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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Vom Dummling, dessen Freund der Wolf war

Es war ein König, der hatte drei Söhne und einen Apfelbaum. Dessen Stamm war von Silber, die Blätter aber von Gold und die Äpfel von Diamant. Jede Nacht kam aus einem andern Königreich ein Falke geflogen und stahl drei Äpfel. Da ging der älteste Sohn in den Garten, um die Nacht über bei dem Baum achtzugeben, aber er schlief ein; der Falke kam geflogen und trug die Äpfel davon. Die folgende Nacht sollte der zweite Sohn achtgeben. Aber auch der schlief ein. Der dritte Sohn aber war ein Dümmling, und er bat, man solle doch auch ihn hinlassen, um aufzupassen. Aber die andern zwei Brüder sagten: »Wenn wir, die Klugen, umsonst aufgepaßt haben, wird's dir Dümmling noch weniger glücken.«Der Dümmling jedoch bat so inständig darum, und da ließ man ihn denn die dritte Nacht achtgeben. Die Nacht durch schlief auch er, aber gegen Tag hin erhob er sich, stieg auf den Apfelbaum und sah da einen großen Lichtschein. Ein Falke kam geflogen, setzte sich auf den Baum und pflückte zwei Äpfel, und da fing ihn der Dümmling. Der Falke bat ihn, er möge ihn freilassen, und sprach: »Du darfst dir dafür auch eine von meinen Federn ausrupfen.« Das tat der Dümmling. Er nahm die Feder mit heim, zeigte sie seinen Brüdern und sprach: »Es kam ein Falke geflogen, ich konnte ihn aber nicht fangen; aber ich habe ihm eine Feder ausgerissen, ehe er davonflog.«Jetzt baten die beiden ältesten den Vater, er möge sie doch ausziehen lassen, um nachzuforschen, in welchem Königreich der Falke wäre. Der Dümmling wollte gern mit, und ob auch die Brüder wieder sagten: »Wo wirst du Dümmling schon was finden?« gab der König doch allen dreien Urlaub. So ritten sie aus und kamen an einen Kreuzweg. Da wollten sie sich trennen. Jeder steckte an den Weg, den er einzuschlagen dachte, ein blaues Fähnchen. Färbte sich das Fähnchen von einem rot, so sollten



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die andern, wenn sie wieder an den Kreuzweg kämen, daran erkennen, daß der Bruder tot wäre. Drauf ritt jeder seines Wegs.

Der Dümmling gelangte an eine Wiese und ließ sein Pferd grasen. Da kam ein Wolf daher und bat ihn, er möge ihm doch das Pferd schenken. Der Dümmling aber sprach, dann könnte er nicht die weite Reise machen, und da fragte ihn der Wolf: »Wohin geht denn die Reise?« Der Dümmling erzählte ihm alles, und der Wolf sprach: »Ich will dich hintragen, mit dem Pferde findest du dich doch nicht hin.« Da schenkte ihm denn der Dümmling das Pferd, und der Wolf fraß es auf. Danach setzte sich der Dümmling auf den Wolf und ritt von dannen, den Falken zu suchen. Sie kamen zu einem Königsschloß. Da sprach der Wolf: »Geh hinein! Da findest du viele Vögel, und darunter ist auch der Falke, aber nimm dir ja keinen andern Vogel, auch den schönsten nicht! Und des Vogels Käfig mußt du stehenlassen.« Aber der Falke bat den Dümmling, er solle doch auch den Käfig mitnehmen. »Denn«, sagte er, »einen so schönen Käfig für mich hast du nicht.« Und da nahm der Dümmling auch den Käfig mit. Wie er ihn aber zur Tür hinaustragen wollte, da klirrte der Käfig, und das hörte des Königs Sohn. Er kam herbeigelaufen, und so wurde der Dümmling erwischt. Der Königssohn nahm ihm den Käfig ab und sprach: »Wenn du so ein Schalk bist, so geh mir doch in das und das Königreich, dort findest du ein schönes Pferd! Das stiehl mir! Dann gebe ich dir dafür den Falken.« Der Dümmling kehrte zum Wolf zurück und weinte, daß ihm jener den Falken wieder abgenommen hatte. Und der Wolf sprach: »Ich sagte dir doch: Nimm den Käfig nicht! Wenn du mir nicht folgst, wird es dir überall so ergehen. Wir wollen uns jetzt nach dem Pferd aufmachen!« Der Dümmling setzte sich wieder auf den Wolf, und er trug ihn in das Königreich hinter dem Schloß, wo das Pferd stand. Der Wolf blieb am Hoftor zurück und sprach: »Nun geh und stiehl das Pferd! Aber rühre das Zaumzeug nicht an!«Der Dümmling ging hin und nahm das Pferd. Das Pferd aber bat ihn, er möge doch auch das Zaumzeug mitnehmen. »Denn«, sagte es, »so ein schönes Zaumzeug hast du doch nicht.« So packte er auch das auf.

