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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Die Stieftochter und die echte Tochter

Eine Mutter hatte zwei Töchter, eine eigene und eine Stieftochter. Die eigene Tochter liebte sie, die Stieftochter aber mochte sie nicht leiden. Eines Tages schickte sie ihre Stieftochter in das Badehaus, den Flachs zu bewachen. Nun hatte die Stieftochter drei Tiere: einen Hund, eine Katze und einen Hahn, die nahm sie zur Gesellschaft mit. Sie ging also in das Badehaus, aß selbst zu Abend und fütterte ihre Tiere; dann bereitete sie sich ein Lager, ebenso ihren Tieren, und danach legten sie sich alle zur Ruhe. Sie schliefen und schliefen, da um Mitternacht erschien der Teufel mit solchem Getöse, daß die Erde zitterte und bebte; er polterte an der Tür und rief: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, laß mich ein!«

Sie aber fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihn einlassen?«Die antworteten: »Laß ihn nicht ein, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Nach einer Weile lärmte der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, laß mich ein!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihn einlassen?« Die antworteten: »Laß ihn nicht ein, es nimmt ein schlechtes Ende.

Nach einer Weile lärmte der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, laß mich ein!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihn jetzt einlassen?« Die antworteten: »Laß ihn ein!«

Gut, sie ließ ihn ein. Der Teufel trat in das Badehaus und befahl gleich wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, fach das Feuer an!«

Aber die Stieftochter fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnehen,



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soll ich das Feuer anfachen?« — »Fach es nicht an, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Nach einer Weile befahl der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, fach das Feuer an!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich es anfachen?« — »Fach es nicht an, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Wieder nach einer Weile befahl der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, fach das Feuer an!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich es jetzt anfachen?« — »Fach es an!«

Gut, sie fachte das Feuer an. Aber als sie das Feuer angefacht hatte, rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, gib mir zu essen!«

Die Stieftochter fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, soll ich ihm zu essen geben?« — »Gib nicht - es nimmt ein schlechtes Ende.«

Nach einer Weile rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, gib mir zu essen!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm zu essen geben?« — »Gib nicht - es nimmt ein schlechtes Ende.«

Wieder nach einer Weile rief der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, gib mir zu essen!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm jetzt geben?« — »Gib!«

Gut, sie gab ihm zu essen. Aber als sie ihm zu essen gegeben hatte, rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, zieh mir die Stiefel ab!«

Die Stieftochter fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm die Stiefel abziehen?« — »Zieh sie nicht ab, es nimmt ein schlechtes Ende!«

Nach einer Weile rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, zieh mir die Stiefel ab!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm die Stiefel abziehen?« — »Zieh sie nicht ab, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Wieder nach einer Weile rief der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, zieh mir die Stiefel ab!«



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Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich sie jetzt abziehen?« — »Zieh sie ab!«

Gut, sie zog die Stiefel ab. Aber als sie die Stiefel abgezogen hatte, rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, mach mir das Bett!«

Die Stieftochter fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich das Bett machen?« — »Mach es nicht, es nimmt ein schlechtes Ende.

Nach einem Weilchen rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, mach mir das Bett!«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich das Bett machen?« — »Mach es nicht, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Wieder nach einer Weile rief der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, mach mir das Bett.«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich es jetzt machen?« — »Mach es!«

Gut, sie machte das Bett. Als sie es gemacht hatte, rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, komm, bei mir schlafen!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich bei ihm schlafen gehen?« — »Geh nicht, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Nach einem Weilchen rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, komm, bei mir schlafen.«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich bei ihm schlafen gehen?« — »Geh nicht, es nimmt ein schlechtes Ende.«

Wieder nach einer Weile rief der Teufel zum drittenmal: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, komm, bei mir schlafen.«

Sie fragte: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich jetzt bei ihm schlafen gehen?« — »Geh!«

