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Märchen vom Balkan und den Mittelmeerinseln


Illustrationen von Eva Raupp Schliemann

Märchen europäischer Völker


Wie Adam die Tiere mit Namen benannte

Als Gottvater den Adam geschaffen und ihm den Namen Mensch verliehen hatte, schuf er auch alle Tiere, die es auf Erden gibt, groß und klein, aber Namen gab er ihnen nicht, sondern wollte hören, wie Adam die Tiere benennen werde. Gott selber wußte wohl um die Namen aller Tiere, aber er erwies dem Vater Adam die Ehre und brachte alle Tiere vor ihn, daß er einem jeglichen den Namen gäbe. »Sohn Adam«, sprach



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Gott, »ich gebe dir etwas zu tun mit den Tieren da, die ich geschaffen habe; ich trage dir auf, ihnen Namen zu geben, denn alle Tiere sollen dir dienen, und darum mußt du auch jedes Tier bei Namen rufen können.« Nach Gottes Befehl traten nun alle Tiere vor Adam, verneigten sich vor ihm wie vor ihrem Zaren, und Adam gab einem jeden seinen Namen. Als derart alle Tiere beim Vater Adam vorbeimarschiert waren, ordneten sie sich, verneigten sich abermals vor ihm und gingen jedes an die Arbeit, wie Gott sie ihm verordnet hatte.

Adam richtete sich auf und sprach zu den Obersten der Tiere: »Hört mich an, ihr Obersten, ich befehle euch, darauf bedacht zu sein, jeder für seine Untergebenen, daß jedes Tier ein Handwerk lernt und darin seine Arbeit findet; eins mag singen, eins pfeifen, eins mit den Flügeln rauschen, andre mit Armen und Beinen etwas verrichten. Mit einem Wort, jedes soll lernen, was es kann, aber irgend etwas muß es verstehen: mag es das niedrigste Handwerk sein, lernen muß es. Nach vierzig Tagen erwarte ich euch hier an dieser Stelle, daß jedes Tier seine Kunst vor mir zeige. Und ihr Untergebenen, habt ihr gehört, was ich euren Obersten befohlen habe? Jedes von euch soll gehorsam das Handwerk lernen, das sein Oberster lehren wird. Wer nicht bis zum vierzigsten Tage irgendeine Kunst gelernt hat, soll wissen, daß er dann vor der ganzen Versammlung beschämt werden soll, weil er nichts gelernt hat.«

Drauf gingen die Tiere fort, und jeder Oberste bemühte sich, seine Untergebenen irgendein Handwerk zu lehren. Nachdem neununddreißig Tage vergangen waren, fingen sie an, die Tiere herbeizurufen und in Herden zu versammeln, jede Art gesondert, um zum Vater Adam zu gehen und das Handwerk zu zeigen, das jedes Tier von seinem Obersten gelernt hatte.

Der Oberste der Störche allein hatte vergessen, seine Störche irgend etwas zu lehren, aber zum Glück für die Störche hatte er davon gehört, wie man die anderen Tiere zusammenrief, daß sie zum Vater Adam gehen und zeigen sollten, was sie in den vierzig Tagen gelernt hatten. >Daß Gott erbarm<, dachte er bei sich, als er merkte, daß er Adams Befehl vergessen hatte, >ich esse da immer Frösche und Schlangen und vergesse, meine Störche ein Handwerk zu lehren; das ist ja eine schöne Geschichte! Wie wird das vor Vater Adam ausgehen? Ich werde da mit Schanden bedeckt!< In solchen Gedanken flog er zu seinem Nest und überlegte, wie er es anfangen solle, noch eine Kunst zu erlernen und



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seine Störche zu lehren, daß er sich vorm Vater Adam nicht zu schämen brauche.

Zu der Zeit spazierte der Specht von Baum zu Baum und klopfte an die Bäume, damit die Ameisen herauskämen und er sie verzehren könne. Er wollte auch mit den Seinen zum Vater Adam und dies sein Handwerk vorführen.

Während nun der Storch nachdenklich dastand, hörte er das Klopfen des Spechts: tak, tak, tak!, und versuchte gleich, mit seinem Schnabel das Klopfen nachzumachen, aber so wie der Specht brachte er's nicht heraus, denn er vernahm nur, wie dessen Klopfen von einem nahen Berge widerhallte, und statt tak, tak hörte er klak, klak. Dies Geklapper versuchte er mehrmals, lernte es, versammelte sofort die Störche und lehrte sie klappern, wie er es selber konnte, und am nächsten Morgen machten sie sich auf zum Vater Adam, ihre Kunst zu zeigen.

Am vierzigsten Tage waren alle Tiere bei Vater Adam versammelt, und als sie sich in Herden aufgestellt hatten, fragte er jeden, was er gelernt habe. Da fingen alle nach der Reihe an ihre Kunst zu zeigen. Zuerst brüllte der Löwe mächtig, so daß alle Tiere erschraken. Da verlieh ihm Adam, daß er Zar über alle Tiere sein solle. Als der Esel das sah, beneidete er den Löwen und brüllte ebenfalls aus Leibeskräften, aber kein Tier erschrak vor seinem Gebrüll, und Adam verlieh zwar dem Esel, daß er brüllen dürfe, aber so, daß niemand vor seinem Gebrüll und Geschrei erschrecke. Daher kommt es, daß der Esel immer brüllt, um die Tiere zu erschrecken, weil er meint, er sei genausogut wie der Löwe. Nach ihnen zeigten alle Tiere ihre Künste: einer singt, einer pfeift, einer kann mit den Flügeln, andere mit Armen und Beinen etwas ausrichten, und so zeigte jeder, was er konnte, zuletzt auch die Störche ihr Klappern. Die aber, die nichts gelernt hatten, verurteilte Vater Adam, für alle Zeit stumm zu sein. Und wirklich, so verblieben alle Tiere bei den Namen, wie Adam sie ihnen gegeben, und bei den Künsten, die er ihnen damals verliehen hatte, so daß von dann an bis heute und in alle Ewigkeit einige singen und auf die Weise miteinander reden und sich untereinander verstehen, andere aber stumm bleiben und sich nur durch Zeichen verständigen.


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