Aber wie er jetzt zur Tür hinauswollte, klirrte das Zaumzeug, und da kam des Königs Sohn gelaufen und ertappte ihn, nahm ihm das Pferd



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wieder ab und sprach: »Wenn du so ein Schalk bist, so geh mir doch übers Meer! Da wohnt ein Fräulein von großer Schönheit. Die stiehl mir und bring sie her! Dann werde ich dir dafür das Pferd geben.« Der Dümmling kam zum Wolf zurück und weinte, und der Wolf sprach: »Wenn du klug wärest, so hattest du jetzt den Falken und das Pferd. So hast du nun gar nichts. Noch einmal will ich dich hintragen, wenn du mir dann aber wieder nicht folgst, sind wir geschiedene Leute.«Der Dümmling setzte sich auf den Wolf, und sie kamen zum Meer, hinter dem das Fräulein wohnte. Jetzt sprach der Wolf: »Schlachte mich! Dann wird sich mein Leib in einen Kahn, meine Zunge in ein Ruder und meine Eingeweide werden sich in drei Kleider, drei Paar Schuhe und drei Ringe verwandeln. Fahr dann hinüber ans Königsschloß! Dort steige aus und halte das schönste von den drei Kleidern feil, auf daß sie meinen, es wäre ein Kaufmann aus feinden Ländern angekommen.«Da schlachtete der Dümmling den Wolf und ruderte alsdann übers Meer. Drüben stieg er ans Land und bot das schönste Kleid aus. Die Königstochter aber erblickte ihn und sprach zum König: »Ein Kaufmann aus fremden Landen hat da gar schöne Kleider. Ich möchte hingehen und mir eins davon kaufen.« Der König antwortete: »Schick die Zofe hin!« Die Zofe ging, der gab aber der Dümmling nicht das schönste. Denn das hielt er gegen das Fenster hin, hinter dem die Prinzessin stand. Und die Prinzessin sagte zu ihrem Vater: »Ach, die Zofe bringt nicht das schönste. Ich will selber gehen.« Da ließ sie denn der König gehn, und wie sie zu des Dümmlings Kahn kam, stieg sie hinein, zog dort das Kleid und ein Paar von den Schuhen an und steckte einen von den Ringen an den Finger. Da ruderte der Dümmling davon und entführte das Fräulein. Der Wolf aber wurde drüben wieder lebendig und trug den Dümmling und das Fräulein zu dem Prinzen. Am Hoftor sagte der Wolf: »Jetzt werde ich mich in das schöne Fräulein verwandeln, führe du mich dann zum Prinzen! Er wird dir für mich das Pferd geben, und bitte ihn dann auch noch um eine Kutsche. In der müßt ihr beide davonfahren. Und sage ihm, daß er mich in einem Zimmer allein lassen müsse und mir nichts zu essen geben dürfe als frühmorgens ein Glas Tee.« Der Dummbart führte das falsche Fräulein zum Prinzen und sagte dem alles, wie es ihm der Wolf aufgetragen hatte. Der Prinz gab



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ihm das Pferd und die Kutsche und war froh, daß er jetzt ein so schönes Fräulein hatte. Der Dummbart aber fuhr mit der Kutsche vors Hoftor, ließ sein Fräulein einsteigen und fuhr nach Hause. Am nächsten Morgen wollte die Zofe dem Fräulein des Prinzen den Tee bringen, doch siehe: da knurrte in dem Zimmer ein Wolf. Schreiend lief sie davon und rief: »Ach, ein Wolf hat das Fräulein gefressen!« Der Wolf aber lief hinter ihr her aus dem Zimmer, lief dem Dümmling und seinem Fräulein nach und holte sie bald ein. Sie kamen nun an das Schloß, in dem der Falke stand. Da sagte der Wolf: »Ich will mich jetzt in das schöne Pferd verwandeln. Führe mich zum Prinzen! Er wird dir für mich den Falken geben. Sage ihm aber, er solle mich nicht mit alten Pferden zusammenstellen, sondern nur mit diesjährigen Füllen, und morgen früh soll er mir ein bißchen Heu bringen lassen.« Der Dümmling brachte dem Prinzen das Pferd. Der Prinz gab ihm dafür den Falken, und der Dümmling machte sich mit ihm davon. Am nächsten Morgen aber, als des Prinzen Kutscher das Heu bringen wollte, siehe, da waren alle Füllen aufgefressen, und ein Wolf kauerte im Stall. Der Kutscher lief davon und schrie: »Ach, ein Wolf hat das schöne Pferd und die Füllen gefressen.« Der Wolf aber rannte zur Tür hinaus und holte den Dümmling ein. Dann sprach er zu ihm: »Ich habe dich jetzt reich gemacht; du hast ein schönes Fräulein, ein schönes Pferd und einen schönen Falken. So fahre nun nach Hause, und wenn du an den Kreuzweg kommst, wirst du dort bei den Fähnchen zwei Bettler sitzen sehen. Gib ihnen selber kein Almosen, laß dein Fräulein es geben und zeige dich ihnen nicht!« Der Dümmling kam zum Kreuzwege, und siehe an: es sind seine beiden Brüder, die da sitzen. Sie taten ihm leid, er stieg aus und reichte dem einen ein Almosen und sagte zu ihnen: »Ihr habt nichts gefunden, und ich habe viel.« Und da beredeten sich die beiden, sie wollten den Dümmling totschlagen. Sie schlugen ihn tot und steckten ihn unter einen Busch, und jetzt ward seine Fahne rot. Alsdann fuhren die beiden mit dem Fräulein nach Hause und sprachen zum König: »Der Dümmling, den du damals mit ausgeschickt hast, ist tot; denn seine Fahne ist rot. Wir aber haben dir den Falken mitgebracht und haben auch ein Fräulein und ein Pferd.«

Es fuhr aber zu derselben Zeit ein Fürst den Weg, an dem der Dümm



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ling lag, und hörte etwas im Gebüsch wimmern. Er trat herzu, zog den Dümmling heraus und machte ihn wieder heil und gesund, und alsbald wurde das Fähnlein auch wieder blau. Als er dann heimkam, erschraken seine Brüder und sagten: »Wir haben ihn nicht ordentlich totgeschlagen, er ist wieder heil und gesund geworden.« Und als der Dümmling nun dem König erzählte, wie alles sein Werk wäre und jene nichts mitgebracht hätten, da ließ der König seine Senatoren zusammenberufen und die zwei zum Tode verurteilen, und sie wurden totgeschossen. Der Dümmling aber lebte fortan mit seiner Frau herrlich und in Freuden.


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