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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSEND UND EIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839 ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 1

IM INSEL-VERLAG


DES BARBIERS ERZÄHLUNG VON SEINEM FÜNFTEN BRUDER

Was nun meinen fünften Bruder angeht, den, dem beide Ohren abgeschnitten wurden, o Beherrscher der Gläubigen, so war er ein armer Mann, der sich abends von den Leuten zu erbetteln pflegte, wovon er tagsüber lebte. Als nun unser hochbetagter Vater, nachdem er uralt geworden war, krank wurde und starb, da hinterließ er uns siebenhundert Dirhems, und ein



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jeder von uns erhielt hundert Dirhems; doch als mein fünfter Bruder seinen Anteil empfing, da war er ratlos und wußte nicht, was er damit beginnen sollte. Und in dieser Verfassung kam ihm der Gedanke, für das Geld Glaswaren aller Art zu kaufen und daran zu verdienen. So kaufte er denn für die hundert Dirhems Glas, stellte es auf eine große Platte und setzte sich an einem Platze nieder, um es zu verkaufen; daneben befand sich eine Mauer, an die er sich lehnte. Wie er dort so in Gedanken dasaß, sagte er zu sich selber: ,Siehe, mein Kapital in diesen Glaswaren beträgt hundert Dirhems. Die werde ich für zweihundert Dirhems verkaufen. Dann werde ich für zweihundert Dirhems Glaswaren einkaufen und sie wieder für vierhundert Dirhems verkaufen. So werde ich immer weiter verkaufen und kaufen, bis ich ganz viel Geld habe. Dafür werde ich dann alle möglichen Waren einkaufen, auch Edelsteine und Rosenöl, und damit noch viel mehr Geld gewinnen. Dann aber kaufe ich mir ein schönes Haus und weiße Sklaven und Pferde mit goldenen Sätteln; und ich will essen und trinken und keinen Sänger und keine Sängerin in der Stadt übriglassen, sondern alle in meinen Palast entbieten. Dann habe ich, so Allah will, wohl ein Kapital von hunderttausend Dirhems!' All dies überdachte er in seinem Geiste, derweilen die Platte mit dem Glase vor ihm stand. Und weiter sprach er bei sich: ,Und wenn mein Kapital auf hunderttausend Dinare gestiegen ist, so will ich Brautwerberinnen entsenden, um die Töchter von Königen und Wesiren für mich zu Frauen zu begehren. Ich will um die Tochter des Wesirs freien; denn es ist mir berichtet worden, daß sie von vollendeter Schönheit und herrlicher Anmut ist. Als Brautgeschenk will ich ihr tausend Dinare geben; und wenn ihr Vater bereit ist, gut; doch wenn nicht, so nehme ich sie mir mit Gewalt, ihm zum Trotz. Und wenn sie dann in



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meinem Hause ist, dann will ich zehn kleine Eunuchen kaufen und für mich ein Gewand, wie es Könige und Sultane tragen; und ich will mir einen goldenen Sattel machen lassen, der mit kostbaren Edelsteinen besetzt ist. Dann besteige ich mein Roß, und von meinen Mamluken begleitet, die vor mir, zu meinen beiden Seiten und hinter mir laufen, reite ich dahin durch die Stadt, während das Volk mich grüßt und segnet; darauf trete ich ein zu dem Wesir, der des Mädchens Vater ist, vor mir und hinter mir und zu meiner Rechten und Linken umgeben von den weißen Sklaven. Und wenn er mich sieht, so erhebt der Wesir sich vor mir, läßt mich auf seinem Platze sitzen und setzt sich selber tiefer als ich, weil ich sein Eidam werden soll. Nun aber habe ich bei mir zwei Eunuchen, die tragen Beutel, und jeder enthält tausend Dinare; und von ihnen gebe ich ihm die einen tausend als Morgengabe für seine Tochter, und die anderen tausend mache ich ihm freiwillig zum Geschenk, damit er erkenne, daß ich großmütig und freigebig und von hohem Geiste bin und daß weltliches Gut in meinen Augen nichts bedeutet. Und auf zehn Worte, die er an mich richtet, gebe ich ihm nur zwei zur Antwort. Dann kehre ich zurück in mein Haus, und wenn dann jemand im Auftrag der Braut zu mir kommt, so gebe ich ihm ein Geldgeschenk und werfe ihm ein Ehrengewand über die Schulter; doch wenn er mir eine Gabe bringt, so gebe ich sie ihm zurück und weigere mich, sie von ihm anzunehmen, damit man erfahre, daß ich eine stolze Seele habe und daß ich mich nur mit dem mir gebührenden Platze zufrieden gebe. Dann gebe ich ihnen Anweisung, mich herrlich zu schmücken; und wenn sie das getan haben, befehle ich ihnen, die Braut im Hochzeitszug herzuführen, und ich lasse mein Haus strahlend schmücken. Und wenn dann die Zeitder Brautschmückung gekommen ist, lege ich meine prächtigsten Kleider



