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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Teufelsblendwerk und Gottesmacht

Eines Morgens ging ein Zarensohn auf die Jagd. Als er durch den Schnee watete, bekam er Nasenbluten, bemerkte, wie das rote Blut auf dem weißen Schnee schön aussah, und dachte bei sich: >Wenn ich doch ein Mädchen heiraten könnte, das so weiß ist wie Schnee und so rot wie Blut.< In diesem Gedanken ging er weiter und begegnete einer alten Frau. Die fragte er, ob es solche Mädchen gäbe. Die Frau antwortete, weiter weg in dem Walde, da sei ein Haus ohne Tür und nur ein Fenster



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darin, durch das man ein und aus gehe. In dem Hause sei ein solches Mädchen. »Aber, mein Sohn«, sagte sie, »wer da hingeht, sie zu freien, keiner ist mehr wiedergekommen.« — »Bei Gott«, anwortete der Zarensohn, »wenn auch nicht, ich gehe; ist das hier der Weg?« Als die Alte das hörte, tat er ihr leid, sie griff in den Busen, zog ein Stück Brot heraus, gab es dem Zarensohn und sagte: »Nimm das Brot hier, aber hüte es wie deinen Augapfel!« Er nahm es und zog weiter, und bald begegnete er einer zweiten alten Frau. Sie fragte ihn, wohin, und er erzählte ihr, daß er ginge, das und das Mädchen zu freien. Die Alte suchte ihn davon abzubringen und sagte dasselbe wie die erste, er aber antwortete: »Bei Gott, Alte, ich gehe, wenn ich auch nicht wiederkommen sollte.« Da gab ihm die Alte eine Haselnuß und sprach: »Verwahre diese Nuß bei dir, sie wird dir von Nutzen sein.« Er nahm die Nuß und zog weiter, und wieder nach kurzer Zeit traf er eine dritte Alte am Wege sitzen, die fragte ihn auch, wohin, und er erzählte ihr, daß er ginge, das und das Mädchen zu freien. Da fing sie an zu weinen und ihn zu beschwören, er möge von dem Mädchen lassen, sagte ihm auch dasselbe wie die beiden ersten, er wollte aber nicht darauf hören. Da gab sie ihm eine Walnuß und sprach: »Nimm diese Nuß und verwahre sie, bis du sie nötig hast.« Er verwunderte sich über diese Geschenke und fragte die dritte Alte, was es bedeute, daß die erste ihm ein wenig Brot, die nächste eine Haselnuß und sie eine Walnuß gegeben hatte. Die Alte antwortete: »Wenn du da vors Haus kommst, wirf das Brot den Tieren vor, daß sie dich nicht fressen, und wenn du in der größten Not bist, befrage erst die Haselnuß, dann die Walnuß.« Danach zog der Zarensohn weiter, bis er in einen dichten Wald geriet, und dort erblickte er das Haus. Vor dem Hause sprang eine Menge allerlei Tiere auf ihn los. Er warf ihnen aber nach dem Rat der Alten das Stück Brot hin, und sobald sie daran gerochen hatten, legten sie sich auf den Bauch und zogen den Schwanz unter sich. Jetzt - das Haus hatte keine Tür und war hoch - konnte er nicht hinaufklettern, bis er auf einmal bemerkte, daß eine Frau ihr goldenes Haar zum Fenster hinaushängen ließ. Da sprang er hinzu, ergriff es und zog sich daran ins Haus. Und was sieht er? Es ist wirklich das Mädchen. Da wurden sie froh eins über das andre, das Mädchen aber sagte: »Gott sei Dank, daß du meine Mutter nicht zu Hause getroffen hast, sondern daß sie fort ist, um im Walde Kräuter zu suchen, mit denen sie die jungen Leute verzaubert und in Tiere verwandelt, wie sie es mit allen denen da gemacht hat, meinen



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Freiem, die dich beinahe zerrissen hätten, wenn Gott dir nicht beigestanden hätte. Aber nun laß uns fliehen.« Darauf flohen sie durch den Wald so schnell wie möglich. Aber als sie sich einmal umsahen, war des Mädchens Mutter hinter ihnen her. Sie erschraken sehr, denn die Alte war schon nahe bei ihnen. Aber in der Not fiel dem Zarensohn die Haselnuß ein. Er zog sie heraus und fragte: »Ach, um Gottes willen, was jetzt?«Die Nuß antwortete: »Offne mich!«Als er das tat, strömten reißende Flüsse aus der Nuß heraus und schnitten der Mutter den Weg ab. Die aber berührte mit ihrem Stabe das Wasser, das zerteilte sich, und sie wieder hinter ihnen her. Als sie nun sahen, daß sie ihnen wieder ganz nahe kam, zog der Zarensohn die Walnuß heraus und rief: »Sage, was jetzt!«

Die Nuß antwortete: »Zerschlage mich!« Und als er das tat, brach ein Feuer aus ihr hervor, daß fast der ganze Wald verbrannt wäre. Aber die Mutter des Mädchens spuckte in das Feuer, das erlosch im selben Augenblick, und sie immer wieder hinter ihnen her. Da erkannte der Zarensohn, daß es teuflisches Blendwerk sei, bekreuzigte sich nach Osten gewandt und rief zum allmächtigen Gott um Hilfe. Da fuhr ein Blitz aus dem Himmel und verbrannte die Mutter des Mädchens, unter ihr tat sich die Erde auf und verschlang ihre Gebeine. So entkam der Zarensohn mit dem Mädchen glücklich nach Hause, ließ es taufen und nahm es zur Frau. — Und Gott möge dir Freude geben!


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