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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Von einem Soldaten, der vom General zum Ziegenhirten wurde

Der Sohn eines Hofbesitzers mit Namen Upeikas war als Soldat ausgehoben und sandte seinen Eltern einen Brief, er wäre schon General. Er bat seinen Vater, zu ihm zu kommen. Der Vater kam herbeigefahren, fand aber seinen Sohn nur als einfachen Soldaten vor.

Da ward der Vater wegen des Betrugs sehr zornig auf ihn und sagte: »Ich wünschte, du hättest keine Stiefel an, wenn du heimkehrst.«

Wie der Vater es gesagt hatte, so geschah es auch. Der Sohn aber wurde später richtig General, und er bat den Vater, wieder zu ihm zu kommen und ihn zu besuchen. Aber da der Vater einmal betrogen war, hörte er nicht weiter darauf. Upeikas war also General geworden und hatte sich mit einer sehr reichen und klugen Jungfrau verheiratet. Da er Sehnsucht nach seinen Eltern verspürte, beschloß er, sie zu besuchen



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und ihnen abzubitten, weil er sie einst gekränkt hatte. Als General hatte er viele Diener. Er hatte kaum seine Wünsche geäußert, da war schon alles für die Reise vorbereitet. Der erste reinigte die Stiefel, der zweite machte den Wagen fertig, der dritte spannte die Pferde an usw. Die Frau Generalin fragte Upeikas:

»Wenn du nicht bald wieder heimkehrst, wo finde ich dann deine Vaterstadt?« —»Ich werde bei meiner Fahrt am Wege Tafeln aufstellen mit der Aufschrift: >Hier ist der General Upeikas entlanggefahren.<«

Am Wege stand eine Hütte, in dieser sollte eine Hexe wohnen, die allerlei Zauberkünste verstand. Sooft nun einer vorbeifuhr oder vorüberging, setzte sie die Luft in solche Bewegung, daß niemand vorübergehen konnte, bevor er nicht in die Hütte getreten war. Jeder aber, der eintrat, mußte mit ihr Karten spielen. Es gab dort aber einen Platz, auf den sich die Hexe setzte, wenn sie Karten spielen wollte. Dadurch gewann sie alles. Wer aber verlor, kam kaum mit einem einzigen Hemde davon.

So geschah es auch mit Upeikas. Er fuhr gerade auf die Hütte los, da erhub sich ein Sturmwind, und es schien, als ob Himmel und Erde eins waren.

Wie viele andere mußte auch der General Upeikas einkehren, und so geriet er in die Klauen der Hexe. Die Alte trieb es mit dem General wie mit jedem andern Gast. Sofort legte sie Karten auf ein Tischlein und bat den General, mit ihr zu spielen. Der ahnte nichts von ihren Hexenkünsten und hörte mit dem Kartenspielen nicht auf; denn als Herr hatte er sich ja schließlich daran gewöhnt, Karten zu spielen.

Die Alte setzte sogleich sich auf ihren Platz und legte ein Fünfrubelstück auf den Tisch. Upeikas wollte ihr nicht nachstehen und legte ein anderes Fünfrubelstück neben das ihre. So verspielte Upeikas bei der Hexe nicht nur sein Geld, sondern auch seine Pferde, seinen Wagen, und schließlich mußte er auch seine Stiefel dalassen und zu Fuß und barfuß in seine Heimat wandern. Er kam zu seinem Vater, aber er schämte sich zu sagen, daß er sein Sohn Upeikas wäre, und verdang sich bei ihm als Ziegenhirt, und er hatte fünfzig Ziegen. Diese Ziegen übte er nun ein, wie wenn es Soldaten wären. Wenn er rief: »Richt euch!« so stellten sich alle Ziegen in ein Glied, nahmen die Bärte hoch und



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rührten sich nicht. Wenn er aber rief: »Das Ganze, marsch!« Dann machten alle Ziegen auf einmal »tripp, trapp«.

