Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

I. BAND


WEISHEIT

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



Atlantis Bd_01-0004 Flip arpa

EINBANDZEICHNUNG VON VON F. H. EMCKE


An Frau Editha Frobenius!

Gar manches Mal hast Du mich nun schon auf der Fahrt zu jenem Erdteil, zu meinen Afrikanern, zu den großen Naiven, zu den uns an Lebenskraft und Seelenfähigkeit so weit überlegenen Kindern der roten Erde begleitet, sei es Hand in Hand als Weggenossin mitschreitend, sei es im Gedankenflug meiner Wanderung folgend. Du hast teilgenommen an dem Reichtum, der über mich ausgeschüttet wurde, an dem Freudenrausch des Erlebens, an der Ergriffenheit des Wirklichen, an der Fähigkeit zum Bekennen, am gewaltigen Glück jubelnder Ideen in jener Welt; hast aber auch mit mir die Erschütterung, das Erschrecken, die stets tiefere Enttäuschung über die immer gieriger um sich greifende Ode der Tatsachen, der seelenlosen Begriffe, über die leere, von ihr selbst mit aufsteigendem Ekel empfundenen Mechanik und den totenschädelähnlichen Intellektualismus in dieser, unserer Heimatwelt, erlitten. Zwei Welten!

Die Welt der Kinder, der Seelenreichen, uns beneidenden (weil sie aus erleben dem, schöpferischem Überreichtum sogar unserem Wesen und - o Hohn! unserer "Zivilisation" Beseelung zutrauten), und die Welt der erblindeten Greise, die Welt der nur noch Wissenden, die aus hochmütiger Armut und leeren Augen heraus auf jene "Primitiven" blasiert, verständnislos herabschauen.



Atlantis Bd_01-0006 Flip arpa

Und wenn ich hoffnungslos-traurig aus den Ländern des Glückes wiederkehrte in die des Jammers, mit ihrer bis zum Stumpfsinn verkümmerten Disziplin, mit ihrer bis zur Hohlheit herabgesunkenen Lust am Erfinden, ihrer bis zur Geistlosigkeit niedergegangenen Politik, ihrer abblühenden Kunst und ihrer in Schematismus verknöchernden "Wissenschaft", mit ihren in Begriffen verdämmerten Ideen, wenn ich fröstelnd fragte, wie es denn solchem Leblosen taugen könne, wenn neben seiner Bahre das Echo brandenden Lebens erweckt würde, dann lächeltest Du und sprachst zu mir:

"Das ist nicht verrottende Leblosigkeit, das ist nicht samenlos ersterbendes Verblühen, das ist nicht die Todesstarre verbleichenden Wesens. Siehe: unter diesem hochmütigen Hohn glimmt heimlich sehnsüchtig -Liebe; aus diesem Ekel der Übersättigung spricht Hunger; in diesen doch auch vom Baume des Seins herabgefallenen und jetzt verfaulenden Früchten leben Samenkörner. Und wenn die Schälchen dieser Samenkörner einmal aufgesprungen sein werden und die zarten Keime sich entfalten wollen, dann fordern sie fruchtbaren Boden. Fruchtbaren Boden sollst auch Du herbeiführen; solches scheint mir Deine Bestimmung! Schling also den Gurt fester um die Schulter und schiebe, die Frau Hoffnung im Herzen, Deinen Karren weiter!"

Ja, so sprachst Du und so lebtest Du, neben mir und mit mir. Beide Welten hast Du mit mir durchmessen, die



Atlantis Bd_01-0007 Flip arpa

jubelnde und die jammernde, und trotz manches schweren Pilgerganges hast Du nie den Mantelzipfel der Hoffnung aus der Hand gelassen, unserer Frau Hoffnung!

Meiner lieben Frau Hoffnung, die uns, vor heuer zwanzig Jahren, auf unserer ersten gemeinsamen Fahrt nach dem Süden geleitet, und die uns seit damals immer wieder hilfreich aus schwerer Not der Seele und des Leibes errettete. Unsere liebe Frau Hoffnung! O, wo wären wir beide ohne sie gestrandet!

Und diese Frau Hoffnung war es ja auch, die uns einst den Weg aus dieser jammernden in jene jubelnde Welt eröffnete. Sie, die uns nie betrog, hat uns immer wieder das wirkliche Ende allen Jammers, des hohläugigen Elends unserer Zeit, unserer Völker und den Untergang des Materialismus träumend und ahnend vorherschauen lassen. Sie zeigte uns den Hunger in seiner gewaltigen, fordernden Macht wachsend. Sie wies uns keimende Kraft, nicht mehr im Bizarren, im Zermalmenden, in sich selbst zermartern dem, fadem Skeptizismus und Egoismus endend, sondern im neuen Erleben der Torheit und des Narrentumes, der Weisheit und der Beseeligung, im harmonischen Zwieklang mit jener anderen Welt erstarkend.

Frau Hoffnung war Dir und mir und uns beiden eine gütige Führerin. Sie sagt mir, daß auch dieses große Bilderbuch aus dem jubelnden Seelenleben jener anderen Stärkeren unseren Niedergedrückten, unseren Bekümmerten, unseren Schwächeren eine nicht bedeutungslose Gabe sein werde.



Atlantis Bd_01-0008 Flip arpa

Welches anderen aber könnte ich in diesem Augenblicke, da mir der Abschluß dieser umfangreichen und inhaltsschweren Lebensarbeit gewährt wird, gedenken, als Deiner? Deiner, Du meine sinniginnige Weggenossin, Du meine Maßhalterin, Du meine ohne alles Beispiel opferfreudige Gattin, die mir immer wieder, trotzdem es mich oft und für lange Zeitspannen von Deiner Seite fortführte, den Weg des Lebens und Segens zeigte, um dann selbst, freudig-entsagungsvoll und hoffend, dem Wanderer nachzulächeln!

Dein holdes Lächeln war mir die Erleichterung mancher schweren Stunde, Dein Gram die schwerste Unbill meines Lebens. Deine Wünsche waren die Gewähr meiner Erfolge. Deine fürsprechenden Empfindungen wurden mir zum Leben der Ideen. Dein Bild ist für mich das der Frau Hoffnung geworden. Ich weiß es: unter solchem Zeichen wird dies Werk einen guten Weg nehmen, denn Dein Glaube hat mich nie getäuscht.

Dein sei dies Werk!

Bayr. Gmain, Sinnhof II, Leo Frobenius

September 1920


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt