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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Die goldnen Äpfel und die neun Pfauhennen

Es war einmal ein Zar, der hatte drei Söhne und vor seinem Palast einen goldnen Apfelbaum, der jede Nacht erblühte und reife Früchte brachte. Aber irgendwer pflückte sie, und man konnte nicht entdecken, wer. Einmal sprach der Zar mit seinen Söhnen darüber: »Wo bleibt nur die Frucht von unserm Apfelbaum?« Darauf sagte der älteste: »Ich werde diese Nacht den Apfelbaum bewachen und sehen, wer da pflückt.« Als es nun Abend wurde, legte er sich unter den Baum, um ihn zu bewachen, aber als die Apfel gerade am Reifen waren, schlief er ein, und als er in der Frühe erwachte, war der Apfelbaum leer. Da ging er zu dem Vater und erzählte ihm alles getreulich. Darauf erbot sich der zweite Sohn, den Apfelbaum zu bewachen, aber es ging ihm ebenso: er schlief unter dem Baume ein, und als er in der Frühe erwachte, war der Baum leer. Jetzt kam die Reihe an den jüngsten Sohn, den Baum zu bewachen; er machte sich fertig, trug sein Bett unter den Baum und legte sich schlafen. Gegen Mitternacht erwachte er und warf einen Blick auf den Baum, die Äpfel waren gerade im Reifen, und der ganze Palast erglänzte von ihnen. Indem Augenblick kamen neun goldne Pfauhennen geflogen, acht ließen sich auf dem Apfelbaum nieder, die neunte kam zu ihm auf das Bett und verwandelte sich in ein Mädchen, wie es kein schöneres im ganzen Reiche gab. So herzten und küßten sich die beiden bis nach Mitternacht, dann stand das Mädchen auf und dankte ihm für die Äpfel, er aber bat sie, ihm wenigstens einen zu lassen, und sie ließ ihm zwei, einen für sich, und den andern solle er seinem Vater bringen. Darauf verwandelte sich das Mädchen wieder in eine Pfauhenne und flog mit den andern davon. Als es Tag wurde, stand der Zarensohn auf und brachte dem Vater die beiden Äpfel. Dem war das sehr lieb, und er lobte seinen jüngsten Sohn. Am nächsten Abend richtete dieser sich wieder so ein wie vorher, bewachte wieder ebenso den Baum und brachte am nächsten Morgen dem Vater wieder zwei goldne Äpfel. Als er so einige Nächte nacheinander verfahren war, fingen die Brüder an, es ihm übelzunehmen, daß sie die Äpfel nicht hatten bewachen können und er es jede Nacht gekonnt hatte.

Gerade zu der Zeit fand sich ein verfluchtes altes Weib ein, das ihnen versprach, den jüngsten Bruder zu ertappen und herauszubringen, wie er den Apfelbaum bewache. Als es wieder Abend war, schlich sich die Alte unter den Apfelbaum, kroch unter das Bett und versteckte sich



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dort. Darauf kam auch der jüngste Zarensohn und legte sich schlafen wie früher. Um Mitternacht, sieh da, die neun Pfauhennen, acht lassen sich auf dem Baum nieder, die neunte zu ihm auf das Bett und verwandelt sich in ein Mädchen. Da nahm die Alte ganz leise eine Haarflechte des Mädchens, die über das Bett heraushing, und schnitt sie ab, das Mädchen aber fuhr auf, verwandelte sich in die Pfauhenne und flog davon, und die andern aus dem Baume mit ihr; fort waren sie. Da sprang auch der Zarensohn auf und rief: »Was ist das?«, faßte dabei unter das Bett, ergriff die Alte und zog sie hervor; und am nächsten Morgen ließ er sie Pferden an die Schweife binden und in Stücke zerreißen. Die Pfauhennen aber kamen nicht mehr zu dem Apfelbaum, und darum klagte und weinte der Zarensohn in einem fort. Endlich beschloß er, in die weite Welt zu gehen und seine Pfauhenne zu suchen und nicht eher heimzukehren, bis er sie gefunden habe. Damit ging er zu seinem Vater und sagte ihm, was er beschlossen hatte. Der Vater wollte ihn davon abbringen und redete ihm zu, es zu lassen, er werde ihm ein andres Mädchen aus seinem Reiche verschaffen, welches er wolle. Aber das war ganz vergeblich, der Zarensohn machte sich auf und zog mit nur noch einem Diener in die Welt, sich seine Pfauhenne zu suchen.

