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Musäus Deutsche Volksmärchen

Märchen europäischer Völker


Vierte Legende

So sehr sich's auch des Gnomen Günstling hatte angelegen sein lassen, den wahren Ursprung seines Glücks zu verhehlen, um nicht ungestüme Nachläufer anzureizen, den gebirgischen Patron um ähnliche Spenden mit dreister Zudringlichkeit zu überlaufen, so wurde die Sache doch endlich ruchbar; denn, wenn das Geheimnis des Mannes der Frau zwischen den Lippen schwebt, weht es das kleinste Lüftchen fort wie eine Seifenblase vom Strohhalm. Veitens Frau vertraut's einer verschwiegenen Nachbarin, diese ihrer Gevatterin, diese ihrem Herrn Paten, dem Dorfbarbier, und der allen seinen Bartkunden, so kam's im Dorfe und nachher im ganzen Kirchspiel herum. Da spitzten die verdorbenen Hauswirte, die Lungerer und Müßiggänger das Ohr, zogen scharenweise in das Gebirge, bedrängten den Gnomen, hoben an ihn zu zitieren und zu beschwören; zu ihnen gesellten sich die Schatzgräber und Landfahrer, die das Gebirge durchkreuzten, allenthalben einschlugen und den Schatz in der Braupfanne zu heben vermeinten. Rübezahl ließ sie eine Zeitlang ihr Wesen treiben, wie sie Lust hatten, achtet's der Mühe nicht wert, sich über die Gauche zu erzürnen, trieb nur seinen Spott mit ihnen, ließ zur Nachtzeit da und dort ein blaues Flämmchen auflodern, und wenn die Laurer kamen, ihre Mützen und Hüte drauf warfen, ließ er sie manchen schweren Geldtopf ausgraben, den sie mit Freuden heimtrugen, neun Tage lang stillschweigend verwahrten, und



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wenn sie nun hinkamen, den Schatz zu besehen, fanden sie Stank und Unrat im Topf oder Scherben und Steine. Gleichwohl ermüdeten sie nicht, das alte Spiel wieder anzuheben und neuen Unfug zu treiben. Darüber wurde der Geist endlich unwillig, stäupte das lose Gesindel durch einen kräftigen Steinhagel aus seinem Gebiete hinaus und wurde gegen alle Wanderer so barsch und grämisch, daß keiner ohne Furcht das Gebirge betrat, auch selten ohne Staupe entrann, und der Name Rübezahl wurde nicht mehr gehört im Gebirge bei Menschengedenken.

Eines Tages sonnte sich der Geist an der Hecke seines Gartens, da kam ein Weiblein ihres Weges daher in großer Unbefangenheit, die durch ihren sonderbaren Aufzug seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie hatte ein Kind an der Brust liegen, eins trug sie an dem Rücken, eins leitete sie an der Hand, und ein etwas größrer Knabe trug einen ledigen Korb nebst einem Rechen, denn sie wollte eine Last Laub fürs Vieh laden. Eine Mutter, dachte Rübezahl, ist doch wahrlich ein gutes Geschöpf, schleppt sich mit vier Kindern und wartet dabei ihres Berufs ohne Murren, wird sich noch mit der Bürde des Korbes belasten müssen: das heißt die Freuden der Liebe teuer bezahlen! Diese Betrachtung versetzte ihn in eine gutmütige Stimmung, die ihn geneigt machte, sich mit der Frau in eine Unterredung einzulassen. Sie setzte ihre Kinder auf den Rasen, streifte Laub von den Büschen, indes wurde den Kleinen die Zeit lang und sie fingen an heftig zu schreien. Alsbald verließ die Mutter ihr Geschäfte, spielte und tändelte mit den Kindern, nahm sie auf, hüpfte mit ihnen singend und scherzend herum, wiegte sie in Schlaf und ging wieder an ihre Arbeit.

