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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Der Reiche

Ein Reicher hatte einen einzigen Sohn in Smyrna und ließ ihn in dieser Stadt in allen Wissenschaften unterrichten. Dann wünschte der Sohn nach Konstantinopel zu reisen, um zu studieren. Er studierte dort drei Jahre. Nach je drei Monaten schickte ihm sein Vater immer 8o türkische Pfund. Eines Tages kam er an einem Kaffeehaus vorüber, wo Geige gespielt wurde, und er trat in das Cafe ein und trank Kaffee. Als er den Kaffee getrunken hatte, ließ er einen Napoleon auf dem Brett und ging weg. Der Wirt fragte den Kellner, ob jener Fremde den Kaffee bezahlt habe oder nicht. »Sieh nach, ob er nicht das Geld zurückgelassen hat.« Der Kellner sieht nach und findet einen Napoleon und sagt zu seinem Herrn: »Ich habe einen Napoleon gefunden.«

Den andern Tag geht der Fremde wieder in das Caf& und der Wirt nahm ihn mit großer Freude auf und fragte ihn, was für ein Getränk er wünschte, daß er ihn traktiere. Dieser verlangte ein Bier. Darauf traktierte auch der Fremde. Er rief auch den, der das Stück spielte, und der kam heran, und er traktierte auch diesen. Dann fragte er den Musiker, wieviel Geld er wolle, um ihn Geige spielen zu lehren. Der Geiger verlangte von ihm 120 türkische Pfund. Der Jüngling versprach, sie ihm zu geben, und er solle sogleich den Unterricht beginnen. Seinem Vater schrieb der Jüngling, daß er in eine andere Stellung eingetreten sei und 300 türkische Pfund brauche, und sein Vater schickte sie ihm sofort. Und er setzte ein Jahr lang das Violinspiel fort und lernte es vollkommen, besser noch als der Lehrer, der es ihn lehrte.

In diesen Tagen kam er bei einem Spielhaus vorbei, wo sie Karten spielten, und er verlangte nach dem Spielhausbesitzer und fragte ihn, wieviel er wolle, um ihn das Hasardspiel zu lehren; und dieser verlangte fünfhundert Pfund, um ihn das Hasardspiel so spielen zu lehren, daß ihn niemand betrügen könne.

Und sogleich schrieb er an seinen Vater, daß er die erste Stellung aufgegeben habe und in eine andere getreten sei, aber er brauche sechshundert Pfund; und sogleich schickte der sie ihm. Und er setzte ein Jahr lang das Hasardspiel fort und lernte es besser als der Spieler, der es ihn lehrte.

In diesen Tagen kam er an einer Stelle vorbei, wo er zwei Pagliazzi ringen sah, und er rief den einen Pagliazzo, der den andern niedergeworfen hatte, und sagte zu ihm: »Wieviel Pfund willst du, mein Sohn, dafür,



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daß du mich lehrst, dasselbe zu werden wie du?« —»Du hast nicht, mein Sohn, Geld genug, um meine Kunst zu lernen, die die beste der Welt ist.« — »Ah! Verlange von mir, so viel Geld du willst, und wenn ich es dir nicht gebe, so sollst du mich deine Kunst nicht lehren.« — »Tausend Pfund will ich, mein Kind, und du hast nicht so viel, mir zu geben.«Sogleich schreibt er an seinen Vater und sagt ihm, er möge ihm zweitausend türkische Pfund schicken, weil er in eine neue Stellung getreten sei. Sogleich schickte er es ihm. Dann ruft er den Pagliazzo und gibt ihm die tausend Pfund, und der begann, ihn die Kunst zu lehren. Am Ende des Jahres schreibt er an seinen Vater, er solle ihm Geld schicken; und sein Vater schreibt ihm, er habe keines mehr, weil er sein Vermögen verbraucht habe. Als er sah, daß sein Vater verarmt war und mit jener Kunst fertig geworden war, daß er ein besserer Pagliazzo war als der, der sie ihn gelehrt hatte, ging er von dort weg und begab sich zu seinem Vater nach Smyrna. Und sein Vater sagt zu ihm: »Mein Sohn, mir blieb keine Pendara, weil ich dir alles zum Studieren geschickt habe, und wenn du gut studiert hast, mein Sohn, so reut es mich nicht, meine Piaster ausgegeben zu haben.« —

