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Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Wie der Holzhauer den Teufel überlistet und die Königstochter gewinnt

Einmal sah ein Holzhauer, während er im Walde beschäftigt war, einen Marder laufen. Gleich setzte er ihm mit seiner Axt nach. Aber der dumme Tropf konnte ihn, sosehr er auch rannte, nicht fangen und verirrte sich noch dazu -das hatte er nun. Er irrte also hin und her, es wurde dunkel, und so mußte er, ob er wollte oder nicht, auf einen Baum klettern, einen dichtwipfeligen Baum, und dort übernachten (am Boden zu schlafen, wagte er nicht, dort hätte irgendein Tier ihn fressen können). Nun mochte es kurz vor Tagesanbruch sein, da hörte er unter sich ein heftiges Gezänke. Wer zum Henker tut euch da etwas zuleide? Er schaut hin und sieht: ein Löwe, ein Windhund, eine Katze, ein Adler, eine Ameise, ein Hahn, ein Sperling und eine Fliege sind auf einen gefallenen Elch gestoßen und schreien einer lauter als der andere:

»Ich will ihm den Grabgesang singen!«—»Nein, ich will ihm den Grabgesang singen!«Nun war es wunderbar, daß auf einmal alle dem Elch gut Freund gewesen sein wollten. Die Fliege habe dem Elch sein Leben lang hinter dem Ohr gesessen, der Windhund sei dann und wann mit ihm um die Wette gelaufen, die Ameise und der Adler hätten in seiner nahen Nachbarschaft gewohnt, die Katze sei mit der Frau des Eichs gut bekannt gewesen, und der Hahn, der wundert sich bloß und ruft in den Haufen: »Verwandtschaft her, Verwandtschaft hin, aber ich habe die schönste Stimme!«

Der Holzhauer horcht und horcht im Wipfel der Tanne, was wohl dabei herauskommen werde. Da hat ihn einer oder der andere erspäht und ruft: »Komm, schlichte unseren Streit, wer singen soll und wer nicht.« Der Holzhauer klettert hinunter, besinnt sich eine Weile und sagt: »Was kann ich euch da sagen, ich selber muß singen, sonst bekommen wir den Elch nicht unter die Erde.«

»Das ist richtig, das ist wie eine Bestimmung!« rufen sie alle wie aus einem Munde. Und für seinen klugen Schiedsspruch will ihn noch jeder gut belohnen: jeder werde ihm von seiner Kraft abgeben; sobald er etwas brauche, solle er nur des einen oder andern gedenken, sogleich



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werde er die Gestalt eines Löwen oder einer Fliege oder auch eines Windhundes oder Hahnes annehmen können.

Gut, der Holzhauer sang dem Elch das Grablied, daß davon der ganze Wald erklang, dann verwandelte er sich in einen Löwen und machte sich schnell aus dem Walde davon.

Am Waldesrande begegnete er einem Schweinehirten. Der Arme weinte bitterlich. — »Was fehlt dir, mein Junge?«Ja, was solle er machen, der Teufel werde in kürzester Zeit alle seine Schweine auffressen. »Ei, was du sagst, wie hat er dich denn so in seine Gewalt bekommen ?«

»Ja, ich bin nicht schuld daran, der König selbst ist schuld: er hatte sich vor einigen Tagen hier im Walde verirrt und wußte keinen Ausweg. Da hat sich, Gott weiß woher, ein fremder Herr eingefunden und hat sich erboten, ihn aus dem Walde zu führen; aber zuvor mußte er ihm versprechen, ihm jeden Tag ein Schwein zu geben, und wenn es mit den Schweinen zu Ende geht, die Königstochter, sein eigenes Kind. Schau, jetzt wird er die Schweine fressen und dann noch Schwiegersohn des Königs werden. Natürlich wollte der König einen solchen Schwiegersohn nicht einmal sehen; er hat versprochen, jedem, wer es auch sei, seine Tochter zum Weibe zu geben, wenn er nur den Unhold umbringt.«

»So, so! Dann wird man wohl versuchen müssen, den Schweinefresser in die Hände zu bekommen. Ich selbst bin ja zum Schwiegersohn des Königs geradezu wie geschaffen, darum keine Sorge!«

Er geht zum König und spricht ihn auch. Der König ist einverstanden, er solle also anstatt des Jungen die Schweine hüten. Gut. Er hütet sie den ersten Tag, dann geht es gegen Abend, da ist auch der Teufel zur Stelle, packt ein Schwein und verschwindet mit ihm im Wald. Da ruft mein Holzhauer schnell, schnell die übrigen Schweine nach Hause, verwandelt sich in einen Windhund und läuft auf einem Umwege dem Teufel entgegen. Wie sie sich treffen, sagt der Teufel: »Guten Abend, Windhund, schau, was ich für eine schwere Last zu schleppen habe!«

»Schwer oder nicht schwer, davon zu sprechen ist jetzt keine Zeit; hinter sieben Wäldern, im achten, will sich eben ein Vogt erhängen und kriegt es nicht fertig, es fehlt ihm an Mut; lauf lieber hin und such den



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festzukriegen! Was willst du dich mit dem dummen Schwein abrackern?« «

»Liebes Hündchen, ist das wirklich wahr? Dann muß ich eilen, Brüderchen; hier halt das Schwein ein Weilchen, gleich bin ich zurück. Und gelingt es mir, so sollst du das halbe Schwein haben.«

Der Teufel lief davon, der Windhund aber verwandelte sich wieder in einen Holzhauer und führte sein Schwein unversehrt heim.