Bald darauf stachen die Mücken die kleinen Schläfer; sie fingen ihre Symphonien von neuem an; die Mutter wurde darüber nicht ungeduldig, sie lief ins Holz, pflückte Erdbeere und Himbeere, und legte das kleinste Kind an die Brust. Diese mütterliche Behandlung gefiel dem Gnomen ungemein wohl. Allein der Schreier, der vorher auf der Mutter Rücken ritt, wollte sich durch nichts befriedigen lassen, war ein störrischer, eigensinniger Junge, der die Erdbeere, die ihm die liebreiche Mutter darreichte, von sich warf und dazu schrie, als wenn er gespießt wär. Darüber riß ihr doch endlich die Geduld aus: »Rübezahl«, rief sie, »komm und friß mir den Schreier.«Augenblicks versichtbarte sich der Geist in der Köhlergestalt, trat zum Weibe und sprach: »Hie



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bin ich, was ist dein Begehr?« Die Frau geriet über diese Erscheinung in großen Schrecken, wie sie aber ein frisches herzhaftes Weib war, sammelte sie sich bald und faßte Mut. »Ich rief dich nur«, sprach sie, »meine Kinder schweigen zu machen, nun sie ruhig sind, bedarf ich deiner nicht, sei bedankt für deinen guten Willen.« —»Weißt du auch«, gegenredete der Geist, »daß man mich hier ungestraft nicht ruft? Ich halte dich beim Wort, gib mir deinen Schreier, daß ich ihn fresse, so ein leckerer Bissen ist mir lange nicht vorgekommen.« Drauf streckte er die rußige Hand aus, den Knaben in Empfang zu nehmen.

Wie eine Gluckhenne, wenn der Weih hoch über dem Dache in den Lüften schwebt oder der schäkerhafte Spitz auf dem Hofe hetzt, mit ängstlichen Glucksen vorerst ihre Küchlein in den sichern Hühnerkorb lockt, dann ihre Gefieder emporsträubt, die Flügel ausbreitet und mit dem stärkern Feinde einen ungleichen Kampf beginnt: so fiel das Weib dem schwarzen Köhler wütig in den Bart, ballte die kräftige Faust und rief: »Ungetüm! Das Mutterherz mußt du mir erst aus dem Leibe reißen, eh du mir mein Kind raubest.« Eines so mutvollen Angriffes hatte sich Rübezahl nicht versehen, er wich gleichsam schüchtern zurück, dergleichen handfeste Erfahrung in der Menschenkunde war ihm noch nie vorgekommen. Er lächelte das Weib freundlich an: »Entrüste dich nicht! Ich bin kein Menschenfresser, wie du wähnst, will dir und deinen Kindern auch kein Leids tun; aber laß mir den Knaben, der Schreier gefällt mir, will ihn halten wie einen Junker, will ihn in Sammet und Seide kleiden und einen wackern Kerl aus ihm ziehn, der Vater und Brüder einst nähren soll. Fordre hundert Schreckenberger, ich zahl sie dir.«

»Ha!« lachte das rasche Weib, »gefällt Euch der Junge? Ja, das ist ein Junge wie'n Daus, der wär mir nicht um aller Welt Schätze feil.« »Törin!« versetzte Rübezahl, »hast du nicht noch drei Kinder, die dir Last und Überdruß machen? Mußt sie kümmerlich nähren und dich mit ihnen placken Tag und Nacht.«

Das Weib: »Wohl wahr, aber davor bin ich Mutter, muß tun, was meines Berufs ist. Kinder machen Überlast, aber auch manche Freude.« Der Geist: »Schöne Freude! Sich mit den Bälgen tagtäglich zu schleppen, sie zu gängeln, zu säubern, ihre Unart und Geschrei zu ertragen.« Sie: »Wahrlich, Herr! Ihr kennt die Mutterfreuden leider wenig, all Arbeit und Müh versüßt ein einziger freundlicher Anblick, das holde



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Lächeln und Lallen der kleinen unschuldigen Würmer. —Seht mir nur den Goldjungen da, wie er an mir hängt, der kleine Schmeichler! Nun ist er's nicht gewesen, der geschrien hat. —Ach, hätte ich doch hundert Hände, die euch heben und tragen und für euch arbeiten könnten, ihr lieben Kleinen!«

Der Geist: »So! Hat denn dein Mann keine Hände, die arbeiten können?«

Sie: »O ja, die hat er! Er rührt sie auch, und ich fühl's zuweilen.«

Der Geist, aufgebracht: »Wie? Dein Mann erkühnt sich, die Hand gegen dich aufzuheben? Gegen solch ein Weib? Das Genick will ich ihm brechen, dem Mörder!«

Sie, lachend: »Da hättet Ihr traun viel Hälse zu brechen, wenn alle Männer mit dem Halse büßen sollten, die sich an der Frau vergreifen. Die Männer sind eine schlimme Nation, drum heißt's Ehstand Wehstand, muß mich drein ergeben, warum hab ich gefreit.«

Der Geist: »Nun ja, wenn du wußtest, daß die Männer eine schlimme Nation sind, so war's auch ein dummer Streich, daß du freitest.«

Sie: »Mag wohl! Aber Steffen war ein flinker Kerl, der guten Erwerb hatte, und ich eine arme Dirne ohne Heiratsgut. Da kam er zu mir und begehrte mich zur Eh', gab mir einen Wildemannstaler auf den Kauf und der Handel war gemacht. Nachher hat er mir den Taler wieder genommen, aber den wilden Mann hab ich noch.«

Der Geist lächelte. »Vielleicht hast du ihn wild gemacht durch deinen Starrsinn.«

Sie: »Oh, den hat er mir schon ausgetrieben! Aber Steffen ist ein Knauser, wenn ich ihm einen Engelgroschen abfordere, so rasaunt er im Hause ärger als Ihr zuzeiten im Gebirge, wirft mir meine Armut vor, und da muß ich schweigen. Wenn ich ihm eine Aussteuer zugebracht hätte, wollt' ich ihm schon den Daumen aufs Auge halten.«

Der Geist: »Was treibt dein Mann für ein Gewerbe?«

Sie: »Er ist ein Glashändler, muß sich seinen Erwerb auch lassen sauer werden, schleppt der arme Tropf die schwere Bürde aus Böhmen herüber jahraus, jahrein; wenn ihm nun unterwegs ein Glas zerbricht, muß ich's und die armen Kinder freilich entgelten; aber Liebesschläge tun nicht weh.«

Der Geist: »Du kannst den Mann noch lieben, der dir so übel mitspielt?«



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Sie: »Warum nicht lieben? Ist er nicht der Vater meiner Kinder? Die werden alles gutmachen und uns wohl lohnen, wenn sie groß sind.«

Der Geist: »Leidiger Trost! Die Kinder danken auch der Eltern Müh und Sorgen! Werden dir die Jungen den letzten Heller aus dem Schweißtuch pressen, wenn sie der Kaiser zum Heer schickt ins ferne Ungerland, daß die Türken sie erschlagen.«

Das Weib: »Ei nun, das kümmert mich auch nicht, werden sie erschlagen, so sterben sie für den Kaiser und fürs Vaterland in ihrem Beruf; können aber auch Beute machen und der alten Eltern pflegen.«

Hierauf erneuerte der Geist den Knabenhandel nochmals; doch das Weib würdigte ihn keiner Antwort, raffte das Laub in den Korb, band obendrauf den kleinen Schreier mit der Leibschnur fest, und Rübezahl wandte sich, als wollte er weitergehen. Weil aber die Bürde zu schwer war, daß das Weib nicht aufkommen konnte, rief sie ihn zurück: »Ich habe Euch einmal gerufen«, sprach sie, »so helft mir nun auch auf, und wenn Ihr ein übriges tun wollt, so schenkt dem Knaben, der Euch gefallen hat, ein Gutfreitagsgröschel zu einem paar Semmeln, morgen kommt der Vater heim, der wird uns Weißbrot aus Böhmen mitbringen.« Der Geist antwortete: »Aufhelfen will ich dir wohl, aber gibst du mir den Knaben nicht, so soll er auch keine Spende haben.« — »Auch gut!« versetzte das Weib und ging ihres Weges.

Je weiter sie ging, je schwerer wurde der Korb, daß sie unter der Last schier erlag und alle zehn Schritte verschnauben mußte. Das schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen, sie wähnte, Rübezahl hab ihr einen Possen gespielt und eine Last Steine unter das Laub praktiziert, darum setzte sie den Korb ab auf dem nächsten Rande und stürzt' ihn um; doch es fielen eitel Laubblätter heraus und keine Steine, also füllte sie ihn wieder zur Hälfte und raffte noch so viel Laub ins Vortuch, als sie darein fassen konnte; doch bald war ihr die Last von neuem zu schwer, sie mußte nochmals ausleeren, welches die rüstige Frau groß Wunder nahm; sie hatte gar oft hochgepanste Graslasten heimgetragen und solche Mattigkeit noch nie gefühlt. Desungeachtet beschickte sie bei ihrer Heimkunft den Haushalt, warf den Ziegen und den jungen Hipplein das Laub vor, gab den Kindern das Abendbrot, brachte sie in Schlaf, betete ihren Abendsegen und schlief flugs und fröhlich ein.

