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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Wem Gott hilft, dem kann niemand schaden

Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten drei Söhne. Der jüngste war der schönste und ein sehr guter Junge, und so hielten ihn die andern für einen Dummkopf. Alle drei waren schon ins Heiratsalter gekommen, der Vater wollte aber keinen verheiraten, weil er arm war. Da sagte der älteste zum Vater: »Vater, du mußt mich verheiraten.«Als das der zweite hörte, sagte auch der: »Auch mich, Vater, denn ich bin auch in dem Alter, zu heiraten.« Als das der jüngste hörte, sagte der auch: »Auch mich, Vater, denn ich bin auch in dem Alter zu heiraten.« Da war der Vater in Verlegenheit und beriet mit seiner Frau, was er tun sollte. Endlich kamen sie zum Entschluß, er rief seine Söhne zu sich und sagte ihnen: »Geht in irgendeine Stadt, nehmt dort einen Dienst für ein Tuch, und wer das schönste Tuch heimbringt, den werde ich



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verheiraten.«Danach gingen sie alle drei zusammen fort, aber die beiden ältesten legten sich unterwegs darauf, den jüngsten in einem fort zu verspotten und zu verlachen, und zuletzt jagten sie ihn fort, so daß er einen andern Weg einschlug, wobei er zu Gott betete, er möge ihm Glück geben. Bei seiner Wanderung kam er an ein Wasser. Auf dessen andrer Seite lag eine große Stadt und darin der Palast des Zaren. Dieser Zar war sehr böse und verworfen gewesen, war vor kurzem gestorben, und in seinem Palast war nur seine einzige Tochter zurückgeblieben. Um die hatten sich viele beworben, aber von allen Freiem, die in den Palast gekommen waren, war keiner am Leben geblieben, denn der Zar hatte sich in einen Vampir verwandelt, war nachts gekommen und hatte sie erwürgt. Während nun der jüngste Bruder an dem Wasser hin und her ging und überlegte, wie er wohl auf die andre Seite kommen könne, sah die Zarentochter ihn aus dem Fenster und befahl ihren Dienern, ihn herbeizuholen und vor sie zu führen. Als er vor die Zarentochter trat, wurde er ein wenig verwirrt und ängstlich, sie aber, sowie sie ihn erblickte, versah sich in ihn und fragte ihn, woher er sei und wohin er wolle. Da sagte er ihr, woher er sei, und erzählte ihr alles der Reihe nach, daß er noch zwei Brüder habe, daß alle drei heiraten wollten, ihr Vater aber ein armer Mann sei und ihnen gesagt habe, jeder solle ein Tuch heimbringen, und wer das schönste bringe, den werde er verheiraten. Als das die Zarentochter hörte, sprach sie: »Du wirst heut abend hier bei mir bleiben und hier übernachten, am nächsten Morgen werden wir dann nach dem Tuch sehen.«Gegen Abend gab sie ihm schön zu essen und zu trinken, führte ihn dann in ein Zimmer, das war ganz grün, und sagte: »Hab keine Angst, in der Nacht wird etwas kommen und um dich herumpoltern, um dich zu erschrecken, aber du brauchst nichts zu befürchten.«Einfältig, wie er war, konnte er vor Verwunderung nicht einschlafen, sondern es war ihm immer ganz wunderlich, wohin er geraten sei. Aber plötzlich um Mitternacht erhob sich ein Gepolter und Geschrei: »Der ist gekommen, das Reich zu empfangen, dem können wir nichts anhaben.« Er betete dabei in einem fort zu Gott; so verging die Nacht, und er blieb frisch und gesund. Bei Tagesanbruch stand er auf und setzte sich hin; alle Hofleute dachten, sie müßten ihn tot aus dem Zimmer schleppen wie alle die andern Freier. Die Zarentochter aber schickte einen von den Hof leuten hin, nachzusehen, ob er am Leben sei, und wenn, ihn vor sie zu führen. Der Bote war verwundert, als er ihn im Zimmer sitzen fand, munter und gesund,



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und sagte zu ihm: »Komm, unsre Zarin läßt dich rufen.«Als er vor sie trat, wunderte sie sich selbst, wie er hatte am Leben bleiben können, gab ihm dann Frühstück und danach ein goldgesticktes seidenes Tuch in ein Papier gewickelt: »Das hier bringe deinem Vater, und wenn er dir noch was befiehlt, komm wieder hierher zu mir.« Da bedankte er sich bei ihr für Tuch und Nachtlager und ging nach Hause; dort waren auch die beiden andern Brüder schon angekommen. Darauf holte jeder sein Tuch heraus; die der beiden andern waren so, als er aber seins herauszog, erstaunten alle, und die Brüder sprangen auf ihn ein: »Woher hast du das? Das hast du wo gestohlen.« Zuletzt sagte der Vater, um sie zu beruhigen: »Wißt ihr was? Geht noch einmal in die Welt, und wer eine Kette heimbringt, die sich neunmal um unser Haus winden läßt, den werde ich verheiraten.«So beruhigten sich die Brüder, und die beiden ältesten gingen, wohin sie Lust hatten, der jüngste geradewegs zu der Zarentochter, und als er vor sie trat, fragte sie ihn: »Was hat dein Vater dir befohlen?« Er antwortete: »Ich soll eine Kette bringen, die sich neunmal um unser Haus winden läßt. Darauf gab sie ihm wieder schön zu essen und zu trinken, führte ihn in ein gelbes Zimmer und sagte: »Hab keine Angst, die Nacht wird wieder etwas kommen, dich zu erschrecken; aber morgen früh werden wir nach der Kette sehen.« So kamen auch diese Nacht die Gespenster und vollführten um ihn herum allerlei schreckliche Dinge, er aber blieb munter und gesund. Am andern Morgen kam wieder einer von den Hofleuten, ihn zu holen, und brachte ihn vor die Zarin; die gab ihm wieder Frühstück und dann eine kleine Schachtel: »Das hier bringe deinem Vater, aber öffne es ja nicht, ehe du zu Hause bist, und wenn dein Vater dir noch was befiehlt, komm wieder hierher zu mir.«Er bedankte sich schön bei ihr, ging nach Hause und fand seine Brüder schon dort. Die beiden älteren brachten je eine Kette, die nicht einmal um das Haus herumging. Darauf brachte der jüngste dem Vater die Schachtel, der öffnete sie und zog eine goldene Kette heraus; sie verwunderten sich darüber, und die älteren Brüder sprangen auf den jüngsten zu und wollten ihn beinahe totschlagen: »Du wirst unser Haus zugrunde richten, du hast das wo gestohlen.« Der Vater suchte wieder zum Frieden zu reden und sie zu beschwichtigen und sagte zuletzt: »Geht und bringt jeder ein Mädchen her, dann werde ich euch alle drei verheiraten.« Da gingen die beiden älteren Brüder, wohin sie Lust hatten, der jüngste geradewegs zu der Zarentochter und sagte ihr, was ihnen der Vater befohlen habe. Sie antwortete:



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»Jetzt brauchst du nur noch in einem Zimmer zu übernachten, dann werden wir nach dem andern sehen.«

Darauf gab sie ihm wieder zu essen und zu trinken und führte ihn in ein rotes Zimmer zum Übernachten. Dort hatte er in dieser Nacht noch größeren Schrecken zu erdulden als in den beiden früheren; es war dort ein furchtbares Poltern, Schreien, Kettenklirren und schreckliche Stimmen: »Der will mein Reich an sich nehmen.«Sie rissen ihm die Kleider vom Leibe, aber ihn selbst wagten sie nicht anzurühren; er betete in einem fort zu Gott, und Gott bewahrte ihn gesund auch in dieser Nacht. Am nächsten Morgen brachte man ihn frisch und gesund vor die Zarentochter, die ließ gleich Barbiere kommen, die ihn barbieren und waschen mußten, brachte dann Herrenkleider und ließ ihn umziehen; dann setzte sie sich mit ihm in eine Kutsche, fuhr zur Kirche und ließ sich mit ihm trauen.

Danach blieben sie in ihrem Palast noch drei Tage zur Hochzeitsfeier, dann machten sie sich auf zu seinem Vater und kamen gerade in der Nacht in dessen Dorfe an. Vor seinem Hause hörten sie Lärm darin und merkten, daß ein Fest sei. Die beiden Brüder verheirateten sich nämlich. Da rief er von draußen hinein: »He, Hausvater!« Der Vater hörte das, lief hinaus und verwunderte sich, solche Gäste vor seinem Hause zusehen. Darauf fragte der Sohn: »Können wir hier übernachten?«Der Vater antwortete ihm: »Gern, aber wir haben eine Hochzeit im Hause und nicht viele Stuben; da werden euch die gemeinen Leute die Ohren vollschreien und durch ihr Geschrei lästig sein.« Darauf erwiderte der Sohn: »Das macht nichts. Ich habe das gern und habe es noch nie gehört, und meine Frau hat es noch lieber.« So traten sie ein in die eine Stube, in der andern war das Fest. Bei ihrem Eintritt und als sie Platz nahmen, verbeugte sich seine Mutter vor ihnen wie vor Herrschaften, und er sagte zu ihr: »Heil dir, daß du zwei Hochzeiten auf einmal hast.« Sie aber antwortete: »Ach, meine Herrschaften! Eins ist mir ein Fest, andres ein Kummer; ich habe noch einen Sohn, der ist in die Welt gegangen und verloren, Gott weiß, wo er ist.« Danach ging der Sohn ein wenig hinaus, zog seine alten ärmlichen Kleider über das Herrengewand, drückte sich den Hut auf den Kopf, ging in das Zimmer, wo das Hochzeitsfest war und stellte sich an die Tür. Als die Brüder ihn gewahr wurden, riefen sie den Eltern zu: »Kommt her und seht euch euern gepriesenen Sohn an, der geht und stiehlt irgendwas.« Als darauf der Vater ihn bemerkte, rief er: »Unglücksmensch, wo bist du jetzt gewesen?



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Wo hast du dein Mädchen?«Die Mutter aber begann zu jammern: »Ach, ich Arme, warum tust du mir ein so tödliches Leid an?« Er aber antwortete: »Scheltet mich nicht so! Es wird, will's Gott, noch gut werden.« Darauf warf er die ärmlichen Kleider ab und stand vor ihnen in Herrengewändern; die Brüder aber, als sie ihn so sahen, erschraken sehr und baten ihn um Verzeihung, und Mutter und Vater umarmten und küßten ihn. Jetzt feierte man von neuem noch einige Tage Hochzeit, danach nahm der jüngste Sohn Vater und Mutter mit sich, den Brüdern gab er Lehnsgüter, und sie lebten von da an wie die Herren.


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