Am nächsten Tag gegen Abend kam der Teufel ganz verdrießlich gelaufen und packte sich wieder ein Schwein. Aber der Holzhauer nahm die Gestalt eines Adlers an, flog im Bogen jenem entgegen und fragte verwundert: »Eßt denn Ihr, Herr, heute Schweinefleisch?«

»Was bleibt mir denn übrig, Väterchen Adler, manchmal müssen wir vor Hunger sogar Stricke kauen und Eisenwerk schlingen.« —»Ach geh mir, du Tor! Drüben in der anderen Welt hörte ich eben ein Kind schreien, eine Rabenmutter hat ihr Kleines ertränkt, lauf lieber, das zu verschlingen.« —»Wie, ist das wirklich wahr?« Da riß der Teufel in aller Eile eine Eiche mitten auseinander, zwängte das Schwein wie in eine Zwicke hinein und rannte keuchend in die andere Welt. Der Holzhauer aber holte sich das Schwein aus der Eiche und ging hohnlachend heim.

Am dritten Tage hütete der Holzhauer lange die Schweine, ohne daß der Teufel sich zeigte, und doch stand schon der Abend vor der Tür. Er trieb also seine Schweine in den Stall ein und dachte: >Wenn nur der Taugenichts nicht in der Nacht kommt! Ich muß als Hahn auf der Stange bleiben und ihn erwarten.<

Und wirklich, um Mitternacht erschien der Teufel ganz ausgehungert und machte sich an der Stalltür zu schaffen. Aber da stimmte der Hahn seinen Gesang an, und der Teufel stob davon, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben

Aber meinst du wohl, daß solch ein Bösewicht ohne Raub abziehen wird? Kein Gedanke! Wie er am Königsschloß vorbeikam, riß er die Königstochter mir nichts, dir nichts aus dem Bett, und nun war der Schaden noch größer.

»Daß dich der Henker!«spukte der König am anderen Morgen. Aber der Holzhauer tröstete ihn: »Das hat nicht zu sagen, Väterchen, laßt mich nur machen!«



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Und so begibt sich der Holzhauer auf den Berg (dort war der Teufel mit dem Mädchen hineingefahren), findet dort ein winzig kleines Loch, nimmt die Gestalt einer Ameise an, setzt sich rittlings auf ein Sandkörnchen und fährt in die Tiefe. Unten angelangt, kommt er auf eine große Fläche. Schnell entschlossen, verwandelt er sich in eine Fliege und fliegt geradenwegs ans jenseitige Ende. Dort angekommen, sieht er ein kristallenes Schloß, und die Königstochter sitzt am Fenster und weint. Er nimmt wieder die Gestalt des Holzhauers an und gibt sich zu erkennen. Aber das Mädchen ist in tausend Ängsten und klagt: »Ach Gott, ach Gott, wie bist du hierher geraten? Kommt mein Herr heim, so zerreißt er dich.«

Und wirklich, bald ist der Teufel leibhaftig da. Aber der Holzhauer verwandelt sich in einen Löwen und fällt über den Teufel her. Hei, das gab einen Kampf! Haut- und Fleischfetzen flogen nur so durch die Luft, aber der Löwe fraß den Teufel mit Haut und Haaren auf. Da freute sich die Königstochter und der Holzhauer natürlich auch. Nur eine Schwierigkeit blieb noch übrig: wie sollten sie an die Oberwelt gelangen? Sie dachten her und hin, da kam der Königstochter ein Gedanke in den Sinn, sie habe, als sie in den Büchern des Teufels blätterte, gefunden, daß sich in dem und dem Baume ein diamantenes Ei befände, wenn man das an die Oberwelt brächte, würde das ganze kristallene Schloß emporsteigen.

Gut, gleich verwandelte sich der Holzhauer in einen Sperling, flog auf den Baum, nahm das diamantene Ei aus dem Neste und brachte es herunter. Soweit war es wieder gut, aber wie nun mit dem Ei aus der Unterwelt hinaufkommen?

»Halt«, fällt dem Mädchen wieder ein, »der Teufel hat hier einen Türhüter, und der mag in dieser Welt keine Katzen leiden: findet er eine, so wirft er sie auf die Oberwelt; versuch es damit!«

Gut, der Holzhauer verwandelt sich in eine Katze, nimmt das Ei in den Mund und kriecht vor die Füße des Türhüters. Kaum hat der Türhüter sie gesehen, da lockt er sie an: »Skiz, skiz, du Aas!« packt sie am Schwanz und trägt sie eine große, lange Treppe hinauf. Er trägt und trägt sie lange Zeit, dann kommt ein eisernes, großes, großes Tor, das schließt er auf, gibt der Katze noch einen Fußtritt und wirft sie hinaus,



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genau auf den Berg, auf dem er vorgestern als Ameise hereingeschlüpft war.

Soweit wären wir also. Aber kaum hatte die Katze sich wieder in den Holzhauer verwandelt und das Ei auf den Boden gelegt, da hob sich das kristallene Schloß mitsamt der Königstochter empor und kam auf dem Gipfel des Berges zum Vorschein. Danach heiratete der Holzhauer die Königstochter und verlebte in seinem kristallenen Schlosse glückliche Tage.


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