Nach langer Wanderung kam er einmal an einen See, fand dort einen großen reichen Palast und darin eine alte Frau, eine Zarin, und ein Mädchen, ihre Tochter. Die Alte fragte er: »Ich bitte dich um Gottes willen, Mütterchen, weißt du etwas von neun goldnen Pfauhennen?« Darauf antwortete die Alte: »Ja, mein Sohn; sie kommen jeden Mittag hierher an diesen See und baden, aber laß du die Pfauhennen fahren; hier hast du meine Tochter, ein schönes Mädchen, und viel Geld und Gut, alles soll dein sein.« Er aber konnte kaum erwarten, die Pfauhennen zu sehen, und wollte nicht einmal anhören, was die Alte von ihrer Tochter sagte.

Am nächsten Morgen stand er auf und begab sich an den See, um die Pfauhennen zu erwarten. Die Alte aber hatte den Diener bestochen, ihm einen kleinen Blasebalg gegeben und ihm gesagt: »Du siehst diesen Blasebalg; wenn ihr an den See kommt, blase ihm unbemerkt in den Nacken, nur ganz wenig, dann wird er einschlafen und kann sich nicht mit den Pfauhennen bereden.« Der unselige Diener tat das auch. Als sie an den See gekommen waren, fand er eine Gelegenheit, seinem Herrn aus dem Blasebalg in den Nacken zu blasen, und der Arme



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schlief sogleich ein wie tot. Kaum war er eingeschlafen, da erschienen die neun Pfauhennen, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz! Wach auf, meine Seele!«Aber er merkte nichts, als wäre er tot; und die Pfauhennen, nachdem sie gebadet hatten, flogen alle zusammen fort. Da wachte er sogleich auf und fragte den Diener: »Wie ist es? Sind sie gekommen?« Der Diener antwortete, sie seien dagewesen, acht hätten sich am See niedergelassen, die neunte zu ihm aufs Pferd, habe ihn umarmt und zu wecken versucht. Als der arme Zarensohn das hörte, wollte er sich fast das Leben nehmen. Am andern Tag in der Frühe machte er sich wieder mit dem Diener auf, stieg zu Pferde und ritt immer am See entlang. Der Diener fand wieder Gelegenheit, ihm aus dem Blasebaig in den Nacken zu blasen, und er verfiel sogleich in Schlaf wie tot. Kaum war er eingeschlafen, da waren auch schon die neun Pfauhennen da, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz. Wach auf, meine Seele!« Aber es half nichts, er schlief wie tot. Da sagte sie zu dem Diener: »Sage deinem Herrn, morgen kann er uns noch hier erwarten, dann aber wird er uns hier nicht mehr sehen.« Damit flogen sie fort; kaum waren sie weg, als der Zarensohn erwachte und den Diener fragte: »Sind sie dagewesen?« Der antwortete: »Ja, und sie lassen dir sagen, daß du sie nur noch morgen hier erwarten kannst, daß sie dann aber nicht mehr kommen werden.« Als der arme Herr das hörte, wußte er gar nicht, was er mit sich anfangen sollte, und raufte sich das Haar vom Kopfe vor Schmerz und Kummer.

Als der dritte Tag anbrach, machte er sich wieder auf, bestieg sein Pferd und ritt am See entlang, aber nicht im Schritt, sondern immer im vollen Lauf, um nicht einzuschlafen. Aber wiederum fand der Diener eine Gelegenheit, ihm aus dem Blasebalg in den Nacken zu blasen, und er fiel sofort auf dem Pferd vornüber und schlief ein. Kaum war er eingeschlafen, da waren auch schon die neun Pfauhennen da, acht ließen sich am See nieder, die neunte zu ihm aufs Pferd, umarmte ihn und versuchte ihn zu wecken: »Wach auf, mein Labsal! Wach auf, mein Herz! Wach auf, meine Seele!«Aber es half nichts, er schlief wie tot. Da sagte sie dem Diener: »Wenn dein Herr aufwacht, sage ihm, er solle den oberen Nagel auf dem unteren abschlagen (d.h. den Nagelkopf vom Nagelstiel), dann würde er mich auffinden.« Damit flogen die Pfauhennen



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alle fort, der Zarensohn wachte auf und fragte den Diener: »Sind sie dagewesen?« Der antwortete: »Sie sind dagewesen, und die, die sich zu dir aufs Pferd niederließ, läßt dir sagen, du sollst den oberen Nagel vom untern abschlagen, dann würdest du sie auffinden.« Als er das hörte, zog er seinen Säbel und hieb dem Diener den Kopf ab. Darauf begab er sich allein auf die Reise in die weite Welt und kam so auf der langen Wanderung auf ein Gebirge, übernachtete dort bei einem Einsiedler und fragte ihn, ob er ihm nicht etwas über die neun goldnen Pfauhennen sagen könnte. Der Einsiedler antwortete: »Ei, mein Sohn! Da hast du Glück; Gott hat dich gerade den richtigen Weg geführt; von hier bis zu ihnen ist es nicht mehr als eine halbe Tagereise. Du brauchst nur geradeaus zu gehen, dann triffst du auf ein großes Gattertor, gehst da durch und hältst dich rechts, dann kommst du geradewegs in ihre Stadt, wo auch ihr Palast ist.«

Am nächsten Morgen machte sich der Zarensohn auf, dankte dem Einsiedler und ging den Weg, den ihm der gezeigt hatte. So kam er an das große Gatter, ging hindurch, schlug sich sogleich nach rechts und erblickte so um Mittag die weiß glänzende Stadt und freute sich sehr. Dort erfragte er den Palast der neun Pfauhennen und ging dorthin; am Tor hielt ihn die Wache auf und fragte: wer und woher. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, gingen die Wächter, ihn der Zarin zu melden, und kaum hatte diese es gehört, als sie ganz außer sich zu ihm lief, und zwar in Mädchengestalt wie früher; dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn in den Palast. Da war große Freude, und nach einigen Tagen heirateten sich die beiden, und er blieb dort wohnen. Bald darauf ging einmal die Zarin spazieren, während der Zarensohn im Palast blieb; beim Weggehen übergab sie ihm die Schlüssel von zwölf Kellerräumen und sagte ihm: »In alle Keller kannst du gehen, nur in den zwölften keinesfalls, öffne ihn auch nicht, das hieße mit deinem Leben spielen.« Damit ging sie fort.

Der Zarensohn, der so allein im Palast geblieben war, dachte nun bei sich: >Was mag wohl in dem zwölften Keller sein?<, öffnete alle Kellerräume nach der Reihe, und als er an den zwölften kam, wollte er ihn erst nicht öffnen, aber wieder reizte es ihn, zu erfahren, was darin sein möchte, und endlich machte er ihn auf; da sieht er mitten in dem Keller ein großes Faß mit eisernen Reifen beschlagen und mit offenem Spundloch. Aus dem Faß kam eine Stimme: »Ich bitte dich um Gottes willen, Bruder! Ich sterbe vor Durst, gib mir einen Becher Wasser.« Da nahm



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der Zarensohn einen Becher Wasser und schüttete es in das Faß, aber sowie er das getan hatte, sprang sogleich ein Faßreifen. Darauf kam wieder die Stimme aus dem Faß: »Um Gottes willen, Bruder! Ich sterbe vor Durst, gib mir noch einen Becher Wasser.« Der Zarensohn schüttete wieder einen Becher Wasser hinein, und an dem Faß sprang noch ein Reifen. Zum drittenmal kam dann die Stimme aus dem Faß: »Um Gottes willen, Bruder! Gib mir noch einen Becher Wasser.« Der Zarensohn schüttete noch einen Becher Wasser hinein, auch der dritte Reifen sprang, das Faß fiel auseinander, und ein Drache flog heraus, ergriff unterwegs die Zarin und trug sie davon. Darauf kamen die Dienerinnen und zeigten dem Zarensohn an, was geschehen war, und er, der arme Mann, wußte vor Gram nicht, was er anfangen sollte, endlich aber beschloß er, wieder in die weite Welt zu ziehen und sie zu suchen. Bei der langen Wanderung kam er einmal an ein Gewässer, und als er das entlangging, sah er einen kleinen Fisch in einer Pfütze zappeln. Als das Fischlein ihn bemerkte, fing es an zu bitten: »Sei mir ein Bundesbruder! Wirf mich ins Wasser; ich werde dir einmal sehr nützlich sein; nimm nur eine Schuppe von mir, und wenn du mich brauchst, reibe sie nur ein wenig.« Der Zarensohn hob das Fischlein auf, entnahm ihm eine Schuppe, warf es ins Wasser und wickelte die Schuppe in ein Tuch. Nach einiger Zeit traf er auf seiner Wanderung einen Fuchs, der sich in einem Fangeisen gefangen hatte. Als er ihn bemerkte, rief er ihn an: »Sei mein Bundesbruder! Mache mich aus dem Eisen los, ich werde dir irgendeinmal von Nutzen sein; nimm nur ein Haar von mir, und wenn du mich brauchst, reibe es nur ein wenig.« Da nahm er von ihm ein Haar und machte ihn los. Als er nun wieder weiterzog, über ein Gebirge, fand er dort einen Wolf, der sich in einem Eisen gefangen hatte. Auch der Wolf rief ihn an: »Sei ein Bundesbruder ! Mach mich los, ich werde dir in der Not beistehen; nimm nur ein Haar von mir, und wenn du mich brauchst, reibe es nur ein wenig.«Da nahm er auch von dem Wolf ein Haar und machte ihn los.

Als er wieder lange gewandert war, begegnete er einem Menschen, den fragte er: »Ich bitte dich um Gottes willen, Bruder! Hast du von irgendwem gehört, wo der Palast des Drachenzaren ist?«Der Mann wies ihm freundlich den Weg und gab ihm auch die Zeit an, die er bis dahin brauche. Da dankte ihm der Zarensohn, ging vorwärts und kam endlich in die Drachenstadt. Als er dort in den Palast des Drachen trat, fand er seine Gattin, beide freuten sich sehr über ihr Wiederfinden und fingen



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gleich an zu beraten, was jetzt zu machen sei und wie sie sich retten könnten. Endlich beschlossen sie zu fliehen, stiegen zu Pferde und nun so schnell wie möglich fort. Als sie eben aus dem Palast entwichen waren, kam der Drache auf seinem Pferde angeritten und trat in den Hof, aber die Zarin war fort. Da fragte er sein Pferd: »Was machen wir jetzt? Essen und trinken wir oder verfolgen wir sie?« Das Pferd antwortete: »Iß und trink! Wir werden sie einholen, sei ohne Sorge.«

Als der Drache sein Mittagessen verzehrt hatte, stieg er zu Pferde und ritt ihnen nach, und nach kurzer Zeit hatte er sie eingeholt, nahm die Zarin dem Zarensohn weg und sagte zu ihm: »Geh mit Gott; diesmal verzeihe ich dir, weil du mir in dem Keller Wasser gegeben hast, aber komm nicht wieder, wenn dir dein Leben lieb ist.«Der arme Zarensohn ging ein Stück Wegs, aber er konnte seine Sehnsucht nicht bändigen, ging doch zurück und kam am nächsten Tage in den Drachenpalast, dort fand er die Zarin sitzen und weinen. Da sie so von neuem zusammen waren, berieten sie wieder, wie sie entfliehen könnten, und der Zarensohn sagte ihr: »Wenn der Drache kommt, frage ihn, wo er sein Pferd her hat; das sagst du mir dann, und ich will ebenso eins suchen; vielleicht können wir so fliehen.« Damit verließ er den Palast. Als nun der Drache nach Hause kam, fing sie an, ihm zu schmeicheln und schön zu tun und sich mit ihm von allerlei Dingen zu unterhalten; endlich sagte sie: »Aber du hast ein schnelles Pferd. Wo hast du das her? Gott soll dir helfen!«Darauf antwortete er: »Ja, wo ich das her habe, da kann es nicht jeder kriegen. Auf dem und dem Gebirge lebt eine alte Frau, die hat zwölf Pferde an der Krippe, man weiß nicht, welches das schönste ist. Aber in einer Ecke ist noch ein Pferd, das sieht aus, als wäre es räudig, ist aber das allerbeste; es ist der Bruder von meinem; wer das bekommt, kann damit zum Himmel hinauf. Aber wer das Pferd von der Alten haben will, muß drei Tage bei ihr dienen; sie hat eine Stute mit Füllen, die muß er drei Nächte hüten, und wer die drei Nächte Stute und Füllen bei sich behalten hat, der kann sich ein Pferd aussuchen, welches er will. Aber wer sich bei der Alten verdingt und hat Stute und Füllen nicht hüten können, der verliert den Kopf.«

