Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen aus Finnland und dem Baltikum


Illustrationen von Ingeborg Ullrich

Märchen europäischer Völker


Die törichte Frau

Es war einmal ein armer Bursche, der stand allein in der Welt und verdiente sich sein Brot als Hirt und Knecht. Das Mädchen, das er gern zur Frau genommen hätte, bekam er nicht, denn sie mochte ihn nicht. Nun lebte aber in dem Dorfe ein närrisches Mädchen, und die Leute



Bd_02-027-Maerchen aus Finnland Flip arpa

beredeten ihn, das närrische Mädchen zur Frau zu nehmen. »Sie ist immer noch besser als keine«, meinten sie, »und kann ganz gut kochen.« Da freite er sie und ging selber als Knecht in Dienst. Zuvor aber unterwies er seine Frau, was sie zu machen habe. Im Sommer sollte sie Ruten schneiden. Die Frau ging in den Wald und schnitt Ruten. Als sie ein Bündel Ruten hatte, kam die Essenszeit heran, und sie setzte sich hin und fing an zu essen.

Da kam der Hirt an ihr vorbei, der jagte die Kuh in den Stall, und die Kuh erkannte ihre Herrin und lief auf sie zu. Sie stellte sich vor sie hin und käute wider. Darüber wurde die Frau wütend und sprach: »Was fällt dir ein, das Maul zu verziehen, wenn ich esse? Wenn du das Fratzenschneiden nicht läßt, schlage ich dich mit der Axt vor den Kopf.« Aber die Kuh machte sich nichts aus der Drohung; sie verzog das Maul so lange, bis die Frau sie totschlug. Dann lief die Frau ins Dorf und klagte, daß die Kuh auf sie zugekommen sei und ihr alles nachgemacht habe und daß sie sie deshalb totgeschlagen habe. »Ich verbot es ihr, aber weil sie nicht hörte, schlug ich sie mit der Axt vor den Kopf. Jetzt ratet mir, was ich mit der toten Kuh anfangen soll!« —»Die wird nicht wieder lebendig, Ihr könnt ihr nur noch das Fell abziehen«, rieten sie ihr. »Das Fleisch hackt in kleine Stücke, Ihr könnt es im Winter zum Kohl essen.« Das tat sie denn auch, hackte alles in kleine Stücke, weil sie nun aber den Kohl noch auf dem Felde hatte, grub sie alles unter den Kohl in die Erde, unter jede Staude etwas, bis das Fleisch alle war. Da kam der Hund auf den Acker und roch das faulende Fleisch. Er scharrte das Fleisch heraus und den Kohl dazu, so daß nichts übrigblieb, weder Kohl noch Fleisch. Im Herbst kam ihr Mann nach Hause, und sie berichtete ihm alles, was geschehen war.

Da sprach der Mann: »Was soll ich nun bloß mit dir törichtem Weib anfangen?« Und er überlegte, wie er sie loswerden könne. Er gab ihr ein Brecheisen und einen Sack in die Hand und sprach: »Geh damit in die Kirche; dort ist eine Truhe und in der Truhe ist Geld. Brich den Deckel der Truhe mit dem Brecheisen auf und steck das Geld in den Sack!« Sie ging hin, tat, wie er ihr gesagt hatte, und nahm das Geld, ohne daß es jemand sah. Das Geld aber brachte sie nach Hause. Da dachte der Mann: >Noch immer bin ich sie nicht los, sie hat die Kirche



Bd_02-028-Maerchen aus Finnland Flip arpa

bestohlen und ist dabei nicht gefaßt worden.<Und er überlegte bei sich: >Was soll ich nun mit ihr anfangen?<Dann durchlöcherte er den Boden eines Topfes und sprach zu ihr: »Kriech jetzt unter den Topf, es wird heute Feuer und Pech regnen, denn die Welt soll untergehen. Wenn es anfängt, mich zu brennen, will ich nachkommen, aber geh du voran!« Die Frau kroch unter den Topf, und er träufelte ihr durch die Sieblöcher heißes Pech auf den Kopf. Da rief sie ihrem Manne zu: »Komm geschwind, es fängt schon an zu brennen, wie kannst du nur noch draußen sein!«Der Mann antwortete ihr: »Ich komme schon, ich schau nur noch eine Weile zu.« Nachdem er sie tüchtig gebrannt hatte, kroch er auch unter den Topf, und sowie er unter dem Topf war, hörte es auf zu regnen. Als nun der Pfarrer in die Kirche kam und sah, daß das Geld gestohlen war, ließ er das ganze Kirchspiel zusammenrufen und fragte sie alle, ob niemand den gesehen habe, der den Kirchendiebstahl begangen. Niemand hatte den Dieb gesehen, jeder gab an, nichts von der Sache zu wissen. Die Närrische war an dem Tage nicht in die Kirche gerufen worden. Im Ärger darüber klagte sie den andern: »Alle sind gefragt worden, die es gar nicht wissen können, und mich fragt niemand, wo ich doch das Geld gestohlen habe.«

Die das hörten, sagten es dem Pfarrer. Da ließ sie der Pfarrer zu sich kommen und fragte: »Hast du das Geld gestohlen? — »Ich habe es gestohlen.« —»Nun, mit was hast du denn die Tür aufgekriegt und den Truhendeckel?« —»Mit dem Brecheisen habe ich sie aufgemacht.«Und der Pfarrer fragte weiter: »War es am Tag oder in der Nacht, als du gestohlen hast?« —»Tag war es, wie ich das Geld brachte, gerade an dem Tag des Weltuntergangs, wo es Feuer und Pech vom Himmel regnete.« Da sprach der Pfarrer: »Nun hört doch nur die verrückte Person, was die für Zeug zusammenschwatzt! Der Weltuntergang ist noch nicht dagewesen, und Feuer und Pech hat niemand gesehen als du allein.«


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt