Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Gutes wird mit Gutem vergolten

Es war einmal eine Mutter, die hatte auch einen Sohn; der Junge hatte aber keine Lust zu arbeiten. Er war zu faul. Die Mutter sagte ihm: »Aber Sohn, wenn du schon nichts anderes arbeitest, geh wenigstens mit dem Esel Holz holen.« Der Sohn aber antwortete: »Hol mir ihn doch, wenn du willst, daß ich nach Holz gehen soll.« Die Mutter holte ihm den Esel und sprach: »Da, ich habe dir den Esel geholt, nun geh also!« — »Setz mich auf den Esel, wenn du willst, daß ich nach Holz gehen soll!« sagte der Junge weiter. Da setzte sie ihn auf den Esel und sagte wieder: »Da, ich habe dich daraufgesetzt, mach vorwärts und geh!« Sie legte ihm auch noch das Beil auf den Esel und brachte ihn schließlich mit aller Mühe dazu, daß er ging.

Der Junge zog seines Weges, Holz zu holen. Nach einiger Zeit kam er ans Meer, da fiel ihm das Beil herunter. Er war zu faul, abzusteigen und es aufzunehmen, sondern blieb auf dem Esel sitzen und wartete. Da war aber ein Fisch aufs Trockene geraten und konnte nicht wieder ins Wasser kommen. Als der den Jungen sah, bat er ihn: »Du, Junge! Trag mich ins Meer, und was du willst, gebe ich dir.« — »Gib mir das Beil da«, antwortete der Junge, »wenn du willst, daß ich dich ins Wasser trage.«Der Fisch bewegte den Schwanz, hob den Stiel des Beils in die Höhe, so konnte der Junge es fassen, dann sagte er zu dem Fisch: »Was willst du mir nun geben, daß ich dich ins Meer trage?« »Was ich dir gebe?« antwortete der Fisch, »ich habe nichts, was ich dir geben kann, nur das kann ich machen: wenn du sagst: >Lengo und Sawe und das Meer<, dann wird dir alles zuteil, was du willst.«Da warf der Junge den Fisch ins Meer, der schwamm gleich fort, und der Junge blieb am Ufer stehen. Nun fing er an nachzudenken, was er tun und sich wünschen solle. Zuletzt fiel ihm ein, er wolle sagen, daß ihm ein Tisch mit Essen



Bd-01-019_Maerchen aus dem Balkan Flip arpa

hingestellt werden soll, und so sagte er: »Lengo und Sawe und das Meer! Es soll mir ein Tisch mit allerlei Speisen dastehen.«Und sogleich stand da der Tisch mit schönen Speisen vor ihm. Der Junge aß sich satt und ging dann ins Gebirge nach Holz. Wer sollte ihm aber nun das Holz sammeln? Er war zu faul dazu. Da sagte er wieder: »Lengo und Sawe und das Meer! Es soll mir Holz aufgelesen und auf den Esel geladen werden!«Sogleich war das Holz aufgelesen und dem Esel auf geladen. Der Junge ging mit dem Holz nach Hause.

Unterwegs kam er am Zarenschloß vorüber. Die Zarentochter stand am Fenster, der Bursche sah sie und sagte: »Lengo und Sawe und das Meer; dies Mädchen soll schwanger werden.« Da wurde sie gleich schwanger ohne Mann. Das Kind in ihrem Leibe wuchs und wuchs, und sie wunderte sich: »Wie ist denn das gekommen? Und was soll ich meinem Vater sagen, wenn er es merkt?« Die Zarentochter war nämlich sehr schön, und ihr Vater hatte sie im Palast eingeschlossen, daß sie mit keinem Mann verkehre. Endlich merkte der Vater, daß seine Tochter schwanger war, rief sie ganz allein zu sich und sprach: »Aber, Tochter! Was machst du mir da für Scham und Schande? Von wem hast du's? Wohin bist du gegangen, oder wer ist zu dir gekommen?« Das Mädchen war sehr erschrocken und antwortete mit Zittern: »Ich bin nirgends hingegangen, Vater, auch ist keiner zu mir gekommen, ich habe gar keinen Mann gesehen.«Ihr Vater aber glaubte ihr nicht, ließ sie in den Block spannen und ihr die Bastonade geben; sie aber blieb dabei: »Ich weiß nicht und weiß nicht!« Zuletzt sagte sie ihm: »Ein Bursche mit einer Last Holz kam am Schloß vorüber, sah mich am Fenster und murmelte etwas vor sich hin, und von der Zeit an fühlte ich, daß ich schwanger sei!« —»Wie kann es sein, daß eine vom bloßen Ansehen her schwanger wird?« erwiderte der Vater; er wollte und wollte ihr das nicht glauben, sie aber schwur, schlug sich an die Brust und sagte: »Wenn du willst, Vater, glaube mir; wenn nicht, nimm mein Leben - wirf mich ins Meer!« Da ließ der Zar den Burschen holen und fragte ihn, ob er das Mädchen zur Frau nehmen wolle. Der sagte ja, und der Zar gab sie ihm, setzte die beiden in ein Schiff, gab seiner Tochter einige Kränze Feigen und ließ das Schiff treiben.

Sie trieben nun lange auf dem Meere. Schließlich sagte die Zarentochter zu ihrem Mann: »Mann, sage doch, daß wir an Land kommen.« —»Gib mir eine Feige, wenn du willst, daß ich es sage«, antwortete der Mann. Sie gab ihm einen Kranz Feigen, und er sagte: »Lengo und Sawe und



Bd-01-020_Maerchen aus dem Balkan Flip arpa



Bd-01-021_Maerchen aus dem Balkan Flip arpa

das Meer! Wir wollen an Land.«Und sogleich waren sie am Lande und setzten sich am Ufer nieder. Wiederum sagte die Frau zu ihm: »Sag wieder etwas, daß sich hier ein Schloß aufbaue, in dem wir wohnen und leben können.«Der antwortete wieder: »Gib mir eine Feige, wenn du willst, daß ich es sage.« Da gab sie ihm noch einen Kranz Feigen, und er sagte wieder: »Lengo und Sawe und das Meer!«Sogleich stand ein Schloß da, schön, mit allem Nötigen, mit allen möglichen schönen Teppichen und allem Hausgerät. Sie gingen hinein und wohnten dort. Eines Tages gingen die Leute des Zaren auf die Jagd, und als sie auf dem Heimwege waren und das Schloß erblickten, gerieten sie in großes Erstaunen: bis gestern war nichts da, und wie war da nun ein so schönes Schloß entstanden? Sie erzählten dem Zaren von dem Schloß am Meeresufer, der wunderte sich auch und sagte gleich, er wolle gehen und es anschauen.

Als der Zar kam und es sah, ging er hinein, und die beiden, die da wohnten, seine Tochter und sein Schwiegersohn, empfingen ihn, wie es einem Zaren gebührt. Dann sagte der Schwiegersohn: »Lengo und Sawe und das Meer! Es sollen dem Zaren goldene Tische, goldenes Geschirr und kaiserliche Gerichte vorgesetzt werden.« Und sogleich erfüllte sich sein Wunsch. Die Zarentochter hatte sich bis dahin ihrem Vater noch nicht zu erkennen gegeben. Sie hatte ihn gleich, als er eintrat, erkannt, er sie aber nicht. Dann gab sie sich ihm zuerst kund, und er erkannte sie nun auch und fragte sie, wie sie zu einem solchen Palast gekommen wäre und zu so schönen Geräten und Speisen und all solchem Reichtum. Da erzählte sie ihm alles von Anfang bis zu Ende, was und wie es gewesen war. Der Zar nahm seinen Schwiegersohn, den ehemaligen Holzsammler, und seine Tochter mit sich und setzte ihn auf den Thron.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt