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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Vom liederlichen Sohn

Es war einmal ein Bauer. Der hatte einen Sohn, der sein einziger Erbe war. Der Sohn war so liederlich, daß aller Rat des Vaters umsonst war. Schließlich ließ er sich vom Bauer sein Erbteil geben und ging in die Welt. Er kam in eine Stadt und verpraßte dort all sein Geld. Nunmehr quälte ihn der Hunger. Er wußte nicht mehr, wo er hin sollte, und ging in einen Hof zu einem Herrn, um die Schweine zu füttern, und aß mit ihnen die Spreu.

Aber der König des Landes ließ aus Gold einen Ziegel herstellen und überall verkünden, wenn einer genau einen solchen Ziegel machen könne, dann solle er seine Tochter heiraten und des Königs Schwiegersohn sein. Der eine machte diesen, der andere jenen. Aber nie paßte er zu dem Ziegel des Königs. Da kam ein Greis zu dem Schweinehirten und sagte: »Gehst du nicht mit deinem Ziegel zum König?« —»Was soll ich hingehen und woher soll ich so viel Geld nehmen für solchen teuren



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Ziegel?«Der Alte sagte: »Hier hast du einen Ziegel, geh!«Er ging zum König und legte seinen Ziegel auf den des Königs. Er stimmte ganz und gar. Nunmehr hätte er Schwiegersohn des Königs werden müssen. Aber die Tochter wollte ihn schon von weitem nicht, denn er war ganz mit Spreu beklebt. Der König aber wollte sein Wort nicht brechen und ihn nicht verstoßen. Er gab ihm also fünfundzwanzig Dukaten, daß er darauf verzichte, sein Schwiegersohn zu werden. Er aber verzichtete nicht eher darauf, als bis er vom König hundert Dukaten erhalten hatte. Er dachte nun nicht mehr daran, daß er bisher gehungert hatte, sondern sobald er die hundert Dukaten empfangen hatte, eilte er gleich in die Stadt und trank solange, bis er alles vertrunken hatte. Danach wußte er wieder nicht, wo er sich hinbegeben solle. Er ging zu einem Schuster als Geselle. Der Schuster fragte ihn: »Kannst du ein bißchen nähen?« Er antwortete: »Ja, ein wenig.«Gegen Abend zog der Schuster auf den Jahrmarkt mit Schuhen, und er fragte: »Was soll ich morgen nähen?« — »Was dir zuerst zu Gesicht kommt, dafür nähe etwas!«

Am nächsten Morgen sah er zuerst einen Hund. Da nähte er Schuhe für den Hund.

Er nähte fünfundzwanzig Paar und fädelte sie auf einen Strick. Am Abend kam der Schuster nach Hause und erzählte, daß das Geschäft auf dem Jahrmarkt gut gewesen war und er ordentlich verkauft habe. »O auch ich habe tüchtig Stiefel genäht«, sagte der Geselle. »Wir wollen gehen, daß ich sie dir zeige!« — »Wir werden das morgen früh schon sehen.«Am nächsten Morgen brachte er den ganzen Strick herbei. Der Schuster sah, daß die Schuhe für Hundefüße genäht waren. Da schlug er ihm den Strick mit den Schuhen um den Kopf. Er begann von dannen zulaufen. Dabei schlang sich ihm der Strick um den Hals. Denn er hatte ihn den Händen des Schusters entrissen, und er kam an einen Waldesrand. Da fuhr ein Herr in den Wald, um mit Hunden zu jagen. Der sah, daß der Geselle Schuhe für Hunde bei sich trug, und fragte: »Was ist das hier?« —»Das sind Schuhe für Hunde. Wenn du deinen Hunden diese Schuhe anziehst, so sind sie sehr schnell.«Dem Herrn gefiel diese Fußbekleidung, und er zahlte ihm einige Dukaten. Er ging nun seines Wegs, aber der Herr zog seinen Hunden die Schuhe an. Doch die Hunde fraßen sogleich an den Schuhen herum und gingen nicht von der



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Stelle, bis sie die Schuhe aufgefressen hatten. Jetzt sandte der Herr seine Knechte hinterdrein, daß sie den Mann verfolgten und ihm das Geld wieder abnähmen. Aber wo sollten sie ihn finden? Der Geselle war nämlich mit dem Gelde in die Stadt gegangen und hatte wieder solange getrunken, bis er alles Geld vertrunken hatte. Dann war er davongegangen.

Er gelangte in einen Hof zu Bauersleuten und blieb dort über Nacht. Die fragten ihn: »Was bist du für einer?« Er sagte: »Ich brüte Küken aus.«Aber die Herrin des Hofes konnte keine Küken ausbrüten. Daher verkündigten die Dienstleute ihrer Herrin, es habe sich ein derartiger Meister gefunden. Die ließ ihn sogleich zu sich kommen und fragte: »Ist es wahr, daß du Küken ausbrüten kannst?« —»Ja, auf einmal brüte ich einen halben Scheffel Küken aus.« — »Wo willst du sie ausbrüten?« — »Ich brauche dazu eine warme Badestube«, erwiderte er, »und niemand darf während eines Monats zu mir kommen. Ich nehme aber für den halben Scheffel fünfzig Rubel.« — »Gut.« Das gefiel der Herrin. Sie gab ihm fünfzig Rubel, ließ die Badestube heizen, gab ihm die nötigen Eier, stattete ihn außerdem mit Speisen für einen Monat aus und schloß ihn ein. Er aß aber die Speisen und die Eier auf. Als nun der Tag gekommen war, wo er mit dem Brüten fertig sein sollte, schlich er sich durchs Fenster und ging in das Dorf. Dort fand er ein paar Küken, die eben ausgebrütet waren. Die kaufte er sich. Dann ging er wieder in die Badestube, brannte sie an und rief die beiden Küken zu sich: »Schip, schip, schip!« Da sah er, daß die Badestube brannte, lief dorthin und sagte: »Wer weiß, wer die Badestube angezündet hat? Kaum konnte ich aus dem Fenster mit zwei Küken entschlüpfen. Die andern blieben zurück.«Die Herrin hatte keine Freude an ihren Küken. Er aber kehrte in seine Heimat zurück.


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