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an, und dann sitze ich da in einem Gewande aus Goldbrokat, zurückgelehnt, und blicke weder nach rechts noch nach links, in der Hoheit meines Geistes und der Würde meines Verstandes. Da, vor mir, steht meine Gemahlin in ihren Gewändern und ihrem Schmuck, lieblich wie der volle Mond; und ich werfe auf sie nur einen Blick voll Stolz und Erhabenheit, bis alle, die zugegen sind, mir sagen: ,O Herr, deine Gemahlin und Sklavin steht vor dir; gewähre ihr einen Blick, denn es ermüdet sie, so dazustehen.' Dann küssen sie den Boden vor mir, viele Male; ich aber hebe die Augen auf und werfe einen einzigen Blick auf sie und wende das Antlitz wieder zur Erde. Und sie führen sie fort in das Brautgemach, und ich stehe auf und vertausche mein Kleid mit einem weit schöneren Gewand; und wenn sie die Braut zum zweiten Mal bringen, so geruhe ich nicht, ihr einen Blick zu gönnen, bis sie mich viele Male bitten; und dann sehe ich sie an und senke den Blick von neuem. Und so tue ich jedesmal, bis die Brautschmückung vorüber ist.' — — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 33. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß des Barbiers fünfter Bruder also sprach: ,Und ich senke den Kopf, und so tue ich jedesmal, bis die Brautschmückung vorüber ist. Und dann befehle ich einem meiner Eunuchen, mir einen Beutel mit fünfhundert Dinaren zu bringen; und wenn er ihn gebracht hat, gebe ich ihn den Kammerfrauen und befehle ihnen, mich ins Brautgemach zu führen. Sobald sie mich mit ihr allein gelassen haben, werfe ich keinen Blick auf sie, noch spreche ich zu ihr ein Wort, um meine Geringschätzung zu zeigen, damit es von mir heiße, daß ich eine stolze Seele habe. Und ihre Mutter kommt, küßt mir den Kopf und die Hand und spricht zu mir: ,Mein Gebieter,



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sieh deine Sklavin an, die sich danach sehnt, dir zu nahen; so heile ihr das gebrochene Herz!' Ich aber gebe ihr keine Antwort; und wenn sie das sieht, so küßt sie mir die Füße viele Male und sagt: ,Mein Gebieter, siehe, meine Tochter ist ein schönes Mädchen, und sie hat noch keinen Mann gekannt; und wenn sie bei dir diese Abneigung findet, so bricht ihr das Herz; also neige dich ihr zu und sprich zu ihr!' Dann geht sie hin und holt für mich einen Becher Weines; den nimmt ihre Tochter entgegen. Aber wenn sie mir naht, so lasse ich sie vor mir stehen, während ich mich auf einem goldgestickten Kissen lässig zurückiehne, ohne sie anzusehen, in der Hoheit meines Geistes, sodaß sie mich wahrlich für einen großmächtigen Sultan hält. Dann spricht sie zu mir: ,Mein Gebieter, um Allahs willen, verweigere nicht, den Becher aus der Hand deiner Sklavin zunehmen, denn siehe, ich bin deine Magd.' Ich aber spreche nicht zu ihr, und sie bittet mich inständig, ihn doch wirklich zu trinken; und sie hält ihn mir an die Lippen. Ich aber schüttele ihr die Faust vorm Gesicht und stoße sie mit dem Fuß und mache so!' Da stieß er mit dem Fuße, und -das Glas mitsamt der Platte, die auf einer Erhöhung lag, fiel zu Boden, und alles, was darauf war, zerbrach in Scherben. Und mein Bruder schrie: ,Das kommt alles von meinem Hochmut!' Darauf, o Beherrscher der Gläubigen, schlug er sich ins Gesicht, zerriß seine Kleider, fang an zu weinen und prügelte sich. Und die Leute, die zum Freitagsgebet gingen, sahen ihn; und ein paar blickten ihn wohl an und hatten Mitleid, aber andere kümmerten sich nicht um ihn. Nun saß mein Bruder da in solcher Verfassung, sintemalen er Geld und Verdienst verloren hatte. Nachdem er eine Weile in einem fort geweint hatte, siehe, da kam eine schöne Dame, umgeben von vielen Dienern; sie ritt auf einem Maultier mit goldenem Sattel, Moschusduft strömte von ihr aus,



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und sie war auf dem Wege zum Freitagsgebet. Als sie die Glasscherben sah und meinen weinenden Bruder, regte sich Mitleid mit ihm in ihrem Herzen, und sie fragte, was ihm fehle. Da wurde ihr gesagt:, ,Der hat eine Platte voll Glas besessen, durch dessen Verkauf er sich seinen Unterhalt zu verdienen hoffte; aber jetzt ist es zerbrochen, und so kam er in die Verfassung, in der du ihn siehst.' Sie aber rief einen ihrer Diener und sagte zu ihm: ,Gib, was du bei dir hast, diesem armen Burschen!' Und er gab meinem Bruder einen Beutel, in dem sich fünfhundert Dinare befanden; wie der ihn in seiner Hand fühlte, starb er fast vor übergroßer Freude und rief allen Segen auf sie herab. Dann kehrte er in seine Wohnung zurück als wohlhabender Mann. Doch als er noch in Gedanken dasaß, klopfte es an die Tür. Er stand auf und öffnete und sah ein altes Weib, das er nicht kannte. ,Mein Sohn', sprach sie, ,wisse, die Zeit des Gebetes ist nahe, und ich habe die religiöse Waschung noch nicht vorgenommen; nun möchte ich, daß du mir deine Wohnung zur Verfügung stellst, damit ich die kleine Waschung vollziehen kann.' Mein Bruder antwortete: ,Ich höre und gehorche!' und er ging hinein und hieß sie folgen. So trat sie ein, und er brachte ihr eine Wasserkanne, damit sie sich waschen könne; er selber setzte sich, noch immer ganz außer sich vor Freuden über die Dinare. Dann knotete er sie in seinen Gürtel. Als er damit fertig war und die Alte ihre Waschung beendet hatte, kam sie zu der Stelle, an der er saß, betete zwei Rak'as' und fichte auf meinen Bruder schönen Segen herab; und indem er ihr dafür dankte, hob er die Hand zu den Dinaren und gab ihr zwei davon und sagte bei sich: ,Dies ist mein freiwilliges Almosen.' Als sie aber das Gold sah, rief sie aus: ,Ges. 1.



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lobt sei Allah! Weshalb siehst du Leute, die dich lieben, so an, als wären sie Bettler? Nimm dein Geld, ich brauche es nicht, tu es in deinen Gürtel zurück! Aber wenn du wünschest, mit der vereint zu sein, die dir das Geld gegeben hat, so kann ich dich mit ihr vereinen; denn sie ist meine Herrin.' ,O Mütterchen', fragte mein Bruder, ,wie kann ich zu ihr gelangen?' Und sie antwortete: ,Mein Sohn, sie hat eine Neigung zu dir gefaßt, doch sie ist das Weib eines reichen Mannes; nimm all dein Geld mit dir und folge mir, daß ich dich an das Ziel deiner Wünsche führe; und bist du mit ihr vereint, so wirst du, wenn du alle Liebenswürdigkeiten und schönen Worte ihr widmest, von ihren Reizen und ihren Schätzen alles erlangen, was du wünschest.' Mein Bruder nahm all das Gold, machte sich auf und folgte der Alten, ohne daran glauben zu können. Sie ging dahin, und mein Bruder folgte ihr, bis sie ein großes Tor erreichten, wo sie klopfte, und eine griechische Sklavin kam und tat ihnen auf. Die Alte trat ein und hieß meinen Bruder mit ihr eintreten; so trat er denn ein in ein großes Haus und darauf in ein großes Wohngemach, dessen Boden mit wunderbaren Teppichen belegt war und das mit Vorhängen ausgestattet war. Er setzte sich hin und legte das Gold vor sich und seinen Turban auf die Kniee. Doch ehe er sich dessen versah, trat eine junge Dame herein, so schön, wie sie noch nie jemand gesehen hatte, gekleidet in die prunkvollsten Gewänder; da stand mein Bruder auf, und als sie ihn erblickte, lächelte sie ihm zu, zeigte ihm ihre Freude und winkte ihm, sich zu setzen. Dann befahl sie die Tür zu schließen, und als das geschehen war, trat sie zu meinem Bruder und nahm ihn bei der Hand; sie gingen zusammen, bis sie zu einem abseits gelegenen Gemache kamen. Dort traten die beiden ein, und siehe, es war mit mancherlei Arten von goldgestickten Seidenteppichen ausgelegt.



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Er setzte sich hin, sie setzte sich neben ihn und scherzte eine Weile mit ihm; schließlich stand sie auf und sagte: ,Rühre dich nicht von deinem Sitz, bis ich zurück bin!' und verschwand. Und als er so dasaß, siehe, da trat ein schwarzer Sklave von riesenhafter Gestalt zu ihm ein, das gezogene Schwert in der Hand, und schrie: ,Heda, wer hat dich hierher gebracht, und was machst du hier?' Als mein Bruder den ansah, konnte er ihm keine Antwort geben, denn er war vor Schrecken sprachlos; da packte ihn der Mohr, zog ihm die Kleider aus und schlug ihn immerfort mit der flachen Klinge seines Schwertes, bis er, ohnmächtig vor Schmerzen, zu Boden fiel. Als der elende Neger meinte, es sei mit ihm zu Ende, hörte mein Bruder ihn rufen: ,Wo ist das Salzweib?' Da trat zu ihm eine Sklavin, die in der Hand eine große Platte mit vielem Salze hatte; und der Mohr rieb es in einem fort in die Wunden meines Bruders, der sich jedoch nicht rührte aus Furcht, der Sklave könnte merken, daß er noch lebendig war, und ihm dann völlig den Garaus machen. Das Salzmädchen ging, und der Neger rief: ,Wo ist das Kellerweib?' Da kam die Alte zu meinem Bruder, schleppte ihn an den Füßen in einen Keller und warf ihn auf einen Haufen von Ermordeten. Hier lag er auf derselben Stelle zwei volle Tage lang; aber Allah machte das Salz zu einem Mittel, ihm das Leben zu erhalten, da es das Blut stillte. Als mein Bruder sich dann imstande fühlte, sich wieder zu rühren, machte er sich auf aus dem Keller, öffnete furchtsam die Luke und kroch ins Freie hinaus; und Allah schützte ihn, so daß er im Dunkeln vorwärts kam und sich bis zum Morgen in der Halle verbergen konnte. Bei Tagesanbruch zog jene verfluchte Alte aus auf die Suche nach neuer Jagdbeute. Er folgte ihren Spuren, ohne daß sie es merkte, und ging in seine Wohnung, wo er seine Wunden verband und sich pflegte, bis er gesund war. Derweilen



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aber beobachtete er die Alte und sah ihr zu allen Tageszeiten zu, wie sie einen Mann nach dem andern mit sich nahm und in jenes Haus führte, ohne daß er ein Wort darüber sagte. Dann, als er wieder gesund und kräftig war, nahm er ein Stück Stoff und machte daraus einen Sack, füllte um mit Glasscherben und band ihn sich an den Gürtel. Und er gab sich ein fremdes Aussehen, so daß ihn niemand erkennen konnte, zog persische Kleidung an, nahm ein Schwert und verbarg es unter seinen Gewändern. Als er die Alte sah, sagte er zu ihr mit persischer Aussprache: ,Alte, ich bin ein Fremder und heute erst in dieser Stadt angekommen, und ich kenne niemanden. Hast du eine Waage, auf der ich neunhundert Dinare wägen kann? Ich werde dir ein paar davon geben.' ,Ich habe einen Sohn', erwiderte die Alte, ,einen Wechsler, der jede Art von Waagen besitzt; komm mit mir, ehe er seinen Laden verläßt, und er wird dir dein Gold abwägen.' Mein Bruder bat: ,Führe mich!' Da schritt sie aus, mein Bruder hinter ihr her, bis sie zu der Tür kam; sie klopfte an, und die junge Dame kam selber und machte die Tür auf. Dabei lächelte ihr die Alte zu und sagte: ,Ich bringe euch heute fettes Fleisch.' Die Dame aber nahm meinen Bruder bei der Hand und führte ihn in das gleiche Zimmer wie zuvor; sie saß eine Weile bei ihm, dann stand sie auf und sagte zu ihm: ,Rühre dich nicht, bis ich zurück bin.' Und sie ging fort, aber ehe mein Bruder sich dessen versah, stand plötzlich der verfluchte Neger mit dem gezogenen Schwert da und schrie ihn an: ,Steh auf, Unseliger!' Er stand auf; und als der Sklave vor ihm herging, ergriff er mit der Hand das Schwert, das unter seinen Kleidern versteckt war, und schlug dem Sklaven den Kopf vom Rumpfe. Und er schleppte ihn an den Füßen in den Keller und rief: ,Wo ist das Salzweib?' Da kam die Sklavin mit der Platte und dem Salz;



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und als sie meinen Bruder mit dem Schwert in der Hand erblickte, machte sie kehrt, um zu fliehen; er aber folgte ihr und schlug ihr den Kopf ab. Dann rief er laut: ,Wo ist das Kellerweib?' Da kam die Alte, und er rief ihr zu: ,Kennst du mich wieder, du Unglücksvettel?' ,Nein, mein Gebieter', erwiderte sie; und er sprach zu ihr: ,Ich bin der Mann mit den Dinaren, in dessen Haus du warst und die Waschung vollzogst und betetest und den du hierher gelockt hast.' ,Fürchte Allah und verschone mich!' rief sie; er aber kümmerte sich nicht um sie, sondern hieb auf sie ein, bis er sie in vier Stücke zerschlagen hatte. Dann ging erbin und suchte nach der jungen Dame; als die ihn sah, ward sie von Sinnen vor Schrecken und flehte um Gnade. Da verschonte er sie und fragte: ,Was trieb dich zur Gemeinschaft mit diesem Mohren?' Und sie erwiderte: ,Ich war Dienerin bei einem Kaufmann, und diese Alte suchte mich häufig auf, und ich schloß mich ihr an. Eines Tages nun sagte sie zu mir: ,Wir haben ein Hochzeitsfest in unserem Hause, so schön, wie noch nie einer es erlebt hat, und ich möchte, daß du es dir ansähest.' Mit den Worten: ,Ich höre und gehorche!' erhob ich mich und legte meine schönsten Gewänder und meinen Schmuck an; auch nahm ich einen Beutel mit mir, der hundert Dinare enthielt. Dann ging ich mit ihr, bis sie mich in dies Haus hineinführte. Als ich eingetreten war, packte mich, ehe ich mich dessen versah, dieser Mohr, und drei Jahre habe ich durch die Tücke der verfluchten Vettel hier so verbringen müssen.' Mein Bruder fragte sie weiter: ,Hat er irgendwelchen Besitz in diesem Hause?' und sie erwiderte: ,Erbat großen Reichtum; wenn du ihn fortschaffen kannst, so tu es, und bitte Allah um seinen Segen!' Dann ging mein Bruder mit ihr, und sie öffnete ihm Truhen, in denen Geldbeutel lagen, so daß er vor Staunen sprachlos war; und sie sagte zu ihm: ,Geh jetzt und