Die frühe Morgenröte und der wache Säugling, der mit lauter Stimme sein Frühstück heischte, weckten das geschäftige Weib zu ihrem Tagewerke



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aus dem gesunden Schlaf. Sie ging zuerst mit dem Melkfasse, ihrer Gewohnheit nach, zum Ziegenstalle. Welch schreckensvoller Anblick! Das gute, nahrhafte Haustier, die alte Ziege, lag da rohhart und steif, hatte alle viere von sich gestreckt und war verschieden; die Hipplein aber verdrehten die Augen gräßlich im Kopfe, steckten die Zunge weit von sich, und gewaltsame Zuckungen verrieten, daß sie der Tod ebenfalls schüttelte. So ein Unglücksfall war der guten Frau noch nicht begegnet, seitdem sie wirtschaftete; ganz betäubt von Schrecken sank sie auf ein Bündlein Stroh hin, hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer der Sterblinge nicht ansehen und erseufzete tief: »Ich unglückliches Weib, was fang ich an! Und was wird mein harter Mann beginnen, wenn er nach Hause kommt? Ach, hin ist mein ganzer Gottessegen auf dieser Welt!« —Augenblicklich strafte sie das Herz dieses Gedankens wegen. Wenn das liebe Vieh dein ganzer Gottessegen ist auf dieser Welt, was ist denn Steffen und was sind deine Kinder? Sie schämte sich ihrer Übereilung; laß fahren dahin aller Welt Reichtum, dachte sie, hast du doch noch deinen Mann und deine vier Kinder. Ist doch die Milchquelle für den lieben Säugling noch nicht versiegt, und für die übrigen Kinder ist Wasser im Brunnen. Wenn's auch einen Strauß mit Steffen absetzt und er mich übel schlägt, was ist's mehr als ein böses Ehestündlein; hab ich doch nichts verwahrlost. Die Ernte steht bevor, da kann ich schneiden gehn, und auf den Winter will ich spinnen bis in die tiefe Mitternacht, eine Ziege wird ja wohl wieder zu erwerben sein, und hab ich die, so wird's auch nicht an Hipplein fehlen. Indem sie das bei sich gedachte, ward sie wieder frohen Mutes, trocknete ihre Tränen ab, und wie sie die Augen aufhob, lag da vor ihren Füßen ein Blättlein, das fütterte und blinkte so hell, so hochgelb wie gediegen Gold, sie hob es auf, besah's, und es war schwer wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zu ihrer Nachbarin, zeigte ihr den Fund mit großer Freude, und diese erkannt's für reines Gold, schachert's ihr ab und zählte ihr dafür zween Dicktaler bar auf den Tisch. Vergessen war nun all ihr Herzeleid. Solchen Schatz an Barschaft hatte das arme Weib noch nie im Besitz gehabt. Sie lief zum Bäcken, kaufte Strözel und Butterkringel und eine Hammelkeule für Steffen, die sie zurichten wollte, wenn er müd und hungrig am Abend von der Reise käme.

Wie zappelten die Kleinen der fröhlichen Mutter entgegen, da sie hereintrat und ihnen ein so ungewohntes Frühstück austeilte! Sie überließ



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sich ganz der mütterlichen Freude, die hungrige Kinderschar abzufüttern, und nun war ihre erste Sorge, das ihrer Meinung nach von einer Unholdin gesterbte Vieh beiseite zu schaffen, dieses häusliche Unglück vor dem Manne so lange als möglich zu verheimlichen. Aber ihr Erstaunen ging über alles, als sie von ungefähr in den Futtertrog sahe und einen ganzen Haufen goldner Blätter darin erblickte. Wenn sie der griechischen Volksmärchen kundig gewesen wäre, so würde sie leicht darauf geraten haben, daß ihr liebes Hausvieh an der Indigestion des Königs Midas gestorben sei. Ihr ahndete gleichwohl so etwas, darum schärfte sie geschwind das Küchenmesser, brach den Ziegenleichnam auf und fand im Magenschlunde einen Klumpen Gold, so groß wie einen Paullinerapfel, und so auch nach Verhältnis in den Mägen der Zicklein.

