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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Das Glück kommt von Gott

Es waren einmal zwei Brüder, beide sehr reiche Leute. Als sie nun alle ihre Angelegenheiten in Ordnung hatten und nichts mehr brauchten, beschlossen sie zu erforschen, ob das Glück der Menschen von Gott kommt oder von Menschen. Eines Tages stritten sie sich darüber, der ältere meinte, das Glück komme von den Menschen, der jüngere aber, von Gott. Um nun zu erfahren, was richtig ist, begaben sie sich zusammen auf die Reise und nahmen viel Geld mit. Als sie so unterwegs waren, kamen sie in ein Dorf und fragten dort, wer der ärmste sei; den ließen sie zu sich rufen, und als sie sahen, daß es ein ganz armer Kerl war, der gar nichts hatte, gaben sie ihm zwanzig Goldstücke und sagten: »Nimm dies Geld, aber du darfst niemals sagen: Gott sei Dank! Und nun leb wohl!«

Darauf zogen sie weiter. Der arme Mann, der so viel Geld in seiner Hand sah, konnte sich gar nicht genug freuen und ging eilends nach Hause, um vor seiner Frau damit zu prahlen. Die aber, statt sich zu freuen, schalt ihn, er sei dumm gewesen, daß er fremdes Geld angenommen habe, denn wenn er es verbraucht habe, werde er es nicht zurückzahlen können, und so trieb sie ihn an, das Geld den Leuten wiederzugeben. Er hörte aber nicht auf sie, sondern ging auf den Markt, zu sehen, was da für Waren ausliegen, um etwas anzukaufen, damit zu handeln und Geld zu verdienen. Als er so in Gedanken dahinging, geriet er an eine Fleischerei, und weil er so lange arm gewesen war, dachte er: >Ich will wenigstens jetzt eine Leber nehmen und meine Kinder einmal Fleisch essen lassen.< Er kaufte die Leber und begab sich auf den Heimweg. Unterwegs aber bemerkte er, daß über seinem Kopfe ein Rabe flog, und überlegte sich, daß der ihm die Leber rauben wolle. Deshalb verbarg er sie unter seinem Gewand. Als er nun nahe bei seinem Hause war, flog der Rabe herab, riß ihm die Mütze vom Kopfe und verschwand. Inder Mütze aber hatte der Mann das Geld geborgen, und all sein Geschrei wollte nichts helfen. Damit nicht genug; als er nach Hause kam und seiner Frau erzählte, was ihm geschehen war, fing die an mit ihm zu schelten und zu zanken: so einer sei er, sie habe schon gewußt, daß er das Geld an Adler und Raben verschwenden wird. Zuletzt fingen sie vor Gram an zu weinen und dachten mit Sorgen daran, woher sie das Geld nehmen sollten, wenn es zurückgefordert würde.



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Ein Jahr war vergangen, da kamen die beiden Brüder wieder in das Dorf, um zu sehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht hatte, ließen ihn zu sich rufen und fragten ihn. Er erzählte ihnen sein Unglück, und sie gaben ihm drauf dreißig Goldstücke mit den Worten: »Nimm auch dies Geld, aber du darfst den Namen Gottes nicht nennen, und nun leb wohl.« Der Arme nahm das Geld mit nach Hause, sagte aber seiner Frau nichts, sondern verbarg es in einem Topf, wo sie Kleie aufzubewahren pflegten, und ging auf den Markt, um Waren zu suchen und damit Handel zu treiben.

Während er dort war, kam auf der Straße vor seinem Hause ein Apfelhändler vorbei, und die Kinder wollten durchaus Äpfel haben. Da die Mutter zum Kaufen kein Geld hatte, brachte sie die Kleie und nahm dafür Äpfel. Weil aber der Apfelhändler nichts bei sich hatte, wo er die Kleie hineintun konnte, gab er der Frau auch für den Topf einige Äpfel und ging so mit Kleie und Topf davon. Am Abend kam der Mann und ging gleich zu dem Topfe, fand aber nichts, fragte dann die Frau, und die sagte ihm, daß sie den Topf dem Apfelhändler für Äpfel gegeben habe. Da begann der Mann zu schreien und die Hände zu ringen, aber der Apfelhändler war nicht mehr da.

Ein Tag verging nach dem andern, und als wieder ein Jahr um war, kamen auch die beiden Brüder wieder, um zu sehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht habe. Der erzählte ihnen, wie es ihm damit ergangen war. Darauf gaben sie ihm zwei Bleikugeln, eine für ihn selbst, eine für seine Frau. Als er nun nach Hause kam und seiner Frau erzählte, was sie ihm gegeben hatte, warf die vor Ärger und Zorn darüber die Kugeln irgendwohin aufs Wandbrett.

Ihr Haus lag aber am Flußufer; dahin kamen einmal Fischer, denen die Bleikugeln vom Netze abgerissen waren, und sie fragten die Frau, ob sie kein Blei im Hause habe, dann möchte sie es ihnen geben, daß sie ihr Netz wieder instand setzen könnten. Die Frau erinnerte sich der beiden Kugeln, sie suchte sie und gab sie den Fischern. Als diese ihr Netz wieder in Ordnung hatten, versprachen sie ihr, das Netz in den Fluß zu werfen und ihr den ersten Fang, was es auch sei, für die Kugeln zu geben. Sie warfen das Netz aus, es fing sich nur ein einziger Fisch, den gaben sie der Frau und gingen davon. Am Abend schnitt die Frau den Fisch auf, wusch ihn aus und wollte ihn fürs Abendessen zubereiten, aber zu ihrer großen Verwunderung zog sie aus seinem Bauche ein Steinchen heraus, das leuchtete wie die Sonne. Sie wußte nicht, daß es



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ein sehr kostbarer Stein war und benutzte ihn als Lampe. Ihrem Hause gegenüber wohnte ein Jude; der bemerkte, daß das Haus die ganze Nacht über hell war, und wunderte sich, woher der Arme Geld für eine Lampe habe, da er doch kein Brot hatte und die Kinder tagelang hungerten. Zuletzt wollte er doch sehen, was an der Sache ist, besuchte eines Abends den Armen und erstaunte sehr, als er sah, daß das, was da leuchtete, ein Diamant war. Bald darauf wollte der Jude den Stein kaufen und sagte zu den Armen: »Fordere, was du willst, nur gib mir das Steinchen.« Der arme Mann, der nicht wußte, daß der Stein einen hohen Wert hatte, antwortete: »Gib, soviel du magst.« Der Jude gab ihm zehn Goldstücke. Der Arme dachte, daß der Jude Spaß mache, und sagte wieder: »Gib, soviel du magst.« Darauf bot der Jude zwanzig, fünfzig und zuletzt hundert Goldstücke. Da nun begriff der Arme, wie die Sache stand, und gab den Stein dem Juden nicht, sondern sagte, er wolle ihn zum Zaren bringen und dem zum Geschenk machen.

Das tat er und sagte dabei: »Zar, ich habe diesen Stein gefunden, und da ich erfahren habe, daß er sehr kostbar ist, habe ich mir überlegt, daß es nur dem Zaren zukommt, ihn zu besitzen; darum habe ich ihn hergebracht und mache ihn dir zum Geschenk.« Der Zar nahm den Stein an und fragte den Armen, was er sich als Gegengeschenk wünsche. Der aber wollte nichts. Zuletzt sagte ihm der Zar, er müsse etwas für den Stein nehmen, und der Arme antwortete, er sei mit allem zufrieden, was der Zar ihm geben wolle. Darauf fragte ihn der Zar, was und woher er sei, und schenkte ihm sein Heimatland, darin solle er sein wie ein zweiter Zar, die Abgaben für sich einziehen und tun, was ihm beliebt. Dann schickte er Leute dahin, die verkünden sollten, daß ein neuer Zar käme und sie diesem fortan gehorchen sollten.

Alles das hatte sich im Lauf eines Jahres ereignet. Der arme Mann war jetzt Zar über sein Heimatland. Die beiden Brüder, die jedes Jahr gekommen waren, um nachzusehen, was der Arme mit dem Gelde gemacht hatte, kamen auch dieses Jahr, um zu sehen, was er mit den Bleikugeln angefangen habe. Der Zar, der gerade am Fenster stand, sah die beiden kommen und ließ sie zu sich rufen. Sie wollten nicht gern gehen, konnten aber doch das Wort des Zaren nicht mißachten, sie gingen also, verneigten sich vor ihm und baten, ihnen zu sagen, weshalb er sie habe rufen lassen. Der Zar fragte sie, ob sie ihn nicht erkennten. Es kam ihnen nun gar nicht in den Sinn, daß jener arme Mann Zar geworden sei, und sie antworteten, daß sie ihn nicht kennten. Da gab er sich ihnen



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kund und sagte: »Ich bin jener Arme, dem ihr Geld gabt, um ihn reich zu machen ohne Gottes Willen, aber ihr habt nichts ausgerichtet. Als ihr mir die zwei Kugeln gabt, damit meine Frau und ich uns umbringen sollten, da hat Gott mich erhoben und zu dem gemacht, was ihr seht. Darum erwartet auch ihr alles von Gott.«

Da erkannte der ältere Bruder seine Sünde, bat um Vergebung und glaubte fortan, daß alles von Gott kommt und daß ohne Gottes Willen nichts ist.


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