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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON DEM SCHUHFLICKER MA'RÛF

Einst lebte in Kairo, der wohlverwahrten Stadt, ein Schuhflicker, der alte Schuhe ausbesserte: der hieß Ma'rûf. Er hatte auch eine Frau, die den Namen Fâtima trug und mit Beinamen das Scheusal genannt wurde; diesen Beinamen hatte man ihr nur deshalb gegeben, weil sie frech und boshaft war, arm an Scham, aber reich an Ränken. Sie herrschte über ihren Mann,



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und jeden Tag beschimpfte und verfluchte sie ihn wohl tausendmal. Er aber fürchtete sich vor ihrer Bosheit und ängstete sich vor ihrem argen Tun; denn er war ein Mann von milder Art, der auf seinen guten Ruf bedacht war, doch er war arm an Geld und Gut. Wenn er viel durch seine Arbeit verdiente, so mußte er es für sie ausgeben; hatte er aber wenig erarbeitet, so ließ sie ihre Wut noch in selbiger Nacht an seinem Leibe aus und raubte ihm die Gesundheit und machte die Nacht für ihn gleich ihrem Buche'; ja, sie war, wie der Dichter von ihr gesungen hat:

Wie manche Nacht verbrachte ich bei meiner Gattin!
Doch was ich da erlebte, das war schauderhaft.
Hält ich doch in der Hochzeitsnacht zum Gift gegriffen
Und sie dann mit dem Gute aus der Welt geschafft!

Zu dem, was dieser Mann von seiner Frau zu erdulden hatte, gehörte auch das folgende. Sie sprach einmal zu ihm: ,Ma'rûf, ich verlange von dir, daß du mir heute abend süße Nudelspeise mit Bienenhonig bringst!' Er gab ihr zur Antwort: ,Allah der Erhabene wird mich den Preis dafür verdienen lassen, und dann werde ich sie dir heute abend bringen. Bei Gott, ich habe jetzt kein Geld, aber vielleicht verhilft der Herr mir dazu.' Doch sie rief: ,üm solche Reden kümmere ich mich nicht!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 990. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß Ma'rûf, der Schuhflicker, zu seiner Frau sprach: ,Allah wird mir zu dem Preise dafür verhelfen, und dann werde ich sie dir heute abend bringen. Bei Gott, ich habe jetzt kein Geld; aber vielleicht verhilft der



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Herr mir dazu.' Doch sie rief: ,üm solche Reden kümmere ich mich nicht. Ob der dir hilft oder nicht hilft -komm du mir nicht heim ohne die süße Nudelspeise mit Bienenhonig! Wenn du ohne die kommst, dann mache ich dir die Nacht so schwarz. wie dein Glück es war, als du mich zur Frau nahmst und mir in die Hände fielst!' Er antwortete ihr nur: ,Allah ist gütig' und ging fort, der arme Teufel, dem man den Kummer ansah; und er verrichtete das Frühgebet und öffnete den Laden. Dabei sprach er: ,Ich flehe dich an, o Herr, verhilf mir zum Geld für diese Nudelspeise und behüte mich heute nacht vor der Schlechtigkeit dieses bösen Weibes!' Bis zum Mittag saß er in seinem Laden, aber keine Arbeit ward ihm zuteil; und so wuchs seine Angst vor seiner Frau. Dann erhob er sich und schloß den Laden, ratlos, was er wegen der Nudelspeise tun sollte, da er ja nicht einmal etwas besaß, um Brot zu kaufen. Als er bei dem Laden des Nudelbäckers vorbeikam, blieb er verstört stehen, und die Augen gingen ihm vor Tränen über. Der Bäcker sah ihn an und sprach: ,Meister Ma'rûf, was ist dir, daß du weinst? Sage mir, was dir widerfahren ist!' Da erzählte er ihm seine Geschichte, indem er zu ihm sprach: ,Sieh, meine Frau ist ein arg herzloses Weib; sie verlangt von mir süße Nudelspeise; aber ich habe in meinem Laden gesessen, bis es Mittag ward, ohne daß ich auch nur Geld für Brot verdient habe, und deshalb habe ich Angst vor ihr.' Der Nudelbäcker lächelte und sprach: ,Laß nur gut sein! Wieviel Pfund willst du haben?' ,Fünf Pfund', erwiderte Ma'rûf; und der Bäcker wägte ihm fünf Pfund ab und sprach zu ihm: ,Ich habe wohl geklärte Butter, aber ich habe keinen Bienenhonig; dagegen habe ich Zuckerhonig, und der ist besser als Bienenhonig. Und was kann es schaden, wenn die Speise mit Zuckerhonig bereitet ist?' Der Schuhflicker wagte ihm nicht zu widersprechen,



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weil jener ihm ja für die Bezahlung eine Frist gewähren mußte, und er sprach zu ihm: ,So gib sie mir mit Zuckerhonig!' Da briet er ihm die Nudelspeise mit geklärter Butter und übergoß sie mit Zuckerhonig, so daß sie ein Geschenk für Könige wurde; dann fragte er ihn: ,Brauchst du auch Brot und Käse?' ,Jawohl', erwiderte Ma'rûf; und so gab der Bäcker ihm für vier Para Brot, für einen Para Käse und die Nudelspeise für zehn Para. Dann sprach er zu ihm: ,Wisse, Ma'rûf, du schuldest mir nun fünfzehn Para. Geh zu deiner Frau und vergnüge dich; nimm auch diesen Para für das Bad! Du kannst einen Tag oder zwei oder auch drei Tage mit der Bezahlung warten, bis Allah dir Verdienst gibt. Mach auch deiner Frau keine Sorgen; denn ich habe Geduld mit dir, bis du mehr Geld verdient hast, als du täglich ausgeben mußt !'Da nahm Ma'rûf die Nudelspeise und das Brot und den Käse und wandte sich zum Gehen, indem er den Bäcker segnete; mit getröstetem Herzen schritt er dahin und sprach: ,Preis sei dir, o Herr! Wie gütig bist du!' Als er zu seiner Frau eintrat, rief sie ihm entgegen: ,Hast du die süße Nudelspeise mitgebracht?' ,Jawohl', antwortete er und setzte ihr die Speise vor. Wie sie aber nachsah und entdeckte, daß sie mit Zuckerhonig bereitet war, rief sie: ,Hab ich dir nicht gesagt, du solltest sie mit Bienenhonig bringen? Du willst wohl meinem Wunsche zuwider handeln, daß du sie mit Zuckerhonig bereiten läßt?' Er entschuldigte sich bei ihr, indem er sprach: ,Ich konnte sie nur auf Borg kaufen.' Doch sie schrie ihn an: ,Das ist eitles Geschwätz; ich will nur Nudelspeise mit Bienenhonig essen!' Und voller Wut warf sie ihm die Speise ins Gesicht und rief: ,Mach dich auf, du Lump, und bring mir eine andere!' Dabei versetzte sie ihm einen Schlag auf die Wange und schlug ihm einen Zahn aus, so daß ihm das Blut auf die Brust herablief. In seinem großen Zorn gab er ihr



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einen einzigen leichten Schlag auf den Kopf; doch da packte sie ihn am Bart und fing an zu schreien: ,O ihr Muslime!' Die Nachbarn kamen herein und befreiten seinen Bart von ihrer Hand; und sie schalten sie und tadelten sie, indem sie sprachen: ,Wir alle sind zufrieden, wenn wir süße Nudelspeise mit Zuckerhonig zu essen bekommen! Wie kannst du so herzlos gegen diesen armen Mann sein? Schäm dich doch!' Und sie redeten ihr im guten zu, bis sie zwischen beiden Frieden gestiftet hatten. Doch als die Leute fortgegangen waren, schwor sie, daß sie von der Speise nicht essen wolle. Ma'rûf aber, der von brennendem Hunger gequält ward, sagte sich: ,Wenn sie geschworen hat, nicht zu essen, dann will ich essen.' Und er begann zu essen; als sie ihn nun essen sah, rief sie: ,So Gott will, möge die Speise zu Gift werden, das dir den Leib zerfrißt!' —möge der Fluch niemanden treffen! Da sprach er zu ihr: ,Es wird schon nicht so sein, wie du sagst', und aß vergnügt weiter und fügte hinzu: ,Du hast ja geschworen, hiervon nicht zu essen; doch Allah ist gütig. So Gott will, werde ich dir morgen abend eine Nudelspeise mit Bienenhonig bringen, und die sollst du dann allein essen.' Er mühte sich, sie zu begütigen, während sie auf ihn fluchte; ja, sie hörte bis zum Morgen nicht auf, ihn zu schmähen und zu beschimpfen. Und als es Morgen geworden war, schlug sie die Ärmel von ihrem Unterarm zurück, um wieder auf ihn loszuschlagen. Da tiefer: ,Laß mir doch Zeit; ich will dir ja eine andere bringen!' Dann eilte er hinaus zur Moschee, und nachdem er gebetet hatte, begab er sich zu seinem Laden, öffnete ihn und setzte sich nieder. Kaum aber saß er da, als auch schon zwei Boten von seiten des Kadis kamen und zu ihm sprachen: ,Steh auf und folge dem Rufe des Radis! Deine Frau hat dich bei ihm verklagt; sie sieht soundso aus.' An dieser Beschreibung erkannte er sie, und mit den



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Worten: ,Allah der Erhabene strafe sie!' erhob er sich und folgte den beiden, bis er vor den Kadi trat. Dort sah er seine Frau stehen mit verbundenem Arm und blutbeflecktem Schleier. wie sie weinte und sich die Tränen abwischte. Der Kadi fuhr ihn an: ,He, Mann, fürchtest du dich nicht vor Allah dem Erhabenem Wie kannst du diese Frau prügeln, ihr den Arm zerbrechen und ihr die Zähne ausschlagen, wie kannst du ihr all das antun?' Ma'rûf erwiderte ihm: ,Wenn ich sie geprügelt oder ihr die Zähne ausgeschlagen habe, so verurteile mich, wie es dir gut dünkt! Aber die Sache liegt soundso. und die Nachbarn haben schon Frieden zwischen mir und ihr gestiftet.' Und er erzählte ihm die Geschichte von Anfang bis zu Ende. Jener Kadi nun war ein guter Mensch, und so zog er einen Vierteldinar heraus und sprach zu Ma'rûf: ,Mann, nimm dies und laß ihr dafür süße Nudelspeise mit Bienenhonig bereiten; und dann schließ Frieden mit ihr!' Doch der Schuhflicker erwiderte ihm: ,Gib ihr das Geld!' Nachdem sie es genommen hatte, stiftete der Kadi Frieden zwischen den beiden und sprach: ,Frau, gehorche deinem Manne; und du, Mann, sei freundlich zu ihr!' Nun gingen sie fort, versöhnt durch den Kadi; die Frau wandte sich nach der einen Seite und der Mann nach der anderen, indem er sich zu seinem Laden begab. Kaum hatte er sich dort niedergesetzt, so kamen auch schon die Boten zu ihm und sprachen: ,Her mit dem Lohn für unsere Dienste!' Er entgegnete ihnen: ,Der Kadi hat mir nichts abgenommen, sondern mir sogar einen Vierteldinar gegeben.' Doch sie fuhren fort: ,Das geht uns nichts an, ob der Kadi dir etwas gegeben oder genommen hat. Wenn du uns nicht unseren Lohn gibst, so nehmen wir ihn dir mit Gewalt ab.' Dann schleppten sie ihn auf den Markt, und er mußte seine Werkzeuge verkaufen; nachdem er ihnen einen halben Dinar gegeben



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hatte, ließen sie von ihm ab. Er aber legte seine Hand an die Wange und setzte sich traurig nieder, weil er nun keine Werkzeuge mehr hatte, mit denen er arbeiten konnte. Und während er so dasaß, kamen plötzlich zwei Männer von häßlichem Aussehen auf ihn zu und sprachen zu ihm: ,Steh auf, Mann, folge dem Rufe des Kadis! Deine Frau hat dich bei ihm verklagt.' ,Der Kadi hat doch zwischen mir und ihr Frieden gestiftet', entgegnete er; allein sie fuhren fort: ,Wir kommen von einem anderen Kadi, und deine Frau hat dich bei unserem Kadi verklagt.' Da ging er mit ihnen, indem er um Hilfe gegen die Frau bat mit den Worten: ,Allah ist unser Genüge, und Er ist der treffliche Sachwalter!' Wie er sie erblickte, rief er ihr zu: ,Haben wir denn nicht Frieden geschlossen, gute Frau?' Als sie jedoch sagte: ,Es gibt keinen Frieden zwischen mir und dir', trat er vor den Kadi und erzählte ihm seine Geschichte, indem er mit den Worten schloß: ,Der Kadi Soundso hat in dieser Stunde zwischen uns Frieden gestiftet.' Da sprach der Kadi zu ihr: ,Du schamloses Weib, warum kommst du, um vor mir zu klagen, nachdem ihr schon Frieden geschlossen habt?' Sie antwortete: ,Er hat mich nachher wieder geschlagen.' Darauf sprach der Kadi zu den beiden: ,Versöhnt euch; schlag du sie nicht wieder, und sie wird dir nicht mehr ungehorsam sein!' So schlossen sie denn Frieden, und der Kadi sprach zu Ma'rûf: ,Gib den Boten ihren Lohn für ihre Dienste!' Er gab ihnen den Lohn und kehrte zu seinem Laden zurück; den öffnete er wieder, und dann setzte er sich dort nieder, wie trunken von all dem Kummer, der ihn betroffen hatte. Während er so dasaß, kam plötzlich ein anderer Mann auf ihn zu und sprach zu ihm: ,Ma'rûf, steh auf und verbirg dich! Deine Frau hat dich beim obersten Gerichtshof verklagt, und Abu Tabak'



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ist hinter dir her.' Da sprang er auf, schloß den Laden und floh in der Richtung des Siegestors. Von dem Erlös für die Leisten und die Werkzeuge waren ihm noch fünf Para übrig geblieben; und so kaufte er sich für vier Para Brot und für einen Para Käse, während er vor ihr flüchtete. Nun war es damals Winter und um die Zeit des Nachmittagsgebets; und als er zwischen den Schutthügeln vor dem Tore dahinlief, fiel der Regen auf ihn herab wie aus Wasserschläuchen, und seine ganzen Kleider wurden durchnäßt. So ging er denn in die 'Adilîja-Moschee'; dort entdeckte er einen verfallenen Bau und in ihm eine verlassene Zelle, die offen war und keine Tür hatte, und in die ging er hinein, um vor dem Regen Schutz zu suchen, da seine Kleider vom Wasser durchtränkt waren. Die Tränen flossen ihm von den Lidern. und bekümmert über seine Not sprach er: ,Wohin soll ich fliehen vor diesem bösen Weib? Ich bitte dich, o Herr, sende mir jemand, der mich in ein fernes Land bringt, wo sie den Weg zu mir nicht findet!' Während er nun weinend dort saß, spaltete sich plötzlich die Wand, und aus ihr trat eine große Gestalt hervor, bei deren Anblick die Haut erschauern konnte. Die sprach zu ihm: ,O Mann, warum hast du mich in dieser Nacht gestört? Seit zweihundert Jahren wohne ich an dieser Stätte; doch nie habe ich jemanden hier hereinkommen und so tun sehen, wie du getan hast. Sage mir, was du wünschest, und ich will dir deinen Wunsch erfüllen; denn mein Herz ist von Mitleid mit dir ergriffen!' ,Wer bist du? Und was bist du?' fragte Ma'rfif; und die Gestalt erwiderte: ,Ich bin der Bewohner dieser Stätte.' Nun erzählte Ma'rûf ihm alles, was er von seiner Frau erlitten hatte; und darauf sprach die Gestalt: ,Willst du, daß ich



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dich in ein Land bringe, wo deine Frau keinen Weg zu dir finden kann?' ,Ja', antwortete Ma'rûf; und die Gestalt fuhr fort: ,So steig denn auf meinen Rücken!' Ma'rûf stieg auf, und der Dämon hob ihn empor und flog mit ihm von der Zeit nach dem Abendgebet bis zum Anbruche der Morgendämmerung; und dann setzte er ihn auf einem hohen Berge nieder. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 991. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mârid, nachdem er den Schuhflicker Ma'rûf emporgehoben hatte, mit ihm davonflog und ihn auf einem hohen Berg niedersetzte; dort sprach er zu ihm: ,O Sterblicher, steig von der Höhe dieses Berges hinab, dann wirst du das Tor einer Stadt erblicken; in die geh hinein, dort weiß deine Frau nicht den Weg zu dir, dort kann sie nicht zu dir gelangen!' Dann verließ er ihn und flog fort; Ma'rûf aber blieb staunend und ratlos zurück, bis die Sonne aufging. Da sagte er sich: ,Ich will mich aufmachen und von der Höhe dieses Berges zu der Stadt hinabsteigen; denn hier zu bleiben hat keinen Nutzen.' So stieg er denn zum Fuße des Berges hinab und erblickte dort eine Stadt mit hohen Mauern und ragenden Schlössern und vergoldeten Bauten, so daß sie für die Beschauer ein Entzücken war. Und er trat durch das Tor der Stadt ein und sah, daß sie das betrübte Herz aufheitern konnte; doch als er durch die Basare ging, begannen die Leute der Stadt ihn anzuschauen und anzustarren, und sie scharten sich um ihn zusammen und bestaunten seine Kleidung, da seine Tracht nicht der ihrigen glich. Nun hub einer von dem Stadtvolk an: ,O Mann, bist du ein Fremdling?' ,Jawohl', erwiderte er. ,Aus welchem Lande?' ,Aus Kairo, der glücklichen



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Stadt.' ,Es ist wohl schon lange her, daß du sie verlassen hast?' ,Gestern um die Zeit des Nachmittagsgebets.' Da lachte der Mann ihn aus und rief: ,Ihr Leute, kommt herbei und seht euch diesen Mann an und hört, was er sagt!' ,Was sagt er denn?' fragten die Leute; und jener Mann erwiderte: ,Er behauptet, er komme aus Kairo und habe es gestern um die Zeit des Nachmittagsgebetes verlassen.' Da lachten sie alle, und nun stand das ganze Volk um ihn herum und rief: ,Mann, du bist ja irre, daß du so redest! Wie kannst du behaupten, du hättest Kairo gestern zur Zeit des Nachmittagsgebetes verlassen und seiest heute früh hier angekommen? In Wirklichkeit liegt doch zwischen unserer Stadt und Kairo eine Reise von einem vollen Jahr!' Er aber entgegnete ihnen: ,Niemand ist hier irre als ihr; was ich sage, ist die Wahrheit. Dies Brot aus Kairo ist doch bei mir noch frisch geblieben!' Er zeigte es ihnen, und als sie es anschauten, wunderten sie sich darüber: denn es war anders als das Brot ihres Landes. Da kamen noch mehr Leute bei ihm zusammen, und sie riefen einander zu: ,Da ist Brot aus Kairo! Seht es euch an!' So wurde er zum Gerede in jener Stadt; und die einen glaubten ihm, die anderen aber straften ihn Lügen und verspotteten ihn. Während dies sich abspielte, kam plötzlich ein Kaufmann des Wegs, der auf einer Mauleseln ritt, gefolgt von zwei Sklaven. Er brach sich Bahn durch die Menge und rief: ,Ihr Leute, schämt ihr euch nicht, euch so um diesen Fremdling zu drängen und ihn zu verspotten und auszulachen? Was geht er euch an?' Und er schalt sie solange, bis er sie von Ma'rûf hinweggetrieben hatte, ohne daß einer ihm Widerworte zu geben wagte. Darauf sprach er zu dem Fremdling: ,Komm, Bruder! Kümmere dich nicht um diese Leute; die haben kein Schamgefühl!' Dann nahm er ihn mit sich und zog mit ihm dahin, bis er ihn in ein



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geräumiges und reichgeschmücktes Haus führte; dort hieß er ihn sich setzen in einem Saal, der für Könige paßte, und er gab den Sklaven einen Befehl. Da öffneten sie ihm eine Truhe und holten ihm die Gewandung eines Kaufmannes heraus, der tausend Säcke Goldes besitzt; das legte er Ma'rûf an, und da er ein stattlicher Mann war, sah er nunmehr aus wie der Vorsteher der Kaufmannsgilde. Alsbald ließ der Kaufmann das Mahl auftragen; und die Diener setzten einen Tisch vor die beiden hin, auf dem sich allerlei köstliche Speisen jeglicher Art befanden. Nachdem beide gegessen und getrunken hatten, sprach der Kaufmann zu seinem Gast: ,Bruder, wie heißt du?' Der gab zur Antwort: ,Mein Name ist Ma'rûf, und ich bin meines Zeichens ein Schuhflicker: ich bessere die alten Schuhe aus.' ,Aus welchem Lande bist du?' ,Aus Kairo.' ,Aus welchem Stadtviertel?' ,Kennst du Kairo?' ,Ich bin einer von den Söhnen Kairos!' ,Ich bin aus der Roten Straße." ,Wen kennst du in der Roten Straße?' ,Denundden und Denundden', erwiderte Ma'rûf und zählte eine große Zahl von Leuten auf. Dann fragte der Kaufmann weiter: ,Kennst du Scheich Ahmed den Spezereienhändler?' ,Er ist mein Nachbar, wir wohnen Wand an Wand.' ,Geht es ihm gut?' ,Jawohl.' ,Wieviel Kinder hat er?' ,Drei: Mustafa. Mohammed und 'All.' ,Was hat Allah aus seinen Kindern werden lassen?' ,Mustafa geht es gut; er ist ein Gelehrter, ein Hochschullehrer. Was Mohammed angeht, so ist er ein Spezereienhändler und hat einen Laden aufgetan neben dem Laden seines Vaters, nachdem er sich vermählt hat; und seine Frau hat ihm auch einen Sohn geschenkt, der heißt Hasan.' ,Gott erfreue dich auch durch gute Nachricht!' rief der Kaufmann; und Ma'rûf fuhr fort: ,Und was 'All betrifft, so war er mein Gefährte. als wir noch klein waren, und wir



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pflegten immer zusammen zu spielen. Wir pflegten uns als Christenkinder zu verkleiden und in die Kirche einzuschleichen; dort stahlen wir die Bücher der Christen, und dann verkauften wir sie und kauften uns für den Erlös etwas zu essen. Einmal aber begab es sich, daß die Christen uns sahen und uns mit einem Buch abfaßten; da führten sie Klage wider uns bei den Unsern und sprachen zu 'Alls Vater: ,Wenn du deinen Sohn nicht daran hinderst, uns zu schädigen, so werden wir dich vor dem König verklagen.' Der Vater beschwichtigte die Leute und gab seinem Sohn eine Tracht Prügel. Deshalb lief der Junge damals davon, und man erfuhr nie, wohin er gegangen ist; seit zwanzig Jahren ist er fort, und niemals hat jemand Kunde über ihn gebracht.' Da rief der Kaufmann: ,Ich bin 'All, der Sohn des Scheichs Ahmed, des Spezereienhändlers, und du bist mein Jugendfreund, Ma'rûf!' Und nun begrüßten sie einander von neuem; und nach der Begrüßung fuhr der Kaufmann fort: ,Ma'rûf, erzähle mir doch, weshalb du aus Kairo nach dieser Stadt gekommen bist.' Darauf erzählte ihm jener von seiner Gattin Fâtima, dem Scheusal, und von dem, was sie ihm angetan hatte; dann schloß er mit den Worten: ,Als mir die Qual durch sie zu schlimm geworden war, lief ich fort von ihr nach dem Siegestor; als mich aber dort ein Regenschauer überfiel, ging ich in eine verfallene Nische in der 'Adilîja-Moschee und setzte mich weinend nieder. Doch plötzlich erschien vor mir der Bewohner jener Stätte, ein Ifrît aus der Geisterwelt, und befragte mich. Ich berichtete ihm meine Not; und er nahm mich auf seinen Rücken und flog mit mir die ganze Nacht zwischen Himmel und Erde dahin; schließlich setzte er mich auf den Berg nieder und erzählte mir von der Stadt. So stieg ich denn von dem Berg hinunter und kam in die Stadt; dort umdrängten mich die



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Leute und fragten mich aus. Als ich ihnen sagte, ich hätte Kairo gestern verlassen, glaubten sie mir nicht; und dann kamst du und triebst die Leute von mir fort und führtest mich in dies Haus. Das ist der Grund, weshalb ich Kairo verlassen habe; doch aus welchem Grunde bist du hierher gekommene' Der Kaufmann gab ihm zur Antwort: ,Der Leichtsinn kam über mich, als ich erst sieben Jahre alt war; und seit jener Zeit bin ich von Land zu Land und von Stadt zu Stadt gewandert, bis ich in diese Stadt kam, deren Name Ichtijân el-Chotan' ist. Da ich sah, daß die Einwohner hier gütige und freundliche Menschen sind, die dem Armen Vertrauen schenken, ihm auf Borg verkaufen und ihm alles glauben, was er sagt, so sprach ich zu ihnen: ,Ich bin ein Kaufmann, und ich bin dem Gepäck voraufgeeilt, nun suche ich einen Ort, an dem ich meine Waren unterbringen kann.' Die Leute glaubten mir und räumten mir die Stätte ein. Darauf sagte ich zu ihnen: ,Ist einer unter euch, der mir tausend Dinare leihen will, bis mein Gepäck kommt? Dann will ich ihm zurückgeben, was ich von ihm erhalten habe; ich brauche nämlich noch einige Sachen, ehe das Gepäck eintrifft.' Da gab man mir, was ich verlangte; ich aber ging in den Basar der Kaufleute, und nachdem ich mir einige Waren angesehen hatte, kaufte ich sie. Am nächsten Tage verkaufte ich sie wieder und gewann dabei fünfzig Dinare, so daß ich andere Waren kaufen konnte. Ich verkehrte immer freundlich und höflich mit den Leuten, und sie gewannen mich lieb; zugleich fuhr ich fort, zu verkaufen und zu kaufen, bis ich viel Geld hatte. Wisse, mein Bruder, das Sprichwort sagt: Die Welt ist Lug und Trug, und in dem Lande, in dem dich niemand kennt, tu, was du willst! Wenn du zum Beispiel allen, die dich fragen, sagst: ,Ich bin meines Zeichens ein



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Schuhflicker und arm, und ich bin vor meiner Frau davongelaufen und habe Kairo gestern verlassen', so werden sie dir nicht glauben, und du wirst bei ihnen zum Gespött werden, solange du in dieser Stadt weilst. Und wenn du sagst: ,Ein 'Ifrît hat mich gebracht', so werden sie dich meiden, und keiner wird dir nahe kommen, sondern sie werden sagen: ,Dieser Mann ist von einem 'Ifrît besessen, und jedem, der ihm naht, ergeht es schlecht.' Und dies Gerede wird mir und dir Unehre bringen; denn sie wissen, daß ich aus Kairo bin.' Nun fragte Ma'rûf: .Was soll ich denn tun?' Darauf erwiderte der Kaufmann: ,Ich werde dich lehren, was du tun sollst, so Allah der Erhabene will. Morgen will ich dir tausend Dinare geben und eine Mauleselin zum Reiten, dazu auch einen Sklaven, der vor dir herlaufen und dich zum Tor des Basars der Kaufleute bringen soll; dort tritt ein. Ich werde auch unter den Kaufleuten sitzen, und sobald ich dich sehe, werde ich mich vor dir erheben, dich begrüßen, dir die Hand küssen und dich als einen hohen Herrn behandeln. Und sooft ich dich nach einer Art von Stoffen frage und zu dir spreche: ,Hast du etwas von derundder Art mitgebracht?', so ruf du: ,Eine Menge!' Wenn die Leute mich dann nach dir fragen, will ich dich preisen und dich in ihren Augen zum großen Manne machen. Danach will ich zu ihnen sagen: ,Gebt ihm ein Vorratshaus und einen Laden!' Dabei will ich dich als einen Mann von großem Reichtum und großer Freigebigkeit hinstellen. Und sooft ein Bettler zu dir kommt, gib ihm, was du zur Hand hast; dann werden sie meinen Worten glauben, auf deine Größe und Freigebigkeit vertrauen und dich lieb gewinnen! Danach will ich dich einladen und auch alle Kaufleute dir zu Ehren; so will ich dich mit ihnen zusammenbringen, auf daß sie alle dich kennen lernen und du sie kennen lernst.' — —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 991. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann 'All zu Ma'rûf sprach: ,Ich will dich einladen und auch alle Kaufleute dir zu Ehren: so will ich dich mit ihnen zusammenbringen, auf daß sie alle dich kennen lernen und du sie kennen lernst, damit du verkaufen und kaufen und mit ihnen Handel treiben kannst. Und dann wird es nicht lange dauern, bis du ein reicher Mann wirst.' Am nächsten Morgen also gab er ihm tausend Dinare, legte ihm Gewänder an, ließ ihn auf einer Mauleseln reiten und gab ihm dazu einen Sklaven; und er sprach zu ihm: ,Möge Allah dich von der Verbindlichkeit für all dies freisprechen! Denn du bist mein Freund, und es ist meine Pflicht. dich ehrenvoll zu behandeln. Mach dir keine Sorgen, tu den Gedanken an das Treiben deiner Frau von dir und erwähne sie vor niemandem!' ,Allah vergelte es dir mit Gutem!' erwiderte Ma'rûf und ritt auf der Mauleseln von dannen, während der Sklave vor ihm her lief, bis er ihn zum Tor des Basars der Kaufleute geführt hatte. Dort saßen alle die Kaufherren. und unter ihnen befand sich auch der Kaufmann 'Ah: als dieser ihn sah, erhob er sich und eilte auf ihn zu, indem er rief: ,Ein gesegneter Tag, o Kaufmann Ma'rûf, o Mann der guten Werke und der Güte!" Dann küßte er ihm die Hand vor allen Kaufleuten und sprach: ,Ihr Brüder, der Kaufmann Ma'rûf hat euch durch sein Kommen beehrt. Begrüßet ihn!' Dabei gab er ihnen ein Zeichen, sie möchten ihn hoch ehren; und so war der Schuhflicker ein großer Mann in ihren Augen. Alsbald half 'All ihm, von der Mauleseln abzusitzen; und nachdem alle ihn begrüßt hatten, nahm er die Kaufleute einen



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nach dem anderen beiseite und rühmte Ma'rûf vor ihm. Dann fragten sie ihn: ,Ist dieser Mann ein Kaufmann?' ,Jawohl,' erwiderte 'All ihnen, ,er ist sogar der größte unter den Kaufleuten, und es gibt keinen, der reicher wäre als er; denn sein Reichtum und die Reichtümer seines Vaters und seiner Vorfahren sind berühmt unter den Kaufleuten von Kairo. Er hat Teilhaber in Vorderindien und Hinterindien und im Jemen, und wegen seiner Großmut genießt er hohen Ruhm. Erkennet also seine Würde an, preiset seinen Rang hoch und dienet ihm! Wisset auch, daß er nicht um des Handels willen in diese Stadt gekommen ist; er hat nur die Absicht, die Länder der Menschen sich anzuschauen, denn er hat es nicht nötig, um des Gewinnes und des Verdienstes willen in die Fremde zu ziehen. Er hat ja Reichtümer, die das Feuer nicht verzehren kann; und ich bin einer seiner Diener.' Und so rühmte er ihn in einem fort, bis sie ihn weit über sich selber erhoben und einander von seinen Eigenschaften zu erzählen begannen. Dann drängten sie sich um ihn und boten ihm Gebäck und Scherbette an, bis auch der Vorsteher der Kaufmannsgilde kam und ihn begrüßte. Und nun sprach der Kaufmann 'All zu ihm in Gegenwart der Kaufleute: ,Mein Herr, hast du vielleicht auch etwas von demunddem Stoff mitgebracht?' ,Eine Menge', erwiderte Ma'rûf; und an jenem Tage hatte 'All ihm verschiedene Arten von kostbarem Stoff gezeigt und ihn mit den Namen der teuren und der billigen Stoffe bekannt gemacht. Dann fragte ihn einer von den Kaufleuten: ,Mein Herr, hast du auch gelbes Tuch bei dir?' ,Eine Menge', erwiderte Ma'rûf. Dann sagte ein anderer: ,Auch rot wie Gazellenblut?",Eine Menge', antwortete der Schuhflicker auch darauf. Jedesmal, wenn einer ihn nach etwas fragte, sagte er zu ihm: ,Eine Menge.' Da rief jener:



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,O Kaufmann 'Ab, wenn dein Landsmann tausend Lasten kostbarer Stoffe aufladen wollte, so könnte er es wohl tun!' Und 'All erwiderte ihm: ,Die kann er aus einem einzigen seiner Vorratshäuser aufladen, und dann würde er doch nichts vermissen.' Während sie so dasaßen, kam ein Bettelmann und machte die Runde bei den Kaufleuten; der eine gab ihm einen Para, der andere einen Kupferling, aber die meisten gaben ihm nichts. Wie er jedoch zu Ma'rûf kam, zog der eine Handvoll Gold für ihn heraus und gab sie ihm; der Bettler segnete ihn und ging weiter. Darüber staunten die Kaufleute, und sie sprachen: ,Das sind königliche Spenden! Er hat ja dem Bettler ungezählte Goldstücke gegeben. Wenn er nicht zu den ganz reichen Leuten gehörte und sehr viel Geld besäße, so hätte er dem Bettler nicht eine Handvoll Gold gegeben.' Nach einer Weile kam eine arme Frau; und wieder nahm er eine Handvoll und gab sie ihr. Auch sie ging fort, indem sie ihn segnete, und erzählte den armen Leuten davon; und die kamen bald einer nach dem anderen zu ihm. Für jeden, der zu ihm kam, zog er eine Handvoll heraus und gab sie ihm, bis er die tausend Dinare ausgegeben hatte. Darauf schlug er die Hände zusammen und sprach: ,Allah ist unser Genüge, und Er ist der treffliche Sachwalter.' Da fragte ihn der Vorsteher der Kaufmannsgilde: ,Was ist dir, o Kaufmann Ma'rûf?' Der gab zur Antwort: ,Es scheint, die meisten Einwohner dieser Stadt sind arm und bedürftig. Hätte ich geahnt, daß es so um sie steht, so hätte ich in den Satteltaschen eine große Menge Geld mitgebracht und davon den Armen gespendet. Doch ich fürchte, ich muß lange in der Fremde bleiben, und es ist meine Art, nie einen Bettler abzuweisen. Jetzt habe ich kein Gold mehr bei mir, und wenn nun ein Bettler zu mir kommt, was soll ich dann zu ihm sagen?' Der Vorsteher sagte darauf:



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,Sprich zu ihm: Allah wird dir dein Brot geben!' Aber Ma'rûf entgegnete: ,Das ist nicht meine Art; und ich bin deshalb in großer Sorge. Ich brauche jetzt tausend Dinare, um Almosen zu geben, bis mein Gepäck eintrifft.' ,Sei ohne Sorge!' antwortete der Vorsteher und entsandte einen seiner Diener; der kam mit tausend Dinaren zurück, und sein Herr gab sie dem Schuhflicker. Nun fuhr dieser fort, jedem Armen, der an ihm vorbeikam, zu geben, bis der Ruf zum Mittagsgebet erscholl; darauf gingen sie in die Moschee und verrichteten das Mittagsgebet; und was ihm von den tausend Dinaren übrig geblieben war, das streute er über die Köpfe der Betenden aus. Dies lenkte die Blicke aller auf ihn, und das Volk begann ihn zu segnen, während die Kaufleute seine große Freigebigkeit und Mildtätigkeit bewunderten. Dann wandte er sich an einen anderen Kaufmann und borgte von ihm weitere tausend Dinare; und auch die verteilte er. Der Kaufmann 'All sah seinem Treiben zu; aber er wagte nichts zu sagen. Ma'rûf jedoch fuhr in dieser Weise fort, bis der Ruf zum Nachmittagsgebet erscholl; da ging er in die Moschee, betete und verteilte wiederum den Rest des Geldes. Und noch ehe man das Tor des Basars schloß, hatte er schon fünftausend Dinare geborgt und wieder verteilt; zu jedem, von dem er etwas borgte, hatte er gesagt: ,Warte, bis mein Gepäck kommt! Wenn du dann Gold haben willst, werde ich es dir geben; oder wenn du lieber Stoffe willst, kann ich sie dir auch geben, denn ich habe eine Menge.' Am Abend lud der Kaufmann 'All ihn ein, und mit ihm lud er alle die Kaufleute ein, und er ließ ihn auf dem Ehrenplatze sitzen. Da sprach Ma'rûf denn nur von Stoffen und juwelen, und jedesmal, wenn sie ihm etwas nannten, sagte er: ,Davon habe ich eine Menge.' Am nächsten Tage begab er sich wiederum auf den Basar, wandte sich an die Kaufleute



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und borgte Geld von ihnen und verteilte es an die Armen. So trieb er es immer weiter, zwanzig Tage lang, bis er von den Leuten sechzigtausend Dinare erhalten hatte; aber immer noch kam kein Gepäck, noch auch eine verzehrende Pest.' Nun begannen die Leute wegen ihres Geldes zu lärmen und riefen: ,Das Gepäck des Kaufmanns Ma'rûf ist noch nicht gekommen! Wie lange will er denn den Leuten das Geld abnehmen und es den Armen geben?' Einer von ihnen sprach: ,Ich meine, wir sollten mit seinem Landsmann. dem Kaufmann 'All, reden.' So gingen sie denn zu ihm und sprachen zu ihm: ,O Kaufmann 'Alî, das Gepäck des Kaufmanns Ma'rûf ist noch nicht gekommen!' Er gab ihnen zur Antwort: ,Wartet nur; es muß ganz gewiß bald eintreffen!' Dann aber nahm er seinen Freund beiseite und sprach zu ihm: ,Ma'rûf, was soll dies Treiben bedeuten? Habe ich dir geraten, das Brot zu rösten oder es zu verbrennen? Jetzt lärmen die Kaufleute wegen ihres Geldes, und sie haben mir gesagt, daß du ihnen sechzigtausend Dinare schuldest, die du von ihnen geliehen und an die Armen verteilt hast. Wie willst du den Leuten deine Schulden bezahlen, wo du weder verkaufst noch kaufst?' Der Schuhflicker antwortete ihm: ,Was hat denn das zu bedeuten? Und was sind sechzigtausend Dinare? Wenn das Gepäck kommt, zahle ich ihnen; wenn sie wollen, in Stoffen oder, wenn sie es vorziehen, auch in Gold und Silber.' Da rief der Kaufmann 'All: ,Allah ist der Größte! Hast du denn überhaupt Gepäck?' ,Eine Menge!' sagte Ma'rûf; und der Kaufmann fuhr fort: ,Allah und die Heiligen über dich und deine Frechheit! Habe ich dich etwa diese Worte gelehrt, damit du sie auch zu mir sagst? Warte, ich werde den Leuten die Augen über dich öffnen!' Allein Ma'rûf erwiderte ihm: ,Geh doch und schwatze nicht so viel! Bin ich etwa ein



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armer Mann? In meinem Gepäck sind viele Dinge; und wenn es kommt, sollen sie ihre Sachen wiederhaben, ja, zweimal so viel. Ich habe die Kerle nicht nötig.' Da ergrimmte der Kaufmann 'Alt und er rief: ,Du frecher Bursche, ich will dir schon zeigen, was es heißt, mich so schamlos anzulügen!' Doch Ma'rûf sagte nur: ,Was in deiner Hand steht, das tu! Sie sollen warten, bis mein Gepäck kommt, und dann sollen sie haben, was ihnen zukommt, und noch mehr.' Da verließ ihn 'All und ging fort, indem er bei sich sprach: ,Ich habe ihn früher gerühmt, und wenn ich ihn jetzt tadle, so steh ich als Lügner da; und dann gilt von mir das Sprichwort: ,Wer erst preist und dann tadelt, der hat zweimal gelogen.' Und so war er ratlos, was er tun sollte. Dann kamen aber die Kaufleute wieder zu ihm und fragten ihn: ,Kaufmann 'All, hast du mit ihm gesprochen?' Er antwortete ihnen: ,Ihr Leute, ich scheue mich davor; denn er schuldet mir auch tausend Dinare, und ich mag nicht mit ihm darüber sprechen. Ihr habt mich nicht um Rat gefragt, als ihr ihm euer Geld gabt, und darum habt ihr mir nichts zu sagen, was ihn angeht. Mahnt ihn selbst; und wenn er es euch nicht gibt, so führt Klage wider ihn beim König der Stadt und sprecht zu ihm: ,Der Mann ist ein Betrüger, der uns betrogen hat!' Dann wird der König euch vor Schaden durch ihn bewahren.' So gingen sie denn zum König und berichteten ihm, was geschehen war, indem sie mit den Worten schlossen: ,O größter König unserer Zeit, wir sind ratlos, was wir mit diesem Kaufmanne, dessen Freigebigkeit übergroß ist, tun sollen. Er handelt soundso; und alles, was er borgt, verteilt er an die Armen mit vollen Händen. Wenn er wirklich nichts besäße, so würde sein Verstand es ihm doch nicht erlauben, das Gold mit vollen Händen zunehmen und den Bettlern zugeben. Gehörte er aber zu den Wohlhabenden, so hätte uns durch die Ankunft



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seines Gepäcks seine Wahrhaftigkeit offenbar werden müssen. Aber wir sehen kein Gepäck von ihm, obwohl er behauptet, er habe eine Karawane, und er sei ihr voraufgeeilt. Jedesmal, wenn wir ihm irgendeine Art von Stoffen nennen, sagt er: ,Davon habe ich eine Menge.' Nun ist schon eine ganze Weile verstrichen, doch von seiner Karawane ist noch keine Nachricht eingetroffen. Er schuldet uns jetzt sechzigtausend Dinare, und die hat er alle an die Armen verteilt.' Dabei priesen sie ihn immer und rühmten seine Freigebigkeit. Jener König aber war ein sehr habgieriger Mann, habgieriger als Asch' ab.' Und als er von der Freigebigkeit und Großmut Ma'rûfs hörte, überkam ihn die Gier, und er sprach zu seinem Wesir: ,Wenn dieser Kaufmann nicht ungeheure Reichtümer besäße, so wäre nicht all diese Freigebigkeit von ihm ausgegangen. Es ist sicher, daß seine Karawane kommen wird; dann werden diese Kaufleute sich um ihn drängen, und er wird eine Menge Geld unter sie streuen. Ich aber habe mehr Anrecht auf dies Geld als sie; deswegen möchte ich mit ihm vertraut werden und Freundschaft mit ihm schließen, damit ich, wenn seine Karawane kommt, das erhalte, was sonst diese Kaufleute von ihm empfangen; ich will ihn auch mit meiner Tochter vermählen und so sein Gut zu meinem Gut hinzufügen.' Doch der Wesir entgegnete ihm: ,O größter König unserer Zeit, ich glaube doch, er ist nur ein Betrüger; und der Betrüger vernichtet oft das Haus des Habgierigen.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 993. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Wesir zu dem



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König sprach: ,Ich glaube doch, er ist nur ein Betrüger; und der Betrüger vernichtet oft das Haus des Habgierigen.' Der König aber fuhr fort: ,O Wesir, ich will ihn auf die Probe stellen und bald erkennen, ob er ein Betrüger ist oder ein ehrlicher Mann, und ob er im Überfluß groß geworden ist oder nicht.' ,Wie willst du ihn denn auf die Probe stellen?' fragte der Wesir, und der König erwiderte: ,Ich habe ein Juwel; und ich will zu ihm senden und ihn vor mich kommen lassen: wenn er sich dann gesetzt hat, will ich ihn ehrenvoll behandeln und ihm das Juwel in die Hand geben. Erkennt er es, und weiß er seinen Wert, so ist er ein Mann von Reichtum und Überfluß. Wenn er es aber nicht kennt, so ist er ein Betrüger, ein Hochstapler, und ich werde ihn den schmählichsten Tod sterben lassen.' Darauf schickte der König zu Ma'rûf und ließ ihn vor sich kommen. Nachdem der Schuhflicker zu ihm eingetreten war und den Gruß gesprochen hatte, erwiderte der König ihm den Gruß und ließ ihn an seiner Seite sitzen; dann sprach er zu ihm: ,Bist du der Kaufmann Ma'rûf?' ,Jawohl', erwiderte jener; und der König fuhr fort: ,Die Kaufleute behaupten, daß du ihnen sechzigtausend Dinare schuldest, ist es wahr, was sie sagen?' ,Jawohl', antwortete Ma'rûf; und der König fragte ihn nun: ,Warum gibst du ihnen ihr Geld nicht zurück?' Darauf sagte der Schuhflicker: ,Sie mögen warten, bis meine Karawane kommt; dann will ich ihnen das Doppelte geben. Wollen sie Gold, so gebe ich es ihnen; wollen sie Silber, so mögen sie das haben; ziehen sie Waren vor, kann ich ihnen auch die geben. Wem ich tausend schulde, dem will ich zweitausend geben zum Entgelt dafür, daß er meinen guten Ruf bei den Armen bewahrt hat; denn ich habe ja eine große Menge.' Darauf sprach der König zu ihm: ,O Kaufmann, nimm dies hier und sieh, von welcher Art es ist, und wieviel



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Wert es hat.' Und er gab ihm ein Juwel von der Größe einer Haselnuß, das er für tausend Dinare gekauft hatte und sehr hoch schätzte, da er kein gleiches besaß. Ma'rûf nahm es in die Hand und drückte es zwischen Daumen und Zeigefinger, so daß es zerbrach; denn das Juwel war empfindlich und konnte den Druck nicht vertragen. Da rief der König: ,Warum hast du das Juwel zerbrochene' Doch Ma'rûf lächelte und sprach: ,O größter König unserer Zeit, das ist doch kein Juwel! Das ist nur ein Stück Stein im Werte von tausend Dinaren: wie kannst du von ihm sagen, es wäre ein Juwel? Ein wirkliches Juwel ist doch siebenzigtausend Dinare wert; dies nennt man nur ein Stück Stein. Ein Edelstein, der nicht mindestens die Größe einer Walnuß hat, ist bei mir wertlos, und ich achte seiner nicht. Wie kannst du, der du ein König bist, dies hier ein Juwel nennen, da es doch nur ein Stück Stein ist im Werte von tausend Dinaren? Aber das kann man euch nicht zum Vorwurf machen, da ihr arme Leute seid und keine Schätze von Wert besitzt.' ,O Kaufmann,' fragte nun der König, ,hast du denn Juwelen von der Art, die du beschreibst?' ,Eine Menge', erwiderte Ma'rûf. Da überwältigte den König die Habgier, und er sprach zu dem Schuhflicker: ,Willst du mir wirkliche Juwelen geben! 'Jener gab ihm zur Antwort: ,Wenn die Karawane kommt, will ich dir eine Menge geben. Alles, was du nur wünschest, habe ich in Hülle und Fülle, und ich will es dir olme Bezahlung geben.' Erfreut sprach der König zu den Kaufleuten: ,Geht eurer Wege und habt Geduld mit ihm, bis die Karawane eintrifft; dann kommt und holt euch euer Geld bei mir!' Und die Kaufleute gingen fort. Soviel von ihnen und von Ma'rûf.

Sehen wir nun, was der König weiter tat! Er wandte sich an den Wesir und sprach zu ihm: ,Sei freundlich gegen den Kaufmann Ma'rûf und plaudere mit ihm von diesem und jenem!



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Sprich mit ihm auch von meiner Tochter, damit er sie zur Gemahlin nimmt und wir diese Reichtümer gewinnen, die er besitzt!' Doch der Wesir entgegnete: ,O größter König unserer Zeit, die Art dieses Mannes gefällt mir nicht. Ich glaube, er ist ein Betrüger und ein Belüger; laß ab von dieser Rede, damit dir deine Tochter nicht umsonst verloren geht!' Nun hatte der Wesir früher einmal den König gebeten, er möchte ihm seine Tochter zur Gemahlin geben; und der König hatte auch in die Vermählung eingewilligt; aber als ihr davon berichtet wurde, hatte sie sich geweigert. Deshalb sprach der König nun: ,Du Verräter. du wünschest mir nichts Gutes, weil du früher um meine Tochter geworben hast und sie nicht eingewilligt hat, sich mit dir zu vermählen. Deshalb willst du jetzt ihr den Weg zur Vermählung abschneiden, und du möchtest, daß meine Tochter brachliegen soll, damit du sie erhältst. Doch höre dies Wort von mir: Du hast mit dieser Sache nichts zu tun! Wie kann er ein Betrüger und Belüger sein, da er doch den Preis des Juwels kannte, um den ich es gekauft hatte? Er hat es zerbrochen, weil es ihm nicht gefiel; er hat Juwelen in Hülle und Fülle, und wenn er zu meiner Tochter eingeht und sieht, wie lieblich sie ist, so wird sie seinen Verstand berücken. und er wird sie lieb gewinnen und ihr Juwelen und Schätze schenken. Du aber, du möchtest uns beide, mich und meine Tochter. daran verhindern, daß wir diese Güter erlangen.' Da schwieg der Wesir aus Furcht vor dem Zorn des Königs wider ihn, und er sprach bei sich selber: ,Hetz nur die Hunde aufs Vieh!' Dann begab er sich zum Kaufmann Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Wisse, Seine Majestät der König hat dich lieb gewonnen; und er hat eine Tochter, die schön und anmutig ist. Mit ihr will er dich vermählen; was sagst du dazu?' Ma'rûf erwiderte: ,Das soll gern geschehen; doch er möge warten, bis mein Gepäck



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kommt, denn die Brautgabe für Prinzessinnen ist groß, und ihr Stand verlangt es, daß für sie nur eine solche Brautgabe dargeboten wird, die ihrem Range entspricht. Augenblicklich habe ich kein Geld bei mir; so möge er denn sich gedulden, bis die Karawane eintrifft, denn ich habe Gut in Menge. Ich muß doch gewißlich eine Brautgabe von fünftausend Beuteln für sie zahlen, und ferner brauche ich tausend Beutel. um sie am Hochzeitsabend an die Armen und Bedürftigen verteilen zu lassen, und weitere tausend Beutel, um sie an die Leute zu verschenken, die im Hochzeitszuge mitgehen, und abermals tausend Beutel, um für die Truppen und die anderen Speisen zu beschaffen. Auch brauche ich hundert Juwelen, um sie der Prinzessin am Morgen nach der Hochzeit zu schenken, und wiederum hundert Juwelen, um sie an die Sklavinnen und Eunuchen zu verteilen, denn ein jedes von ihnen muß doch von mir ein Juwel erhalten, dem Range der Braut zu Ehren. Auch muß ich tausend nackte Arme kleiden, und Almosen müssen auch gegeben werden. All das kann erst geschehen, wenn die Karawane eintrifft; denn ich habe eine Menge bei mir. Ist das Gepäck erst da, so bedeuten alle diese Ausgaben nichts für mich.' Der Wesir ging fort und berichtete dem König, was Ma'rûf gesagt hatte. Der König sprach: ,Da dies seine Absicht ist, wie kannst du ihn einen Betrüger und Belüger nennen?' ,Ich höre auch jetzt noch nicht auf, das zu sagen', erwiderte der Wesir; doch der König drohte ihm und schalt ihn und rief: ,Bei meinem Haupte, wenn du von solchem Geschwätz nicht ablässest, so lasse ich dich hinrichten! Jetzt geh zu ihm zurück und hole ihn her zu mir; ich werde selbst alles mit ihm ordnen!' So ging denn der Wesir zu Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Komm, folge dem Rufe des Königs!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Ma'rûf und begab sich zum



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König; der sprach zu ihm: ,Halt mich nicht mit solchen Entschuldigungen hin! Sieh, meine Schatzkammer ist voll; drum nimm die Schlüssel an dich und gib alles aus, was du brauchst! Verschenke, was du willst, kleide die Armen und tu, was dir beliebt! Mach dir keine Sorgen wegen meiner Tochter und der Sklavinnen; wenn deine Karawane gekommen ist, dann zeige dich so freigebig gegen deine Gemahlin, wie du nur willst! Wir wollen uns mit der Brautgabe von dir gedulden, bis dein Gepäck eintrifft; zwischen mir und dir ist gar kein Unterschied.' Dann befahl er dem Scheich el-Islam, die Eheurkunde aufzusetzen; und der schrieb den Ehevertrag zwischen der Tochter des Königs und dem Kaufmann Ma'rûf. Darauf gab der König ein Zeichen, daß die Hochzeitsfeier beginnen solle, und befahl, daß die Stadt ausgeschmückt werde. Die Trommeln wurden geschlagen, Speisen aller Art wurden aufgetragen, und die Gaukler kamen. Der Kaufmann Ma'rûf aber saß auf einem Thron in einem Saal, und die Gaukler und Taschenkünstler, die Tänzer und all die Leute, die seltsame Kunststücke machten und gefällige Spiele vollbrachten, traten vor ihn hin, und er befahl dem Schatzmeister, indem er sprach: ,Bring Gold und Silber!' Der also holte Gold und Silber, und nun ging Ma'rûf unter den Zuschauern umher und gab jedem, der spielte, eine Handvoll; auch beschenkte er die Armen und Bedürftigen und kleidete die Nackten. Es war ein lärmendes Freudenfest, und der Schatzmeister konnte das Geld kaum rasch genug aus dem Schatzhause holen. Dem Wesir wollte das Herz bersten vor Wut; aber er wagte nichts zu sagen. Nur der Kaufmann 'Alt, der über diese Verschwendung der Gelder entsetzt war, sprach zum Kaufmann Ma'rûf: ,Allah und die Heiligen sollen über dein Haupt' kommen! Genügte es dir



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nicht, das Geld der Kaufleute zu vergeuden, so daß du auch noch das Geld des Königs vergeuden mußt?' ,Das geht dich nichts an', antwortete ihm der Kaufmann Ma'rûf, ,wenn das Gepäck kommt, will ich es dem König vielfach vergelten.' Und er vergeudete immer mehr Geld; doch er sprach bei sich selber: ,Eine verzehrende Pest! Was geschehen soll, geschieht; und dem Verhängnis kann keiner entgehen.' Vierzig Tage lang hörten die Festlichkeiten nicht auf; und am einundvierzigsten Tage wurde der Hochzeitszug für die Braut bereitet, und da schritten all die Emire und die Krieger vor ihr her. Als sie zu Ma'rûf hineingeführt wurde, streute er das Gold über die Häupter der Leute; so war es ein prunkvoller Hochzeitszug für sie, und er gab um ihretwillen Geld aus in ungeheuren Mengen. Dann ward er zu der Prinzessin geleitet, und er setzte sich auf das hohe Lager. Nachdem aber die Vorhänge herabgelassen und die Türen geschlossen waren und das Volk sich fortbegeben und ihn bei der jungen Frau gelassen hatte, schlug er die Hände zusammen und saß eine Weile traurig da, indem er immer wieder Hand auf Hand schlug; dabei rief er: ,Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Nun fragte ihn die Prinzessin: ,Mein Gebieter, Allah bewahre dich! Was ist dir, daß du so besorgt bist?' Er antwortete: ,Wie sollte ich nicht besorgt sein, da dein Vater mich in Verlegenheit gebracht und so an mir getan hat, wie wenn man grünes Korn verbrennt?' Da fuhr sie fort: ,Und was hat mein Vater an dir getan? Sage es mir!' Und er gab zur Antwort: ,Er hat mich zu dir hineinführen lassen, ehe meine Karawane gekommen ist, und ich wollte doch zum mindesten hundert Juwelen an deine Sklavinnen verteilen, einer jeden ein Juwel, damit sie sich daran erfreute und spräche: ,Mein Herr hat mir ein Juwel geschenkt in der Nacht,



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da er zu meiner Herrin einging.' Eine solche Tat wäre dann zu Ehren deines hohen Ranges geschehen und hätte dein Ansehen erhöht; denn ich brauche mit dem Spenden von Juwelen nicht zu sparen, da ich eine Menge von ihnen besitze.' Sie entgegnete ihm: ,Darum mach dir keine Sorgen! Aus diesem Grunde brauchst du nicht bekümmert zu sein! Was mich angeht, so gräme dich nicht um meinetwillen; denn ich werde gern Geduld mit dir haben, bis die Karawane kommt. Und was die Sklavinnen betrifft, so sei auch um ihretwillen unbesorgt! Erhebe dich, leg deine Gewänder ab und gib dich der Freude hin! Wenn die Karawane eintrifft, so werden wir an jenen Juwelen und den anderen Dingen nicht zu kurz kommen.' Da erhob er sich und legte die Gewänder ab, die er trug, und setzte sich auf das Lager hin; nun hatte er das Liebesspiel im Sinn, und dies war des Kosens Beginn. Er legte seine Hand auf ihre Kniee, und sie setzte sich auf seinen Schoß und schob ihre Lippe in seinen Mund. Das war eine Stunde, die einen Menschen seinen Vater und seine Mutter vergessen läßt. Er umarmte sie und zog sie an sich und preßte sie an seinen Busen und drückte sie an seine Brust und sog an ihren Lippen, bis der Honigtau von ihrem Munde troff. Und er legte seine Hand unter ihren linken Arm, bis sein Leib und ihr Leib sich nach der Vereinigung sehnten. Nachdem er nun seine Hand zwischen ihre Brüste gelegt hatte und sie bis zu den Schenkeln hinab bewegt hatte, umgürtete er sich mit ihren Beinen und erprobte, wie sich die beiden Teile vereinen. Er rief: ,O Vater der beiden Kinnschleier!' und legte das Pulver auf die Pfanne und entzündete die Lunte und zielte auf den Kompaß; dann gab er Feuer und brach die Burg an allen vier Ecken. So geschah das Ereignis, das unerforschlich ist, und sie tat den Schrei, der unausbleiblich ist - —«



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Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 994. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann Ma'rûf, als die Prinzessin den Schrei tat, der unausbleiblich ist, ihr das Mädchentum nahm. Und jene Nacht war nicht zu irdischem Leben zu zählen, da sie in der Vereinigung der Schönen so viel von Umarmung und Liebesspiel, von Küssen und anderen Genüssen in sich schloß, bis der Morgen sein Licht ergoß. Darauf begab er sich ins Bad und legte eine Gewandung von königlichen Kleidern an; und nachdem er das Bad verlassen hatte, trat er in den Staatssaal des Königs ein. Alle, die dort waren, erhoben sich vor ihm und empfingen ihn mit der höchsten Ehrerbietung; und sie wünschten ihm Glück und Segen. Er aber setzte sich zur Seite des Königs nieder und rief: ,Wo ist der Schatzmeister?' Man gab zur Antwort: ,Da steht er vor dir!' Dann fuhr er fort: ,Bringe Ehrengewänder und bekleide damit alle die Wesire und Emire und Würdenträger!' Da brachte der Schatzmeister ihm alles, was er verlangt hatte; und er selber saß da und beschenkte alle, die zu ihm kamen, indem er einem jeden Manne nach Rang und Würden gab. So trieb er es immer weiter, zwanzig Tage lang; aber es kam keine Karawane für ihn an, noch auch sonst etwas. Darauf geriet der Schatzmeister um seinetwillen in die größte Besorgnis, und er trat zum König ein, als Ma'rûf abwesend war. Nur der König saß da. allein mit dem Wesir; nachdem der Schatzmeister den Boden vor ihm geküßt hatte, sprach er: ,O größter König unserer Zeit, ich muß dir etwas mitteilen, weil du mich sonst vielleicht schelten würdest, wenn ich es dir nicht berichte. Wisse, das Schatzhaus ist fast leer; nur noch ein wenig ist darin verblieben, und nach zehn Tagen werden wir ein leeres Haus



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zuschließen.' Da hub der König an: ,O Wesir, die Karawane meines Eidams bleibt wirklich lange aus, und wir erhalten auch gar keine Kunde von ihr.' Lachend erwiderte ihm der Wesir: ,Allah sei dir gnädig, o größter König unserer Zeit! Du bist völlig achtlos auf das Treiben dieses Betrügers und Belügers! Bei deinem Haupte, es gibt keine Karawane, die ihm gehört, noch eine Pest. die uns von ihm befreit. Er hat dich immer nur betrogen, bis er schließlich all dein Geld vertan und deine Tochter umsonst zur Gemahlin erhalten hat. Wie lange noch willst du sorglos diesem Lügner zuschauen?' Der König erwiderte ihm: ,O Wesir, was sollen wir tun, um die Wahrheit über ihn zu erfahren?' Darauf sagte der Minister: ,O größter König unserer Zeit, niemand kann in das Geheimnis des Mannes eindringen, es sei denn seine Gattin. Sende nach deiner Tochter und laß sie hinter einen Vorhang treten, damit ich sie frage, wie es in Wahrheit um ihn steht; denn sie soll ihn ausforschen und uns wissen lassen, was es mit ihm auf sich hat!' ,Das mag gerne geschehen,' sprach der König, ,und bei meinem Haupte, wenn es feststeht, daß er ein Betrüger und Belüger ist, so will ich ihn wahrlich des schmählichsten Todes sterben lassen.' Darauf nahm er den Wesir mit sich und führte ihn in das Wohngemach; und nachdem er seine Tochter hatte kommen lassen, trat sie hinter den Vorhang. All das geschah, während ihr Gatte abwesend war. Und als sie dorthin gekommen war, fragte sie: ,Mein Vater, was wünschest du?' Er sagte: ,Sprich mit dem Wesir!' So fragte sie denn weiter: ,O Wesir, was ist dein Begehr?' Und der gab zur Antwort: ,Meine Herrin. wisse, dein Gatte hat das Geld deines Vaters verschwendet und hat sich mit dir ohne Brautgabe vermählt. Unaufhörlich macht er uns Versprechungen und bricht sie; von seinem Gepäck haben wir noch keine Kunde erhalten, kurz, wir wünschen,



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daß du uns über ihn Auskunft gibst.' Sie erwiderte: ,Seiner Worte sind viel, und er kommt auch immer und verspricht mir Juwelen, Schätze und kostbare Stoffe, aber ich habe noch nichts gesehen.' ,Meine Herrin,' fuhr der Wesir fort ,kannst du nicht heute nacht mit ihm hin und herplaudern und dann zu ihm sagen: ,Tu mir die Wahrheit kund und fürchte nichts; denn du bist mein Gatte geworden, und ich werde mich nicht an dir versündigen! Drum sage mir, wie alles in Wirklichkeit steht, und ich will für dich einen Plan ersinnen, wie du Ruhe haben sollst!' Darauf sprich noch weiter mit ihm darüber hin und her und zeige ihm deine Liebe und bringe ihn dazu, daß er gesteht! Wenn das geschehen ist, teile uns den wahren Sachverhalt mit!' Sie sagte nur: ,Mein Vater, ich weiß, wie ich ihn erforschen will', und ging fort. Nach dem Nachtmahl kam ihr Gatte Ma'rûf wie immer zu ihr; da trat sie auf ihn zu und faßte ihn unter dem Arm und schmeichelte ihm in lieblichster Weise - o wie können die Frauen schmeicheln, wenn sie einen Wunsch haben, den sie bei den Männern durchsetzen wollen! —und hörte nicht auf, ihm zu schmeicheln und ihn unter Worten, süßer als Honig, zu liebkosen, bis sie ihm den Verstand berückt hatte. Als sie nun sah, daß er sich ihr ganz hingab, sprach sie zu ihm: ,Mein Geliebter, du mein Augentrost und Frucht meines Herzens, Allah beraube mich deiner nie, und nie trenne das Geschick uns beide, dich und mich! Wahrlich, die Liebe zu dir wohnt nun in meinem Herzen, und mein Inneres wird verzehrt von der Sehnsucht brennenden Schmerzen, so daß ich mich nie und nimmer an dir versündigen könnte. Aber ich möchte, daß du mir die Wahrheit sagst; denn die Listen der Lüge frommen nicht, und sie finden auch nicht immer Glauben. Wie lange noch willst du meinen Vater belügen und betrügen? Ich fürchte, deine Lage wird ihm noch



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eher aufgedeckt werden, als wir einen Plan wider ihn ersinnen können; und dann wird er Hand an dich legen. Drum tu mir die Wahrheit kund, und dir soll nichts geschehen, als was dich erfreut! Wenn du mir berichtet hast, wie alles in Wirklichkeit steht, so brauchst du nicht zu fürchten, daß dir ein Leids widerfahre. Wie oft willst du noch behaupten, du seiest ein Kaufmann und ein Besitzer von Reichtümern und hättest eine Karawane? Seit langer Zeit schon sagst du immer: ,Mein Gepäck, mein Gepäck!' Doch von deinem Gepäck ist uns noch keine Kunde gekommen, und auf deinem Antlitz ist deshalb die Sorge zu sehen. Wenn also deine Worte nicht der Wahrheit entsprechen, so tu es mir kund; und ich werde dir einen Plan ersinnen, durch den du dich retten sollst, so Gott will.' Da sprach er zu ihr: ,Meine Gebieterin, ich will dir die Wahrheit sagen, und dann tu, was du willst!' ,So sprich denn,' erwiderte sie, ,und bleib bei der Wahrheit; denn die Wahrheit ist ein Rettungsboot; hüte dich vor der Lüge, denn sie bringt dem Lügner Schande, und wie vortrefffich ist der Mann, der da sprach:

Sei du ein Mann, der stets die Wahrheit nur bekennt.
Wenn dich die Wahrheit auch durch Feuers Drohung brennt!
Such Gottes Beifall; denn der größte Tor der Welt
Ist, wer den Herrn erzürnet und dem Knecht gefällt!'

Nun bekannte er: ,Vernimm denn, meine Herrin, ich bin kein Kaufmann, und ich habe keine Karawane, noch auch sonst irgend etwas. Ich war in meiner Heimat nur ein Schuhflicker, und ich hatte eine Frau, die heißt Fâtima das Scheusal; mit der ist es mir soundso ergangen.' Und so erzählte er ihr die Geschichte von Anfang bis zu Ende. Lächelnd sprach sie darauf: ,Du bist wirklich erfahren in der Kunst des Lügens und Betrügens!' Er aber sagte: ,Meine Gebieterin, Allah der Erhabene



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lasse dich lang am Leben bleiben, um Fehler zu verhüllen und Sorgen zu vertreiben!' Dann fuhr sie fort: ,Bedenke, du hast meinen Vater betrogen und durch dein vieles Prahlen getäuscht, so daß er mich in seiner Habgier mit dir vermählte; ferner hast du sein Geld vergeudet, und deswegen hegt der Wesir Argwohn gegen dich. Wie oft hat er über dich mit meinem Vater geredet und gesagt: ,Er ist ein Betrüger und Belüger!' Doch mein Vater wollte nicht auf seine Worte hören, weil er sich einmal um mich beworben hat und ich nicht damit einverstanden gewesen bin, daß er mein Gatte und ich seine Gemahlin werden sollte. Nun ist die Zeit aber zu lang geworden, und mein Vater ist besorgt und hat mir gesagt, ich solle dich zum Geständnis bringen. Ich habe dich zum Geständnis gebracht, und das Verborgene ist offenbar geworden. Mein Vater hat nun Schlimmes mit dir im Sinn: aber du bist mein Gatte, und ich will mich nicht an dir vergehen. Wenn ich meinem Vater berichte, was du mir gesagt hast, so hat er die Sicherheit, daß du ein Betrüger und Belüger bist, daß du Königstöchter betrügst und königliche Schätze vergeudest; und dann wird deine Schuld bei ihm keine Vergebung finden, sondern er wird dich hinrichten lassen, das ist gewiß. Dann wird es aber auch unter dem Volke ruchbar werden, daß ich mit einem Manne vermählt wurde, der ein Betrüger und Belüger ist, und das wäre eine Schande für mich. Wenn mein Vater dich hat töten lassen, so wird er mich vielleicht mit einem anderen vermählen wollen, und das wäre etwas, in das ich nie willigen würde, auch wenn ich sterben müßte. Doch jetzt mache dich auf, lege die Gewandung eines Mamluken an, nimm fünfzigtausend Dinare von meinem Gelde mit dir und besteig ein Roß; dann begib dich in ein Land, in das meines Vaters Herrschaft nicht reicht! Dort werde Kaufmann; und



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dann schreib mir einen Brief und sende ihn mit einem Boten, der insgeheim zu mir kommen soll, damit ich weiß, in welchem Lande du bist, und dir alles senden kann, was meine Hand erreicht! So wird dein Gut sich mehren; und wenn mein Vater stirbt, will ich zu dir schicken, und du sollst wiederkommen, geachtet und geehrt. Wenn aber einer von uns beiden, ich oder du, zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen eingeht, so wird die Auferstehung uns vereinen. Dies ist der beste Plan; und solange wir beide am Leben bleiben, will ich nie ablassen, dir Botschaften und Gelder zu senden. Also mache dich auf, ehe der Tag sich über dir erhebt und Ratlosigkeit dich bedrängt und das Verderben sich auf dich niedersenkt!' ,Ach, meine Gebieterin,' rief er, ,ich flehe dich an, gewähre mir zum Abschied die Gunst deiner Umarmung!' Sie antwortete: Das mag gern geschehen.' Nachdem er bei ihr geruht und sich gewaschen hatte, legte er die Gewandung eines Mamluken an und befahl den Stallknechten, ihm einen edlen Renner zu satteln. Da sattelten sie ihm ein Roß, und er nahm Abschied von seiner Gattin und ritt gegen Ende der Nacht zur Stadt hinaus. Wie er so dahinzog, glaubte ein jeder, der ihn sah, er sei einer von den Mamluken des Sultans, der fortritt, um einen Auftrag auszuführen. Am nächsten Morgen begaben sich der König und der Wesir in das Wohngemach; der König sandte nach seiner Tochter, und sie kam wieder hinter den Vorhang. Dann fragte ihr Vater sie: ,Meine Tochter, was hast du zu sagen?' Und sie antwortete: ,Ich habe zu sagen: Allah schwärze das Antlitz deines Wesirs, denn der hat mein Antlitz vor meinem Gatten schwärzen wollen!' ,Wie denn das?' fragte er weiter; und sie fuhr fort: ,Er kam gestern abend zu mir, und ehe ich noch mit ihm über diese Sache sprechen konnte, trat plötzlich der Eunuch Faradsch zu mir herein, mit einem Brief in der



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Hand, und sprach: ,Siehe, es stehen zehn Mamluken unter dem Fenster des Schlosses; die haben mir diesen Brief gegeben und gesagt: ,Küsse unserem Herrn, dem Kaufmann Ma'rûf, die Hand für uns und gib ihm diesen Brief; wir gehören zu den Mamluken, die bei der Karawane sind, und es ist uns berichtet worden, daß er sich mit der Tochter des Königs vermählt hat; und wir sind gekommen, um ihm zu melden, was uns unterwegs widerfahren ist.' Da nahm ich den Brief, und als ich ihn las, erkannte ich darin das Folgende: ,Von den fünfhundert Mainluken an Seine Hoheit. unsern Herrn, den Kaufmann Ma'rûf. Des ferneren: Wir tun dir kund, daß nach deinem Fortgehen die Beduinen uns überfielen und angriffen. Es waren ihrer zweitausend Reiter, während wir doch nur fünfhundert Mamluken waren. Zwischen uns und den Beduinen entspann sich ein heftiger Kampf; sie verlegten uns den Weg, und wir mußten dreißig Tage lang wider sie streiten. Und dies ist der Grund unseres Ausbleibens.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 995. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Prinzessin zu ihrem Vater sprach: ,Mein Gatte erhielt einen Brief von seinem Gefolge, der also schloß: ,Die Araber verlegten uns den Weg; und dies ist der Grund unseres Ausbleibens. Sie haben uns zweihundert Lasten Stoffe von dem Gepäck geraubt und fünfzig Mamluken getötet.' Als diese Nachricht meinen Gatten erreichte, tiefer: ,Allah mache sie zuschanden! Wie konnten sie mit den Beduinen wegen zweihundert Warenlasten streiten? Was bedeuten denn zweihundert Lasten? Um deren willen hätten sie nicht so lange ausbleiben dürfen; denn der Wert von zweihundert Lasten ist doch nur siebentausend Dinare!



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Aber ich muß jetzt zu ihnen reiten und sie zur Eile antreiben. Was die Araber ihnen geraubt haben, das wird in dem Gepäck nicht vermißt werden, und das macht bei mir nichts aus; ich nehme an, ich hätte es ihnen als Almosen geschenkt.' Dann eilte er lächelnd fort von mir, ohne darum bekümmert zu sein, daß ihm das Gut verloren gegangen war und daß seine Mamluken getötet waren. Und als er hinabgeeilt war, schaute ich aus dem Fenster des Schlosses, und da erblickte ich die zehn Mamluken, die ihm den Brief gebracht hatten; sie waren schön wie Monde, und ein jeder von ihnen trug ein Gewand, das zweitausend Dinare wert war, ja, mein Vater hat keinen Mainluken, der einem von ihnen gliche. Darauf zog er mit den Mamluken fort, die ihm das Schreiben überbracht hatten, und er will sein Gepäck holen. Preis sei Allah, der mich davor bewahrt hat, ihm etwas von dem zu sagen, was du mir befohlen hast; denn sonst hätte er meiner und deiner gespottet! Vielleicht hätte er sogar mich mit dem Auge der Geringschätzung angesehen und eine Abneigung gegen mich gewonnen. Das ist alles die Schuld deines Wesirs, der wider meinen Gatten Worte redete, die sich nicht geziemen.' Da sagte der König: ,Liebe Tochter, der Reichtum deines Gatten ist unermeßlich, und er achtet seiner nicht; seit dem Tage, an dem er in unsere Stadt einzog, hat er immer nur Almosen an die Armen gegeben. So Gott will, wird er bald mit der Karawane kommen, und dann werden wir durch ihn viel Gut gewinnen.' So tröstete er seine Tochter; den 'Wesir aber schalt er. Und so war die List an ihm gelungen.

Wenden wir uns von dem König wieder zu dem Kaufmann Ma'rsûf! Der ritt auf dem Rosse dahin und zog durch die öde Wüste, ratlos und ohne zu wissen, in welches Land er sich begeben sollte. Dabei klagte er im Schmerz über die Trennung;



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Sehnsucht und Liebespein bedrängten ihn schwer, und er sang diese Verse vor sich her:

Ach, die Zeit zerriß und trennte unser traut Zusammensein;
Und das Herz zerschmilzt und steht in Flammen ob der grausen Pein.
Trennung von der Liebsten quält mich, daß im Aug die Tränen stehn.
Ja, dies ist die bittre Trennung! Ach, wann kommt das Wiedersehn?
O du, deren Antlitz strahlet gleich dem Mond am Himmelspfad,
Ich bin der, dem deine Liebe ganz das Herz zerrissen hat.
Hätte ich doch keine Stunde jemals nur bei dir geweilt!
Hätte doch nach trautem Nahsein mich das Elend nicht ereilt!
Ewig sieht Ma'rûf in Dunja' seiner Sehnsucht höchstes Ziel;
Möge sie noch leben, wenn er seiner Lieb zum Opfer fiel!
O du. deren strahlend Leuchten nur die helle Sonne kennt,
Nah dich einem Herzen. das nach Liebe und nach Güte brennt!
Bringt uns wohl das Schicksal einstens wieder ein Zusammensein?
Wird es uns in Zukunft doch noch Wiedersehn und Freude leihn?
Wird der Liebsten Schloß in Freuden uns umschließen wie zuvor?
Und umschließ ich mit den Armen jenes Reis, das ich verlor?
O du schönes Mondenantlitz, gleich der Sonne strahlend klar,
Mögen dir im Antlitz deine Reize strahlen immerdar!
Ach, ich bin ja schon zufrieden mit der Lieb und ihrer Qual;
Denn das Glück der Liebe ist doch Ziel des Unglücks allzumal.

Als er seine Verse beendet hatte, weinte er bitterlich; denn die Wege waren vor ihm verschlossen, und er wollte lieber den Tod erstreben als noch weiterleben. Dann zog er seines Weges dahin, wie trunken vor dem Übermaß der Verstörung, und immer weiter ritt er bis zur Mittagszeit; da kam er zu einem kleinen Flecken. und dort in der Nähe sah er einen Landmann, der mit zwei Stieren pflügte. Weil der Hunger ihn quälte, ritt er auf den Pflüger zu und sprach zu ihm: ,Friede sei mit Euch!' Der Mann erwiderte seinen Gruß und fügte hinzu: ,Willkommen,



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mein Herr! Bist du einer von den Mamluken des Sultans?' ,Jawohl', erwiderte Ma'rûf; und jener fuhr fort: ,So steig bei mir zur Mahlzeit ab!' Ma'rûf sah, daß jener ein freigebiger Mann war, doch er sprach zu ihm: ,Bruder, ich sehe nichts bei dir, womit du mich speisen könntest. Wie kommt es. daß du mich einlädst?' Der Bauer antwortete: ,Das Gute ist vorhanden; steig nur ab! Siehe, der Flecken ist nahe, und ich will eilen und ein Mittagsmahl für dich und Futter für das Pferd holen.' Nun sagte Ma'rûf: ,Da der Flecken nahe ist, so kann ich doch ebenso rasch hineilen wie du und mir im Basar kaufen, was ich brauche, und essen.' Doch der Bauer erwiderte: ,Mein Herr, der Flecken ist nur ein kleines Dorf, und dort gibt es keinen Basar, man kann weder kaufen noch verkaufen. Ich bitte dich um Allahs willen, steig hier bei mir ab und mache mir die Freude; ich will dorthin eilen und rasch zu dir zurückkehren!' So stieg er denn ab, während der Bauer ihn verließ und ins Dorf eilte, um ein Mittagsmahl für ihn zu holen. Nachdem Ma'rûf sich niedergesetzt hatte, um zu warten, sprach er bei sich: ,Jetzt haben wir diesen armen Mann von seiner Arbeit abgehalten. Ich will doch hingehen und für ihn pflügen, bis er kommt, um es ihm zu vergelten, daß ich ihn von seiner Arbeit fernhalte.' Dann nahm er den Pflug in die Hand und trieb die Stiere an; kaum hatte er ein wenig gepflügt, da stieß die Pflugschar an etwas, und die Tiere blieben stehen. Er trieb sie wieder an, aber sie konnten sich nicht bewegen. Wie er nun nach der Pflugschar schaute, sah er, daß sie sich in einem goldenen Ring gefangen hatte. Rasch grub er die Erde davon beiseite, und da fand er, daß jener Ring sich mitten an einer Marmorplatte befand, die von der Größe eines unteren Mühlsteines war. Dann zog er an dem Steine, bis er ihn von seiner Stelle fortbewegt hatte, und da zeigte sich unter



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ihm eine Höhle mit Treppenstufen. Er stieg die Stufen hinab und entdeckte nun einen Raum, gleich der Halle eines Bades, mit vier Estraden. Die erste Estrade war vom Boden bis zur Decke mit Gold gefüllt; die zweite war angefüllt mit Smaragden und Perlen und Korallen, gleichfalls vom Boden bis zur Decke; die dritte war voll von Hyazinthen, Ballasrubinen und Türkisen, und die vierte voller Diamanten und anderen wertvollen Edelsteinen von jeglicher Art. Am oberen Ende dieses Raumes aber stand eine Truhe aus klarem Kristall, und die war voll von einzigartigen Juwelen, deren jedes so groß wie eine Walnuß war; und auf der Truhe lag ein kleines goldenes Kästchen von der Größe einer Zitrone. Als er das erblickte, staunte er und freute sich über die Maßen; und er rief: ,Was mag wohl in diesem Kästchen sein?' Dann öffnete er es und fand darin einen goldenen Siegelring, auf dem Zaubernamen und Talismane eingegraben waren, die wie Ameisenspuren aussahen. Er rieb den Ring, und siehe, da sprach eine Stimme: ,Zu Diensten, zu Diensten, mein Gebieter! Verlange, und es wird dir gegeben! Willst du einen Ort bevölkern oder eine Stadt zerstören? Willst du einen König töten oder einen Fluß graben lassen oder sonst etwas dergleichen? Was du nur verlangst, wird rasch zustande gebracht durch die Erlaubnis des Königs der Macht, des Schöpfers von Tag und Nacht.' Ma'rûf fragte ihn: ,O Geschöpf des Herrn, wer bist du, und was bist du?' Jener antwortete: ,Ich bin der Diener dieses Ringes, und ich stehe im Dienste dessen, der ihn besitzt. Welchen Wunsch er auch immer ausspricht, den erfülle ich ihm, und ich kann mich dem nicht entziehen, was er mir befiehlt. Ich bin Sultan über die Geisterwächter, und meine Heerschar besteht aus zweiundsiebenzig Stämmen, von denen ein jeder zweiundsiebenzigtausend Mann zählt. Je einer von den tausend



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herrscht über tausend Mârids, jeder Mârid gebietet über tausend Wächter; jeder Wächter ist Herr über tausend Satane; und jedem Satan sind tausend Dämonen untertan. Sie alle stehen unter meiner Herrschaft, und sie wagen es nicht, mir zuwiderzuhandeln. Ich aber bin durch einen Zauber an diesen Ring gebunden und darf dem nicht ungehorsam sein, der ihn besitzt. Siehe, jetzt besitzest du ihn, und ich bin dein Diener geworden. Verlange also, was du willst, ich höre auf dein Wort und gehorche deinem Befehl. Und wenn du mich zu irgendeiner Zeit nötig hast, zu Wasser oder zu Lande, so reibe den Ring, und du wirst mich bei dir finden. Doch hüte dich, ihn zweimal nacheinander zu reiben; denn sonst wirst du mich verbrennen durch die Feuergewalt der Zaubernamen und mich verlieren und hernach um mich trauern! Jetzt habe ich dich mit meinem Wesen bekannt gemacht. Und das ist alles.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 996. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann Ma'rûf, nachdem der Diener jenes Ringes ihn mit seinem Wesen bekannt gemacht hatte, ihn fragte: ,Wie heißest du?' Der Dämon erwiderte: ,Mein Name ist Abu es-Sa'adât."Darauf sagte Ma'rûf zu ihm: ,O Abu es-Sa'adât, was für eine Stätte ist diese Und wer hat dich durch Zauber an dies Kästchen gebunden?' ,Mein Gebieter,' gab jener zur Antwort, ,diese Stätte ist ein Schatz, genannt der Schatz von Schaddâd ibn 'Âd, dem Manne, der Tram erbaute, die ragende Säulenstadt, die im Lande nicht ihresgleichen hat. Ich war sein Diener zu seinen Lebzeiten, und dies ist sein Siegelring, den er in



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seine Schatzhöhle legte; aber jetzt ist er dir zuteil geworden.' Weiter fragte Ma'rûf ihn: ,Kannst du das, was sich in diesem Hort befindet, an die Oberfläche der Erde schaffen?' ,Jawohl, das ist so leicht wie nur möglich', erwiderte der Geist; und Ma'rûf befahl: ,So schaffe denn alles, was sich hier befindet, hinaus, und laß nichts davon zurück!' Da machte der Geist mit seiner Hand ein Zeichen nach der Erde hin, und die spaltete sich; dann stieg er hinab und blieb eine kleine Weile fort. Doch alsbald kamen junge Knaben voller Anmut und schön von Angesicht hervor; die trugen goldene Körbe, und jene Körbe waren voll von Gold. Nachdem sie die ausgeleert hatten, gingen sie wieder fort und brachten andere; und so fuhren sie fort, das Gold und die Juwelen heraufzuschaffen, und ehe noch eine Stunde vergangen war, sprachen sie: ,Es ist nichts mehr im Schatz geblieben.' Dann kam auch Abu es-Sa'adât wieder herauf zu Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Mein Gebieter, du siehst, daß wir alles, was in dem Schatze war, heraufgebracht haben.' Nun fragte der Schuhflicker: ,Wer sind diese schönen Knaben?' Und der Geist antwortete: ,Dies sind meine Söhne. Denn diese Arbeit verdiente es nicht, daß ich die Geisterwächter für sie berief; deshalb haben meine Söhne deinen Wunsch erfüllt, und die fühlen sich geehrt, daß sie dir dienen konnten. Verlange, was du sonst noch begehrst!' Darauf sagte Ma'rûf zu ihm: ,Kannst du mir Maultiere und Truhen verschaffen, diese Schätze in die Truhen tun und die Truhen auf die Maultiere laden?' ,Das ist so leicht wie nur möglich', erwiderte der Geist und stieß einen lauten Schrei aus. Da traten seine Söhne wieder vor ihn hin, achthundert an der Zahl, und er sprach zu ihnen: ,Die einen von euch sollen sich in die Gestalt von Maultieren verwandeln, andere in die Gestalt von schönen Mamluken, und der Geringste unter ihnen soll so



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sein, daß seinesgleichen nicht bei irgendeinem König zu finden ist! Andere von euch sollen die Gestalt von Maultiertreibern annehmen, und noch andere die Gestalt von Dienern!' Sie taten, wie er ihnen befohlen hatte; siebenhundert von ihnen verwandelten sich in Maultiere für die Lasten und die übrigen hundert in das Gefolge. Dann berief er die Geisterwächter, und nachdem sie vor ihm erschienen waren, befahl er ihnen, ein Teil von ihnen solle sich in die Gestalt von Pferden verwandeln, gesattelt mit goldenen und juwelenbesetzten Sätteln. Wie Ma'rûf das sah, fragte er: ,Wo sind die Truhen?' Man brachte sie vor ihn. Darauf sprach er: ,Tut das Gold und die Edelsteine hinein, jede Art für sich!' Da füllten sie nun die Truhen und luden sie auf die dreihundert Maultiere. Nun fragte Ma'rûf: ,O Abu es-Sa'adât, kannst du mir Lasten von kostbaren Stoffen bringen?' Doch jener entgegnete: ,Willst du ägyptische Stoffe oder syrische oder persische oder indische oder griechische?' Ma'rûf erwiderte: ,Bringe Stoffe aus allen Ländern, je hundert Lasten auf hundert Maultieren!' ,Mein Gebieter,' sagte darauf der Geisterfürst, ,gewähre mir eine Frist, damit ich meine Geisterwächter dafür bestelle, so daß auf meinen Befehl ein jeder Stamm in ein anderes Land gehen kann, um hundert Lasten Stoffe zu bringen; die Wächter sollen sich in Maultiere verwandeln und mit den Waren beladen hierher kommen.' ,Wie lange soll die Zeit der Frist dauern?' fragte Ma'rsûf; und der Geist antwortete: ,Die Zeit des nächtlichen Dunkels; ehe der Tag graut, soll alles bei dir sein, was du wünschest.' ,Diese Frist gewähre ich dir', sagte Ma'rûf; und dann befahl er, man solle ihm ein Zelt aufschlagen. Nachdem das errichtet war, setzte er sich hinein, und man brachte ihm einen Tisch mit Speisen. Darauf sprach Abu es-Sa'adât zu ihm: ,Mein Gebieter, bleib in dem Zelte sitzen! Meine Söhne hier



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vor dir werden dich bewachen, und du brauchst nichts zu befürchten. Ich will inzwischen meine Wächter versammeln und sie entsenden, damit sie deinen Wunsch erfüllen.' So ging denn Abu es-Sa'adât seiner Wege, während Ma'rûf im Zelte sitzen blieb, vor sich den Tisch und bewacht von den Söhnen des Geisterfürsten, die als Mamluken, Eunuchen und Diener verkleidet waren. Und wie er so dasaß, kam plötzlich der Bauersmann, der eine große Schüssel voll Linsen und einen Futtersack voll Gerste trug. Als der das Zelt aufgeschlagen und die Mamluken dastehen sah, ihre Arme auf der Brust gekreuzt, dachte er, der Sultan sei gekommen und habe an jener Stätte Halt gemacht, und er blieb erschrocken stehen, indem er bei sich selber sprach: ,Hätte ich doch nur für den Sultan zwei junge Hübner geschlachtet und sie in Kuhbutter gebraten!' Schon wollte er umkehren, um die beiden Hühner zu schlachten und den Sultan damit zu bewirten, da erblickte Ma'rûf ihn und rief ihm zu; und sogleich befahl er den Mamluken: ,Bringt ihn her!' Sie holten ihn samt der Schüssel voll Linsen und führten ihn vor Ma'rûf; der sprach zu ihm: ,Was ist das?' Und der Bauer gab zur Antwort: ,Das ist dein Mittagsmahl und Futter für dein Pferd. Sei mir nicht böse; ich wußte nicht, daß der Sultan hierher kommen würde. Hätte ich das gewußt, so hätte ich zwei junge Hühner für ihn geschlachtet und ihn mit einer guten Mahlzeit bewirtet.' Darauf sagte Ma'rûf: ,Der Sultan ist nicht gekommen. Ich bin sein Eidam, und ich hatte mich mit ihm erzürnt. Aber jetzt hat er seine Mamluken zu mir gesandt, und sie haben mich mit ihm ausgesöhnt; darum will ich nun zur Hauptstadt zurückkehren. Doch da du diese Mahlzeit für mich hergerichtet hast, ohne mich zu kennen, will ich sie gern annehmen, auch wenn sie aus Linsen besteht, und ich will nur von deiner Speise essen.' So befahl er ihm denn,



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die Schüssel mitten auf den Tisch zu setzen, und er aß davon, bis er gesättigt war, während der Bauer sich den Wanst mit jenen kostbaren Gerichten füllte. Darauf wusch Ma'rûf sich die Hände und gab den Mamluken Erlaubnis zu essen; die fielen denn auch über den Rest des Mahles her und aßen. Nachdem die Schüssel geleert war, füllte er sie dem Bauer mit Gold und sprach zu ihm: ,Bring sie in deine Wohnung und komm zu mir in die Stadt; dort will ich dir Ehre erweisen!' Jener nahm die Schüssel voll Gold, trieb die Stiere an und begab sich ins Dorf, indem er sich selbst für den Eidam des Königs hielt. Ma'rûf aber verlebte jene Nacht herrlich und in Freuden; man brachte ihm Mädchen von den Bräuten des Schatzes', und die spielten Musikinstrumente und tanzten vor ihm, so daß er eine Nacht verbrachte, wie sie nicht zum Leben der Sterblichen zu rechnen ist. Als es wieder Morgen ward, da trat, ehe er sich dessen versah, eine Staubwolke hervor und wirbelte hoch in die Luft empor; dann erschienen unter ihr Maultiere, die Lasten trugen, und es waren siebenhundert Tiere, die mit Stoffen beladen und von Treibern. Packknechten und Fackelträgern umgeben waren. Abu es-Sa'adât aber ritt auf einer Maultierstute, als Karawanenführer verkleidet; und vor ihm her ward eine Sänfte getragen mit vier Eckzieraten aus glitzerndem, rotem Golde, die mit Edelsteinen besetzt waren. Als er vor dem Zelte ankam, stieg er vom Rücken des Maultiers ab, küßte den Boden und sprach: ,Mein Gebieter, der Auftrag ist voll und ganz erfüllt, und in dieser Sänfte liegt eine kostbare Gewandung, derengleichen sich unter den Kleidern der Könige nicht findet. Leg sie an, steig in die Sänfte und befiehl uns, was du wünschest!' Ma'rûf erwiderte ihm: ,O Abu es-Sa'adât, ich will dir einen Briefschreiben, den du in



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die Stadt Ichtijân' el-Chotan bringen sollst; geh dort zu meinem Schwiegervater, dem König, aber tritt vor ihn nicht anders als in der Gestalt eines sterblichen Boten.' ,Ich höre und gehorche!' gab der Geist ihm zur Antwort; und dann schrieb Ma'rûf einen Brief und versiegelte ihn. Abu es-Sa'adât nahm ihn und eilte mit ihm fort, bis er zum König eintrat; er fand ihn, wie er gerade sprach: ,O Wesir, mein Herz ist um meinen Eidam besorgt, und ich fürchte, die Beduinen werden ihn töten. Ach, wüßte ich doch nur, wohin er geritten ist, damit ich ihm mit den Truppen folgen könnte! Hätte er es mir doch nur gesagt, ehe er fortritt!' Doch der Wesir entgegnete ihm: ,Allah sei dir gnädig in dieser Sorglosigkeit, die dich umfängt! Bei deinem Haupte, der Mann hat gemerkt, daß wir Verdacht gegen ihn geschöpft hatten, und da er sich vor der Entlarvung fürchtete, ist er geflohen. Er ist nur ein Betrüger und Belüger!' In diesem Augenblick trat der Bote ein, küßte den Boden vor dem König und wünschte ihm langes Leben und Dauer des Ruhms und des Glücks. Der König fragte ihn: ,Wer bist du? Und was ist dein Anliegen?' ,Ich bin ein Bote,' erwiderte jener, ,dein Eidam sendet mich zu dir; er kommt mit der Karawane und hat mich mit einem Schreiben an dich voraufgeschickt; hier ist es.' Da nahm der König den Brief und las ihn und fand darin das Folgende geschrieben: ,Viele Grüße zuvor an unseren Schwiegervater, den glorreichen König! Siehe, ich komme mit der Karawane; drum mache dich auf und zieh mir mit den Truppen entgegen' Nun rief der König: ,Allah schwärze dein Gesicht, o Wesir! Wie oft willst du die Ehre meines Eidams angreifen und ihn zu einem Belüger und Betrüger machen? Jetzt ist er mit der Karawane gekommen, und du bist weiter nichts als ein Verräter.' Da ließ der Wesir den



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Kopf zu Boden hängen, beschämt und betroffen, under sprach: ,O größter König unserer Zeit, ich habe dies nur gesagt, weil die Karawane so lange ausblieb, und weil ich fürchtete, all das Geld, das er ausgegeben hat, wäre verloren.' Doch der König rief von neuem: .Du Verräter, was ist mein Gut? Da die Karawane gekommen ist, wird er es mir in Hülle und Fülle ersetzen.' Darauf befahl der König, die Stadt zu schmücken, und begab sich zu seiner Tochter und sprach zu ihr: ,Frohe Botschaft! Dein Gatte wird bald mit der Karawane kommen; er hat mir einen Brief des Inhalts geschickt, und jetzt will ich ihm entgegenziehn.' Die Prinzessin wunderte sich über diese Wendung der Dinge, und sie sprach bei sich: ,Dies ist doch ein seltsam Ding! Wollte er meiner spotten und sich über mich lustig machen, oder wollte er mich auf die Probe stellen, als er mir sagte, er sei arm? Doch Preis sei Allah, daß ich meine Pflicht gegen ihn nicht versäumt habe!'

Wenden wir uns nun von Ma'rûf einmal wieder zu dem Kaufmann 'All aus Kairo! Als der sah, daß die Stadt geschmückt wurde, fragte er nach der Ursache; und man erwiderte ihm: ,Die Karawane des Kaufmanns Ma'rûf, des Eidams des Königs, ist eingetroffen.' ,Allah ist der Größte,' rief 'All, ,was ist das für ein Unheil! Er kam zu mir auf der Flucht vor seiner Frau und war arm! Woher hat er jetzt eine Karawane? Doch vielleicht hat die Tochter des Königs einen Plan für ihn ersonnen aus Furcht vor der Entlarvung; und Königen ist nichts unmöglich. Möge Allah der Erhabene ihn behüten und nicht in Schande geraten lassen!' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 997. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kaufmann



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'All, als er wegen der Ausschmückung der Stadt gefragt und den Grund erfahren hatte, für Ma'rûf betete, indem er sprach: ,Allah behüte ihn und lasse ihn nicht in Schande geraten!' All die anderen Kaufleute aber waren froh und vergnügt, weil sie nun ihr Geld wiederbekommen sollten. Dann versammelte der König die Truppen und zog hinaus, während Abu es-Sa'adât zu Ma'rûf zurückkehrte und ihm berichtete, daß die Botschaft überbracht war. Da befahl Ma'rûf: ,Ladet auf!' Und als sie aufgeladen hatten, legte er die kostbare Gewandung an und stieg in die Sänfte und war nun tausendmal prächtiger und majestätischer als der König. Nachdem er den halben Weg zurückgelegt hatte, siehe, da kam ihm der König mit den Truppen entgegen; als er ihn erreichte, sah er ihn in der Sänfte sitzen, mit jenem Gewand bekleidet, und er warf sich auf ilm und begrüßte ihn und wünschte ihm Glück zu seiner Heimkehr. Auch alle die Großen des Reiches begrüßten ihn, und es ward kund, daß er die Wahrheit gesprochen hatte und daß kein Falsch an ihm war. Dann kam er in die Stadt in einem solchen Prunkzuge, daß selbst dem Löwen vor Neid die Gallenblase geplatzt wäre; und die Kaufleute eilten zu ihm und küßten den Boden vor ihm. Der Kaufmann 'All aber sprach zu ihm: ,Du hast diesen Streich gespielt, und er ist dir geglückt, du Erzgauner! Aber du verdienst es; möge Allah der Erhabene dir seine Gunst noch mehren!' Da mußte Ma'rûf lachen. Als er dann in den Palast eingezogen war, setzte er sich auf den Thron und rief: ,Bringt die Lasten Goldes in die Schatzkammer meines Schwiegervaters, des Königs! Die Lasten Tuch aber bringt hierher!' Die Diener brachten sie ihm und begannen, sie zu öffnen, eine Last nach der andern, und ihren Inhalt herauszunehmen, bis sie siebenhundert Lasten ausgepackt hatten. Dann suchte er die schönsten davon aus und befahl: ,Bringt sie der



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Prinzessin; sie möge sie an ihre Sklavinnen verteilen! Nehmt auch diese Truhe voll Juwelen und tragt sie zu ihr hinein; sie möge sie an die Sklavinnen und die Eunuchen verteilen!' Dann überreichte er den Kaufleuten, in deren Schuld er stand, Stoffe als Entgelt für ihre Darlehen, und zwar gab er jedem, der ihm tausend Dinare geliehen hatte, Stoffe im Werte von zweitausend oder mehr. Danach verteilte er Gaben an die Armen und Bedürftigen, während der König selbst zuschaute und ihn nicht zu hindern wagte; unaufhörlich spendete und gab er, bis er die siebenhundert Lasten verteilt hatte. Dann wandte er sich zu den Truppen und verteilte an sie Edelsteine, Smaragden und Hyazinthen, dazu Perlen und Korallen und noch anderen Schmuck, indem er die Juwelen mit vollen Händen hingab, ohne sie zu zählen. Da aber sprach der König zu ihm: ,Mein Sohn, laß es genug sein mit diesen Gaben; es ist ja von der ganzen Karawane nur noch wenig übrig geblieben!' Doch jener entgegnete ihm: ,Ich habe eine Menge.' So war seine Wahrhaftigkeit offenbar geworden, und niemand konnte ihn mehr der Lüge zeihen. Und er achtete nicht darauf, wieviel er verschenkte, da ihm der Diener des Ringes brachte, was er nur immer verlangte. Nun kam auch der Schatzmeister zum König und sprach zu ihm: ,O größter König unserer Zeit, die Schatzkammer ist voll und kann den Rest der Lasten nicht mehr fassen. Wohin sollen wir das tun, was von dem Gold und von den Edelsteinen noch übrig ist?' So wies er ihm denn einen anderen Raum an. Als aber Ma'rûfs Gattin sah, was sich dort begab, wuchs ihre Freude, und sie sprach verwundert bei sich selber: ,Wüßte ich nur, woher ihm all dies Gut zuteil geworden ist!' Ebenso freuten sich auch die Kaufleute über das, was er ihnen gegeben hatte, und sie segneten ihn. Der Kaufmann 'Alt jedoch sprach bei sich in seinem Staunen: ,Wie mag er



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wohl betrogen und gelogen haben, daß er all diese Schätze in seine Hand bekommen hat! Stammten sie von der Prinzessin. so hätte er sie nicht an die Armen verteilt. Doch wie schön ist das Wort dessen, der da sprach:

Wenn der höchste König schenkt,
Sollst du nach dem Grund nicht fragen.
Allah spendet, wem Er will;
Ehrfurchtsvoll sei dein Betragen!

So viel von ihm. Aber auch der König staunte über die Maßen ob dessen, was er Ma'rûf tun sah, wie er so freigebig und großmütig den Reichtum verschwendete. Schließlich trat Ma'rûf zu seiner Gattin ein, und die empfing ihn mit strahlendem Lächeln und voll Freuden. und nachdem sie ihm die Hand geküßt hatte, sprach sie: ,Wolltest du dich über mich lustig machen oder mich auf die Probe stellen, als du sagtest, du wärest arm und auf der Flucht vor deiner Frau? Doch Preis sei Allah, daß ich meine Pflicht gegen dich nicht versäumt habe! Du bist mein Liebling, und niemand ist mir teurer als du, ob du nun reich oder arm bist. Aber ich möchte doch gern, daß du mir sagst, was du mit jenen Worten im Sinne hattest.' Er gab zur Antwort: ,Ich wollte dich auf die Probe stellen, um zu sehen, ob deine Liebe aufrichtig wäre oder ob sie dem Reichtum gälte und der Gier nach irdischem Gut entsprungen wäre. Doch nun ist es mir offenbar geworden, daß deine Liebe rein ist; und da du wahrhafte Liebe hegst, so sei mir von Herzen willkommen; ich kenne jetzt deinen Wert!' Darauf schloß er sich allein in ein Gemach ein und rieb den Ring; Abu es-Sa'adât erschien vor ihm und sprach zu ihm: ,Zu Diensten! Verlange, was du willst!' Ma'rûf erwiderte: ,Ich wünsche von dir eine kostbare Gewandung für meine Gattin und kostbaren Schmuck, der auch ein Halsband enthält mit vierzig einzigartigen



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Juwelen.' ,Ich höre und gehorche!' sprach der Geist und brachte ihm, was er verlangt hatte. Ma'rûf aber nahm die Gewandung und den Schmuck, nachdem er den Diener des Ringes entlassen hatte, und ging wieder zu seiner Gattin, legte beides vor sie hin und sprach zu ihr: ,Nimm hin und kleide dich; dies sei ein Willkommensgruß für dich!' Als sie das sah, ward sie vor Freuden fast wie von Sinnen; und sie fand unter den Schmuckstücken zwei goldene Fußspangen, die mit Edelsteinen besetzt waren, ein Zauberwerk; ferner Armbänder, Ohrringe und einen Gürtel', deren Wert kein Geld bezahlen konnte. So legte sie denn die Gewandung und den Schmuck an und sprach: ,Mein Gebieter, ich will dies für die Feiertage und die Feste zurücklegen.' Aber er sagte: ,Trag es nur immer! Ich habe andere in Menge.' Als sie nun alles angelegt hatte und die Sklavinnen sie erblickten, freuten sie sich und küßten ihm die Hände. Doch er verließ sie wieder und schloß sich ein; dann rieb er den Ring, und als der dienende Geist vor ihm erschien, sprach er zu ihm: ,Bring mir hundert Gewandungen mit ihrem Schmuck!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte der Geist und brachte ihm die hundert Gewandungen, in die ihr Schmuck eingehüllt war. Ma'rûf nahm sie und rief die Sklavinnen; nachdem sie zu ihm gekommen waren, gab er einer jeden eine Gewandung. Da legten sie die Gewänder an und sahen nun aus wie die Paradiesesjungfrauen, während die Prinzessin unter ihnen wie der Mond unter den Sternen erstrahlte. Eine der Sklavinnen berichtete dem König davon; und der kam alsbald zu seiner Tochter herein. Doch als er sah, daß sie und ihre Sklavinnen jeden Beschauer blendeten, verwunderte er sich über die Maßen. Dann eilte er wieder hinaus. ließ den Wesir kommen und sprach zu ihm: ,O Wesir, das-



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und das hat sich begeben; was sagst du zu dieser Sache?' ,O größter König unserer Zeit,' antwortete er, ,dies ist nicht die Art von Kaufleuten: ein Kaufmann behält die Linnenstücke jahrelang bei sich und verkauft sie nur mit Gewinn. Wie könnten Kaufleute zu einer Freigebigkeit kommen gleich der, die dieser da beweist? Wie wäre es möglich, daß sie solche Reichtümer besäßen, solche Juwelen, von denen sich sogar bei den Königen nur ein kleiner Teil findet? Wie können sich Lasten davon bei Kaufleuten finden? Dies alles muß einen besonderen Grund haben; und wenn du meinem Rate folgst, so will ich dir offenbar machen, wie es sich damit in Wahrheit verhält.' Der König sagte darauf: ,Ich will deinem Rate folgen, o Wesir.' Und der Minister fuhr fort: ,So suche ihn auf, sei freundlich zu ihm und plaudere mit ihm! Dann sprich: ,Lieber Eidam, ich habe im Sinne, mit dir und dem Wesir, ohne jemand anders, in einen Blumengarten zu gehen, damit wir uns dort vergnügen.' Wenn wir aber in den Garten gekommen sind, wollen wir den Tisch des Weines auftragen lassen, und ich will auf ihn einwirken, daß ich ihm zu trinken gebe. Wenn er den Wein getrunken hat, so wird ihm der Verstand benommen werden, und er wird seiner Sinne nicht mehr Herr sein; dann wollen wir ihn fragen, wie es sich in Wahrheit mit ihm verhält, und er wird uns seine Geheimnisse mitteilen; denn der Wein ist ein Verräter, und vortrefffich war der Mann, der da sprach:

Als wir ihn getrunken hatten und er leis gekrochen war
Zu der Heimlichkeiten Stätte, da gebot ich ihm: Halt ein!
Denn mich bangte, seine Strahlen könnten mir verderblich sein
Und den Zechgenossen wurde mein Geheimnis offenbar.

Wenn er uns dann berichtet hat, wie es in Wahrheit um ihn steht, so werden wir wissen, was es mit ihm auf sich hat, und werden mit ihm tun können, was wir wollen und wünschen;



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denn ich fürchte für dich die Folgen dieses Treibens, das von ihm ausgeht. Vielleicht wird er gar nach der Herrschaft trachten und die Truppen durch Freigebigkeit und Verschwendung gewinnen, um dich abzusetzen und dir die Herrschaft zu rauben.' ,Du hast recht', erwiderte ihm der König. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 998. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß jener König, als der Wesir ihm seinen Plan ersonnen hatte, zu ihm sprach: ,Du hast recht.' Und einig in diesem Beschluß verbrachten sie die Nacht. Als es wieder Morgen ward, begab sich der König in das Wohngemach und setzte sich nieder; doch da stürzten plötzlich die Diener und die Stallknechte ganz verstört zu ihm herein. ,Was hat euch betroffen?' rief er ihnen zu; und sie antworteten: ,O größter König unserer Zeit, die Stallknechte hatten die Pferde gestriegelt und ihnen und den Maultieren, die das Gepäck gebracht hatten, Futter gegeben; aber heute morgen entdeckten wir, daß die Mainluken die Pferde und die Maultiere gestohlen haben. Wir haben die Ställe durchsucht, doch weder Pferde noch Maultiere gefunden. Und als wir in den Raum der Mamluken eintraten, sahen wir niemanden dort, und wir wissen nicht, wie sie entflohen sind.' Darüber staunte der König; denn er glaubte ja, daß jene Geister wirkliche Pferde und Maultiere und Mamluken wären, und er ahnte nicht, daß sie die Geisterwächter des Dieners des Ringes waren. Darum fuhr er die Leute an: ,Ihr Verfluchten, wie konnten tausend Tiere und fünfhundert Mamluken und dazu noch andere Diener entfliehen, ohne daß ihr etwas davon gemerkt habt?' Sie gaben nur zur Antwort: ,Wir wissen nicht, was mit uns geschehen ist, daß sie fortlaufen konnten!' Darauf



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sagte der König: ,Geht, und wenn euer Herr aus dem Harem kommt, so teilt es ihm mit!' So gingen sie denn fort von dem Angesichte des Königs und setzten sich ratlos nieder. Und wie sie so dasaßen, trat Ma'rsûf aus dem Harem heraus und sah sie in ihrer Kümmernis. Da fragte er sie: ,Was gibt es?' Und sie berichteten ihm, was geschehen war. Er aber rief: ,Was sind sie wert, daß ihr über sie bekümmert seid? Geht eurer Wege!' Dann setzte er sich lächelnd, ohne über dies Geschehnis erzürnt oder bekümmert zu sein. Da schaute der König dem Wesir ins Angesicht und sprach: ,Was ist das für ein Mensch, für den der Reichtum keinen Wert hat? Das muß doch sicher einen eigenen Grund haben!' Dann plauderten sie eine Weile mit ihm, und nun hub der König an: ,Lieber Eidam, ich habe im Sinne. mit dir und dem Wesir in einen Blumengarten zu gehen, um uns dort zu vergnügen. Was sagst du dazu?' ,Das mag gern sein', erwiderte Ma'rûf, und so gingen sie denn fort und begaben sich in einen Garten, in dem allerlei Fruchtbäume paarweise standen, wo die Bächlein sprangen und die Bäume sich hoch in die Lüfte schwangen und die Vögelein sangen. Sie traten dort in ein Gartenhaus, das die Herzen von allem Kummer befreite, und setzten sich zum Plaudern nieder. Der Wesir erzählte seltsame Geschichten und unterhielt sie mit lustigen Berichten und heiteren Gedichten, und Ma'rûf lauschte auf das Geplauder, bis die Zeit des Mittagsmahles kam. Da brachte man den Speisetisch herein und auch den Krug mit Wein. Nachdem sie gegessen und ihre Hände gewaschen hatten, füllte der Wesir den Becher und reichte ihn dem König, der trank ihn aus. Dann füllte der Wesir einen zweiten und sprach zu Ma'rûf: ,Nimm den Becher, mit dem Tranke voll geschenkt, vor dem der Verstand in Ehrfurcht den Nacken senkt!' ,Was ist das, o Wesir?' fragte Ma'rûf; und jener



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gab zur Antwort: ,Dies ist die Maid im grauen Haar, die lange als Jungfer behütet war, die dem Herzen die Freude bringt, wie denn der Dichter von ihr singt:

Trutz' ger fremder Heiden Fuße traten auf ihn rings umher;'
An den Häuptern von Arabiens Söhnen nichte er sich schwer.
Ihn kredenzt ein Sohn der Heiden, der ein Mond im Dunkel ist,
Und in seinen Blicken lauert der Verführung starke List.'

Und wie vortrefflich war der Mann, der da sprach:

Es ist, als sei der Wein und seines Bechers Träger,
Wenn er den Zechgenossen naht und ihn kredenzt,
Die Morgensonne, die da tanzt' und deren Antlitz
Der Mond des Dunkels mit den Zwillingssternen kränzt.
Er ist so fein und zart und seine Art so lind,
Daß er gleichwie die Seele durch die Glieder rinnt.

Wie schön ist auch das Dichterwort:

Der schöne Vollmond ruhte nachts in meinen Armen,
Indes die Sonne mir am Becherhimmel schwand.
Ich schaute immer, wie das Feuer, dem die Perser
Sich beugen, mir sich beugte von des Kruges Rand.

Ein anderer sprach:

Er fließet durch die Glieder hin,
Wie Heilung durch die Krankheit fließt.

Und wieder ein anderer sang:

Ich staune, wie der Reben Presser starben
Und uns des Lebens Wasser hinterließen.

Und schöner als dies ist das Lied des Abu Nuwâs :4

Nun tadle mich nicht mehr! Der Tadel reizt zum Zorne.
Nein, heile mich mit dem, das auch die Krankheit bringt,



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Mit ihm, dem goldnen Trank, vor dem die Sorgen weichen,
Von dem berührt, ein Stein sogar vor Freuden springt.
Wenn er in seinem Krug zu dunkler Nachtzeit nahet,
So strahlt von seinem Glanz im Haus ein heller Schein.
Dann kreist er bei den Mannen, die das Glück begünstigt;
Als ihrer Wünsche Ziel kehrt er bei ihnen ein,
Kredenzt von einer Maid in Kleidern eines Knaben,
Die Knabenfreund und Mädchenfreund mit Lieb erfüllt.
Und sprich zu dem, der sich der Wissenschaften rühmet:
Du kennst nur einen Teil: ein Teil ist dir verhüllt.

Doch am schönsten von allen sang Ibn el-Mu'tazz:

Der Regen ströme reich auf das Zweistromland nieder
Und Dair 'Abdûn, das dort im Baumesschatten liegt!
Mich weckte dort zum Frühtrunk einst in alten Zeiten
Beim ersten Morgengrauen, eh der Vogel fliegt,
Der Sang der Klostermönche, die beim Gottesdienste
In schwarzen Kutten dort am frühen Morgen schrein.
Wie mancher Schöne unter ihnen schminkt die Augen
Und schließt verträumt das Weiße in die Lider ein!
Ein solcher kam zu mir, verhüllt vom Kleid des Dunkels,
Und eilte seinen Schritt voll Furcht und Ängstlichkeit.
Da legt ich meine Wange hinfür ihn zum Teppich
In Demut und verbarg die Spur mit meinem Kleid.
Das Licht des Neumonds schien und hätt uns fast verraten;
Er glich dem Nagelspane, der vom Finger fiel.
Und was geschah, geschah; ich mag es nicht verkünden.
Doch denke Gutes nur, und frag danach nicht viel!

Vortrefflich war auch der Mann, der da sang:

Ich bin der reichste Mann der Welt
Und lebe froh in Saus und Braus.
Ich habe lauter flüssig Gold
Und messe es in Bechern aus.



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Und wie schön ist das Dichterwort:

Bei Gott, dies ist die einzige Chemie,
Was sonst darin gelehrt wird, das sind Lügen:
Ein Quentchen Wein auf einen Zentner Gram
Verwandelt ihn aufs schnellste in Vergnügen.

So auch das Wort eines anderen:

Wenn leer die Gläser kommen, sind sie schwer,
Bis man mit ungemischtem Wein sie füllt.
Dann sind sie leicht und fliegen fast empor,
Gleichwie der Leib, wenn er den Geist umhüllt.

Und noch das Wort eines anderen:

Dem Becher und dem roten Wein sei hohe Ehre;
Ihr Recht ist, daß man ihre Rechte nie beschränkt!
Wenn ich gestorben bin, begrabt mich bei der Rebe,
Auf daß ihr edler Saft mein tot Gebein noch tränkt!
Begrabt mich aber nicht im trocknen Wüstensand;
Mir graut es, den zu kosten, wenn mein Leben schwand.'

So reizte er ihn zum Trinken unverwandt, indem er ihm die Tugenden des Weines rühmte, die er für schön befand; er trug ihm vor, was darüber bekannt war an Gedichten und heiteren Geschichten, bis Ma'rûf begann, am Rande des Bechers zu saugen, und glaubte, ihm könne nichts anderes mehr taugen. Immer wieder schenkte der Wesir ihm ein, während jener trank und fröhlich und guter Dinge war, bis ihm die Besinnung schwand und er den Unterschied zwischen Recht und Unrecht nicht mehr fand. Und als der Wesir bemerkte, daß die Trunkenheit in ihm den höchsten Grad erreicht, ja die Grenzen überschritten hatte, da sprach er zu ihm: ,0 Kaufmann Ma'rûf, bei Allah, ich wundere mich, woher du diese Juwelen erhalten hast, derengleichen sich nicht einmal bei den Perserkönigen finden. In unserem ganzen Leben haben wir noch keinen Kaufmann gesehen, der solche Reichtümer besäße wie du, auch keinen, der freigebiger wäre als du; dein Tun ist das



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Tun von Königen, nicht das Tun von Kaufleuten. Ich beschwöre dich bei Allah, tu es mir kund, auf daß ich deinen wahren Wert und Rang erkenne!' Und er fuhr fort in ihn zu dringen und ihm zu schmeicheln, bis Ma'rûf, der keine Gewalt mehr über sich hatte, zu ihm sprach: ,Ich bin weder ein Kaufmann, noch gehöre ich zu den Königen', und ihm seine Geschichte von Anfang bis zu Ende erzählte. Darauf bat der Wesir ihn: ,üm Allahs willen, mein Gebieter Ma'rûf, zeige uns diesen Ring, auf daß wir sehen, wie er gefertigt ist!' In seiner Trunkenheit zog er den Ring vom Finger und sprach: ,Nehmt ihn und schaut ihn euch an!' Sofort nahm der Wesir ihn und wendete ihn hin und her, indem er sprach: ,Wird mir der Diener erscheinen, wenn ich den Ring reibe?' ,Jawohl,' antwortete Ma'rûf, ,reib ihn nur, dann kommt der Geist zu dir, und du kannst ihn dir ansehen!' So rieb der Wesir den Ring, und plötzlich rief eine Stimme: ,Zu Diensten, mein Gebieter! Verlange, so wird dir gegeben! Willst du eine Stadt vernichten oder eine Stadt aufbauen oder einen König töten? Was du nur immer verlangst, werde ich für dich tun ohne Widerrede.' Der Wesir aber zeigte auf Ma'rûf und sprach zu dem Geist: ,Heb diesen Elenden hoch und wirf ihn in der ödesten der Wüsteneien nieder, dort, wo er weder zu essen noch zu trinken findet, so daß er vor Hunger umkommt und elendiglich stirbt, ohne daß jemand um ihn weiß!' Da ergriff der Geist ihn und flog mit ihm zwischen Himmel und Erde dahin; als Ma'rûf das sah, fühlte er sicher, daß er in schlimmer Gefahr und dem Untergange nahe war, und er rief unter Tränen: ,O Abu es-Sa'adât, wohin willst du mich bringen?' Der gab ihm zur Antwort: ,Ich will dich im Wüsten Viertel' niederwerfen,



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o du leichtsinniger Narr! Wer gibt wohl, wenn er einen solchen Talisman besitzt, ihn den Leuten, damit sie ihn sich ansehen? Du verdienst, was dir widerfahren ist; und fürchtete ich nicht Allah, so würfe ich dich aus einer Höhe von tausend Klaftern nieder; und ehe du die Erde erreichtest, würden dich die Winde in Stücke reißen!' Ma'rûf schwieg und sprach kein Wort mehr zu ihm, bis sie im Wüsten Viertel ankamen; dort warf der Geist ihn nieder und kehrte um, nachdem er ihn in der trostlosen Einöde zurückgelassen hatte. — —« Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 999. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der dienende Geist Ma'rûf mit sich nahm, ihn im Wüsten Viertel niederwarf und dann umkehrte, nachdem er ihn dort zurückgelassen hatte.

Wenden wir uns nun von ihm wieder zum Wesir! Als der im Besitze des Ringes war, sprach er zum König: ,Was dünkt dich nun? Habe ich dir nicht gesagt, daß dieser Mann ein Belüger und Betrüger ist? Du aber wolltest mir nicht glauben.' ,Du hast recht, mein Wesir,' erwiderte ihm der König, ,Allah gewähre dir Wohlergehen! Gib mir jetzt den Ring, damit auch ich ihn mir ansehe!' Aber der Wesir blickte auf ihn voll Grimm und spie ihm ins Angesicht und rief: ,O du Dummkopf! Wie werde ich ihn dir geben und dein Diener bleiben, nachdem ich dein Herr geworden bin? Nein, ich will dich überhaupt nicht mehr am Leben lassen!' Dann rieb er den Ring, und als der Geist erschien, befahl er ihm: ,Heb diesen frechen Burschen auf und wirf ihn an derselben Stätte nieder, an die du seinen Eidam, den Betrüger, geworfen hast!' Jener hob ihn auf und flog mit ihm davon. Doch der König sprach zu ihm: ,O Geschöpf



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Gottes, was ist meine Schulde' Der Diener des Ringes antwortete ihm: ,Ich weiß es nicht; das hat mir nur mein Herr befohlen, und ich kann dem nicht zuwiderhandeln, der diesen Zauberring besitzt.' So flog er denn weiter mit ihm, bis er ihn an der Stätte niederwarf, an der Ma'rûf lag; dann kehrte er um und ließ ihn dort liegen. Der König hörte Ma'rûf weinen, und er trat zu ihm und berichtete ihm, was geschehen war. Da saßen nun die beiden und weinten über das Geschick, das sie betroffen hatte; und sie fanden weder Speise noch Trank. Kehren wir jetzt zu dem Wesir zurück! Der machte sich auf, nachdem er Ma'rûf und den König beiseite geschafft hatte, und verließ den Garten; dann ließ er alle Krieger kommen, hielt eine Staatsversammlung ab und berichtete ihnen, was er mit Ma'rûf und mit dem König getan hatte; auch tat er ihnen kund, was es mit dem Ringe auf sich hatte, und sprach zu ihnen: ,Wenn ihr mich nicht zu eurem Sultan macht, so befehle ich dem Diener des Ringes, daß er euch alle fortträgt und in das Wüste Viertel wirft, und dort mögt ihr dann vor Hunger und Durst umkommen.' Sie erwiderten ihm: ,Tu uns kein Leid an! Wir sind es zufrieden, daß du Sultan über uns bist, und wir wollen deinem Befehl nicht ungehorsam sein.' So fügten sie sich wider ihren Willen darein, daß er ihr Sultan ward, und er verlieh ihnen Ehrengewänder; darauf begann er, von Abu es-Sa'adât alles zu verlangen, was er wollte, und der brachte es ihm auf der Stelle. Nachdem er sich dann auf den Thron gesetzt hatte und die Krieger ihm gehuldigt hatten, sandte er zu der Tochter des Königs und ließ ihr ,Mache dich bereit; ich will noch heute nacht zu dir eingehen, denn ich trage Verlangen nach dir!' Da hub sie an zu weinen voll Trauer über ihren Vater und ihren Gatten, und sie ließ dem Wesir durch einen Boten sagen: ,Habe Geduld mit mir, bis die



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Zeit der Witwenschaft' verstrichen ist; dann magst du den Ehevertrag mit mir schließen und in erlaubter Weise zu mir eingehen!' Doch er sandte wieder einen Boten zu ihr und ließ ihr sagen: ,Ich kenne keine Witwenzeit noch irgendwelche Saumseligkeit; ich brauche auch keinen Ehevertrag, ich mache keinen Unterschied zwischen Erlaubt und Unerlaubt, ich will nichts anderes, als heute nacht zu dir eingehen.' Darauf ließ sie ihm durch den Boten sagen: ,So sei mir willkommen! Es mag denn geschehen!' Aber das war nur eine List von ihr. Als nun die Antwort zum Wesir zurückkam, freute er sich, und die Brust ward ihm weit; denn er war von heißer Liebe zu der Prinzessin entbrannt. Darauf befahl er, allen Leuten Speisen vorzusetzen, und sprach: ,Esset von diesen Speisen; dies ist ein Hochzeitsmahl, denn ich will heute nacht zu der Prinzessin eingehen!' Doch der Scheich el-Islam sprach: ,Es ist dir nicht erlaubt, zu ihr einzugehen, ehe ihre Witwenzeit vollendet ist und du ihr den Ehevertrag hast niederschreiben lassen.' Jener rief: ,Ich kenne keine Witwenzeit, noch irgendwelche Saumseligkeit; also mache mir nicht viele Worte!' Da schwieg der Scheich el-Islam, aus Furcht vor seiner Bosheit, doch er sprach zu den Kriegern: ,Dies ist ein Ungläubiger, er hat weder Glauben noch Satzung!' Als es Abend war, ging der Wesir zu der Prinzessin hinein und fand sie mit ihren prächtigsten Gewändern angetan und mit dem schönsten Schmuck geschmückt. Sobald sie ihn erblickte, kam sie ihm lächelnd entgegen und sprach zu ihm: ,Eine gesegnete Nacht! Wenn du meinen Vater und meinen Gatten getötet hättest, so wäre mir das noch lieber gewesen.' Er antwortete ihr: ,Ich werde sie schon sicher zu Tode bringen.' Darauf ließ sie ihn sich setzen und begann mit ihm zu scherzen und ihm Liebe zu zeigen; und wie sie ihn so liebi.



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koste und ihm ins Angesicht lächelte, entfloh ihm der Verstand. Allein sie täuschte ihn durch ihre Liebkosungen nur deshalb, weil sie den Ring in ihre Gewalt bringen und seine Freude in Leid verwandeln wollte, das über sein Haupt' kommen sollte; und daß sie solches mit ihm tat, war nach der Weisung dessen, der da gesungen hat:

Ich hab durch meine List erreicht.
Was man durch Schwerter nicht erringt,
Und bin mit Beute heimgekehrt,
Die manche süßen Früchte bringt.

Als er ihre Liebkosungen und ihr Lächeln sah, entbrannte in ihm die Leidenschaft, und er verlangte, mit ihr in Liebe sich zu vereinen. Doch wie er sich ihr nahte, wich sie vor ihm zurück und weinte und sprach: ,Mein Gebieter, siehst du nicht den Mann, der uns zuschaut? Um Allahs willen, verbirg mich vor seinem Auge! Wie kannst du dich in Liebe mit mir vereinen, wenn er uns zusieht?' Da rief er zornig: ,Wo ist der Mann?' Und sie erwiderte: ,Da ist er, im Stein des Siegelrings! Er steckt seinen Kopf heraus und schaut uns an.' So glaubte er denn, daß der Diener des Ringes ihnen beiden zusehe, doch er sprach lächelnd: ,Fürchte dich nicht! Das ist der Diener des Ringes, und der ist mir untertan.' Darauf entgegnete sie: ,Ich fürchte mich vor Geistern; tu den Ring ab und wirf ihn weit von mir weg!' So zog er den Ring vom Finger und legte ihn auf das Kissen. Als er aber sich ihr nahte, da versetzte sie ihm mit ihrem Fuße einen Tritt gegen seinen Leib, so daß er rücklings niederfiel und in Ohnmacht sank. Dann rief sie laut nach ihren Dienerinnen, und als die rasch zu ihr geeilt waren, befahl sie: ,Ergreift ihn!' Nachdem vierzig Sklavinnen ihn gepackt hatten, nahm sie in aller Hast den Ring von dem Kissen und



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rieb ihn. Sofort erschien Abu es-Sa'adât vor ihr und sprach: ,Zu Diensten, meine Herrin!' Sie sagte: ,Heb diesen Ungläubigen auf, wirf ihn in den Kerker und lege ihm schwere Fesseln an!' Der Geist nahm ihn, und nachdem er ihn in den Kerker des Zornes geworfen hatte, kehrte er zurück und meldete ihr: ,Ich habe ihn ins Gefängnis gebracht.' Nun fragte sie ihn: ,Wohin hast du meinen Vater und meinen Gatten geschafft?' Und er antwortete: ,Ich habe sie im Wüsten Viertel niedergeworfen.' Da rief sie: ,Ich befehle dir, sie augenblicklich zu mir zu bringen.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte er und flog fort von ihr: und er schwebte rasch dahin, bis er im Wüsten Viertel ankam. Dort ließ er sich zu den beiden hinab und fand sie, wie sie weinend dasaßen und einander ihr Leid klagten; und er sprach zu ihnen: ,Fürchtet euch nicht! Euch ist die Rettung genaht.' Dann berichtete er ihnen, was der Wesir getan hatte, und schloß mit den Worten: ,So habe ich ihn denn auf ihren Befehl mit eigener Hand ins Gefängnis geworfen, und dann hat sie mir geboten, euch zurückzubringen.' Über diese Nachricht waren die beiden erfreut; er aber hob sie empor und flog mit ihnen dahin, und es dauerte nur eine kleine Weile, da trat er schon mit ihnen zur Prinzessin ein. Sie erhob sich und begrüßte ihren Vater und ihren Gatten; und nachdem sie die beiden gebeten hatte, sich zu setzen, und ihnen Speisen und Süßigkeiten hatte bringen lassen, verbrachten sie dort die Nacht. Am nächsten Morgen kleidete sie ihren Vater in ein prächtiges Gewand, desgleichen auch ihren Gatten, und dann hub sie an: ,Lieber Vater, setze dich wieder auf deinen Thron als König, wie du es früher gewesen bist, und mache meinen Gatten zu deinem Wesir der rechten Hand; den Truppen aber sage, was geschehen ist! Dann laß den Wesir aus dem Kerker holen und hinrichten; darauf laß ihn verbrennen, denn er ist



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ein Ungläubiger und wollte meine Liebe genießen, ohne die Ehe zu schließen, und so hat er wider sich selbst Zeugnis abgelegt, daß er ein Ungläubiger ist und keinen Glauben hat, dem er anhängt. Deinen Eidam aber, den du zu deinem Wesir der Rechten machst, laß dir angelegen sein!' ,Ich höre und willfahre, liebe Tochter,' antwortete er ihr, ,doch gib mir den Ring oder gib ihn deinem Gatten!' Aber sie entgegnete ihm: ,Er ist nicht gut für dich, noch auch für ihn. Der Ring bleibe bei mir; vielleicht hüte ich ihn besser als ihr. Was ihr nur wünschet, das verlangt von mir, und ich will es für euch von dem Diener des Ringes verlangen! Fürchtet nichts Schlimmes, solange ich am Leben bleibe; nach meinem Tode tut mit dem Ringe, was euch beliebt!' Ihr Vater sprach zu ihr: ,Dies ist der rechte Rat, liebe Tochter', und dann nahm er seinen Eidam mit sich und begab sich in den Staatssaal. Nun hatten die Truppen die Nacht verbracht in schwerem Kummer um die Prinzessin und wegen dessen, was der Wesir ihr antun wollte, um ihre Liebe zu genießen, ohne die Ehe zu schließen, und auch deshalb, weil er an dem König und seinem Eidam so übel gehandelt hatte; und sie befürchteten, das heilige Gesetz des Islams möchte zuschanden werden, da es sich gezeigt hatte, daß der 'Wesir ein Ungläubiger war. Deshalb hatten sie sich im Staatssaal versammelt und begannen, dem Scheich el-Islam Vorwürfe zu machen, indem sie zu ihm sprachen: ,Warum hast du ihn nicht daran gehindert, daß er zu der Prinzessin in Unzucht einging?' Da erwiderte er ihnen: ,Ihr Leute, der Mann ist ein Ungläubiger; doch er hat den Ring in seine Gewalt bekommen, und wir alle, ich und ihr, vermögen nichts wider ihn auszurichten. Allah der Erhabene wird ihm sein Tun vergelten; nun schweigt, damit er euch nicht umbringt!' Während die Truppen im Staatssaale versammelt und in diesem



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Gespräch begriffen waren, trat plötzlich der König zu ihnen in den Saal ein, und mit ihm sein Eidam Ma'rûf. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 1000. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die Truppen sich im Übermaße ihres Zornes im Staatssaale versammelten und über den Wesir redeten und über das, was er dem König und seinem Eidam und seiner Tochter angetan hatte, und daß dann plötzlich der König zu ihnen in den Saal eintrat und mit ihm sein Eidam Ma'rfif. Als die Truppen ihn sahen, freuten sie sich über sein Kommen, und sie erhoben sich und küßten den Boden vor ihm. Dann setzte er sich auf den Thron, und wie er ihnen die Geschichte erzählte, wich von ihnen, was sie quälte. Darauf befahl er, die Stadt zu schmücken, und er ließ den Wesir aus dem Kerker holen; als der bei den Truppen vorbeigebracht wurde, verfluchten und schmähten und schalten sie ihn so lange, bis er vor dem König ankam. Als er nun vor dem König stand, befahl der, ihn in schmählichster Weise hinzurichten; und nachdem man ihn hingerichtet hatte, verbrannte man ihn, so daß er ins Höllenfeuer fuhr vor Schmach; und trefflich sagte von ihm, der da sprach:

Seine Beingruft finde keine Gnade beim Erbarmungsreichen,
Und die beiden Todesengel mögen niemals von ihr weichen!

Der König machte dann Ma'rûf zu seinem Wesir der Rechten, und nun geschah es, daß die Zeiten ihnen Freude machten und heitere Wonnen ihnen lachten und sie fünf Jahre in dieser Weise verbrachten. Im sechsten Jahre aber starb der König; da setzte die Prinzessin ihren Gatten zum Sultan ein an ihres Vaters Stelle; aber den Ring gab sie ihm nicht. Während dieser Zeit hatte sie von ihm empfangen und einen Knaben



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zur Welt gebracht, ein Kindlein von wundersamer Lieblichkeit und von hoher Schönheit und Vollkommenheit. der bei den Pflegerinnen zärtliche Fürsorge fand, bis er im Alter von fünf Jahren stand. Doch da ward seine Mutter von einer tödlichen Krankheit befallen, und sie rief Ma'rûf und sprach zu ihm: ,Ich bin krank.' ,Gott schütze dich. Geliebte meines Herzens!' erwiderte er ihr; und sie fuhr fort: ,Vielleicht werde ich sterben; es ist nicht nötig, daß ich deinen Sohn deiner Sorge empfehle, nur das möchte ich dir ans Herz legen, daß du den Ring hütest, da ich um dich und um den Knaben besorgt bin.' Darauf sagte er: ,Wen Allah behütet, dem wird kein Leid widerfahren.' Doch sie zog den Ring vom Finger und gab ihn ihm. Am nächsten Tage ging sie ein zur Barmherzigkeit Allahs des Erhabenen; er aber widmete sich als König weiter den Geschäften des Herrschers. Da begab sich eines Tages das folgende Ereignis. Er hatte das Tuch der Entlassung geschüttelt, und die Truppen hatten sich aus seiner Gegenwart in ihre Wohnungen zurückgezogen; dann trat er in sein Wohngemach und setzte sich dort nieder, bis der Tag zur Rüste ging und die Nacht alles mit ihrem Dunkel umfing. Nun kamen seine Tischgenossen von den Vornehmen nach ihrer Gewohnheit zu ihm und blieben bis zur Mitternacht bei ihm, um mit ihm heiter und guter Dinge zu sein; und nachdem sie ihn um Erlaubnis gebeten hatten, sich zurückzuziehen, gab er ihnen Urlaub, und sie gingen fort von ihm in ihre Häuser. Darauf kam eine Sklavin zu ihm, deren Dienst es war, sein Lager zu bereiten, und sie breitete ihm die Kissen, nahm ihm seine Gewandung ab und legte ihm die Nachtgewänder an. Als er sich niedergelegt hatte, knetete sie ihm die Füße, bis ihn der Schlaf überkam; dann verließ sie ihn, begab sich in ihr Schlafgemach und legte sich zur Ruhe nieder. Also tat sie; aber sehen wir



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nun, was mit dem König Ma'rûf geschah! Während er schlief, fühlte er plötzlich ganz unvermutet etwas neben sich im Bett, und er fuhr erschrocken auf und rief: ,Ich nehme meine Zuflucht zu Allah vor dem verfluchten Satan!' Als er jedoch die Augen öffnete, sah er neben sich eine Frau, die häßlich anzuschauen war, und er fragte sie: ,Wer bist du?' Sie erwiderte: ,Fürchte dich nicht, ich bin deine Gattin Fâtima das Scheusal.' Da schaute er ihr ins Antlitz und erkannte sie an ihrem scheußlichen Aussehen und ihren langen Eckzähnen. Er fragte weiter: ,Wie kommst du zu mir? Wer hat dich in dies Land gebracht?' Sie entgegnete ihm: ,In welchem Lande bist du denn jetzt?' ,In der Stadt Ichtijân' el-Chotan. Und wann hast du Kairo verlassen?' ,Eben jetzt.' ,Wie kann das sein?' Da erzählte sie: ,Wisse, als ich mich mit dir überworfen und dich bei den Machthabern verklagt hatte, weil der Satan mir einflüsterte, dir zu schaden, da suchte man dich, aber man fand dich nicht mehr; und die Kadis fragten nach dir, doch sie bekamen dich nicht zu sehen. Nachdem aber zwei Tage verstrichen waren, packte mich die Reue, und ich sah ein, daß die Schuld an mir lag; allein die Reue nützte mir nichts. So saß ich denn eine Reihe von Tagen da und weinte um deinen Verlust, bis alles, was ich noch hatte, zur Neige ging und ich gezwungen war zu betteln, um mein Leben zu fristen. Und ich begann bei allen zu betteln, bei Reichen, die voll Neid betrachtet werden, und bei Armen, die verachtet werden; seit du mich verlassen hast, aß ich durch schimpfliches Betteln mein Brot und war in der allerärgsten Not. Jede Nacht saß ich da und weinte um deinen Verlust und um alles, was ich seit deinem Fortgehen erdulden mußte an Schmach und Niedrigkeit, an Elend und Herzeleid.' So berichtete sie ihm, wie es ihr ergangen war, während er sie



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voll Entsetzen anstarrte, bis sie sprach: ,Gestern irrte ich den ganzen Tag bettelnd umher, aber niemand gab mir etwas; jedesmal, wenn ich an jemanden herantrat, um ein Stück Brot von ihm zu betteln, schmähte er mich, ohne mir etwas zu geben. Und als die Nacht anbrach, blieb ich ohne Nachtmahl; da brannte der Hunger in mir, und alles, was ich erduldet hatte, drückte mich schwer. Während ich weinend dasaß, erschien plötzlich eine Gestalt vor mir und fragte mich: ,Weib, warum weinst du?' Ich erwiderte: ,Einst hatte ich einen Gatten, der für mich sorgte und meine Wünsche erfüllte; aber der ist jetzt für mich verloren, und ich weiß nicht, wohin er gegangen ist; und seit er mich verlassen hat, habe ich viel Not gelitten.' Die Gestalt fragte weiter: ,Wie heißt dein Gatte?' ,Sein Name ist Ma'rûf', antwortete ich; und jener sagte darauf: ,Den kenne ich. Wisse, dein Gatte ist jetzt Sultan in einer Stadt, und wenn du wünschest, daß ich dich zu ihm bringe, will ich es gern tun.' Da bat ich ihn: ,Erbarme dich meiner und bringe mich zu ihm!' Und alsbald hob er mich auf und schwebte mit mir zwischen Himmel und Erde dahin, bis er mich in dies Schloß brachte; da sprach er: ,Tritt in dies Gemach ein, dort wirst du deinen Gatten schlafend auf dem Lager finden!' So trat ich denn ein und sah dich in all dieser Herrlichkeit. Ach, ich hätte nie gedacht, daß du mich verlassen würdest, da ich doch deine Gefährtin bin! Aber Preis sei Allah, der mich wieder mit dir vereinigt hat!' Doch Ma'rûf entgegnete ihr: ,Hab ich dich verlassen, oder warst du es, die mich verließ? Und du hast mich verklagt von Kadi zu Kadi, und schließlich hast du sogar beim obersten Gerichtshofe Klage wider mich geführt und mir den Abu Tabak aus der Burg nachgehetzt; da mußte ich wider meinen Willen fliehen.' Dann erzählte er ihr von dem, was er seitdem erlebt hatte, wie er Sultan geworden war und sich mit



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der Prinzessin vermählt hatte; auch tat er ihr kund, daß seine Gemahlin gestorben war und ihm einen Sohn hinterlassen hatte, der siebenjahre zählte. Darauf sagte sie: ,Was geschehen ist, das war von Allah dem Erhabenen vorherbestimmt; schon längst habe ich es bereut, und du hab Erbarmen mit mir und verlaß mich nicht, sondern gestatte, daß ich bei dir mein Brot als Almosen esse!' Und sie demütigte sich vor ihm so lange, bis sein Herz Mitleid für sie empfand; da sprach er zu ihr: ,Kehre dich reuig von der Bosheit ab und bleibe bei mir; dir soll nichts geschehen, als was dich erfreut! Wenn du aber irgend etwas Böses tust, so werde ich dich töten, ohne daß ich jemanden zu fürchten brauche. Glaube nicht, daß du mich beim obersten Gerichtshofe verklagen kannst oder daß Abu Tabak von der Burg über mich kommt; denn ich bin Sultan geworden, und das Volk fürchtet mich, während ich niemanden fürchte als Allah den Erhabenen. Ich habe einen Zauberring; wenn ich den reibe, so erscheint der Diener des Ringes, Abu es-Sa'adât geheißen, und bringt mir alles, was ich von ihm verlange. Willst du nun in deine Stadt zurückkehren, so werde ich dir so viel geben, daß es dir dein ganzes Leben lang genügt, und dich eilends in deine Heimat entsenden. Willst du jedoch lieber bei mir bleiben, so will ich dir ein Schloß einräumen und es für dich mit den erlesensten Seidenstoffen ausstatten; auch werde ich dir zwanzig Sklavinnen bestimmen, die dich bedienen sollen, und dir feine Speisen und prächtige Kleider senden lassen, so daß du einer Königin gleich wirst, und du sollst das herrlichste Leben führen, bis du stirbst oder ich sterbe. Was sagst du dazu?' ,Ich möchte bei dir bleiben', erwiderte sie und küßte ihm die Hand, indem sie ihre Bosheit bereute. So wies er ihr denn ein Schloß an, ganz für sich allein, und beschenkte sie mit Sklavinnen und Eunuchen, und sie ward einer Königin



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gleich. Der junge Prinz pflegte sie zu besuchen, wie er seinen Vater besuchte; aber sie haßte ihn, weil er nicht ihr Sohn war. und als der Knabe an ihr das Auge des Zornes und der Abneigung sah, mied er sie und hatte Widerwillen gegen sie. Derweilen gab Ma'rûf sich der Liebe zu schönen Odalisken hin und dachte nicht mehr an seine Gattin Fâtima das Scheusal; denn sie war nun grau und alt und von abscheulicher Gestalt, ein kahlköpfiges Weib, häßlicher als die Schlange mit scheckigem Leib, und sie hatte ihn doch auch einst über alle Maßen schlecht behandelt. Und im Sprichwort heißt es: Durch schlechte Behandlung wird die Wurzel des Wünschens abgemäht und Haß auf das Land der Herzen gesät. Vortrefflich war der Mann, der da sprach:

Bemühe dich, den Herzen Leiden zu ersparen!
Nach der Entfremdung wird die Umkehr ihnen schwer.
Denn sind die Herzen erst der Liebe ganz entfremdet,
Sind sie wie ein zersprungnes Glas - es heut nicht mehr.

Ma'rûf nahm sie auch nicht wegen einer löblichen Eigenschaft auf, die sie besessen hätte, sondern er behandelte sie ehrenvoll, da erdas Wohlgefallen Allahs des Erhabenen zu gewinnen suchte. «

Hier unterbrach Dinazâd ihre Schwester Schehrezâd mit den Worten: »Wie sehr können diese Reden entzücken, die stärker als Zauberblicke die Herzen berücken! Wie schön sind diese seltsamen Geschichten mit ihren wunderbaren Berichten!« Schehrezâd erwiderte ihr: »Was ist all dies im Vergleich zu dem, was ich euch in der kommenden Nacht erzählen werde, wenn ich noch am Leben bin und der König mich verschont!« Als dann der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen leuchtenden Strahlen durchwob, erwachte der König mit freier Brust und gespannt auf das Ende der Geschichte. Und er sprach bei sich selber: »Bei Allah, ich will sie nicht töten, bis



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ich das Ende ihrer Geschichte gehört habe. «Darauf ging er in seinen Staatssaal, und der Wesir kam wie immer mit dem Totenlaken unter dem Arm. Nachdem der König unter dem Volke den ganzen Tag über seines Amtes gewaltet hatte, begab er sich in seinen Frauenpalast und ging hinein zu seiner Gemahlin Schehrezâd, der Tochter des Wesirs, wie er es gewohnt war. Schehrezâd hatte ja bemerkt, daß der Morgen begann, und hielt damals in der verstatteten Rede an. Doch als die Tausendunderste Nacht anbrach, die letzte Nacht dieses Buches, und als der König in seinen Frauenpalast geschritten und zu seiner Gemahlin Schehrezâd, der Tochter des Wesirs, hineingegangen war, sprach ihre Schwester Dinazâd zu ihr: »Erzähle uns die Geschichte von Ma'rûf zu Ende!« Sie antwortete: »Herzlich gern, wenn der König mir erlaubt zu erzählen. «Da sagte der König zu ihr: »Ich erlaube dir zu erzählen; denn ich bin begierig, das Ende zuhören. «So fuhr sie denn fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß König Ma'rûf sich nicht mehr um die Ehe mit seiner Frau kümmerte, sondern sie ernährte, indem er auf den Lohn Allahs des Erhabenen hoffte. Doch als sie sah, daß er sich von ihrer Umarmung fernhielt und sich anderen zuwandte, begann sie ihn zu hassen, und die Eifersucht gewann Gewalt über sie, und der Teufel flüsterte ihr ein, sie solle ihm den Ring entwenden und ihn töten und sich selbst zur Königin an seiner Statt machen. Deshalb machte sie sich eines Nachts auf und verließ ihr Schloß, um sich in das Schloß zu begeben, in dem ihr Gatte, der König Ma'rûf, wohnte. Nun traf es sich nach dem Ratschluß, den die Vorsehung für gut befand, und dem Geschick, wie es geschrieben stand, daß Ma'rûf bei einer seiner Odalisken ruhte, einer Maid von Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit. Und er pflegte in seiner schönen Frömmigkeit



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den Ring von seinem Finger zu ziehen, wenn er bei einer Odaliske zu ruhen gedachte, aus Ehrfurcht vor den heiligen Namen, die darauf geschrieben standen, und ihn erst nach der Reinigung wieder anzulegen. Und seine Frau, Fâtima das Scheusal, verließ damals ihre Wohnung erst, nachdem sie erfahren hatte, daß er vor dem Beilager den Ring vom Finger zu ziehen und auf den Kissen liegen zu lassen pflegte bis zur Reinigung. Ferner war es seine Gewohnheit, nach dem Beilager der Odaliske zu befehlen, sie solle ihn verlassen, da er um den Ring besorgt war. Wenn er dann zum Bade ging, so verschloß er die Tür des Gemaches. bis er aus dem Bade zurückkehrte, den Ring nahm und wieder anlegte; darauf konnte ein jeder ungehindert in das Zimmer eintreten. Von alledem wußte Fâtima, und deshalb hatte sie sich bei Nacht fortgeschlichen, um zu ihm in das Gemach einzudringen, während er in tiefem Schlafe lag, und ihm den Ring zu stehlen, ohne daß er sie sähe. Als sie sich fortschlich, war gerade zufällig der Sohn des Königs ins geheime Kämmerlein gegangen, um im Dunkeln ein Bedürfnis zu verrichten; und er hockte dort ohne Licht über dem Loch in der Marmorplatte nieder, nachdem er die Tür offen gelassen hatte. Wie nun Fâtima aus ihrem Schloß fortgegangen war, sah er sie auf das Schloß seines Vaters zueilen, und er sprach bei sich: ,Warum hat wohl diese Hexe ihr Schloß im Schatten der Dunkelheit verlassen? Warum sehe ich sie nach dem Schlosse meines Vaters schleichen? Das muß sicher einen eigenen Grund haben.' Darauf ging er hinter ihr her und folgte ihrer Spur, ohne daß sie um sah. Er trug aber ein kurzes Damaszenerschwert, und er ging nie in den Staatssaal seines Vaters, ohne sich mit jenem Schwert umgürtet zu haben, da es ihm so teuer war. Wenn sein Vater um damit sah, so pflegte er wohl über ihn zu lächeln und zu rufen: ,Wunder



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Gottes! Dein Schwert da ist ja prächtig, mein Sohn. Aber du bist mit ihm noch nicht in den Krieg gezogen und hast auch noch keinen Kopf mit ihm abgeschlagen.' Dann antwortete der Knabe ihm: ,Ich werde sicherlich noch einmal mit ihm ein Haupt abschlagen, das die Köpfung verdient.' Über seine Worte pflegte der König zu lachen. Wie er nun der Frau seines Vaters nachging, zog er das Schwert aus der Scheide und folgte der Alten, bis sie in das Gemach des Königs hineinschlich. Er blieb an der Tür des Gemaches stehen und beobachtete sie; da sah er, wie sie umhersuchte, indem sie sprach: ,Wohin hat er wohl den Ring gelegt?' So wußte er, daß sie nach dem Ringe suchte, und wartete ab, bis sie ihn gefunden hatte, und sagte: .Da ist er!' Sie nahm ihn an sich und wollte heimlich forteilen, während er hinter der Tür verborgen war. Nachdem sie aus der Tür herausgetreten war, schaute sie den Ring an und wandte ihn in der Hand hin und her, und gerade wollte sie ihn reiben. da erhob er den Arm mit dem Schwerte und traf sie auf den Nacken. Sie stieß einen einzigen Schrei aus und sank tot nieder. Ma'rûf erwachte und sah seine Frau am Boden liegen, von Blut überströmt, und seinen Sohn mit gezücktem Schwert in der Hand dastehen. ,Was bedeutet dies, mein Sohn?' fragte er; und jener antwortete: ,Mein Vater, wie oft hast du zu mir gesagt: ,Dein Schwert da ist ja prächtig; aber du bist mit ihm noch nicht in die Schlacht gezogen und hast noch keinen Kopf mit ihm abgeschlagen!' Und ich antwortete dir dann: ,Ich werde sicherlich noch einmal mit ihm ein Haupt abschlagen, das die Köpfung verdient.' Siehe da, jetzt habe ich für dich ein Haupt abgeschlagen, das die Köpfung wahrlich verdiente!' Und er berichtete ihm, was sie getan hatte. Da suchte Ma'rûf nach dein Ringe, aber er konnte ihn nicht finden; erst nachdem er lange an ihren Gliedern gesucht hatte, sah er, daß



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ihre Hand über ihm geschlossen war. Dann nahm er den Ring aus ihrer Hand und sprach zu dem Prinzen: ,Du bist mein rechter Sohn, unstreitig und ohne Zweifel. Allah gebe dir Frieden in dieser und in jener Welt, wie du mir Frieden vor dieser Ruchlosen gebracht hast! Sie hat sich durch ihr eigenes Tun zugrunde gerichtet; und vortrefflich war der Mann, der da sprach:

Wenn Gottes Hilfe einem Mann zur Seite steht,
So wird ihm der Erfolg in allen Dingen blühn.
Doch wenn von Gott dem Menschen keine Hilfe wird,
So schadet ihm zuerst sein eigenes Bemühn.

Dann rief König Ma'rûf laut nach einigen seiner Diener; die kamen herbeigeeilt, und er berichtet ihnen, was seine Frau, Fâtima das Scheusal, getan hatte. Darauf befahl er ihnen, ihre Leiche zu nehmen und bis zum Morgen beiseite zu legen. Sie taten, wie er sie geheißen hatte. So beauftragte er denn einige Eunuchen mit ihrer Herrichtung, und die wuschen sie, hüllten sie in das Totenlaken, hielten ein Leichenbegängnis und begruben sie. So war ihr Kommen aus Kairo nur eine Fahrt zu ihrem Grabe. Vortrefflich war der Mann, der da sprach:

Wir gehen einen Pfad, der Für uns vorgesehen;
Und wem ein Pfad beschieden ist, der muß ihn gehen.
Und droht an einer Stätte einem sein Verderben,
So wird er nur gerad an dieser Stätte sterben.

Und wie schön ist das Dichterwort:

Wenn ich nach einem Lande zieh und Gutes suche,
So weiß ich niemals, was von beiden mir dort naht:
Ob es das Gute ist, das ich im Sinne habe;
Ob es das Böse ist, das mich im Sinne hat.

Nun ließ König Ma'rûf den Ackersmann kommen, dessen Gast er auf seiner Flucht gewesen war; und als der vor ihm erschienen war, machte er ihn zum Wesir der Rechten und zu



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seinem Ratgeber. Als er dann erfuhr, daß jener eine Tochter hatte von herrlicher Schönheit und Lieblichkeit und von edler Sittsamkeit, von einem Wesen voll Vornehmheit und von hoher Würdigkeit, so vermählte er sich mit ihr; und nach einer Weile vermählte er auch seinen Sohn. Sie führten noch eine Weile das herrlichste Leben, indem die Zeiten ihnen Freude machten und alle Wonnen ihnen lachten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und die Freundesbande zerreißt, der da gebietet, daß blühende Städte in der Einöde verschwinden und daß Söhne und Töchter ihre Eltern nicht mehr finden. Preis aber sei Ihm, dem Lebendigen, der nie dem Tode verfällt und der die Schlüssel der sichtbaren und unsichtbaren Welt in den Händen hält!«


Copyright: arpa, 2015.

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