Jetzt wußte sie ihres Reichtums kein Ende; doch mit der Besitznehmung empfand sie auch die drückenden Sorgen desselben, sie wurde unruhig, scheu, fühlte Herzklopfen, wußte nicht, ob sie den Schatz in die Lade verschließen oder in den Keller vergraben sollte, fürchtete Diebe und Schatzgräber, wollt auch dem Knauser Steffen nicht gleich alles wissen lassen, aus gerechter Besorgnis, daß er vom Wuchergeist angetrieben, den Mammon an sich nehmen und sie dennoch nebst den Kindern darben lassen möchte. Sie sann lange, wie sie's klug genug damit anstellen wollte, und fand keinen Rat.

Der Pfaff im Dorfe war der Schutzpatron aller bedrängten Weiber; der aus Gutmütigkeit oder aus Neigung dem weiblichen als dem schwächsten Werkzeug seine gebührende Ehre gab und durchaus nicht gestattete, daß bengelhafte Ehekonsorten seine Beichttöchter mißhandelten, sondern legte den ungestümen Haustyrannen, wenn Klage einlief, schwere Bußen auf und nahm stets der Weiber Partei; auch hatte er die magische Hechtleber der Pönitenz bei dem mürrischen Steffen nie geschont, zu Nutz des guten Weibes den Asmodi aus der Ehekammer damit wegzuräuchern. Sie nahm also ihre Zuflucht zu dem trostreichen Seelenpfleger, berichtete ihm unverhohlen das Abenteuer mit Rübezahl, wie er ihr zu großem Reichtum verholfen und was sie dabei für Anliegen habe, belegte auch die Wahrheit der Sache mit dem ganzen Schatze, den sie bei sich trug. Der Pfaff kreuzte sich über das Wunderbare dieser Begebenheit mächtig, freute sich gleichwohl über das Glück des armen Weibes innig, rückte drauf sein Käpplein hin und her, für



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sie guten Rat zu suchen, um ohne Spuk und Aufsehen sie im ruhigen Besitz ihres Reichtums zu erhalten und auch Mittel auszufinden, daß der zähe Steffen sich desselben nicht bemächtigen könne.

Nachdem er lange simuliert hatte, redete er also: »Hör an, meine Tochter, ich weiß guten Rat für alles. Wäge mir das Gold zu, daß ich es dir getreulich aufbewahre, dann will ich einen Brief schreiben in welscher Sprache, der soll dahin lauten: dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde ging, sei in der Venediger Dienst nach Indien geschifft und daselbst gestorben, habe all sein Gut dir im Testament vermacht, mit dem Beding, daß der Pfarrer des Kirchspiels dich bevormunde, damit es dir allein und keinem andern zu Nutz komme. Ich begehre weder Lohn noch Dank von dir, nur gedenke, daß du der heiligen Kirche einen Dank schuldig bist für den Segen, den dir der Himmel bescheret hat, und gelobe ein reiches Meßgewand in die Sakristei.«Dieser Rat behagte dem Weibe herrlich, sie gelobte dem Pfarrer das Meßgewand; er wog in ihrem Beisein das Gold gewissenhaft bis auf ein Quintlein aus, legte es in den Kirchenschatz, und das Weib schied mit frohem und leichtem Herzen von ihm.

Rübezahl war nicht minder Weiberpatron als der gutmütige Parochus zu Kirsdorf, doch mit Unterschied. Der letztere verehrte das weibliche Geschlecht überhaupt, weil, wie er sagte, die heilige Jungfrau dazu gehöre, ohne gegen einzelne Dirnen eine Vorliebe blicken zu lassen, weshalb das lästerzüngige Gerücht seinen Ruf hätte verdächtig machen können; jener im Gegenteil haßte das ganze Geschlecht um eines Mädchens willen, die ihn überlistet hatte, ob ihn gleich seine Launen zuweilen auf den milden Ton stimmten, ein einzelnes Weiblein in Schutz zu nehmen und ihr gefällig zu sein.

So sehr die wackere Dörferin mit ihren Gesinnungen und Benehmen seine Gewogenheit erworben hatte, so ungehalten war er auf den barschen Steffen, trug groß Verlangen, das biedre Weib an ihm zu rächen, ihm einen Possen zu spielen, daß ihm Angst und Weh dabei würde, und ihn dadurch so kirre zu machen, daß er der Frau untertan würde und sie ihm nach Wunsch den Daumen aufs Auge halten könne. Zu diesem Behufe sattelte er den raschen Morgenwind, saß auf und galoppierte über Berg und Tal, spionierte wie ein Ausreuter auf allen Landstraßen und Kreuzwegen von Böhmen her, und wo er einen Wandrer erblickte, der eine Bürde trug, war er hinter ihm her und forschte mit dem Scharfblick



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eines Korbbeschauers nach seiner Ladung. Zum Glück führte kein Wandrer, der diese Straße zog, Glasware, sonst hätte er für Schaden und Spott nicht sorgen dürfen, ohne einen Ersatz zu hoffen; wenn er auch gleich der Mann nicht gewesen wäre, den Rübezahl suchte.

Bei diesen Anstalten konnte ihm der schwer beladene Steffen allerdings nicht entgehen. Um Vesperzeit kam ein feiner, frischer Mann angeschritten mit einer großen Bürde auf dem Rücken. Unter seinem rüstigen sichern Tritt ertönte jedesmal die Last, die er trug. Der Laurer freute sich, sobald er ihn in der Ferne witterte, daß ihm nun seine Beute gewiß war, und rüstete sich, seinen Meisterstreich auszuführen.

Der keuchende Steffen hatte beinahe das Gebirge erstiegen, nur die letzte Anhöhe war noch zu gewinnen, so ging es bergab nach der Heimat zu, darum sputete er sich, den Gipfel zu erklimmen; aber der Berg war steil und die Last war schwer. Er mußte mehr als einmal ruhen, stützte den knotigen Stab unter den Korb, um das drückende Gewicht desselben zu mindern, und trocknete den Schweiß, der ihm in großen Tropfen vor der Stirne stund. Mit Anstrengung der letzten Kräfte erreichte er endlich die Zinne des Berges, und ein schöner gerader Pfad führte zu dessen Abhang. Mitten am Wege lag ein abgesägter Fichtenbaum, und der Überrest des Stammes stund daneben, kerzengerade und aufrecht, oben geebnet wie eine Tischplatte. Rings umher grünete Tunkagras, Schwallenzagel und Marienflachs. Dieser Anblick war dem ermüdeten Lastträger so anlockend und zu einem Ruheplatz so bequem, daß er alsbald den schweren Korb auf den Klotz absetzte und sich gegenüber im Schatten auf das weiche Gras streckte. Hier übersann er, wieviel reinen Gewinn ihm seine Ware diesmal einbringen würde, und fand nach genauem Überschlag, daß, wenn er keinen Groschen ins Haus verwendete und die fleißige Hand seines Weibes für Nahrung und Kleider sorgen ließ, er gerade so viel lösen würde, auf dem Markte zu Schmiedeberg sich einen Esel zu kaufen und zu befrachten. Der Gedanke, wie er in Zukunft dem Grauschimmel die Last aufbürden und gemächlich nebenher gehen würde, war ihm zu der Zeit, wo seine Schultern eben wund gedrückt waren, so herzerquickend, daß er ihm, wie es bei frohen Idealen sehr natürlich ist, weiter nachhing. Ist einmal der Esel da, dacht er, so soll mir bald ein Pferd draus werden, und hab ich nun den Rappen im Stalle, so wird sich auch ein Acker dazu finden, darauf sein Haber wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei,



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aus zweien vier, mit der Zeit eine Hufe und endlich ein Bauerngut, und dann soll Ilse auch einen neuen Rock haben.

Er war mit seinen Projekten beinahe so weit wie Herzog Michel oder das Milchmädchen, da tummelte Rübezahl seinen Wirbelwind um den Holzstock herum und stürzte mit einemmal den Glaskorb herunter, daß der zerbrechliche Kram in tausend Stücke zerfiel. Das war ein Donnerschlag in Steffens Herz! Zugleich vernahm er in der Ferne ein lautes Gelächter, wenn's anders nicht Täuschung war und das Echo den Laut der zerschollenen Gläser nur wieder zurückgab. Er nahm's für Schadenfreude, und weil ihm der unmäßige Windstoß unnatürlich schien, auch da er recht zusah, Klotz und Baum verschwunden war, so riet er leicht auf den Unglücksstifter. »Oh!«wehklagte er, »Rübezahl, du Schadenfroh, was hab ich dir getan, daß du mein Stückchen Brot mir nimmst, meinen sauren Schweiß und Blut! Ach, ich geschlagner Mann auf Lebenszeit!« Hierauf geriet er in eine Art von Wut, stieß alle erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus, um ihn zum Zorn zu reizen. »Halunke!« rief er, »komm und erwürge mich, nachdem du mir mein Alles auf der Welt genommen hast.« Inder Tat war ihm auch das Leben in dem Augenblick nicht mehr wert als ein zerbrochenes Glas; Rübezahl ließ indessen von sich weiter nichts sehen noch hören.

Der verarmte Steffen mußte sich entschließen, wenn er nicht den ledigen Korb nach Hause tragen wollte, die Bruchstücken zusammenzulesen, um auf der Glashütte wenigstens ein paar Spitzgläser zu Anfang eines neuen Gewerbes dafür einzutauschen. Tiefsinnig wie ein Reeder, dessen Schiff der gefräßige Ozean mit Mann und Maus verschlungen hat, ging er das Gebirg hinab, schlug sich mit tausend schwermütigen Gedanken, machte zwischenein dennoch auch allerlei Spekulationen, wie er den Schaden ersetzen und seinem Handel wieder aufhelfen könne. Da fielen ihm die Ziegen ein, die seine Frau im Stalle hatte; doch sie liebte sie schier wie ihre Kinder, und im Guten, wußt er, waren sie ihr nicht abzugewinnen. Darum erdachte er diesen Kniff, sich seines Verlustes gar nicht daheim auszutun, auch nicht bei Tage in seine Wohnung zurückzukehren, sondern um Mitternacht sich in das Haus zu stehlen, die Ziegen nach Schmiedeberg auf den Markt zu treiben und das daraus gelöste Geld zum Ankauf neuer Ware zu verwenden; bei seiner Zurückkunft aber mit dem Weibe zu hadern und sich bärbeißig



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zu stellen, als habe sie durch Unachtsamkeit das Vieh in seiner Abwesenheit stehlen lassen.

Mit diesem wohlersonnenen Vorhaben schlich der unglückliche Fragmentensammler nahe beim Dorfe in einen Busch und erwartete mit sehnlichem Verlangen die Mitternachtsstunde, um sich selbst zu bestehlen. Mit dem Schlag zwölfe machte er sich auf den Diebesweg, kletterte über die niedrige Hoftür, öffnete sie von innen und schlich mit Herzpochen zum Ziegenstalle; er hatte doch Scheu und Furcht vor seinem Weibe, auf einer unrechten Tat sich erfinden zu lassen. Wider Gewohnheit war der Stall unverschlossen, welches ihn wunder nahm, ob's ihn gleich freute, denn er fand in dieser Fahrlässigkeit einen Schein Rechtens, sein Vorhaben damit zu beschönigen. Aber im Stalle fand er alles öd und wüste, da war nichts, was Leben und Odem hatte, weder Ziege noch Böcklein. Im ersten Schrecken vermeinte er, es habe ihm bereits ein Diebeskonsorte vorgegriffen, dem das Stehlen geläufiger sei als ihm; denn Unglück kommt selten allein. Bestürzt sank er auf die Streu und überließ sich, da ihm auch der letzte Versuch, seinen Handel wieder in Gang zu bringen, mißlungen war, einer dumpfen Traurigkeit.

Seitdem die geschäftige Ilse vom Pfaffen wieder zurück war, hatte sie mit frohem Mute alles fleißig zugeschickt, ihren Mann mit einer guten Mahlzeit zu empfangen, wozu sie den geistlichen Weiberfreund auch eingeladen hatte, welcher verhieß, ein Kännlein Speisewein mitzubringen, um beim fröhlichen Gelag dem aufgemunterten Steffen von der reichen Erbschaft des Weibes Bericht zu geben und unter welcherlei Bedingungen er daran Genuß und Anteil haben solle.

Sie sah gegen Abendzeit fleißig zum Fenster hinaus, ob Steffen käme, lief aus Ungeduld hinaus vors Dorf, blickte mit ihren schwarzen Augen gegen die Landstraße hin, war bekümmert, warum er so lange weile, und da die Nacht hereinbrach, folgten ihr bange Sorgen und Ahndungen in die Bettkammer, ohne daß sie an das Abendbrot gedachte.

