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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


73. Das Märchen vom Teufel

In einer kleinen Hütte wohnte eine alte Frau mit ihrem Sohn. Der Sohn war ein großer, starker Mensch. In der Nachbarschaft stand ein Herrenhaus, dahin ging die alte Frau alle Augenblicke und bettelte um einen Laib Gerstenbrot und einen großen Topf voll Buttermilch. So trieben sie es schon drei Jahre. Eines Morgens aber sprach der Gutsherr zu der Alten: »Für wen hast du denn zu sorgen, daß du immer um so viel Essen bettelst?« — »Ich habe für niemanden



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weiter zu sorgen, nur für mich und meinen Sohn.« — »Ich werde dir nichts mehr geben, schicke mir deinen Sohn her, ich will ihn doch einmal sehen.«

Da ging die Alte zu ihrer Hütte und sprach zu ihrem Sohn: »Er will mir nichts mehr geben, geh du mal hin, er wünscht dich zu sehen.« — »Was mag er nur von mir wollen?« sprach der Sohn, und er ging zum Herrenhaus.

Der Gutsherr stand gerade draußen vor der Tür und erblickte ihn. »Kannst du arbeiten?« fragte der Gutsherr. »Was heißt das: arbeiten?« fragte da der große Mann. »Komm her, ich will es dir zeigen«, und er führte ihn in den Stall. Dort nahm der Gutsherr eine Mistgabel in die Hand und sprach: »So mußt du es machen«, und warf ein wenig Kuhmist zur Tür hinaus. »Das ist deine Arbeit.«

»Das ist gar nichts«, meinte der große Mann und ergriff die Gabel und warf den ganzen Dung mit einem einzigen Wurf hinaus. Bestürzt schaute ihm der Edelmann zu. »Jenseits des Flusses weiden meine Kühe, gehe hin und treibe sie alle zum Hause her. Jedoch mußt du sie so durch das Wasser führen, daß keine ihre Hufe benetzt.«

Da nahm der große Mann einen Sack und ein großes Messer, schritt durch das Wasser, lief hinter den Kühen her und fing eine. Dann schnitt er ihr die vier Hufe ab und warf sie in den Sack. Und so tat er mit den sämtlichen Kühen. Alle wurden huflos.

Dann trieb er sie durch das Wasser zum Hause hin. Der Gutsherr stand gerade vor der Tür. Der große Mann schüttete nun den Sack aus, ihm unmittelbar vor die Füße. Alle die Hufe rollten heraus. »Schau«, sagte er, »sind sie etwa naß geworden?«

Als das der Edelmann sah, gab es einen großen Streit. Aber schließlich beruhigten sich die beiden wieder.

»Nun«, sprach der Gutsherr, »wünsche ich, daß du eine kleine Arbeit für mich verrichtest. Dort im Wald habe ich einen Wagen und drei Pferde. Die Leute sind gerade dabei,



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den Wagen mit Baumstämmen zu beladen, du hast weiter nichts zu tun, als nur zu den Pferden zu sagen: >Nun, vorwärts!<« Der Mann ging hin und sprach zu den Pferden: »Vorwärts!« Aber keines von ihnen wollte sich rühren. Da spannte er das Leitpferd aus, band ihm die vier Füße zusammen und warf es in den Wagen. »Nun vorwärts, ihr«, sprach er zu den beiden anderen. Aber keines von ihnen tat auch nur einen Schritt. Da spannte er auch diese beiden aus, band ihnen die vier Beine zusammen und warf sie in den Wagen hinein. Dann spannte er sich selber vor den Wagen und zog alles -den Wagen und die Baumstämme und die drei Pferde —hinauf zum Gutshof.

Der Edelmann kam heraus und erstaunte nicht wenig beim Anblick dieses Aufzuges. Der starke Mann ließ nun den Wagen vor der Tür stehen und holte sich sein Essen, die Buttermilch und das Gerstenbrot. Der alte Gutsherr fragte ihn: »Woher hast du nur deine Kraft?« Er aber verriet nichts.

Nun sprach der Edelmann zu ihm: »In den Feldern da drüben liegt ein großer See. Ich wünsche, daß du mir den trockenlegst.«

Der große Mann ging hin und fällte einen großen Baumstamm. Dann ging er zum See und durchstieß mit dem Baumstamm den Grund des Sees, so daß alles Wasser ablief.

Am Morgen ging der Herr hin, um sich den See anzuschauen. Und siehe da, das Wasser war verschwunden. Wieder fragte er ihn: »Wo hast du nur deine Kraft her?« Aber er sagte es nicht, sondern sprach:

»Ich werde dir zeigen, was wirklich Kraft ist.« Und er nahm eine große Eisenkette. Diese legte er rings um das Gutshaus und hob es mitsamt seinen Bewohnern auf und setzte es neben seine eigene elende Hütte.

Am Morgen sprach der Schloßherr zu ihm: »Wenn du mir sagst, woher du deine Kraft hast, dann werde ich dir alle meine Schafe und alle meine Kühe und alle meine Pferde schenken. «



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Aber der große Mann verriet nichts, er griff nur mit der Hand in seine Tasche, brachte einen kleinen weißen Knopf zum Vorschein und sagte: »Da nimm!«

Der Schloßherr glaubte wirklich, daß darinnen die Kraft säße, und steckte den Knopf in seine Tasche. Er gab seine ganze Habe dem starken Mann und zog weit weg.

Als aber nach drei Tagen von der Kraft noch nichts zu spüren war, sprach er zu sich selbst: >Der Kerl hat mich betrogen, der hält es mit dem Teufel. Ich will gleich wieder zu ihm gehen!< Er ging also wieder zurück und klopfte leise an die Tür. Der starke Mann kam heraus, und der Edelmann rief ihm zu: »Du bist der Teufel!« — »Ja«, sprach der starke Mann, »der Teufel in eigener Person«, und damit stieß er ihn die Treppe hinunter.

Und der Teufel lebt jetzt noch dort.

Doch nun muß ich eine große Wurst dafür bekommen, daß ich dir diese Lüge erzählt habe.


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