Gut, sie ging bei ihm schlafen. Aber da fing der Teufel an, die Stieftochter zu würgen und zu peinigen. Da schrie die Stieftochter: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen! Hündchen, Kätzchen, Hähnchen!«

Alsbald bellte das Hündchen, miaute das Kätzchen, krähte das Hähnchen, und der Teufel flog wie ein Bolzen davon und ließ seinen Wagen und ein Paar schwarze Rappen mit Geld, Gold und Silber im Stich. Morgens, als die Stieftochter erwachte, setzte sie sich mit allen drei Tieren



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in den Wagen und fuhr in eitel Glanz und Pracht zu ihrer Stiefmutter. Als die Stiefmutter all die Kostbarkeiten sah, empfing sie ihre Stieftochter freundlich und fand des Bewirtens und Ehrens kein Ende.

Am nächsten Tage aber schickte die Stiefmutter ihre eigene Tochter, den Flachs zu hüten, und gab ihr auch ein Hündchen, Kätzchen und Hähnchen mit. Im Badehause angekommen, aß sie selbst zu Abend, aber den Tieren warf sie nur eine Rinde hin. Nachdem sie gegessen hatte, machte sie sich selbst das Lager zurecht, nicht aber den Tieren. Dann ging sie zu Bett.

Sie schlief und schlief, da um Mitternacht erschien der Teufel mit solchem Getöse, daß die Erde erzitterte, polterte an der Tür und rief: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, laß mich ein!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihn einlassen?« Die antworteten: »Laß ihn ein, du hast uns nichts zu essen gegeben und hast uns kein weiches Lager gemacht.«

Sie öffnete. Der Teufel trat ein und rief wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, fach das Feuer an!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich das Feuer anfachen?« — »Fach es an, du hast uns nichts zu essen gegeben und kein weiches Lager gemacht.«

Sie fachte das Feuer an. Als sie es angefacht hatte, rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, gib mir zu essen.«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm zu essen geben?« — »Gib, du hast uns nichts zu essen gegeben und kein weiches Lager gemacht.«

Sie gab ihm zu essen. Als der Teufel sich satt gegessen hatte, rief er wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, zieh mir die Stiefel ab.«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm die Stiefel abziehen?« — »Zieh sie ab, du hast uns kein weiches Lager gemacht.«

Sie zog ihm die Stiefel ab. Aber kaum hatte sie sie abgezogen, da rief der Teufel wieder: »Mach mir das Bett!«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich ihm das Bett machen?« — »Mach es, du hast uns nichts zu essen gegeben und kein weiches Lager gemacht.«



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Sie machte das Bett. Aber kaum hatte sie es gemacht, da rief der Teufel wieder: »Mädchen, Mädchen, Mädchen, komm, bei mir schlafen.«

Sie fragte die Tiere: »Hündchen, Kätzchen, Hähnchen, soll ich bei ihm schlafen gehen?« —»Geh, du hast uns nichts zu essen gegeben und kein weiches Lager gemacht.«

Sie ging bei ihm schlafen. Aber kaum hatte sie sich recht hingelegt, da fing der Teufel sie zu würgen an. Jetzt schrie sie wohl aus vollem Halse:

»Hündchen, Kätzchen, Hähnchen! Hündchen, Kätzchen, Hähnchen!«

Aber die Tiere bellten, miauten und krähten nicht.

Und so lange peinigte der Teufel die Tochter der Bäuerin, bis die Arme zu einem Aschenhäuflein wurde. Aber die Haut hatte er ihr schon vorher abgezogen und zum Trocknen über den Zaun gelegt.

Als am Morgen die Bäuerin die Haut ihrer Tochter sah, sagte sie: »Schau, schau, wie hübsch mein Töchterchen dort ausschaut, ihre goldenen Tressen hat sie über den Zaun gelegt.«

Aber als sie dann hinging und das Gräßliche sah, da erschrak die Bäuerin so sehr, daß sie gleich an der Tür des Badehauses tot hinsank.


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