Am nächsten Tage verließ der Drache das Haus, der Zarensohn kam, und das Mädchen erzählte ihm alles, was sie von dem Drachen gehört hatte. Da ging er auf das Gebirge zu der Alten und rief sie an: »Gott helf, alte Mutter!« Sie grüßte ihn ebenso: »Gott helf dir, mein Sohn! Was gibt's Gutes?« Er antwortete: »Ich möchte gern bei dir dienen.«



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Darauf sagte sie: »Gut, mein Sohn! Wenn du mir drei Tage die Stute gut hütest, gebe ich dir ein Pferd, welches du willst; wenn nicht, nehme ich deinen Kopf.« Darauf führte sie ihn mitten in den Hof, um den herum war Pfahl an Pfahl und auf jedem ein Menschenkopf, nur auf einem nicht, und der rief in einem fort: »Alte, gib einen Kopf.« Das zeigte ihm die Alte alles und sagte: »Siehst du, die sind alle bei mir in Dienst gewesen und haben die Stute nicht erhüten können.« Der Zarensohn aber hatte davor keine Angst, sondern trat bei der Alten in Dienst. Am Abend bestieg er die Stute, ritt ins Feld, und das Füllen lief hinter der Stute her. Er blieb nun in einem fort auf der Stute sitzen, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief ein, und als er erwachte, saß er rittlings auf einem Holzklotz mit dem Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen, und während er so suchte, traf er auf ein Wasser. Da fiel ihm das Fischlein ein, das er aus der Pfütze ins Wasser geworfen hatte; er nahm dessen Schuppe aus dem Tuch, rieb sie ein wenig zwischen den Fingern, und auf einmal erschien das Fischlein aus dem Wasser: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen, und ich weiß nicht, wo sie ist.« Da sagte der Fisch: »Sie ist hier bei uns, hat sich in einen Fisch verwandelt und das Füllen in einen jungen Fisch; doch schlage mit dem Halfter auf das Wasser und rufe: Halt, Stute der Alten!«

Das tat er, und die Stute wurde sogleich, was sie gewesen war, und kam mit dem Füllen heraus ans Ufer. Darauf legte er ihr den Halfter an, stieg auf und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort gab ihm die Alte zu essen, brachte die Stute in den Stall, und nun immer mit der Ofenkrücke auf sie los: »Unter die Fische, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich bin bei den Fischen gewesen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.« Da rief die Alte wieder: »Nun denn, unter die Füchse!«

Als es Nacht wurde, bestieg er die Stute und ritt ins Feld, und das Füllen lief hinterher. So saß er in einem fort auf der Stute, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief ein, und als er aus dem Schlafe auffuhr, saß er rittlings auf einem Klotz und hatte den Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen. Aber da fiel ihm gleich ein, was die Alte zu der Stute gesagt hatte, er nahm das Fuchshaar aus dem Tuche, rieb es, und die Füchsin stand auf einmal vor ihm: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen,



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und ich weiß nicht, wo sie ist.«Darauf sagte die Füchsin: »Sie ist hier bei uns, hat sich in eine Füchsin verwandelt und die Stute in einen jungen Fuchs; doch schlage mit dem Halfter auf die Erde und rufe: Halt, Stute der Alten!« Das tat er, und die Stute wurde wieder, wie sie gewesen war, und stand auf einmal mit dem Füllen vor ihm. Da legte er ihr den Halfter an und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort brachte die Alte ihm das Essen, führte gleich die Stute in den Stall und nun mit der Ofenkrücke auf sie los, dabei rief sie: »Unter die Füchse, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich war bei den Füchsen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.« Darauf wieder die Alte: »Nun denn, unter die Wölfe!«

