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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


1 MÄRCHEN

Oft hört man im Deutschen den Vergleich »wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht«. Und in der Tat sind es die Märchen, die ihren eigenartigen Reiz und Zauber am meisten ausüben, nicht nur auf die Morgenländer, sondern auch auf uns Abendländer. Von ihnen gilt zwar, was der große englische Gelehrte Bacon sagte: »Die Dichtung gibt der Menschheit das, was die Geschichte ihr versagt, und sie befriedigt in gewisser Weise den Geist mit Schattenbildern, wenn er sich der Wesenheit nicht erfreuen kann. Und da die wirkliche Geschichte uns nicht den Erfolg der Dinge gemäß den Verdiensten von Laster und Tugend gibt, so verbessert die Dichtung dies und zeigt



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uns die Schicksale von Personen, die nach ihrem Verdienst belohnt und bestraft werden. «Aber damit ist das Wesen der orientalischen Märchen nicht erschöpft. Der Orientale flüchtet wohl gern aus der rauhen Wirklichkeit in die Zauberwelt des Märchens, aber die Frage von Verdienst und Schuld wird nicht immer aufgeworfen, Glück ohne Verdienst spielt eine ebenso große Rolle. Und vor allem ist es die Freude an »wunderbaren und seltsamen Dingen«, die ihm das Märchen so wertvoll macht.

Schon die Rahmenerzählung ist ein Märchen für sich, das aus Indien stammt, wie oben S. 666 ausgeführt wurde. Dann folgt das Märchen von dem Kaufmann und dem Dämon, eine neue Rahmenerzählung mit den eingefügten Geschichten der drei Scheiche. Die Geschichten sind kurz und unheimlich; sie enthalten zwar indische Züge, sind aber auch schon in die altarabische Volksliteratur übergegangen. Sie werden sehr früh in das Baghdader Werk aufgenommen sein, und zwei von ihnen haben späteren ausführlicheren Märchen als Vorbild gedient. Die Geschichte des zweiten Scheichs (1,41), dessen böse Brüder in Hunde verwandelt wurden, hat zunächst ihr weibliches Gegenstück in der Geschichte der ältesten von den drei Damen von Baghdad (I, 187); diese letztere Fassung ist ausführlicher und enthält bereits die wesentlichen Elemente der dritten Fassung, die am kunstvollsten ausgeführt ist, nämlich der Geschichte von 'Abdallâh ibn Fâdil (VI, 509). Diese Elemente sind der Schlangenkampf und die versteinerte Stadt. Aber die beiden ersten Fassungen enthalten nicht den versöhnenden Schluß der dritten. Die Geschichte des dritten Scheichs (I, 46), der von seiner Frau betrogen wurde und sie in eine Mauleselin verwandelte, nachdem sie ihn vorher zu einem Hunde verzaubert hatte, ist das Vorbild der Geschichte von



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Sîdi Nu'mân (VI, 259). Wiederum ist die letztere Fassung ausführlicher und kunstvoller; sie ist bisher nur durch Galland überliefert, erweist sich aber durch diese Zusammenhänge als echt orientalisch. Die Märchenkunst von 1001 Nacht zeigt sich hier am Anfang nicht von der besten Seite, und wenn zur Zeit des Fihrist die Sammlung nur Geschichten dieser Art enthielt, so würde das dort ausgesprochene Urteil, wenn es auch hart ist, doch in gewisser Weise berechtigt sein. Aber zum Glück folgen bald schönere und erfreulichere Märchen.

Schon die Geschichte vom Fischer und Dämon (I, 48), wiederum eine Rahmenerzählung mit eingeschachtelten Erzählungen, bietet ein ganz anderes Bild. Eigentlich besteht sie aus zwei Teilen, die nur lose aneinandergefügt sind, und zwar 1 der Geschichte vom Fischer und dem Dämon bis zu seiner Befreiung aus der Flasche und 2. der Geschichte von dem See mit den verzauberten Fischen. Die Geschichte kann so, wie sie jetzt ist, nicht in den Hezâr Efsân gestanden haben; aber sie enthält doch allerlei indisch-persisches Gut, und die indische Überleitung zu einer eingeschachtelten Geschichte (Wie war denn das?) findet sich auch hier. Die in ihr enthaltene Geschichte von Junân und Dubân ist im wesentlichen indischen Ursprungs; sogar der Name Sindibâd hat sich in ihr erhalten. Am Schlusse wird erzählt, daß der zum Tode verurteilte Arzt an dem König Rache nimmt, indem er die Blätter eines Buches vergiftet, das er ihm hinterläßt; schon J. Gildemeister hat darauf hingewiesen, daß in Indien die Bücher auf Palmblätter geschrieben und zum Schutz gegen die Termiten mit einer ihnen gefährlichen Flüssigkeit eingerieben werden. Das Ganze ist aber mehrfach überarbeitet worden; man kann annehmen, daß die Geschichte zum ersten Male in Baghdad zusammengestellt



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wurde und später in Ägypten einzelne Veränderungen erfuhr; das Bild des Negers, der Zuckerrohr kaut, Mäuse ißt und Bier trinkt (I, 87), ist typisch afrikanisch. Der Glaube, daß die widerspenstigen Dämonen von Salomo in Flaschen gesperrt wurden, ist wohl schon in alter Zeit aus jüdischen Erzählungen bei den muslimischen Arabern bekannt geworden. Parallelen zu dem Motiv, daß Dämonen oder Teufel eingefangen werden, finden sich bei vielen Völkern, auch bei den Indern. Gerade die Art, wie der Fischer hier den Geist übertölpelt, verleiht der Geschichte ihren Reiz.

Die nächsten eigentlichen Märchen sind in der Reihenfolge dieser Übersetzung die von 'Alâ ed-Din (II, 659), Ah Baba (II, 791) und Prinz Ahmed (III, W; sie sollten eigentlich am Ende des ganzen Werkes stehen, da sie in der zweiten Calcuttaer Ausgabe nicht enthalten sind. Vorher steht aber ein Märchen, das mit einem »Familienroman«zusammengesetzt ist und eine eingeschachtelte Liebesnovelle enthält; dies ist die Geschichte von Kamar ez-Zamân und Budûr (II, 357ff.). Zugrunde liegt wohl ein persisches Zaubermärchen, das sich in der Handlungsweise des Geistes Dahnasch und der Dämonin Maimûna widerspiegelt. Aber schon diese Namen sind islamisch-arabisch, und die humorvolle, aber groteske Szene mit dem Eunuchen (II, 393 ff.) könnte fast ägyptisch sein; doch auch in Baghdad machte man sich in manchen Erzählungen über die Eunuchen lustig. Die Frage nach den islamischen Monatsnamen (II, 402) kann natürlich nicht in einem altpersischen Märchen gestanden haben, ebensowenig wie die Erwähnung eines venezianischen Hemdes (II, 386). Der Glaube an Dämonen im Brunnen (II, 369) ist altarabisch; aber das Aufsuchen der Geliebten in weiter Ferne (China) erinnert an Hasan el-Basri, der sie in japan sucht, und Hasan eI-Basri seinerseits ist von Sindbad abhängig. An



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Persien erinnert noch der Name Marzuwân (II, 412ff.). Wir haben es also wohl mit einer späteren Komposition zu tun. Der erste Teil, das Märchen, reicht bis zur Vereinigung der Geliebten. Dann folgt der »Familienroman«. Die beiden Frauen des Helden verlieben sich in ihre Stiefsöhne, und daraus entstehen allerlei Irrungen und Wirrungen. Die »bösen Magier« (II, 443, 501) weisen auf die Baghdader Zeit; und die Geschichte von Ni'ma und Nu'm (II, 530), die in die Omaijadenzeit verlegt wird, stammt spätestens aus der alte Abbasidenzeit. Nach S. 544 war es Sitte, daß die vornehmen Leute Persisch sprachen; da die Derwische bereits eine Rolle spielen und 5. 541 der Rosenkranz genannt wird, wird die Erzählung in ihrer jetzigen Form kaum älter als das 9. oder io. Jahrhundert sein. Das Märchen von 'Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe (II, 659) ist uns nur aus einer verhältnismäßig späten Zeit bekannt. Der arabische Urtext wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt. Er zeigt sehr starke europäische Einflüsse; manche Stellen sind ganz unarabisch gedacht und sind sehr wahrscheinlich Übersetzungen aus einer romanischen Sprache. Ob das Ganze eine Rückübersetzung ist, muß durch eine genauere Vergleichung endgültig festgestellt werden; das kann aber erst geschehen, wenn eine Gothaer Handschrift, die eine ähnliche Geschichte enthält, veröffentlicht ist. Das Märchen, das wie Ah Baba so große Berühmtheit erlangt hat, wird aus dem späteren Ägypten stammen; darauf weisen die Gestalt des Dämons, des »Dieners der Lampe« und die Erwähnung des Kaffees (II, 735).

Für Ah Baba (II, 791) haben wir einen besseren arabischen Text, der zu Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckt wurde. In ihm findet sich die gleiche Sprache wie in den meisten Teilen von Tausendundeiner Nacht. Verschiedene sprachliche Ausdrücke



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sowie die Tatsache, daß eine ähnliche Geschichte in Syrien noch heute mündlich fortlebt, weisen auf Syrien als das Ursprungsland; der Name Ah Baba ist türkisch.

Das Märchen von Prinz Ahmed und der Fee Perî Banû (III, ') ist ein hübsches persisches Märchen aus späterer Zeit. Wann es ins Arabische übersetzt wurde und ob noch eine Handschrift des arabischen oder persischen Textes vorhanden ist, wissen wir vorläufig nicht. Daß neben dem persischen Namen auch arabische gebraucht werden, ist nicht verwunderlich, da die muslimischen Perser so unendlich viele arabische Namen übernommen haben. Die genauere Kenntnis von Indien, von Brahmanen, Pagoden, Elefanten u. a. in. weist auch nach Persien, vor allem aber das Motiv des besten Pfeilschützen; ferner ist Firmân (S. 43) ein persisches Wort. Das Fernrohr (S. 20ff.) führt in die Neuzeit. In der Sprache zeigt sich zuweilen europäischer Einfluß durch längere Perioden und Reflexionen, die dem arabischen Erzählungsstil fremd sind. Da III, 22 und 43 König Schehrijâr angeredet wird, gibt sich das Märchen als ein Teil von Tausendundeiner Nacht aus. Innere Beziehungen hat es mit der Geschichte der neidischen Schwestern (vgl. III, 72 ff. mit V, 178 ff.); aber auch für die letztere Geschichte fehlt der orientalische Urtext. Alle diese Fragen können erst näher beantwortet werden, wenn dieser Text gefunden ist.

Die Geschichte von 'All Schâr und Zumurrud (III, 207) spielt in Chorasân im östlichen Persien, aber ein Kurde von der Bande des Ahmed ed-Danaf (III, 232) wird genannt. Dieser Kurde heißt Dschawân (besser: Dschuwân »Jüngling«), trägt also einen persischen Namen. Auch der Name des Helden ist aus Persien bezogen; denn Schâr ist dasselbe wie persisch Schar »Löwe«, und dies Wort wird öfters als Beiname ge



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braucht. Die Verkaufsszene am Anfang (III, 213 if.) erinnert an die gleiche Szene in der Geschichte von Nûr ed-Dîn und Marjam (V, 658ff.); letztere mag eine ausführliche Nachahmung der ersten sein. Wegen des Märchenmotivs, daß eine Sklavin in fremdem Lande zur Königin wird, ist diese Geschichte hierher gestellt; man würde sie sonst eher zu den Romanen und Novellen rechnen. Die humoristischen Szenen beim Festmahl der Königin deuten auf ägyptischen Ursprung.

Ein echtes Märchen wiederum ist die Geschichte vom Ebenholzpferd (III, 350). Das Motiv des fliegenden Pferdes ist indisch; das gut erzählte Märchen stammt aus Persien, worauf zunächst der nur in der Breslauer Ausgabe genannte Königsname Sabûr hinweist. Der Name Hardscha (III, 379) könnte ein entstelltes persisches Hardschad oder Chodscha sein. S. 356 wird Indien genannt, 5. 357, 358 ist die Rede vom Perserprinzen, 5. 374 vom Lande der Griechen, S. 377 von Persien. S. 365 if. taucht die Stadt San'â auf; die wird den Persern schon in vorislamischer Zeit bekannt gewesen sein, da Südarabien eilweise unter persischer Herrschaft stand. Somit könnte dies Märchen in den Hezâr Efsân gestanden haben; aber wir haben keinen Beweis dafür. In der Stambuler Handschrift (oben 5. 659) gehört es jedoch nicht zu Tausendundeiner Nacht. Die Geschichte von 'All aus Kairo (III, 593) ist ein späteres ägyptisches Märchen. Die ägyptische Geographie ist bekannt; S. 597 kommen die Insel er-Rôda und der Nilmesser vor, S. 600 und 612 Bulak und Damiette. Der Held zieht wie 'Alt ed-Dîn Abu esch-Schamât von Kairo nach Baghdad und erhält dort eine hohe Stellung; er findet dort einen Schatz wie Zain el-Asnâm (VI, 216 if.), und er sagt, seine Karawane werde kommen, wie der Schuhflicker Ma'rûf (VI, 571 if.), worauf dann wirklich eine Geisterkarawane eintrifft. Sein Sohn wird



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König; seine Familie wird durch die Luft getragen, und der Schatz ist an Zauber gebunden.

Die Geschichte von der Schlangenkönigin und Hâsib Karîm ed-Dîn (III, 762) ist ein Märchen, aber ihr Hauptteil, die Geschichte von Bulûkija ist eine Himmel - und Höllenfahrt, und in sie ist die Geschichte von Dschanschâh eingefügt, die wiederum am ehesten als Märchen zu bezeichnen ist, obwohl sich in ihr auch Motive aus den Seefahrergeschichten finden, wie die Bäume mit Menschenköpfen als Früchten (III, 789) und die Affenburg (III, 820). Der Name Dschanschâh ist persisch, und in seiner Erzählung finden sich auch sonst in indisch- persische Züge; die Geschichte von Bulûkija ist jüdischen Ursprungs; das Märchen von der Schlangenkönigin ist allem Anscheine nach ägyptisch. Wir haben hier also ein Musterbeispiel für die Entstehung unserer heutigen Tausendundeinen Nacht; und in Bulûkijas Fahrten haben wir ein ganzes Kompendium der jüdisch-christlich-muslimischen Kosmologie und Eschatologie. Prof. Horovitz, der sich um die Erklärung dieser Geschichte große Verdienste erworben hat, weist mit Recht darauf hin, daß diese Himmel - und Höllenfahrten ihren Höhepunkt in Dantes Dwina Commedia erreichten. In neuerer Zeit hat man auch versucht, in Dantes Werk Einflüsse der islamischen Eschatologie zu finden.' Prof. Horovitz hat auch nachgewiesen, daß Bulûkija dem biblischen Namen Hilkija entspricht und daß 'Affân der biblische Schafan ist, ferner daß unsere Bulûkija-Geschichte spätestens zwischen 850 und 900 den arabischen Muslimen bekannt gewesen sein muß.

Die Geschichte von Dschaudar und seinen Brüdern (IV, 371) ist wieder ein späteres ägyptisches Märchen. Der See



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Karûn bei Kairo wird genannt (IV, 377), das Siegestor in Kairo (IV, 400), Suez und das Meer von Suez (IV, 405, 408, 410); die Tochter des Königs heißt âsija (IV, 427), wie die Tochter Pharaos im Koran. Der Schatz kann nur durch Dschaudar gehoben werden, wie der Schatz des 'Alâ ed-Dîn. Aber in einer Hinsicht steht die Geschichte Dschaudars in ihrer jetzigen Gestalt ziemlich allein in 1001 Nacht: das ist ihr tragischer Ausgang. Dschaudar wird wirklich von seinen bösen Brüdern ermordet, dann bringt der eine Bruder den andern ums Leben, schließlich tötet Dschaudars Witwe den überlebenden und zerbricht den Zauberring. Darauf sendet sie zum Scheich el-Islâm und läßt ihm sagen: »Wählt euch einen König, der Herrscher über euch sei. «Das klingt ganz anders als sonst, wenn es heißt »und sie lebten herrlich und in Freuden bis zu ihrem Tode«. —Der Name Dschaudar hat zu verschiedenen Erörterungen Anlaß gegeben. Man hat ihn mit dem altpersischen Gotarzes verglichen, aber den Vergleich doch wieder aufgegeben. Ich sehe darin das arabische Wort dschaudhar (teilweise auch anders vokalisiert) »das Junge der Wildkuh«, das allerdings aus dem persischen Worte gaudar entlehnt ist. Als Name ist mir dies Wort aus alter Zeit nicht bekannt, wohl aber aus neuerer Zeit, und zwar aus Algerien, wo Djoudar und Djouder umschrieben wird.

Die Geschichte von Dschullanâr. der Meermaid. und ihrem Sohne, dem König Badr Bâsim von Persien (V, 87) ist ein arabisch umgearbeitetes persisches Märchen; sie enthält Reimprosa und Verse nach allen Regeln der höheren arabischen Erzählungskunst. Die Namen Dschullanâr und Schahrimân sind persisch, ebenso auch Dschauhara und Samandal; aber die beiden letzteren Namen könnten persische Lehnwörter im Arabischen sein. Es ist auffällig, daß der Name



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des Helden Badr Bâsim nach persischer Weise ohne Artikel gebraucht wird; die Araber würden von sich aus el-Badr el-Bâsim sagen. Daraus könnteman schließen, daß die Geschichte erst in islamischer Zeit in Persien entstanden und dann ins Arabische übersetzt sei; der islamische Firnis ist hier auch ziemlich stark aufgetragen. Jedenfalls gehört dies Märchen noch in die Baghdader Zeit; es ist in der Stambuler Handschrift enthalten (oben S. 670), wo es nur in wenigen Einzelheiten abweicht. Der Name der Hexenkönigin Lâb, der (V, 136) als »Berechnung der Sonne«gedeutet wird, erhält in der Handschrift die Übersetzung Schams el-Malika, was nach arabischem Sprachgebrauch bedeuten müßte »Sonne der Königin«, aber doch wohl als »Königin Sonne«gemeint ist; die Nachstellung des Titels könnte persisch sein.

Ein weiteres persisches Märchen ist die Geschichte von den beiden Schwestern, die ihre jüngste Schwester beneideten (V, 154). Die Namen sind alle persisch: Chusrau, Bahman, Parwêz, Perizâde, Rustem, Asfandijâr. Der Tiger wird gejagt (V, 197), was freilich nur in Nordostpersien möglich ist. Da uns aber ein orientalischer Urtext noch fehlt, sind wir diesem Märchen gegenüber in derselben Lage wie dem von Prinz Ahmed und Peri Banû (oben S. 685). Beide Märchen gehören mit zu den schönsten in Tausendundeiner Nacht.

Zu den Märchen muß auch die Geschichte von Saif el-Mulûk (V, 228) gerechnet werden, obgleich ihr Inhalt zum großen Teil aus den Seefahrergeschichten entlehnt und nur mit allerlei Geistermären vermischt ist. Sie ist in eine eigenartige Rahmengeschichte eingespannt, deren richtige Bedeutung Prof. Horovitz erkannt hat. In dem König Mohammed ibn Sabâïk sieht er mit Recht den im ganzen Osten der islamischen Welt hochberühmten Fürsten Mahmud ibn Sabuktegin



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von Ghazna (998 —1030)', der in der persischen Gestalt dieser Geschichte auch genannt wird, und so kommt er zu dem Schlusse, daß unsere Geschichte, die als selbständiges Buch noch arabisch, persisch und türkisch erhalten ist, ursprünglich arabisch verfaßt wurde, hauptsächlich aus Erinnerungen an Sindbad, dann nach Persien kam und dort mit einer Einleitung versehen wurde und schließlich ins Arabische zurückwanderte. Als Teil von 1001 Nacht zeigt sie jedoch einige ägyptische Spuren. Daß Saif el-Mulûk der Sohn des Königs 'Âsim von Ägypten ist, fällt kaum ins Gewicht, da die Namen erfunden sind. Aber V, 243 wird der Elefantenplatz genannt, und das weist daraufhin, daß der Schreiber Kairo kannte. Wenn jedoch der König der Geister in der Burg von el-Kulzum, dem heutigen Suez, wohnt (V, 273), so braucht das nicht einem ägyptischen Überarbeiter zugeschrieben zu werden. Das Meer von el-Kulzum (Rotes Meer) war auch in Basra und Baghdad bekannt; und ein Ägypter der späteren Zeit hätte eher Sues geschrieben wie in dem Märchen von Dschaudar (oben S. 688).

Mit dem vorigen hat das lange Zaubermärchen von Hasan von Basra (V, 315) eine gewisse Ähnlichkeit; aber es entfernt sich noch weiter von Sindbad und enthält noch mehr Dinge aus der Geisterwelt. Mit Sindbad hat es nur die Geschichte von dem Diamantberg (hier der Berg mit dem Goldmacherkraut) und die Reise nach Japan gemeinsam. Aus der Geschichte von Dschanschâh (oben S. 687) scheint das Motiv der Vogeljungfrauen und die lange Fahrt nach der entflohenen Geisterbraut entlehnt zu sein; doch das müßte erst noch sicher festgestellt werden, da das indische Motiv der Vogeljungfrauen auch sonst in der arabischen Literatur vorkommt. Die Gestalt der alten Schawâhi Umm ed-Dawâhi (V, 422f.)



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stammt aus dem Roman von 'Omar ibn en-Nu'mân. Der Gegensatz zwischen Muslimen und Magiern, wie er im Anfang der Geschichte in dem Verhältnis zwischen Hasan und dem persischen Zauberer zur Geltung kommt, weist auf die Baghdader Zeit. Dieser erste Teil mag ursprünglich selbständig gewesen und erst später mit der langen Reise Hasans nach Japan verbunden worden sein. Der Name Japans Wâkwâk (eigentlich chinesisch wo-kuok »Zwergenland«, wie mir Prof. J. —J. Hess mitteilte) wird (V, 425) eigenartig gedeutet: wâk wâk (richtig wâk u'dk' mit emphatischem k) soll ein Ausruf der Bewunderung sein wie arabisches weh. Es wäre denkbar, daß diese Deutung ein Zusatz aus späterer ägyptischer Zeit ist, als man k wie 'sprach (wî' wa'); sie findet sich auch bei Ibn Ijâs, einem ägyptischen Schriftsteller um 1500. So wird umgekehrt, wie ich von Prof. Paret hörte, im Roman von Saif ibn Dhî Jazan der Ruf 'dh 'ah als kâk Iâk gedeutet. Die Geschichte Hasans ist als einheitliches Kunstwerk von ihrem Verfasser gedacht und von ihm mit viel Reimprosa und Poesie ausgeschmückt; dabei wird die Sentimentalität sehr übertrieben.

Die Geschichte von 'Abdallâh, dem Landbewohner, und 'Abdallâh, dem Meermann (VI, 186), ist eigentlich eine Wunderreise, die diesmal nicht übers Meer noch durch die Luft, sondern in das Meer hineinführt. oder eher noch eine »Geschichte von den Wundern des Meeres«; doch sie ist hier mit Märchenmotiven ausgestattet und zu einem Märchen verarbeitet; diese Motive hat sie teilweise mit den Märchen von Dschaudar (oben 5. 687) und von Dschullanâr (oben 5. 688) gemeinsam. Der Anfang erinnert so stark an den von Dschaudar, daß der eine von dem andern entlehnt sein muß; beide Male erhält der Fischer, der ohne Fang heimkommt, von einem freundlichen Bäcker mehrere Tage hindurch Brot und Geld.



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Wie Badr Bâsim von dem Meeresbewohner Sâlih vor dem Untertauchen ins Meer mit einer zauberkräftigen Salbe bestrichen wird (V, 102), so erhält auch der Landbewohner von dem Meermann eine Salbe (VI, 203, 205); freilich kommt bei Badr Bâsim auch noch ein Zauberring hinzu. Die Menge der Juwelen im Meere wird in beiden Geschichten ähnlich geschildert. Aber 'Abdallâh bekommt noch allerlei andere Meereswunder zu sehen, wie den großen Fisch Dandân (VI, 204, 206) und die Seeweiberstadt (VI, 207). Am Schlusse findet sich ein merkwürdiges Motiv (VI, 214): die Meeresbewohner freuen sich beim Tode eines der Ihren, da Allah nur »sein Pfand« zu sich zurücknimmt, und der Meermann will mit den Landbewohnern nichts mehr zu tun haben, weil die beim Tode eines Menschen trauern. So endet die Freundschaft der beiden 'Abdallâhs mit einer gewissen Tragik wie die Geschichte Dschaudars (oben S. 688). Aber der Landbewohner selbst führt doch ein Leben voller Freude weiter bis an sein Ende. Das Märchen wird in seiner jetzigen Form aus Ägypten stammen, worauf auch der Gebrauch von Sultan =Herrscher (VI, 207 und öfter) hinweisen mag; es ist aber wohl die Bearbeitung einer Baghdader Erzählung.

Das Märchen von Zain el-Asnâm (VI, 216) fehlt in den orientalischen Drucken; in Sprache und Komposition weicht es auch ziemlich stark von ihnen ab. Stil und Ausdruck sind öfters ungeschickt, und die Erzählung hat nicht die epische Breite wie die anderen Märchen. Der Kaffee wird erwähnt (VI, 235), mehrere späte Wörter kommen vor, wie kawaribdschi »Fährmann«(VI, 226 = Text S. 18, Z. 6) und ardu-hâl »Beschwerdeschrift«(VI, 233 = Text 5. 28, Z. 5 y. u.), und die Anrede an die Hörer (VI, 217 und 232) wird ganz wie in modernen arabischen Märchen gebraucht, aber sie paßt schlecht



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zu 1001 Nacht. Am Anfang wird eine Erinnerung an Dschali'âd und Wird Chân, dem indischen Parabelzyklus, vorliegen; denn beide, Zain wie Wird Chân, werden leichtsinnig nach dem Tode ihres Vaters, und das Volk will sich empören. Das Hinundher wandern zwischen Basra und Kairo wegen des Schatzes ist ähnlich geschildert wie III, 337f. und in der Geschichte von 'Alt aus Kairo (III, 593 if.). Dies Märchen stammt also aus neuerer Zeit und kann irgendwo im vorderen Orient, am ehesten in Ägypten, entstanden sein.

Nach Persien führt uns wieder das Märchen von Chudadâd und seinen Brüdern (VI, 302). Die Namen Chudadâd »Gottesgabe«, Firûza »Türkis«, Darjabâr »Seestadt«sind persisch; allerdings werden auch die arabisch-mesopotamischen Ortsnamen Dijâr Bekr und Harrân sowie das palästinische Samarien genannt. Aber die geographischen Begriffe des Erzählers sind sehr unklar. In gewisser Weise haben wir hier ein Gegenstück zu dem Märchen von den neidischen Schwestern (oben S. 689), doch die Ähnlichkeit besteht nur in dem Geschwisterneid, während die Einzelheiten ganz verschieden sind. Das Schiff bruchs motiv kommt VI, 321 ähnlich vor wie bei Sindbad und Saifel-Mulûk; aber es braucht nicht daher entlehnt zu sein. Sehr auffällig ist die Meißelung eines Bildes, das im Mausoleum aufgestellt wird (VI, 334). Da jedoch der orientalische Urtext noch fehlt, kann über Zeit und Entstehungsort dieses Märchens ebensowenig etwas Sicheres ausgesagt werden wie oben S. 68 und S. 689.

Den Schluß der Märchen und des ganzen Buches bildet die vortrefflich erzählte Märchenhumoreske von dem Schuhflicker Ma'rûf (VI, 571). Die Idee des Märchens mag aus der Geschichte von 'Alt aus Kairo stammen (oben S. 686); doch ein Erzähler von viel Geschmack und Humor hat etwas



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ganz Neues daraus geschaffen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Geschichte in Kairo entstanden ist, und zwar nicht vor dem 16. Jahrhundert.


Copyright: arpa, 2015.

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