre? Aber ich weiß nicht weshalb, ich habe so eine Schwäche



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für dich, und deswegen will ich dir etwas entgegenkommen. Ich werde dir ständig dienen, aber sollte ich dich, ganz gleich in welchem Augenblick deines Lebens, je in Rom finden, dann gehörst du mir. Alle Wege führen nach Rom, deine Sache wird's sein, sie zu vermeiden.«

»Und die deine wird es gewiß sein, mich dorthin zu locken«, erwiderte lachend Messire Twardowski. »Aber da du der Höllenfürst bist, will ich dir gegenüber nicht kleinlich sein. Also auf Ehrenwort. Da kann nichts fehlschlagen. Mein Wort genügt, unterschreiben ist überflüssig.«

»Mir aber ist es lieber, wenn alles seine Ordnung hat«, sagte der andere.

Er entrollte ein umfangreiches Pergament. Twardowski hielt ihm seine linke Hand hin. Der Teufel schnitt ihn leicht in den Finger, tauchte eine Eulenfeder in das Blut und reichte sie ihm. Messire Twardowski füllte mit klarer, gleichmäßiger Schrift den Vertrag aus, den der Teufel auf seinen Knien ausgebreitet hatte, und unterschrieb ihn. Nachdem auch noch mit allen Umständen gesiegelt worden war, sagte er:

»Ich will reich und glücklich sein. Ich will Vergangenheit und Zukunft kennen. Erfülle zunächst meinen ersten Wunsch, und dann so weiter, wir werden schon sehen! Ich will, daß du alles Silber, das in ganz Polen in der Erde ruht, zusammenträgst und an einem sicheren Ort geheim hinterlegst. Und zwar auf schnellstem Wege. Also los denn!«

Ein Sturmwind brauste auf und führte sie wirbelnd davon. »Nicht so schnell!« sagte Twardowski. »Ich will die Freude am Reisen genießen.«

Sie flogen über Städte und Dorf er, über Flüsse und Moore. Gerade als sie über ein liebliches Tal flogen, ging der Vollmond auf, und die Landschaft, die sich unter ihm ausbreitete, war dermaßen schön, daß Messire Twardowski voller Entzücken ausrief:

»Hier will ich ausruhen. Das ist der schönste Flecken der Erde. Ich liebe diese phantastisch geformten, vom Silberlicht des Mondes



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überfluteten Felsen. Sehen sie nicht wie Festungen und Klöster, wie Kirchtürme und gewappnete Ritter aus? He, Teufel, hier will ich in die Vergangenheit schauen. Laß die Schlösser sich nochmals bevölkern und in den Grotten die einstigen Bewohner lustwandeln!«

Wie auf ein Zauberwort verschwand der Mond. Tiefes Dunkel herrschte. Ober den Felsen wuchs dichter Wald, durch den die Ritter, die Fackeln hochhielten, zur Burg hinaufstiegen, die aus den Ruinen wiedererstanden war. Sie leuchteten einem hochstehenden Herrn, der vor sich im Sattel eine ohnmächtige Frau hielt.

»Das ist Skarbimier, Fürst in Polen«, sagte der Teufel.

Hinter ihm führte man gefesselt einen schönen und sehr viel jüngeren Ritter. Sie treten in den Burghof ein. Und Skarbimir läßt die junge, noch immer ohnmächtige Frau in den oberen Saal hinauftragen. Als sie wieder zu sich kommt, wirft sie einen erstaunten Blick ringsum und fragt: »Wo bin ich?«

»Bei mir bist du, schöne Wityslawa, und in wenigen Tagen wird uns der Priester trauen.«

»Niemals!«ruft sie aus. »Nimmer werde ich einwilligen. Du bist ein niedriger und wortbrüchiger Mensch! Du hast meiner Mutter auf ihrem Sterbebett versprochen, über mein Glück zu wachen, und jetzt willst du mich heiraten und nimmst meinen geliebten Verlobten gefangen. Du bist zwar mein Onkel, aber zugleich auch mein Mörder. Doch es lebt ein Gott, der seine schützende Hand über die Waisen hält!«

»Ich nehme an, daß deine Gefühle sich noch ändern werden«, erwidert da Skarbimir und verläßt den Saal.

Im schönsten, überreich mit Teppichen ausgestatteten Saal der Burg sitzt Wityslawa. Eine junge Dienerin kämmt ihr das lange blonde und lockige Haar.

»Teure Herrin«, spricht das Mädchen, »bitte, weint nicht, ich hoffe, daß ich Euch helfen kann. Auch ich bin verlobt. Mein Bräutigam ist tapfer und schnell wie ein Falke. Setzt eine Bittschrift auf! Er wird sie zum König bringen, und dieser wird Euch zu Eurem Recht verhelfen.« «



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Die Nacht naht. Ein Mann schleicht sich aus der Burg. Ein Pferd steht für ihn am Fuße des Hügels bereit. Er schwingt sich hinauf und galoppiert davon in der Richtung auf Gnesen.

Zwei Tage vergehen. In seinem unterirdischen Gefängnis erwartet der Festgenommene den Tod. Oben, im Turmzimmer, wehklagt Wityslawa. Die junge Dienerin versucht, sie immer von neuem zu trosten.