Da die Generalin auf die Rückkehr ihres Mannes vergeblich wartete, fuhr sie von dannen, um ihn auf demselben Wege zu suchen, wo die Tafeln mit der Aufschrift standen: »Hier ist General Upeikas entlanggefahren.« Auch sie kam zu der Hütte der Hexe und mußte dort haltmachen; denn es erhob sich ein Sturmwind wie bei jedem, der vorüberfahren wollte. Sie ging hinein und nahm Platz, um mit der Hexe Karten zu spielen. Beim Spielen merkte die Generalin, daß auch sie zu Fuß weggehen müßte. Daher zwang sie die Hexe, ihre Plätze zu vertauschen. Sie setzte sich also auf den Platz der Hexe und gewann nicht nur ihre eigenen Sachen, die sie verspielt hatte, wieder, sondern auch die ihres Mannes. Als die Generalin weiterfuhr, fand sie nur an einem Knüppelzaun die Aufschrift: »Der General Upeikas ist zu Fuß weitergegangen.« Sie kam dann in die Heimat ihres Mannes und bat um ein Nachtlager, sagte aber nicht, daß sie die Schwiegertochter sei, und erkundigte sich auch nicht nach Upeikas. Aber sie blickte sich um, wo sie jemand traf. Denn sie wollte wissen, was ihr Mann für eine Arbeit verrichtete. Obwohl die Eltern die Fremde nicht kannten, merkten sie doch, daß sie sehr reich war, und sie nahmen sie mit Ehrfurcht auf. Als sie aber am Abend Tee tranken, rühmte der Vater seinem Gast gegenüber, sie hätten einen solchen trefflichen Ziegenhirten, daß er allen Ziegen den russischen Soldatendienst beigebracht hätte. Am nächsten Morgen sah die Generalin durch das Fenster, wie der Hirt die Ziegen einübte. Upeikas ließ wie immer die Ziegen los, knallte dann aber mit der Peitsche und rief: »Richt euch!« da stellten sich alle Ziegen in ein Glied. Dann knallte er wieder mit der Peitsche und rief: »Alles marsch!« Da nahmen alle Ziegen die Bärte hoch und es ging »tripp, trapp«. Die Generalin erkannte ihren Mann, öffnete das Fenster und fragte: »Upeikas, was ist besser, General von Soldaten oder von Ziegen zu sein?« Da erkannte er seine Gemahlin, schämte sich, daß er Ziegenhirt war, und wußte nicht, wo er bleiben sollte. Danach erkannten auch die Eltern ihren Sohn wieder. Seit dieser Zeit hütete er keine Ziegen mehr. Der Vater veranstaltete einen großen Ball aus Freude darüber, daß er seinen Sohn wiedergefunden hatte: denn er glaubte ihn nicht



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wiederzusehen. Dazu luden sie viele Gäste ein, lange wurde gefeiert, und ich war auch dabei. Ich aß und trank zusammen mit allen Gästen, denn ich war Koch. Als ich nach Hause gehen wollte, schenkte mir der Herr einen Wagen aus Stroh, eine Stute aus Wachs, einen Hut aus Butter, ein Kleid aus Papier und Stiefel aus Glas. Als ich durch die Stadt fuhr, fielen die Ziegen der Juden über mich her und fraßen mir den Wagen auf. Ich setzte mich auf mein Pferd, um zu reiten. Mein Hinterer wurde warm, davon zerschmolz die Stute. Da kam ein Regen. Der leckte mir mein Kleid ab, und ich begann zu frieren. Ich ging in eine Schenke, um mich zu wärmen. Mein Hut zerschmolz mir dabei, es blieben mir allein die Stiefel noch. Als ich aber in Tilsit über die eiserne Brücke ging, brachen sie entzwei, und ich hatte nichts mehr. Und wie ich nichts hatte, so habe ich auch jetzt nichts.


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