Lange kam ihr kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen Morgen in einen unruhigen matten Schlummer fiel. Den armen Steffen quälten Verdruß und Langeweile im Ziegenstalle nicht minder; er war so niedergedrückt und kleinlaut, daß er sich nicht traute, an die Tür zu klopfen. Endlich kam er doch hervor, pochte ganz verzagt an und rief mit wehmütiger Stimme: »Liebes Weib, erwache und tu auf deinem



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Manne!«Sobald Ilse seine Stimme vernahm, sprang sie flink vom Lager wie ein muntres Rehe, lief an die Tür und umhalsete ihren Mann mit Freuden; er aber erwiderte diese herzigen Liebkosungen gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich mißmutig auf die Hellbank. Wie das fröhliche Weib das Jammerbild sah, ging's ihr ans Herz. »Was schad't dir, lieber Mann«, sprach sie bestürzt, »was hast du?« Er antwortete nur durch Stöhnen und Seufzen, dennoch frug sie ihm bald die Ursache seines Kummers ab, und weil ihm das Herz zu voll war, konnte er sein erlittenes Unglück dem trauten Weibe nicht länger verhehlen. Da sie vernahm, daß Rübezahl den Schabernack verübt hatte, erriet sie leicht die wohltätige Absicht des Geistes und konnte sich des Lachens nicht erwehren, welches Steffen bei mutiger Gemütsfassung ihr übel würde gelohnt haben. Jetzt ahndete er den scheinbaren Leichtsinn nicht weiter und frug nur ängstlich nach dem Ziegenvieh. Das reizte noch mehr des Weibes Zwerchfell, da sie merkte, daß der Hausvogt schon allenthalben umherspioniert hatte. »Was kümmert dich mein Vieh?«sprach sie, »hast du doch noch nicht nach den Kindern gefragt, das Vieh ist wohl aufgehoben draußen auf der Weide. Laß dich auch die Tücke von Rübezahl nicht anfechten und gräme dich nicht, wer weiß, wo er oder ein anderer uns reichen Ersatz dafür gibt.« — »Da kannst du lange warten«, sprach der Hoffnungslose. »Ei nun«, versetzte das Weib, »unverhofft kommt oft. Sei unverzagt, Steffen, hast du gleich keine Gläser und ich keine Ziegen mehr, so haben wir doch vier gesunde Kinder und vier gesunde Arme; sie und uns zu nähren, das ist unser ganzer Reichtum.« —»Ach, daß es Gott erbarme!«rief der bedrängte Mann, »sind die Ziegen fort, so trag die vier Bälge nur gleich ins Wasser, nähren kann ich sie nicht!« —»Nun, so kann ich's«, sprach Ilse.

Bei diesen Worten trat der freundliche Pfaff herein, hatte vor der Tür schon die ganze Unterredung abgelauscht, nahm das Wort, hielt Steffen eine lange Predigt über den Text, daß der Geiz eine Wurzel alles Übels sei; und nachdem er ihm das Gesetz gnugsam geschärft hatte, verkündigte er ihm nun auch das Evangelium von der reichen Erbschaft des Weibes, zog den welschen Brief heraus und verdolmetschte ihm daraus, daß der zeitige Parochus in Kirsdorf zum Vollstrecker des Testaments bestellt sei und die Verlassenschaft des abgeschiedenen Schwähers zu sichrer Hand bereits empfangen habe.



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Steffen stund da wie ein stummer Olgötz, konnte nichts, als sich dann und wann verneigen, wenn bei Erwähnung der durchlauchten Republik Venedig der Pfaff ehrerbietig ans Käpplein griff. Nachdem er wieder zu mehrerer Besonnenheit gelangt war, fiel er dem trauten Weibe herzig in die Arme und tat ihr die zwote Liebeserklärung in seinem Leben, so warm als die erste, und ob sie wohl jetzt aus andern Beweggründen abstammte, so nahm sie Ilse doch für gut auf. Steffen wurde von nun an der schmeidigste, gefälligste Ehemann, ein liebevoller Vater seiner Kinder und dabei ein fleißiger, ordentlicher Wirt, denn Müßiggang war nicht seine Sache.

Der redliche Pfaff verwandelte nach und nach das Gold in klingende Münze, kaufte davon ein groß Bauerngut, worauf Steffen und Ilse wirtschafteten ihr Lebelang. Den Überschuß lieh er auf Zins aus und verwaltete das Kapital seiner Kurantin so gewissenhaft als den Kirchenschatz, nahm keinen andern Lohn dafür wie ein Meßgewand, das Ilse so prächtig machen ließ, daß kein Erzbischof sich desselben hätte schämen dürfen.

Die zärtliche treue Mutter erlebte noch im Alter große Freude an ihren Kindern, und Rübezahls Günstling wurde gar ein wackrer Mann und diente im Heere des Kaisers lange Zeit unter Wallenstein im Dreißigjährigen Kriege.


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