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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Der Krebs, die Ratte und der Mistkäfer

Ein König hatte eine Prinzessin, die niemand zum Lachen bringen konnte. Da ließ er bekanntmachen: »Wer meine Tochter zum Lachen bringt, der soll sie zur Frau haben.« Diese Botschaft klang manchem sehr verführerisch, und schon am nächsten Tage wimmelte es im Schloß von vornehmen Männern aller Art. Aber alles war umsonst; macht, was ihr wollt, die Prinzessin zog nicht einmal die Lippen kraus. Jene Bekanntmachung drang indessen immer weiter, zuletzt gelangte sie auch in eine ärmliche Hütte, wo ein armer Greis mit seinem einzigen



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Sohne wohnte. Der Greis sagte: »Lieber Sohn, dir war von jeher die Glücksgöttin Leuna hold, geh und versuche dein Glück, vielleicht gelingt es dir, die Prinzessin zum Lachen zu bringen.«

»Väterchen, wenn du es sagst, gehe ich auf der Stelle.« Der Jüngling nahm seinen Lederranzen und machte sich auf den Weg.

Unterwegs stieß er auf einen Krebs. Der Krebs bat ihn: »Lieber Junge, zertritt mich nicht; wirf mich lieber in deinen Ranzen, vielleicht kann ich dir noch einmal aus der Not helfen.« Der Jüngling folgte dem Rat und zog weiter. Nach einer Weile stieß er auf eine Ratte. Die Ratte bat: »Lieber Junge, schlag mich nicht! Wirf mich lieber in deinen Ranzen, vielleicht kann ich dir noch einmal aus der Not helfen.« Der Jüngling folgte dem Rat. Nach einer Weile stieß er noch auf einen Mistkäfer. Der Mistkäfer bat: »Lieber Junge, zertritt mich nicht! Wirf mich lieber in deinen Ranzen, vielleicht kann ich dir noch einmal aus der Not helfen.« Der Jüngling befolgte den Rat.

Am nächsten Tag, um die Abendessenszeit, erreichte er mit seinen drei Gefährten das Königsschloß und meldete, er sei gekommen, die Prinzessin zum Lachen zu bringen. Der König sagte: »Sehr gut, aber erst leg deinen Ranzen ab und nimm einen Abendimbiß.«

»Einen Imbiß nehmen, das kann ich, aber von meinem Ranzen mag ich mich deshalb nicht trennen«, erwiderte der Jüngling und setzte sich an den Tisch neben die Prinzessin. Zum Abendessen gab es gekochte Erbsen. Alle aßen ganz leise. Plötzlich witterte die Ratte im Ranzen die Erbsen und fing an sich zu lecken: tjip, tjip! Als der Krebs das hörte, wurde er auch unruhig, er schlug mit seinem Schwanz an den eingetrockneten Ranzen: lijp, lijp! Und der Mistkäfer will auch nicht länger warten: bei ihm geht es nur so: bim bam, bim bam.

Die Prinzessin fragte: »Wer treibt denn da unter dem Tisch solche Possen?« — »Was für Possen! Die Erbsen können sich in meinem Bauch nicht vertragen und fangen sich zu prügeln an.«

Das hieß den Nagel auf den Kopf treffen, die Prinzessin brach in ein helles Gelächter aus, und der König erhob sich sogleich und sagte: »Dir gehört sie, du bist mein Schwiegersohn.«

Aber am anderen Ende des Tisches saß ein fremder Königssohn, der war auch gekommen, um die Prinzessin zum Lachen zu bringen. Dem



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wurmte es nun sehr, daß der Sohn des Armen die Prinzessin bekommen hatte.

Nach dem Abendessen gab der König seinem Schwiegersohn feine Kleider, die er am nächsten Tage anlegen sollte. Der fremde Königssohn aber versprach einem Diener viel Geld, wenn er jenem in der Nacht die feinen Kleider stibitzen könnte. Er wollte dann insgeheim die Kleider anziehen und sich für den Schwiegersohn des Königs ausgeben.

Um die Zeit des ersten Schlummers machte sich der Diener ans Werk, die Kleider zu stehlen. Aber kaum hatte er die Tür ein klein wenig geöffnet, da flog ihm der Mistkäfer bim! ins Auge. In seinem Schmerz griff er nach seinem Auge, ließ die Tür unverschlossen und machte schleunigst, daß er davonkam. Bei der zweiten Tür wollte sich der Diener noch eines besseren besinnen, da flog ihm der Mistkäfer bam! ins andere Auge. Der Diener ließ vor Schmerz auch diese Tür offen und verschwand. Jetzt war für die Ratte und den Krebs der Augenblick gekommen: der schurkische Königssohn war eingeschlafen, beide Türen standen offen, jetzt konnten sie ihm heimzahlen. Die Ratte machte sich daran, die Kleider des Spitzbuben in Fetzen zu zernagen, und der Krebs, die Fetzen hinauszuziehen. So arbeiteten sie bis Tagesanbruch, und bis dem Königssohne nur noch ein heiles Hemd geblieben war. Am Morgen gab es dann kurzen Prozeß: Der Königssohn, der so arg beschimpft war, zog ab wie ein begossener Pudel (wörtlich: wie ein Schmetterling), und der Sohn des Armen wurde des Königs Schwiegersohn. Er lud auch seinen alten Vater ins Schloß und lebte mit seiner Frau in Glück und Wonne.


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