»Hole, mein Vater, einen tüchtigen Ausrufer, daß er ins Haus komme, da ich mit ihm sprechen will.« — Der Ausrufer kam ins Haus. »Was wollt Ihr von mir, gnädiger Herr?« Sagt der Sohn zu seinem Vater: »Fasse mich an der Hand, mein Vater, und gib mir deinen Segen und übergib mich dem Ausrufer, daß er mich als Sklaven verkaufe!« —Der Vater zögerte, seinen Sohn als Sklaven zu verkaufen, aber sein Sohn bestand darauf und sagte zu ihm: »Bedenk dich nicht, mein Vater, übergib mich mit deinem Segen dem Ausrufer, daß er mich als Sklaven verkaufe, und sei getrost! Sage ihm, er solle tausend Pfund verlangen und solle sagen: >Wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.«

Lassen wir den Ausrufer den Jüngling verkaufen!

In Smyrna gab es einen reichen und vornehmen Kaufmann aus Konstantinopel. Und der Ausrufer ging umher, um den Jüngling zu verkaufen, und sagte immer: »Wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.«Fragte der Kaufmann den Ausrufer: »Was verkaufst du, mein Sohn, hier?« —»Ich verkaufe diesen Jüngling; wer ihn kauft, wird es bereuen, und wer ihn nicht kauft, wird es bereuen.« Sagt zu ihm der Kaufmann: »Was sagst du da? Erkläre mir das!«Da sagt der Jüngling: »Führe mich weiter, denn er hat kein Geld,



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mich zu kaufen.« — »Bring ihn herein, mein Sohn; was sagt dieser Dummkopf?« Der Ausrufer bringt ihn herein und der Kaufmann holt tausend Pfund vor und zählt sie dem Ausrufer auf. Sagt der Jüngling zu dem Ausrufer: »Nimm die tausend Pfund und bringe sie meinem Vater und sage ihm, er solle getrost bleiben und sich nicht grämen!« Der Kaufmann behielt den Jüngling und verwendete ihn als Lastträger im Geschäft. In diesen Tagen kam ein dem Kaufmann gehöriges Schiff, um mit Weintrauben beladen zu werden, und als der Kaufmann die Rechnung machte, schaute der Jüngling zu und sah, daß der Kaufmann sich um vierhundert Pfund verrechnete. Und er sagt zu ihm: »Herr, du hast einen Fehler in deiner Rechnung.« Der Kaufmann sieht nach und sagt zu ihm: »Nein, es ist kein Fehler darin.« Und der Jüngling sagt: »Nein, Herr, es ist ein Fehler darin.« — »Ach, so mache du die Rechnung, daß du siehst, welchen Fehler du findest.«Und der Jüngling sagt: »Einen Fehler von vierhundert Pfund wirst du finden.« —»Ach, mache du die Rechnung, daß wir es sehen!« Der Jüngling macht die Rechnung und fand einen Fehler von vierhundert Pfund; und der Kaufmann sagt zu ihm: »Ich danke dir, mein Sklave.«

Dieses Schiff fuhr ab, und es kam ein anderes jenem gehöriges Schiff; das hatte einen jüdischen Kaufmann an Bord, der das Schiff gemietet hatte, um es auch mit Weintrauben zu beladen und nach Konstantinopel zu fahren. Er belud also das Schiff und machte es fertig zur Abfahrt nach Konstantinopel. Da ruft der Kaufmann seinen Sklaven, er solle ihm Wasser bringen und ihm übergießen zum Waschen, damit er noch einen Brief an seine Gemahlin schreibe. Der Sklave nahm den Krug und goß ihm zum Waschen über. In diesem Augenblick kam Musik an dem Laden vorbei, und er gab nicht acht, das Wasser seinem Herrn zum Waschen über die Hände zu gießen, weil die Musik anfing. Und der Kaufmann ist ärgerlich und gibt ihm eine Ohrfeige. Da sagt der Sklave: »Eine Ohrfeige hast du mir gegeben, ich werde dir zwei geben.« Der Kaufmann wurde zornig und schreibt einen Brief an seine Gemahlin nach Konstantinopel und sagt ihr darin, er schicke ihr den Sklaven, damit sie ihn auf ein Landgut bringe, Steine zu tragen bis an sein Lebensende. Der Kaufmann rief den Kapitän und gibt ihm den Brief und den Sklaven und sagt ihm: »Diesen Sklaven wirst du in den Kielraum werfen und diesen Brief meiner Gemahlin geben, damit sie tue, was ich ihr schreibe.« Das Schiff fuhr also ab.

In dieser Zeit hatte der Sultan Befehl erlassen, jedes Segel- oder



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Dampfschiff, das nach Konstantinopel komme, solle die Hafenwache mit Kanonen grüßen, und die Wache solle das Dampf- oder Segelschiff wieder grüßen. Jenes Schiff nun warf der Sturm ins Meer, und es kam nicht weiter. Da begann der jüdische Kaufmann mit den Matrosen und dem Kapitän das Kumari zu spielen und ließ ihnen nichts als das Leben. In diesem Augenblick kam ein Matrose in den Laderaum herab, um dem Sklaven Brot zu bringen; und der Sklave sah den Matrosen bekümmert und fragte ihn, was er habe, daß er so bekümmert sei. »Was soll ich dir sagen? Der jüdische Kaufmann, den wir hier haben, hat mit uns und mit dem Kapitän Kumari gespielt und uns und dem Kapitän all unser Geld abgenommen.« Da sagt der Sklave zu dem Matrosen: »Ich bitte dich sehr, dem Kapitän zu sagen, daß er auch mich, den Fremdling, oben auf das Deck lasse; ich kann ja nicht schwimmen und entfliehen, und wenn wir nach Konstantinopel kommen, mag er mich wieder in den Laderaum bringen.« Der Matrose stieg hinauf und sagte zum Kapitän, der Sklave grüße ihn, und er möge ihn doch herauflassen; er werde nicht fliehen, und wenn sie nach Konstantinopel kämen, solle er ihn wieder in den Laderaum hinabschicken. Als er dies dem Kapitän gesagt hatte, befiehlt dieser, den Sklaven nach oben zu lassen. Der Sklave kam also herauf und ging und begrüßte den Kapitän und setzte sich zu ihm. Und er fragt ihn: »Warum bist du so bekümmert, mein Kapitän?« — »Wie sollte ich nicht bekümmert sein, wo dieser jüdische Kaufmann im Kumarispiel mir all mein Geld und meine Kleider abgenommen hat; nur meine Uhr ließ er mir.«

Da sagt der Sklave: »Gib mir die Uhr, daß auch ich mit dem Juden spiele!« Der Kapitän in der großen Verzweiflung, in der er war, gab dem Sklaven die Uhr; und der Sklave forderte den Juden auf, Karten zu spielen. Dieser nahm es an, und in acht Stunden nahm er dem Juden alles Geld ab, was er von den Matrosen und von dem Kapitän hatte, und all sein eigenes und nahm ihm auch die Traubenladung, die er von seinem Herrn hatte, und machte sogar den Juden selbst zum Sklaven. Und dann gab er den Matrosen und dem Kapitän alles Geld, was ihnen der Jude abgenommen hatte, und behielt von dem ganzen Geld keine Pendara. Der Kapitän war erfreut, daß er ihm sein ganzes Vermögen wieder verschafft hatte, und behielt ihn ganz in seiner Nähe. Da sagt der Sklave zu dem Kapitän: »Einen Gefallen erweise mir, gib mir den Brief, den dir mein Herr gegeben hat, daß du ihn seiner Gemahlin übergebest, damit ich ihn lese. Ich bin imstande, ihn so wiederherzustellen,



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daß seine Gemahlin nicht merkt, daß er geöffnet ist.« Der Kapitän gab ihm den Brief, und der Sklave öffnete ihn und erkennt, zu welchem Schicksal ihn sein Herr verurteilt hatte: Steine zu tragen sein ganzes Leben lang. Und der Sklave macht einen anderen Brief, worin er zu der Herrin sagt: »Ich schicke dir einen Jüngling; nimm eine von unseren drei Töchtern, welche du willst, und vermähle sie sogleich mit ihm. Und ich schicke dir einen jüdischen Sklaven, um ihn auf ein Landgut zu senden, daß er dort Steine trage sein ganzes Leben lang nur bei Brot.«Und er verschloß den Brief sorgfältig und gab ihn dem Kapitän. Der Sklave besprach mit dem Kapitän, was er in dem Briefe geschrieben hatte.

Das Schiff kam also nach Konstantinopel und grüßte die Wache, und die Wache grüßte es wieder. Der Kapitän nahm den Brief und brachte ihn der Gemahlin des Herrn. Diese las den Brief und sagt zu dem Kapitän: »Wo ist der Jüngling, von dem der Herr schrieb, daß er unsere Tochter zur Frau bekommen soll?« »Er ist auf dem Schiff, Herrin.« —»Laufe und bringe ihn schnell her, damit wir ihn sehen.« Der Kapitän geht und sagt zu dem Sklaven: »Die Herrin verlangt nach dir.« — »Bravo, ich werde kommen; wir wollen zusammen gehen.« Der Sklave bekommt von dem Kapitän Kleider und zieht sie an und geht mit ihm in das Haus des Herrn.