Als es Abend wurde, bestieg der Zarensohn wieder die Stute und ritt fort ins Feld, das Füllen hinterdrein. So saß er in einem fort auf der Stute, aber um Mitternacht wurde er schläfrig und schlief auf der Stute ein, und als er aus dem Schlafe auffuhr, saß er rittlings auf einem Klotz und hielt den Halfter in der Hand. Da erschrak er sehr, sprang auf und ging die Stute suchen; aber sofort fiel ihm ein, was die Alte zu der Stute gesagt hatte; er nahm das Wolfshaar aus dem Tuch, rieb es, und auf einmal erschien der Wolf vor ihm: »Was ist, Bundesbruder?« Er antwortete: »Die Stute der Alten ist mir weggelaufen, und ich weiß nicht, wo sie ist.« Darauf sagte der Wolf: »Sie ist hier bei uns, hat sich in eine Wölfin verwandelt und das Füllen in einen jungen Wolf; doch schlage mit dem Halfter auf die Erde und rufe: Halt, Stute der Alten!« das tat er, die Stute wurde wieder, wie sie gewesen war, und stand auf einmal mit dem Füllen vor ihm. Er legte ihr den Halfter an und ritt nach Hause, das Füllen hinter der Stute her. Dort brachte ihm die Alte das Essen, führte die Stute in den Stall und nun immer mit der Ofenkrücke auf sie los: »Unter die Wölfe, du Aas!« Die Stute aber antwortete: »Ich bin bei den Wölfen gewesen, aber die sind seine Freunde und haben mich verraten.«Darauf ging die Alte hinaus, und der Zarensohn sagte zu ihr: »Nun Alte, ich habe dir redlich gedient, jetzt gib mir, was wir ausgemacht haben.«Sie antwortete: »Ja, mein Sohn, was ausgemacht ist, soll gelten. Wähle dir da von den zwölf Pferden aus, welches du willst.« Er aber sagte: »Ja, was soll ich da viel wählen, gib mir das da in der Ecke, das räudige, die schönen sind nicht für mich.« Da versuchte die Alte, ihn davon abzubringen: »Was willst du dir das räudige da nehmen, wo so viele schöne Pferde da sind?« Er aber blieb bei seinem Willen. Da konnte die Alte nicht anders und gab ihm das räudige Pferd; er verabschiedete



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sich dann von ihr und führte das Pferd am Halfter fort, brachte es in einen Wald, rieb es ab und putzte es, und das Pferd wurde glänzend, als hätte es ein goldnes Fell. Dann stieg er auf, ließ es galoppieren, und es flog davon wie ein Vogel; nach kurzer Zeit brachte es ihn zu dem Drachenpalast.

Der Zarensohn ging hinein und sagte zu der Zarin: »Mach dich fertig, so schnell wie möglich.« Das tat sie, dann bestiegen sie beide das Pferd, und nun mit Gott auf die Reise! Bald darauf kam der Drache, sah, daß die Zarin fort war, und sagte zu seinem Pferde: »Was machen wir jetzt? Essen und trinken wir oder verfolgen wir sie?« Darauf antwortete das Pferd: »Iß oder nicht, trink oder nicht, verfolge oder nicht; einholen wirst du sie nicht.« Als das der Drache hörte, stieg er sofort zu Pferde, und nun hinter ihnen her. Als die beiden so den Drachen hinter sich hersprengen sahen, erschraken sie und trieben das Pferd zu schnellerem Lauf an, das Pferd aber sagte: »Habt keine Angst, wir brauchen nicht zulaufen.«Auf einmal, als der Drache schon daran war, sie einzuholen, rief sein Pferd dem Pferd des Zarensohnes und der Zarin zu: »Um Gottes willen, Bruder, warte auf mich, ich komme um bei dem Nachrennen.« Das aber antwortete ihm: »Was bist du dumm, daß du das Scheusal trägst; bäume dich und schleudre es ab auf den Felsen, und dann fort mit mir!« Als das Drachenpferd das hörte, schüttelte es sich mit dem ganzen Körper, bäumte sich und warf den Drachen ab auf den Fels; der Drache aber barst ganz in Stücke, und sein Pferd gesellte sich zu ihnen. Das bestieg nun die Zarin, und so kamen sie glücklich in deren Reich und herrschten dort bis an ihr Lebensende.


Copyright: arpa, 2015.

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