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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Der Wolf mit dem eisernen Kopfe

Es war einmal ein Hirt. Eines Tags, als er die Schafe hütete, kam aus dem Walde der Wolf mit dem eisernen Kopf und sprach zu ihm: »Peter, jetzt will ich dich auffressen.« Peter legte sich aufs Bitten: »Tu es nicht, Wölflein, tu es jetzt nicht; warte, bis ich mich verheirate, dann komm zur Hochzeit und friß mich.«

Der Wolf willigte ein, da er hoffte, auf der Hochzeit außer dem Hirten noch einen zu erbeuten. Bis es zum Heiraten kam, hatte der Hirt den Wolf ganz vergessen. Aber als der Hochzeitszug zu Wagen mit der Braut am Walde vorbeikam, trat der Wolf mit dem eisernen Kopf heraus vor sie hin und rief: »Steig vom Wagen, Peter, daß ich dich fressen kann.«Und mein Peter sprang ab, um nur die übrigen Hochzeitsleute zu retten, und lief davon; der Wolf hinter ihm her. Peter rannte und rannte, sah sich zuweilen um, aber der Wolf war immer hinterher. So war er beständig bis zum Abend gelaufen; als es gegen die Nacht ging, bemerkte er ein Haus und stürzte hinein. Dort sah er eine alte Frau, wie sie den Ofen heizte und mit bloßen Händen das Feuer schürte. Das war die Sonnenmutter. Peter schnitt schnell seinen Hemdenschoß ab und wickelte ihre Hände hinein; die Sonnenmutter aber fragte ihn: »Woher kommst du, Christenmensch?« — »Die Not hat mich hergetrieben; der Wolf mit dem eisernen Kopf verfolgt mich, vor dem habe ich Schutz gesucht.«Da gab sie ihm zu essen und sie legten sich schlafen. Am nächsten Morgen wollte Peter weitergehen; beim Abschied schenkte ihm die Sonnenmutter ein rotes Tuch und sprach zu ihm: »Da, nimm dies Tuch, Peter; wenn du an ein Gewässer kommst, schwinge das Tuch darüber, das Wasser wird sich dann teilen, und du kannst trocknen Fußes hindurchgehen. Dann schwinge das Tuch wieder, und das Wasser wird sich wieder schließen. Ebenso mach es, wenn du an



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einen Wald kommst.«Er bedankte sich sehr bei ihr und ging fort. Aber kaum hat er sich etwas vom Hause entfernt, ist auch der Wolf mit dem eisernen Kopf wieder da und stürzt hinter ihm her, und Peter läuft wieder los. So kam er an ein Wasser, schwenkte das rote Tuch, das ihm die Sonnenmutter gegeben hatte, darüber, das Wasser zerteilte sich, und er kam wie auf trocknem Boden ans andre Ufer. Da schwenkte er wieder das Tuch, das Wasser schloß sich zusammen, und der Wolf mit dem eisernen Kopf blieb diesseits. Peter ging nun weiter, aber der Wolf sprang ins Wasser und schwamm auf die andre Seite hinüber und wieder hinter Peter her; dem blieb nichts übrig, als wieder zu laufen.

Der Wolf hatte ihn beinahe eingeholt, da bemerkte er ein Haus und stürzte hinein. In dem Hause wohnte die Mondesmutter. »Grüß Gott, Mondesmutter«, sagte Peter und küßte ihr die Hand. — »Gott helf dir, Christenmensch. Was gibt's Gutes?« — »Gar nichts Gutes«, antwortete Peter, »mich verfolgt da der Wolf mit dem eisernen Kopf, und ich bin in dein Haus geflohen.« Die Mondesmutter gab ihm zu essen und sie gingen schlafen.

Als Peter am nächsten Morgen weiterging, gab ihm die Mondesmutter einen kleinen Brotlaib: »Nimm diesen Laib, und wenn du in Not kommst, leg ihn beim Schlafengehen unter den Kopf, dann wirst du sehen, was sich ereignen wird.«Peter bedankte sich bei ihr und ging. Aber sowie er sich vom Hause entfernte, wartete der Wolf mit dem eisernen Kopf schon auf ihn, und wieder hinter ihm her, und Peter, was bleibt ihm übrig, muß rennen. So läuft er und läuft und der Wolf immer hinter ihm. Schon wollte er ihn packen, da erreicht Peter einen dichten Wald, schwenkt das Tuch; die Bäume treten auseinander, und er fährt hinein. Dann schwenkt er wieder das Tuch, und der Wald schließt sich wieder so dicht, daß keine Ameise hätte durch können.

Aber der Wolf mit dem eisernen Kopf hat auch eiserne Kiefer und eiserne Zähne und fängt an, die Bäume zu benagen. Er nagt und nagt, daß die Splitter nur so um ihn fliegen. Der Wald war sehr groß, aber der Wolf nagt einen Baum nach dem andern durch; sie fallen um, und er kommt hinein. Als Peter nun mitten im Walde war, legte er den Brotlaib unter den Kopf und wandte sich zum Schlafen. Als er am andern Morgen aufgewacht war, da gab es was zu sehen: um ihn stehen drei Tiere, Löwe, Bär und Luchs, sehen ihn an und wedeln mit den Schweifen. Peter zerbrach den Brotlaib in drei Stücke und gab sie ihnen. Aber der Wolf mit dem eisernen Kopf hatte die ganze Nacht an dem



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Walde genagt und hatte ihn beinahe durchgenagt. Da schwenkte Peter das Tuch nach der andern Richtung hin, und der Wald tat sich auf. Er kam mit seinen Tieren ins Freie, schwenkte das Tuch und schloß den Wolf im Walde ein. Nun machte er sich mit seinen drei Tieren nach Hause auf. Unterwegs überfiel ihn die Dunkelheit bei einer Hütte; er ging hinein, auf der Ofenbank saß eine alte Frau: »Guten Abend, Mutter.« —»Gott segne dich, Peter, woher kommst du?« —»Es verfolgt mich da der Wolf mit dem eisernen Kopf«, antwortete er, ahnte aber nicht, daß die Alte die Mutter des Wolfes mit dem eisernen Kopf war, und erzählte ihr alles der Reihe nach, wie es gewesen war. Zuletzt sagte er: »Und so habe ich ihn in dem großen Wald da eingeschlossen.«

Damit gut; die Wolfsmutter tat, als wisse sie von nichts, und sagte zu Peter: »Möchtest du bei mir als Hirt bleiben? Mein Hirt ist davongegangen, und ich habe niemand, der mir die Schafe hütet.« Peter wollte nichts davon hören und sagte, er sehne sich nach Hause, habe gerade geheiratet und die junge Frau verlassen.

Als aber die Alte nicht nachließ und guten Lohn versprach, willigte er endlich ein, und sie wurden einig. Als sie nun schlafen gehen sollten, sagte die Wolfsmutter zu ihm: »Gib das rote Tuch her, Peter, ich will's verwahren, daß du es nicht verlierst.« Das wollte Peter durchaus nicht, da sie aber wieder wie eine Zigeunerin quälte, gab er's ihr; und als Peter eingeschlafen war, stahl sie sich leise fort, ging zum Walde und machte ihren Sohn frei.