Als sie geklopft hatten und eingetreten waren, kam die Herrin mit ihren Töchtern herab und begrüßte den Kapitän und den Jüngling und nahm sie mit nach oben, und sie setzten sich. Der Jüngling war schön und liebenswürdig und gefiel der Herrin. Da sagte sie zu ihm: »Mein Mann schreibt, du sollst eine von unsern drei Töchtern nehmen, welche du willst.« Sofort nahm er die erste und heiratete sie noch an demselben Tage. Dem Kapitän trug er auf, zu gehen und die Waren des Juden zu verkaufen. Den Juden schickte er auf das Gut, dort als Sklave zu arbeiten bis an sein Lebensende.

Die Herrin schrieb einen Brief an ihren Gatten, worin sie sagte, daß sie getan habe, wie er ihr geschrieben. Der Jüngling nahm den Brief und entsiegelte ihn und schrieb, sie habe den Sklaven aufs Gut geschickt, dort zu arbeiten bis an sein Lebensende, aber nicht, daß er seine Tochter geheiratet habe. Der Kapitän bewahrt das Geheimnis und teilt dem Herrn nichts mit.

Der Jüngling ging einst unerkannt in die Stadt in ein Kaffeehaus und verlangte Kaffee, und der wurde ihm gebracht. In diesem Kaffeehaus



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wurde Geige gespielt. Er setzte sich kurze Zeit, und dann ging er weg und ließ auf der Untertasse ein türkisches Pfund. Als er weggegangen war, fragt der Wirt den Kellner: »Hat der Jüngling den Kaffee bezahlt? Sieh doch zu!« Der Kellner sieht nach und findet auf der Untertasse ein türkisches Pfund und bringt es dem Wirt.

Am andern Tage macht sich der Jüngling auf und geht wieder in dasselbe Café. Als der Kaffeewirt ihn sah, ging er und bewillkommnete ihn sehr und fragte ihn: »Was willst du nehmen, Herr?« Der Jüngling erwiderte: »Limonade.«Die Geige fuhr fort, jeden Tag in diesem Kaffeehaus zu spielen. —Nun hatte der Sultan befohlen, daß jeden Freitag, wenn er in die Moschee ginge, alle Geschäfte schließen sollten. Eines Freitags war der Jüngling in dem Kaffeehaus und verlangte die Geige, um selbst zu spielen. Als er spielte, war es Mittag, wo der König wieder in die Moschee gehen wollte; und der Kaffeewirt sagt zu dem Jüngling, es sei Freitag, und freitags werde nicht gespielt um diese Stunde, sondern alle Geschäfte schlössen, weil der König um diese Stunde in die Moschee gehe und solchen Befehl gegeben habe. Sagt der Jüngling zu dem Wirt: »Ich bitte dich, mir einen Stuhl und die Geige zu geben, daß ich außerhalb des Kaffeehauses sitze, und du schließe das Geschäft: was der König tut, geht mich an und soll deine Sorge nicht sein.«Und der Wirt gab ihm den Stuhl und die Geige; und er setzte sich draußen hin und spielte die Geige. Und alle Geschäfte waren geschlossen, er allein spielte Geige. Nach kurzer Zeit reitet der König vorbei, um sich in die Moschee zu begeben, und vernimmt die Geige. Die Soldaten liefen, um den Geigenspieler zu ergreifen, aber der König gab Befehl, ihn freizulassen. Der König begrüßte den Fremden und der Fremde den König, und sie gingen auseinander. Als der König gegessen hatte, wünschte er, daß sie den Fremden nach dem Palast brächten. Und der König fragte ihn, wieviel er dafür wolle, daß er jeden Donnerstag Geige spiele, da sein Spiel ihm gefalle. »Ich will nichts«, sagte der Jüngling zu ihm. Der König nahm es jedoch nicht an, daß er nichts nehme, sondern bewilligte ihm zehn Pfund für den Monat - ohne daß seine Frau und seine Schwiegermutter wußten, daß er Beziehungen zum König habe. Eines Tages, als der Jüngling Geige im Palaste spielte, schickte Rußland einen Pagliazzo zu dem Sultan, daß auch er einen andern stelle und sie sich messen. Als der Sultan den königlichen Auftrag vernommen hatte, war er bekümmert während des Spieles oben. Der Jüngling, der Geige spielte, fragte ihn: »Warum bist du bekümmert, mein König?« —



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»Warum sollte ich nicht bekümmert sein, wo man mir einen königlichen Befehl geschickt hat, ich möge einen Pagliazzo stellen, der mit dem kämpfen soll, den man geschickt habe, und wer den andern niederwerfe, solle fünfhundert Pfund bekommen - und ich habe keinen Pagliazzo zu stellen.« — »Gib mir die Erlaubnis, und ich werde allein heraustreten und ringen.« Der König in seiner großen Verzweiflung sagte zu ihm: »Tritt heraus, denn ich habe keinen andern zu stellen.«

Sie bestimmten den Sonntag zum Ringkampf; und die Leute waren an die Fenster und auf die Balkone getreten, um zuzuschauen. Als der Jüngling herabgestiegen war und die Pagliazzokleidung angelegt hatte, sahen ihn seine Kinder, seine Frau und seine Schwiegermutter und fingen an zu weinen. Da fragte der König: »Warum weint ihr?« Die Schwiegermutter antwortete: »Es ist mein Schwiegersohn.« —»Es schadet nichts, es widerfährt ihm kein Leid.« Sie rangen zum ersten-, zweiten-und drittenmal, und der Jüngling besiegte den Europäer. Da klatschten alle dem Jüngling Beifall und führten ihn in den königlichen Palast.

Sofort schrieb seine Schwiegermutter an ihren Gatten einen Brief, worin sie sagte, daß sie einen Schwiegersohn habe, der sei brav und sitze zur Rechten des Königs. Der Jüngling in seiner Freude nahm den Brief nicht selbst zur Besorgung, um ihn abzuf assen, sondern seine Schwiegermutter besorgte ihn, und es wurde so dem Kaufmann offenbar, daß er sein Schwiegersohn sei. Der Kaufmann steigt sogleich auf den Dampfer, um nach Konstantinopel zu fahren. Der Jüngling merkt es, daß sein Schwiegervater kommen würde, und bat den König, er möge einen königlichen Befehl erlassen: Wenn ein Dampfer oder ein Schiff komme und Kanonenschüsse abgebe, so werde der Kaufmann an den einen Mast gehängt und der Kapitän an den andern, und ich selbst soll gehen, sie zu hängen. Der König gab diesen Befehl.

In diesen Tagen kam das Schiff seines Schwiegervaters und gab Kanonenschüsse ab, und die Paschas kamen sogleich und warfen ihnen die Stricke um den Hals und warteten auf den Jüngling, daß er komme und sie richte. Der Jüngling kam also und sagte zu dem Kapitän: >'Hast du nicht den Befehl vernommen, den der König erlassen hat, daß alle Dampfer oder Schiffe, die hierherkommen, nicht Kanonenschüsse abgeben sollen?« —»Mein Gebieter, wir waren aufs Meer hinausgefahren und vernahmen diesen Befehl nicht!« (Diese beiden erkannten sich aber, der Kapitän und der Jüngling.) »Ich schenke dir also dein Leben,



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weil du es nicht wußtest.« Er ging nun auch zu dem Kaufmann und sagt zu ihm: »Warum hast du den königlichen Befehl nicht gehört?« Und er versetzte ihm eine Ohrfeige auf die eine Backe und eine zweite auf die andere und sagt zu ihm: »Ich schenke dir das Leben, aber du sollst mein Sklave sein. Erinnerst du dich, daß du mir eine Ohrfeige gabst und mich zum Sklaven gemacht hattest und ich dir sagte: >Du hast mir eine Ohrfeige versetzt, ich werde dir zwei versetzen?<«

Dann befahl der Jüngling, ihn in sein Haus zu führen, und darauf ging er selbst. Und zu dem Kaufmann sagten seine Kinder und seine Frau: »Was hast du zu weinen?« Und er sagte: »Ich bin sein Sklave«, und zeigte auf den Jüngling. — »Nein, er ist unser Schwiegersohn.« — »Er ist mein Mann«, sagte seine Tochter. Der Jüngling schenkte das Schiff mitsamt der Ladung dem Kapitän, weil er das Geheimnis bewahrt hatte, und er schrieb an seinen Vater und seine Mutter, und sie kamen zu ihm nach Konstantinopel. Und es erging ihnen gut und uns noch besser.

Weder bin ich dort gewesen noch brauchen Euer Gnaden es mir zu glauben.


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