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laß mich hier und hole Leute, um das Geld fortzuschaffen.' So ging er hin und mietete zehn Träger. Doch als er zur Tür zurückkam, fand er sie weit offen; die Dame sah er nicht, auch die Geldbeutel nicht, sondern nur ein wenig Kleingeld und die Stoffe. Da erkannte er, daß das Mädchen ihn überlistet hatte; und so nahm er das Geld, das noch da war, öffnete die Vorratsräume und ergriff, was darin war, und ließ nichts im Hause. Und er verbrachte die Nacht in Freuden; doch als der Morgen dämmerte, fand er vor der Tür an die zwanzig Schergen, die Hand an ihn legten und sagten: ,Der Präfekt verlangt nach dir!' Mein Bruder fichte sie an, ihn nach Hause gehen zulassen, aber sie ließen ihn nicht dorthin zurückkehren. Dann versprach er ihnen eine Summe Geldes, aber sie wiesen es zurück, banden ihn fest mit einem Strick und schleppten ihn fort. Unterwegs begegneten sie einem Freunde meines Bruders; und er klammerte sich an dessen Saum, fichte ihn an und bat ihn, er möchte ihm beistehen und ihm helfen, aus ihren Händen zu entkommen. Da blieb der Freund stehen und fragte sie, was es gäbe, und sie versetzten: ,Der Präfekt hat uns befohlen, ihn vor ihn zu führen, und so bringen wir ihn jetzt.' Nun bat auch meines Bruders Freund sie, ihn freizulassen, und er bot ihnen fünfhundert Dinare und sagte: ,Wenn ihr zum Präfekten kommt, so sagt ihm, ihr hättet ihn nicht finden können.' Doch sie achteten nicht auf seine Worte, sondern nahmen meinen Bruder, indem sie ihn auf dem Gesichte liegend schleppten, bis sie ihn vor den Präfekten gebracht hatten. Als der ihn sah, fragte er ihn: ,Woher hast du die Stoffe und das Gelde' Mein Bruder rief: ,Ich bitte um Gnade!' Da reichte ihm der Präfekt das Tuch der Gnade', und so erzählte er ihm alles, was ihm widerfahren 1.



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war seit der Begegnung mit der Alten bis zur Flucht der Dame; und er schloß: ,Was ich genommen habe, nimm davon, so viel du willst; doch laß mir das, womit ich mein Leben fristen kann!' Aber der Präfekt nahm die Stoffe und das Geld allesamt für sich; und da er fürchtete, die Geschichte könne dem Sultan zu Ohren kommen, so rief er meinen Bruder heran und sprach zu ihm: ,Zieh fort aus dieser Stadt, sonst lasse ich dich hängen.' ,Ich höre und gehorche!' sprach mein Bruder, und er zog in eine andere Stadt. Unterwegs aber fielen die Räuber über ihn her, zogen ihn aus und schlugen ihn und schnitten ihm beide Ohren ab. Als ich dann von seinem Mißgeschick hörte, ging ich ihm nach, indem ich Kleider für ihn mitnahm; und ich brachte ihn heimlich in die Stadt zurück und gab ihm ein Taggeld, daß er essen und trinken kann.


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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