»Fürchtet nichts, teure Herrin! Mein Falke ist kühn und klug wie die Schlange.«

Morgenröte am Horizont. Noch von den Bäumen verborgen, nähert sich eine kriegerische Schar der Burg. An ihrer Spitze reitet der König. Skarbimir ist einer der Unzufriedenen und oft Aufbegehrenden. Boleslav mit dem Schiefen Mund freut sich, ihn bei einem Verbrechen zu ertappen. Nun wird er ihn züchtigen. Dieser König, der sich schon seit seinem frühen Alter von nur neun Jahren mit Feinden herumschlagen mußte, dieser immer siegreich gebliebene König fürchtet sich nicht vor dem Widerstand eines aufsässigen Gefolgsmanns.

Die Burg wird genommen, der junge Gefangene befreit, die um all ihren Besitz gebrachte Wityslawa empfängt nun auch noch die Besitztümer ihres verbrecherischen Vormundes.

Die helle Sonne scheint hernieder auf die lagernden und fröhlich lärmenden Truppen des Königs. Aber wer ist das, der trotz des Lichtes seinen Weg nicht finden kann? Er ächzt und strauchelt, und tastend sucht er mit einem Stock, den er in der Hand hält, danach, auf dem Wege zu bleiben. Seine Augenhöhlen sind leer, und Blut tränt über seine Wangen. Ist's möglich, ist dieses menschliche Gespenst wirklich Skarbimir, der stölze Fürst?



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Messire Twardowski sieht, wie er sich nähert, aber nach und nach lösen sich seine Umrisse auf. Alles versinkt in einem düsteren Schweigen. Der Mond steigt von neuem empor. Doch er scheint nun nur auf Ruinen. »Was für eine grausame Zeit!« murmelt Messire Twardowski.

»Alle Zeiten sind grausam«, erwidert der Teufel, »und in allen halte ich meine reiche Ernte. Aber laß uns unseren Weg nun fortsetzen!«

Vor ihnen sind Höhlen zu sehen, deren Öffnungen wie aufgerissene Mäuler wirken. Der Teufel pfeift, und wie aus einem Nebelvorhang tretend, steht in einer der Öffnungen ein Mensch.

Er ist von kleinem Wuchs, aber sein ganzes Wesen verrät Kühnheit und Mut. Er bewegt sich vorsichtig und gleitet dicht an der Felswand entlang. Als er sich gerade anschickt, mit kühnem Sprung über einen Bach zu setzen, der ihn von dichtem Waldgelände trennt, stößt er auf eine Gruppe von Landleuten, die eben dabei sind, Wolfsschlingen auszulegen. Für eine Sekunde zögert der Mann, dann geht er kurz entschlossen auf die Leute zu.

»Ich habe Hunger«, sagt er ihnen. »Drei Tage lang habe ich nichts mehr gegessen. Würdet ihr mir ein Stück Brot geben?«

»Wer bist du?«fragen sie.

»Ich bin der König, dem man seinen Thron geraubt hat. Die mächtigsten der Fürsten haben sich bereit gefunden, einen Fremden zu krönen, weil er ihnen große Versprechungen machte. Auf meinen Kopf ist ein hoher Preis gesetzt. Man jagt mich wie ein wildes Tier. Ich bin euch ausgeliefert, bin allein, ohne Waffen, ohne Freunde.« Die Bauern knien vor ihm nieder.

»Nein, unser Herr. Von uns würde kein einziger Euch verraten. Wir wollen keinen Fremden als Herrscher. Von jetzt an seid Ihr unser Gast. Wir werden für Euch sorgen, wir werden über Euch wachen.«

Kaum haben sie so gesprochen, da klingt aus dem Waldesdickicht das Gekläff von Hunden und das Krachen niedergetrampelter Zweige.

»Gnädiger Herr, verbergt Euch!«ruft ein alter Landmann. »Zwängt



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Euch in den Spalt da hinten! Er führt zu einer tiefen Grotte, die mit einer unterirdischen Höhle zusammenhängt. Dort seid Ihr in Sicherheit. Bald werden wir dort zu Euch kommen.«

Der König folgt dem Rat des Alten. Kaum ist er verschwunden, als zwei riesige Hunde sich auf die Bauern stürzen, von denen einer vor den Felsen springt, um die Witterung der Hunde auf falsche Fährte zu lenken. Die anderen stoßen Schreckensrufe aus. Bogenschützen nähern sich.

»Hierher, Zabroui! Fuß, Iskra!«ruft einer der Schützen. Dann wendet er sich zu den Landleuten und fragt: »Was macht ihr hier?«

»Oh, was für ein Schrecken! Eure Hunde, Herr, sind ja wilde Tiere. . . Wir wohnen im nahen Dorf, und die verdammten Wölfe rauben uns Pferde und Schafe. Wir haben keine Waffen, um sie zu erlegen, und deshalb legen wir Schlingen aus.«

»Kommt ihr oft von dort hierher?«

»Alle Tage, Herr, und doch ist es selten, daß es uns gelingt, einen Wolf zu fangen.«

»Kennt ihr den König? Ist er hier etwa vorbeigekommen?«

»Nein, Herr, wir kennen den mächtigen Vinceslas von Böhmen nicht. Wir haben weder seine Jäger noch seine Leute gesehen. In diese Gegend ist er noch niemals gekommen.«

»Ich spreche nicht von Vinzenz von Böhmen, sondern von König Ladislaus dem Kurzen.«

»Ach der, ja, den kennen wir, den haben wir mal in Krakau gesehen. Nein, der war hier nicht, er nicht, auch sein Gefolge nicht.«

»Er hat kein Gefolge mehr, er ist ganz allein und als Bauer verkleidet.«

»Wir sind schon seit dem frühen Morgen hier und haben niemanden gesehen. Sollte er vorbeikommen, werden wir ihm gerne sagen, daß Ihr nach ihm sucht, Herr.«

»Gut«, sagte der Mann. »Aber gebt mir schnellstens auf der Burg in Krakau Bescheid. Ihr bekommt auch einen Sack voll klingenden Lohnes.«

»Klingenden Lohn!«ruft der Bauer und verneigt sich tief. »O Herr,



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Freude wird in unseren Hütten Einkehr halten. Wir alle sind arm und kinderreich.«

Der Mann gibt seinem Pferd die Sporen und entfernt sich hastend. »Elender Schacherer!«flucht der Bauer hinter ihm her und ballt die Faust.

Dann gehen sie, um dem König zu helfen.

»Ladislaus der Kurze war ein großer König«, sagt Messire Twardowski.

»Du findest ihn groß?« erwidert der Teufel. »Ich habe ihn durchaus nicht in mein Herz geschlossen, denn er hat als erster die Macht der Kreuzritter gebrochen, und die waren für mich so gut wie Verbündete.«

»Gibt es noch irgendeine Geschichte, die zeigt, daß es sich gelohnt hat, zu leben?«fragt Twardowski.

»Steigen wir diesen Berg hinauf! Die Trümmer des Schlosses, die du hier siehst, sind schon gut vierhundert Jahre alt. Hier lebte ein Ritter namens Topor. Er hatte drei Söhne. Die beiden ältesten kämpften an der Seite Boleslavs mit dem Schiefen Mund, des Siegreichen, und gewannen Ruhm und Reichtum. Der jüngste, der phantastischer veranlagt war, warf sich seinem Vater zu Füßen und flehte, ihn in die weite Welt ziehen und Abenteuer bestehen zu lassen. Schweren Herzens gestattete es der Vater. Nun holte sich der Jüngling das beste Pferd aus dem Stall, nahm Schwert und Schild und ritt davon, nachdem er sich noch den Segen des greisen Vaters erbeten hatte. >Wenn du eines Tages zurückkehren wirst<, hatte der alte Ritter gesagt, >dann werde ich wohl nicht mehr da sein. Vergiß nicht, daß diese Burg dir gehört, dir allein! Deine Brüder sind längst schon abgefunden.<

Bald danach starb er. Seine beiden Söhne heirateten und setzten sich in der Burg fest. »Schau hin, wie strahlend die Hallen erleuchtet sind, wie unzählige Diener da kommen und gehen!«

Messire Twardowski sieht, wie eine Burg, aus Lärchenstämmen erbaut, langsam aufwächst. In den großen Kaminen glühen Scheite. Rund um den Tisch vergnügen sich die Zechgenossen. Das Licht



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dringt aus dem Saal und erleuchtet den Burghof. Dort steht ein Mann. Er hält einen alten Gaul, der vor Erschöpfung zusammenzubrechen droht, am Zügel.

»Alter Kamerad«, spricht der Ritter und streichelt den Hals der Mähre, »man vergnügt sich sehr in unserem Schloß!«

Und er klopft mehrmals ans Fenster.

Das Lachen bricht ab, und in die erleuchtete Tür treten die beiden Brüder.

»Wer bist du, der du unser Fest zu stören wagst?«

»Ich bin euer Bruder Jégota, der von langer Wanderung heimgekehrt ist und nun in seinem Haus ausruhen möchte.« »Du bist ein Betrüger! Unser Bruder ist schon seit vielen Jahren verschollen.«

»Ich bin Jégota. Die Hufe meines Pferdes haben den lieblichen Boden Frankreichs berührt, die brennende Erde Spaniens und Italien, das Land der goldenen Früchte. Ich habe zu Ehren so manchen edlen Fräuleins gekämpft, ich habe so manchen Jüngling dem Verderben entrissen. Nun habe ich genug und bin meiner Taten müde. Gebt mir, was mir zukommt, damit ich nun meine Tage in Frieden und in der Erinnerung an meine Jugend beschließen kann!«

»Wie!« rufen die Brüder. »Wir sind es doch, die der Größe unseres Namens gedient haben, die Reichtümer ansammelten, und nun willst du daraus Vorteil schlagen? Was bringst du denn von all deinen abenteuerlichen Unternehmungen in fernen Landen mit, das unseren Waffenruhm noch vermehren könnte? Wo sind deine Schätze? Wo deine ruhmreichen Verbündeten?«

»Mein Ruhm ist keiner, der sich mit Geld belegen läßt. Meine Freunde sind solche, die ich im Herzen trage.«

»Dann gehe nur wieder dahin, von wo du gekommen bist!«

»Gewiß, ich gehe. Ich gehe zu König Boleslav, damit er mir zu meinem Recht verhilft, und nichts mehr will ich mit euch zu tun haben. Selbst das Wappen, das ihr im Schild tragt, lasse ich euch zurück. Nur diesen alten Gefährten noch werde ich zum Freund haben. Sein Bild allein wird von nun ab meinem Schild eingegraben sein.«



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Twardowski sieht, wie sich die alte Burg wieder in Luft auflöst und nichts von ihr übrigbleibt als Trümmer und ein Portal, über dem das Bildnis eines alten Pferdes eingemeißelt ist.

Alles verschwindet. Statt Burg und Portal ist nur noch ein Steinhaufen zu sehen und verfaulende Balken.

»Entgegen allem, was die Leute reden«, meint Messire Twardowski, »ist die Vergangenheit nicht erfreulicher als die Gegenwart! Fort von hier! Und bringe mich sogleich nach Olkucz, wo meine Augen sich am Glanz des Reichtums, der doch allein wirkliches Glück bedeutet, erfreuen sollen! Aber trotzdem will ich in diesem Tal ein Zeichen hinterlassen, daß ich da war. Siehst du dort den großen Felsen?« »Man nennt ihn den >Felsen der Falken<, weil früher hier die Falken nisteten.«

»Wie man ihn nennt, ist mir gleichgültig. Seine Form mißfällt mir. Er ist wie alle anderen, unten breit und oben spitz. Da ich vorhabe, die Welt auf den Kopf zu stellen: los, Teufel, beginne bei diesem Felsen!«

Der Teufel ergreift ihn, schleudert ihn in die Luft, und als der Felsen wieder herabstürzt und sich in die Erde eingräbt, da dreht er sich wie eine gigantische Keule.

»Gutgemacht!«sagt Messire Twardowski. »Wir werden ihn künftig den >Felsen des Messire Twardowski< nennen. —Und jetzt fort mit uns! Ich will ein neues Leben leben!«

Sturm braust auf, entführt sie und setzt sie auf einer kahlen Ebene ab. Es ist Olkucz.

»Nun schnell«, ruft Twardowski seinem Begleiter zu. »Denn hier will ich alles Silber zusammengetragen haben, das unter der polnischen Erde ruht.«

Der Teufel verschwindet.

Bald darauf gibt es einen gewaltigen Erdstoß, und einen Augenblick später sieht sich Twardowski am Eingang einer Silbergrube, den die funkelnden Augen des Teufels erleuchten.



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»Freu dich daran! Aber deine Freude wird nur von kurzer Dauer sein. Diese Eruption wird einen See entstehen lassen, der eines Tages die Silbermine überfluten wird. Man wird ihn zur Erinnerung an mich«, sagt er, indem er die Stimme des Messire Twardowski nachahmt, »den >Vulkan des Teufels< nennen.«

Messire Twardowski beginnt nun ein herrliches Leben zu führen. Seine Kleider sind die kostbarsten von allen in der Stadt Wohnenden. Seine rassigen Pferde haben goldene Hufe und mit Juwelen bestickte Schabracken. Früher schweigsam gewesen, bewegt er sich jetzt in heiterer Gesellschaft. Man sucht ihn und kümmert sich nicht um seine Zaubereien.

Sonntags, wenn alle Welt am Ufer der Weichsel spaziert, sitzt er in einem Boot und fährt, ohne Ruder oder Segel, stromaufwärts. Öfter hat man ihn auch durch die Luft davonfliegen oder, ist sein Ziel entfernter, sich auf einen Hahn setzen sehen, der ihn fortträgt. Bewirkte er nicht Feuersbrünste an hundert Orten im Umkreis, nur durch Verwendung eines Glasstücks? Hatte er nicht einen Aufschneider, der sich seiner Heldentaten rühmte, in einen Hasen verwandelt, der von Hunden verfolgt wurde?

Aber mehr als alles andere erweckt sein magischer Spiegel Neugier und abergläubische Furcht. Dieser Spiegel ist aus poliertem Metall, in Ebenholz gerahmt und von altertümlicher Form. Niemand weiß, woher er stammt. Schrecken bemächtigt sich eines jeden, der ihm nahe kommt, denn wenn man hineinschaut, erkennt man furchtbare Erscheinungen, Dämonen, fremdartige Wesen. Messire Twardowski benutzt ihn für seine magischen Sitzungen. In diesen Spiegel schauend, schreibt er sein Großes Buch. Darin legt er sein gesamtes Wissen nieder.

Einsames Leben, Vergnügungen, Arbeit, nichts davon genügt ihm mehr. Er beschließt zu heiraten. Aber wie eine Frau finden, die tollkühn genug ist, einen solchen Mann zu heiraten?

Er hat davon gehört, daß in einem Vorort der Stadt eine junge Dame



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aus guter Familie unter Aufsicht einer alten Dienerin lebe. Das Fräulein ist schön und reich. Die Voraussetzungen sind gegeben. Sie hat gelobt, nur denjenigen zu heiraten, der den Inhalt des Kruges, der vor seinen Augen in diesen hineingetan wird, erraten könne.

Da Twardowski überall bekannt ist, kann er sie nicht unbemerkt aufsuchen. Aber ihre Art, sich einen Gatten zu erwählen, gefällt ihm, und er beschließt, die Schöne sich zu vermählen.

»Sie glaubt, klüger zu sein als der, den sie zum Manne nehmen wird, aber in mir soll sie ihren Meister finden.«

Verkleidet klopft er an die Tür des Mädchens.

»Schönes Fräulein«, sagt er, »ich komme von weit her, um einen Versuch zu wagen. Man hat mir berichtet, Ihr würdet nur denjenigen heiraten, der schlau genug wäre, festzustellen, was ihr in diesen mächtigen Krug hineintut.«

»Mein Herr«, antwortet ihm die Schöne, während sie sich verneigt, »so mancher Schreiber, Bürger und Edelmann hat schon versucht, das Geheimnis zu ergründen, ohne doch dahintergekommen zu sein. Das vermöchte am Ende nur ein Zauberer.«

»Und wer sagt Euch, daß ich keiner bin?«

»Wenn Ihr das wärt, mein Herr, trügt Ihr gewiß nicht solche Lumpen und hättet nicht ein so gerötetes Vollmondgesicht.« »Wie müßte ich denn aussehen?«

»Ihr müßtet ein schöner, feiner, in Purpur gekleideter Herr sein, umhüllt von schimmerndem Stoff. Ihr würdet einen Degen an der Seite und einen Mantel über die Schulter geworfen haben. So müßte der aussehen, den ich mir zum Mann nehmen wollte.«

Sie lacht und verbirgt ihr Gesicht in den Händen.