Am andern Tag, als Peter die Schafe auf die Weide getrieben hatte, beriet sich der Wolf mit seiner Mutter, wie er Peter ans Leben könnte. Offen wagte er nicht ihn anzugreifen, weil ihn die drei Tiere behüteten. »Aber weißt du was?«sagte der Wolf zu seiner Mutter, »grabe da, wo er morgen die Schafe melken wird, eine große Grube und decke sie mit Brettern zu. Ich verberge mich darin, und wenn er anfängt, die Schafe zu melken, springe ich heraus und fresse ihn.« Was sie ausgedacht hatten, führten sie auch aus; sie gruben eine große Grube, bedeckten sie mit Brettern, und der Wolf versteckte sich darin. Aber als Peter die Schafe molk, legten sich seine Tiere gerade auf die Bretter, und so konnte der Wolf nichts machen. Als nun Peter wieder hinter den Schafen herging, kam der Wolf mit den eisernen Zähnen aus der Grube heraus und sagte zu seiner Mutter: »Ich hätte ihn schon lange, aber ich habe Angst vor seinen Tieren, daß sie mir den Pelz waschen. Aber weißt du was? Wenn er morgen wieder auf die Weide geht, hänge dich mit Bitten



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an ihn, daß er die Tiere daläßt; wenn du die dann einschließt, werde ich leicht mit ihm fertig.«

Als Peter sich am nächsten Morgen mit den Schafen aufmachte, legte sich die Wolfsmutter aufs Bitten, daß er die Tiere zu Hause lasse. Peter wollte sich nicht darauf einlassen, aber als sie ihm zusetzte wie eine Zigeunerin, ließ er sich anführen und ließ ihr seine Tiere da; sie fütterte sie und schloß sie ein.

Darauf lief der Wolf mit den eisernen Zähnen geradewegs hinter Peter her, und der, als er ihn von weitem bemerkte, wußte, was los ist, und legte sich aufs Laufen, kam in den Wald, und - wohin soll er sonst - kletterte auf einen hohen Baum. Aber da war auch der Wolf und fing an, den Baum zu benagen, und als er ein Stück herausgenagt hatte, rief er: »Komm herab, Peter, daß ich dich fressen kann.«Als Peter sah, daß der Wolf daran war, den Baum durchzunagen, zog er einen Schuh aus, warf ihn dem Wolf hin und sagte: »Da hast du meinen Schuh, nage daran, während ich in den Wald rufe, daß der ganze Wald und alle Vögel hören, daß ich sterben muß.« Darauf rief er, was die Kehle hergab.

Das hörte der Luchs und sagte zum Löwen und Bären: »Es kommt mir vor, als riefe unser Herr.« — »Ach, sei still«, antworteten sie, »du hast dich überfressen und träumst da was.«Währenddes hatte der Wolf den Schuh auf genagt und rief: »Komm herab, Peter, daß ich dich fressen kann.« Peter warf auch den andern Schuh vom Baum herab. »Da, Wölflein, nun nage, während ich noch einmal rufe, daß der ganze Wald und alle Vögel hören, daß ich sterben muß.« —So rief er noch einmal. Darauf meinte der Bär: »Auch mir kommt vor, daß unser Herr ruft.« —»Ach, sei still da, du hast dich überfressen und faselst im Traum.« Der Wolf hatte nun auch den zweiten Schuh durchgenagt. Da warf ihm Peter seinen Hut hin und rief zum drittenmal. Jetzt hörte es auch der Löwe und sagte: »Ja, da ruft wirklich unser Herr.«

Die Tiere sprangen auf und wollten hinaus; jawohl, da war die Tür zugeschlossen. Sie gruben sich unter der Mauer durch und rannten dahin, wo die Stimme zu hören war. Als sie ankamen, stand der Baum nur noch auf einem dünnen Streifen Holz, gerade daß er nicht umfiel. Die Tiere stürzten sich auf den Wolf mit den eisernen Zähnen und zerrissen ihn in kleine Stücke.

Darauf stieg Peter vom Baum herab, ging zum Hause der Alten, hetzte die Tiere auf sie, und die zerrissen sie. Nun begann er im Hause nach



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seinem Tuch zu suchen und fand dabei ungezähltes Geld, das die Alte versteckt hatte. Das lud er auf einen Esel, trieb die Schafe vor sich her und ging mit seinen Tieren nach Hause.

Dort lebte er hernach mit seiner jungen Frau lange Zeit glücklich und zufrieden.


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