Wie groß aber ist ihr Schrecken, als sie den Kopf hebt und genau einen solchen Mann vor sich sieht, wie sie ihn soeben beschrieben hat.

»Kommt mir nicht nahe, Herr, das ist Zauberei!«

»So ist es, Erwählte meines Herzens! Aber es bedarf wirklich keiner Hexerei, um zu sehen, daß Ihr mir gefallt und daß Ihr in wenigen Tagen die meine sein werdet.«



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»Und der Krug?«

»In ihm ist eine Biene eingeschlossen, eine winzig kleine Biene. Und der Honig, den sie spendet, ist bei weitem nicht so süß wie das Lächeln Eurer Augen.«

Das Glück des Messire Twardowski ist nicht von langer Dauer. Die Dame ist von Natur zänkisch, und mit all seiner Zauberei erreicht er nichts bei ihr.

Eines Tages sagt er, völlig erschöpft:

»Dein Platz ist besser auf dem Markt als in meiner Wohnung. Dort werde ich dir ein Haus bauen. Da kannst du Porzellan verkaufen und dich benehmen, wie du Lust hast.«

Von diesem Tage an erdröhnt der Marktplatz vom Geschrei und Toben der Frau. Wie hätte es auch anders sein können? An jedem Morgen kommt ein vornehmer Herr über den Platz und zerschlägt mit seinem Stöckchen ihr Geschirr in tausend Stücke. Doch sie wagt es nicht, sich bei ihrem Mann zu beklagen. Sie hat ihn stark in Verdacht, daß er bei dieser täglichen Verwüstung auf irgendeine Weise seine Hand mit im Spiele hat.

Von nun an wieder allein, verbringt Messire Twardowski die Tage damit, sein Liber Magnus, sein Großes Buch, zu vollenden.

Eines Abends, als er wieder über dieser Arbeit sitzt, kommt sein Schüler atemlos hereingestürzt und meldet, daß sehr vornehm gekleidete Herren ihn zu sprechen wünschten.

»Du weißt genau, daß meine Tür für jedermann verschlossen ist. Jeder Eindringling stört mich im Denken.«

»Meister, ich wollte sie abweisen, aber sie erklärten mir, daß sie im Namen des Königs kämen.«

»Das ist was anderes, laß sie eintreten! Ich bin ein treuer Diener Seiner Majestät Sigmund-Augustus. Ihm, wie seinem königlichen Vater, bin ich dankbar, daß sie in unserem Lande Kunst und Wissenschaft gefördert haben.«

Mit einem gewissen Mißtrauen betreten die Höflinge den Raum.



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Dieser ist zu drei Vierteln leer. An einer Wand hängt ein metallener Spiegel, auf einem Eichenpult liegt ein großes geöffnetes Buch.

»Was wünscht der König, euer Herr, von mir?«

»Wir wollen es zu erklären versuchen. Der König, vielleicht wißt Ihr es schon, ist seit dem Tode der Königin ganz untröstlich. Ihr wißt aber nicht, daß wir uns einst mit aller Kraft ihrer Krönung widersetzt haben und bis zu dem Augenblick mit der Anerkennung zögerten, als der König abzudanken drohte. Wir hängen an der königlichen Familie, aber es war uns nicht recht, eine Bürgerliche als Herrscherin zu bekommen. Unser großer König hätte bei allen ersten Höfen Europas anklopfen können, denn Polen, Litauen, Ruthenien, Ungarn und Böhmen sind unter dem Zepter der Jagellonen vereint. Stets einer Meinung, wenn es um die Größe unseres Vaterlandes und die Verteidigung unserer Vorrechte geht, haben wir ihn angefleht, die Frau aufzugeben, die er in aller Heimlichkeit geheiratet hatte.«

»Ich weiß«, unterbrach sie Twardowski, »er hat euch damals vor dem Parlamente beschämt, als er sagte: >Wenn ich das meiner Frau gegebene Wort nicht halte -wie könntet ihr mir künftig noch vertrauen?«

»Es stimmt. Auf diese Worte hin haben wir uns gebeugt. Und jetzt, beim Anblick seines Schmerzes, würden wir geradezu glücklich sein, wenn die Königin wieder zum Leben erweckt werden könnte.«

»Und deswegen kommt ihr zu mir?«

»Nicht ganz. Wir wissen, daß nur Gott selbst die Toten auferstehen lassen kann. Aber vermöchtet Ihr es vielleicht zu bewirken, daß die Königin dem König erscheint, wodurch vielleicht sein Schmerz gelindert würde?«

»Worum ihr bittet, das ist nicht leicht zu erfüllen. Aber ich liebe diesen gerechten und hochherzigen König und beuge mich deshalb seinem Wunsch.«

»Um diesen Augenblick zu erleben, will Euch der König gern mit Reichtümern überschütten.

»Ich brauche keine Schätze.«



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»Ich gestehe, daß es mich etwas erstaunt«, sagt einer der Höflinge, »daß ein so hochgebildeter Mann wie Sigismund-Augustus an so etwas glaubt, was mir doch nur als ein Kunstgriff oder eine Vortäuschung zu erscheinen vermag.

»Eine Täuschung!« brüllt Twardowski wütend. »Eine Täuschung!

—Herr, tretet näher und werft einen Blick dort in den Spiegel! Dann werdet Ihr wissen, wie jene bestraft werden, die es wagen, mich zu beleidigen.«

Mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen nähert sich der Edelmann. Er hat bereits von diesem geheimnisvollen Spiegel reden hören, aber er verachtet alle umlaufenden Gerüchte über die seltsamen Erscheinungen, die er ausstrahle.

Kaum aber hat er einen Blick darauf geworfen, da stößt er einen schrillen Schrei aus und bricht ohnmächtig zusammen.

Man eilt ihm zu Hilfe. Wieder zu sich gekommen, stottert er nur unzusammenhängende und wirre Sätze. In Messire Twardowskis Augen jedoch blitzen beim Anblick der aufgeregten Gruppe Funken der Freude.

Die Höflinge beeilen sich fortzukommen und erneuern beim Abschied nur nochmals ihre Bitte.

In derselben Nacht noch begibt sich Messire Twardowski mit seinem Schüler an den Ort, wo sein »Sessel«steht, und führt um Mitternacht ein langes Gespräch mit dem Teufel.

Abend senkt sich über die Stadt, in der noch der Klang der Trompete hängt, die alle Stunden ankündigt. In der Stille, in der klaren Luft, steht noch ihr klagender Ton, als Messire Twardowski seinen Wagen anspannen läßt und Befehl gibt, ihn zum königlichen Schloß zu fahren.

Dort wird schon auf ihn gewartet. Er wird in einen prunkvollen Raum geführt, der in italienischem Geschmack ausgestattet ist und kostbare Bücher sowie außerordentlich kunstvoll gearbeitete Tische enthält.



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Ein in schwarzen Samt gekleideter Mann mit gramzerfurchten Zügen und langen schmalen Händen sitzt in einem Sessel.

»Mein Herr«, sagt er mit melodischer Stimme, »man hat mir von Eurem Wissen erzählt. Hat man Euch schon gesagt, was ich von Euch erhoffe?«

»Majestät«, erwidert Twardowski, während er sich vor dem König verneigt, »habt Vertrauen zu meinem Können! Ihr werdet sie sehen, die Ihr so unsagbar liebt. Aber völlige Stille und Reglosigkeit sind nötig, sonst kann ich für nichts einstehen. Bereitet Euch innerlich vor, Euer Majestät, ich beginne jetzt!«

Er löscht alle Kerzen. Nur die Scheite im großen Kamin brennen noch und röten die Glut in den Räucherpfannen. Er wirft einige Weihrauchkörner hinein. Eine durchsichtige Wolke quillt auf, der ein Duft von Myrrhen entströmt.

Mit pochendem Herzen wartet der König. Von der dunkelsten Ecke des Saales her nähert sich ihm ein dunstiges Gebilde, verschwommen im Umriß. Doch je näher es gleitet, um so klarer werden die Umrisse. Ihre Schritte sind lautlos, ihr weißes Gewand scheint die Erde nicht zu berühren. Mehrere Reihen Perlen bedecken ihre Brust. Sie kommt mit ausgebreiteten Armen näher. Bei diesem Anblick springt der König von seinem Sitz auf und ruft:

»Ja, du bist es, Geliebte! Du bist es!«

Im gleichen Augenblick aber zerrinnt die Erscheinung. Und schluchzend, die Hand vors Gesicht gepreßt, fällt der König in den Sessel zurück.

Messire Twardowski entzündet wieder die Lichter und will gehen, als der König ihn mit einer Handbewegung zurückhält.

»Mein Herr«, sagt er, »ich bin Ihnen sehr dankbar. Nun ist sie für mich nicht mehr tot, und ich kann anders als bisher um sie trauern.«

Als Messire Twardowski nach Hause kommt, schließt er sich in dem großen Saal ein, und während mehrerer Tage sieht ihn niemand in den Straßen der Stadt.

Sein Wissen wird größer und größer. Da alle seine Wünsche erfüllt wurden, beginnt er sich zu langweilen: Er sucht nach Ablenkung.



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»Warum eigentlich kehre ich nicht in die Kindheit zurück? Jugend, das ist es, was mir fehlt!«

Er ruft seinen Schüler und spricht:

»Ich kenne Vergangenheit und Zukunft, nur das menschliche Herz ist mir noch unbekannt. —Hängst du wirklich an mir?«

»Meister«, ruft der junge Mensch, »stellt mich nur auf die Probe!«

»Höre gut auf das, was ich dir jetzt sage, und befolge meine Anordnungen genau! Du zerhackst mich zu kleinen Stücken, du balsamierst mich mit den Salben ein, die wir durch Einweichen von nur mir bekannten Pflanzen gewinnen, und gräbst mich am Rande des Friedhofes ein. Nach drei Jahren, sieben Monaten und sieben Stunden gräbst du mich wieder aus.«

Weinend kommt der treue Schüler diesen Anweisungen nach. Die folgenden Jahre scheinen ihm überhaupt kein Ende nehmen zu wollen.

Zur festgesetzten Stunde rüstet er sich mit sieben vorbereiteten Wachskerzen und entzündet sie nahe dem Grabe. Nachdem die Erde entfernt worden ist, beugt er sich zitternd über die Grube. Ein Freudenschrei kommt über seine Lippen. Auf einem Bett aus Blumen ruht ein schlafendes Kind. Er ergreift es und trägt es mit sich fort.

Von Müdigkeit und Erregung überwältigt, schläft er neben der Wiege ein. Beim Aufwachen gilt sein erster Blick dem Kinde. Es ist bereits gewachsen, man könnte es für einjährig halten. Im Zeitraum von sieben Monaten ist Messire Twardowski ein vollendeter junger Mann geworden.

Da ruft er seinen Schüler wieder zu sich und sagt:

»Du hast während meiner Abwesenheit viel gelernt. Du läufst Gefahr, mir im Wissen gleich zu werden. Das würde ich nie dulden können. Ziehst du es nun vor, daß ich dich reich beschenkt von mir fortschicke, oder willst du, daß ich dich in eine Spinne verwandele, die mich nie mehr verlassen wird?«

»Ich liebe Euch, mein Meister«, antwortete der Schüler nur und küßte seine Hand.



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Von da an kann man in dem großen Saal immer eine kleine Spinne sehen, die geduldig ihren Faden zwischen dem Großen Buch und der Wand spinnt. Aber wenn Messire Twardowski ausgeht, trägt er sie mit sich. Sie kauert zwischen den Haaren seines Pelzes oder in einer Falte seines wehenden Ärmels.

Der Teufel aber ist mit dieser Verjüngung sehr unzufrieden.

»Er wird mich bis ans Ende der Welt festhalten«, sagt er sich voller Ingrimm im stillen. Und so beschließt er schließlich, zu einer List zu greifen.

Eines Tages sieht Messire Twardowski eine prächtige Karosse vor seinem Hause halten. Ein Diener, der sie begleitet hat, steigt vom Pferd, kommt zu ihm und spricht:

»Meister, mein Herr liegt im Sterben. Er bittet Euch, zu ihm zu kommen. Niemand kann feststellen, was ihm fehlt. Wenn Ihr ihm nicht zu Hilfe kommt, muß er sterben.«

Messire Twardowski fühlt sich geschmeichelt und willigt ein mitzukommen.

Er steigt in den Wagen. Die Pferde scheinen Flügel zu haben, die Räder berühren kaum den Boden.

Es ist wie ein Wunder, daß ihnen bei dieser tollen Jagd kein Unglück widerfährt.

Inder Ferne erkennt man am Wegrand ein Licht. Es ist ein Gasthof. Als sie davor halten, bricht ein Wagenrad.

»Welches Unglück!«jammert der Diener. »Wir verspäten uns! Darf ich Euch bitten auszusteigen, Herr? Wir wollen versuchen, das Rad auszubessern.«

Messire Twardowski steigt aus, der Diener folgt. Es ist schon spät, und es sind nicht mehr viel Leute im Gasthof. In einer Ecke des Raumes ruht ein Neugeborenes in seiner Wiege. Rings um das Kind liegen geweihte Medaillen. Es ist soeben erst getauft worden.

Kaum eingetreten, sieht Twardowski, wie Eulen und Fledermäuse den Raum füllen. Er fängt an zu verstehen: er ist in eine Falle gegangen. Der Diener, der niemand anderes als der Teufel selber ist, macht eine tiefe Verbeugung und sagt:



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»Diesmal entkommst du mir nicht wieder. — >Rom< heißt nämlich dieses Gasthaus.«

Zum erstenmal verspürt Messire Twardowski, daß Grauen ihn überfällt. Aber er verliert dennoch nicht den Kopf.

»Vorher aber hast du mir, wie wir es kontraktlich abgemacht haben, noch drei Aufträge auszuführen. Errichte mir sofort einen Palast aus Haselnußkernen! Er muß aber so hoch wie das höchste Gebirge sein. Wenn dir das gelingt, dann darfst du mich mitnehmen.«

Verblüfft saust der Teufel durch den Kamin davon. Aber im Nu ist er wieder zurück, ehe Messire Twardowski das Glas Bier leeren kann, das ihm hingestellt worden ist. »Willst du das Schloß sehen?«

»Ganz gewiß, aber nicht auf deinem Rücken. Siehst du das Pferd, das dort an die Wand gemalt ist? Das will ich besteigen. Und das soll zugleich deine zweite Probe sein.«

Und schon steht das Pferd gesattelt vor ihm und wartet nur, daß er aufsteige. Er schwingt sich auf den Rücken, setzt den anderen vor sich auf die Kruppe und reitet durchs Fenster davon, das sich ganz von selber vor ihnen geöffnet hat.

Wenige Augenblicke nur, und sie sind wieder zurück. Das Pferd befindet sich wieder an der Wand. Messire Twardowski ist nun doch ängstlich geworden, aber er überlegt noch, wie er wohl dennoch Zeit gewinnen könne, sich etwas auszudenken, das ihn dem Zugriff des Satans entziehen werde.

»Hier die dritte Aufgabe: entweder mußt du dich ganz in Weihwasser baden oder du mußt meine Frau heiraten!«

»Von zwei Übeln wähle ich immer das geringere: und drum ziehe ich trotz allem noch das Weihwasser vor.«

>Warum nur<, denkt Messire Twardowski verzweifelt, >habe ich ihm auch eine Wahl gelassen! Ich hätte ihn für immer los sein können!<

Als der Teufel zähneklappernd von seinem Bad kommt, läuft Messire Twardowski schnell zur Wiege, ergreift das Neugeborene und hält es als Schutz vor sich hin. Der Teufel kann ihn nicht greifen:



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dieses sündenlose Kind ist in der Tat ein unbezwinglicher Schutzwall.

Doch da kommt ihm noch eine gute Idee.

»Aber Meister«, sagt er, während er sich mißbilligend vor ihm aufstellt, »wo bleibt dann Euer Wort als Edelmann?«

»Ehrenwort!« seufzt da Twardowski und legt den Säugling in die Wiege zurück. »Ehrenwort - du hast gewonnen, Satan!«

Der Teufel nimmt ihn auf die Schulter und führt ihn davon.

Sie überfliegen Felder und Dörfer. Und schon sind sie über der Stadt Posen. Sie fliegen nicht sehr hoch. Messire Twardowski hält sich am Giebel des Glockenturms fest. Aber das behindert ihren Flug nicht: er hält das Stück Dach in Händen. Dann klammert er sich an die Turmspitze der Kathedrale: sie gibt nach, er hält sie in Händen und sie fliegt mit. Seine Hände erstarren: er kann nicht das Zeichen des Kreuzes mit ihnen machen. Er versucht, sich wenigstens an ein kurzes Gebet zu erinnern: sein Kopf ist leer. Unter sich sieht er nun die Stadt Krakau.

»Ach, alles habe ich verlassen, was ich doch so geliebt habe«, ächzt er.

Sie steigen höher und immer höher. Hier gibt es keine Vögel, nicht einmal mehr Mücken. Völlig einsam durchfliegen sie den Luftraum.

Messire Twardowski muß an seine Kindheit denken. Im Augenblick, da sie über die Kirchen hinflogen, wachte eine unklare Erinnerung in seinem Herzen auf, und ein Ton nach dem anderen formt sich wieder zu der frommen Weise, die nun von seinen Lippen klingt: »Heilige Jungfrau, holde Beschützerin..

Ach, jene vergangenen Stunden, jene Stunden, in denen er zur Ehre der Gottesmutter dies Lied verfaßt hatte!

Die Melodie überströmt wieder seine Seele. Er denkt nicht mehr an den Teufel, nicht an alle Zauberkünste. Er ist in seine Kinderzeit zurückversetzt und ist voll frommer Gedanken.

Aber was geschieht da? Je länger er singt, um so mehr verlangsamt sich der Flug des Teufels, und plötzlich setzt er völlig aus: der Teufel



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flieht. Voller Wut jedoch schleudert er noch eine Verwünschung hervor: »Hier sollst du bis zum Jüngsten Gericht ausharren!«

Und so kommt es, daß der Messire Twardowski, zwischen Himmel und Erde schwebend, nie aufhört, seine frommen Lieder zu singen.

Wenn es Sommer ist und die Hirten droben auf den Alpenwiesen ihre Herden hüten, hören sie mitunter diese psalmodierende Stimme. Denn die Heilige Jungfrau hat zugestanden, daß sie bis zur Erde herabklingt, damit die Seelen durch sie geläutert werden.

Trotzdem wird mitunter diese unablässige fromme Betätigung dem Messire Twardowski etwas viel.

Aber sein getreuer Schüler hat ihn ja nicht verlassen. Er wäre mit ihm in die Hölle gefahren, er ist mit ihm in der Luft hängengeblieben. Von Zeit zu Zeit läßt er sich an seinem Spinnfaden bis eben über die Erde hinuntergleiten, und nachdem er eine Menge Neuigkeiten eingesammelt hat, erzählt er sie alle seinem Meister, wenn dem die Zeit so gar nicht vergehen will.

Es gibt Leute, die behaupten, die beiden in Vollmondnächten als kleinen schwarzen Punkt vor der Mondscheibe erkannt zu haben.

Madame Twardowski kehrte indes schnell in das verlassene Haus zurück und hoffte, dort Reichtümer vorzufinden. Da aber wurde sie sehr enttäuscht. Das Haus war am Einstürzen und nichts darin zu sehen als der magische Spiegel und das Große Buch auf dem Eichenpult. Sie wagte beides nicht anzufassen und bat die Priester, daß diese es fortbrächten. So ist es gekommen, daß sich nun der Pergamentband, durch eine Kette gesichert, in der Krakauer Universität befindet, wo er unter Stößen anderer gewichtiger Bücher begraben liegt, weil niemand mehr auf den Gedanken kommt, ihn hervorzuholen.

Andere Leute sind davon überzeugt, ihn in einem Kloster in Wilna gesehen zu haben. Aber als einmal ein neugieriger Mönch feststellen wollte, was eigentlich darinstehe, brach ein teuflischer Lärm ringsumher los, und am nächsten Morgen war das Buch verschwunden.



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Es wird auch erzählt, daß der Spiegel im Kirchenschatz eines polnischen Gotteshauses gesehen worden sei. Über seinem Ebenholzrahmen wäre da in lateinischen Lettern geschrieben gewesen: »Der Messire Twardowski zu Zaubereien gedient hat, wird nun der höheren Ehre Gottes dienen.« Trotzdem wagt es niemand, hineinzublicken.

Ein jeder Mensch in Polen kennt den Messire Twardowski. Aber: Hat er tatsächlich jemals gelebt? Wer will das genau und wahrhaftig wissen?


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