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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BÄNDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

ÜBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 6

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VON 'ABDALLAH IBN FÂDIL UND SEINEN BRÜDERN

Eines Tages musterte der Kalif Harûn er-Raschîd den Tribut seines Reiches, und da fand er, daß die Tribute aller Länder und Provinzen ins Schatzhaus eingeliefert waren, nur nicht der Tribut von Basra; der war in jenem Jahre nicht gekommen, und deshalb berief der Herrscher eine Staatsversammlung. Dort befahl er: ,Man führe den Wesir Dscha'far vor mich!' Als der vor ihn getreten war, sprach der Kalif zu ihm: ,Die Tribute aller Länder sind in das Schatzhaus eingeliefert worden, nur nicht der von Basra; von dem ist nichts gekommen.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' erwiderte der Minister, ,vielleicht ist dem Statthalter von Basra etwas widerfahren, das ihn verhindert hat, den Tribut zu senden.' Darauf sagte Harûn: ,Der Tribut hätte schon vor zwanzig Tagen eintreffen sollen; was für eine Entschuldigung kann der Statthalter haben, daß er ihn in dieser ganzen Zeit nicht geschickt hat, noch auch jemanden gesandt hat, um sich zu entschuldigen?' Dscha'far fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, wenn es dir beliebt, wollen wir einen Boten zu ihm schicken.' Alsbald befahl der Kalif: ,Schicke' ihm Abu Ishâk el-Mausili, den Tischgenossen !',Ich höre und gehorche Allah und dir, o Beherrscher der Gläubigen', sagte der Wesir Dscha'far, begab sich in sein Haus und ließ den Tischgenossen Abu Ishâk el-Mausili kommen; dem schrieb er einen Brief im Namen des Kalifen, und dann sprach er zu ihm: ,Geh zu 'Abdallah ibn Fâdil, dem Statthalter von Basra, und sieh nach, was ihn verhindert hat, den Tribut zuschicken; dann laß dir von ihm den vollen Betrag des Tributs von Basra übergeben und bring ihn eiligst her. Denn der Kalif hat die Tribute der Provinzen gemustert und gefunden,



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daß alle angekommen sind, nur nicht der von Basra. Wenn du aber siehst, daß der Tribut nicht bereit ist, und wenn der Statthalter sich vor dir entschuldigt, so bringe ihn mit dir, damit er dem Kalifen seine Entschuldigung mit eigener Zunge vortragen kann!' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte Abu Ishâk, und indem er fünfhundert Reiter aus dem Heere des Wesirs mit sich nahm, machte er sich auf den Weg, bis er die Stadt Basra erreichte. 'Abdallâh ibn Fâdil aber erfuhr von seiner Ankunft, und so zog er mit seinem Heere ihm entgegen und hieß ihn willkommen. Dann ritt er mit ihm in Basra ein und führte ihn zu seinem Schlosse hinauf, während das Geleit draußen vor der Stadt in Zelten lagerte, nachdem der Statthalter ihnen alles angewiesen hatte, dessen sie bedurften. Als nun Abu Ishâk in den Staatssaal getreten war und sich auf den Thron gesetzt hatte, ließ er 'Abdallah ibn Fâdil an seiner Seite sitzen, und die Großen setzten sich rings um ihn, je nach Rang und Würden. Nach der feierlichen Begrüßung hub Ibn Fâdil an: ,Mein Gebieter, hat dein Kommen zu uns einen Grund?' ,Jawohl,' erwiderte Abu Ishâk, ,ich bin gekommen, um den Tribut einzufordern; denn der Kalif hat nach ihm gefragt, und die Zeit seines Eintreffens ist verstrichen.' Da rief der Statthalter: ,Mein Gebieter, hättest du dich doch nicht geplagt und die Mühsale der Reise nicht auf dich genommen! Der Tribut ist bereit, voll und ganz, und ich hatte beschlossen, ihn morgen abzusenden. Aber da du gekommen bist, will ich ihn dir überliefern, nachdem du drei Tage lang mein Gast gewesen bist. Am vierten Tage werde ich den Tribut vor dich bringen lassen. Jetzt aber geziemt es uns, dir ein Geschenk zu bieten, um für deine und des Kalifen Güte uns dankbar zu zeigen.' ,Das mag gern geschehen', erwiderte Abu Ishâk; und der Statthalter löste die Staatsversammlung auf und führte seinen



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Gast in ein Obergemach in seinem Palaste, das unvergleichlich schön war. Dann ließ er ihm und seinen Gefährten den Tisch der Speisen vorsetzen; und sie aßen und tranken, vergnügten sich und waren guter Dinge. Nachdem der Tisch fortgetragen war, wuschen sie sich die Hände, man brachte Kaffee und Scherbette, und alle saßen in trautem Verein. bis ein Drittel der Nacht verstrichen war. Da breitete man für den Gast ein Bett auf einem Lager aus Elfenbein, das eingelegt war mit Gold von gleißendem Schein. Auf das legte er sich nieder, während der Statthalter von Basra sich auf einem anderen Lager neben ihm zur Ruhe begab. Doch Abu Ishâk, der Gesandte des Beherrschers der Gläubigen, konnte keinen Schlaf finden, und er begann nachzusinnen über die Maße der Dichtkunst und Verskunst: denn er war einer von den auserlesensten unter den Tischgenossen des Kalifen, und besaß große Kenntnisse in Gedichten und heiteren Geschichten. So blieb er denn wach, indem er sich Gedichte aussann, bis es Mitternacht war. Während er so dalag, erhob sich plötzlich 'Abdallâh ibn Fâdil, gürtete sich und öffnete einen Wandschrank: daraus holte er eine Geißel hervor. Ferner nahm er eine brennende Kerze, und dann ging er zur Tür des Gemaches hinaus, in dem Glauben, Abu Ishâk schlafe. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 979. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil zur Tür des Gemaches hinausging, in dem Glauben, der Tischgenosse Abu Ishâk schlafe. Doch Abu Ishâk wunderte sich über sein Hinausgehen und sprach bei sich selber: ,Wohin mag 'Abdallâh ibn Fâdil mit dieser Geißel gehen? Vielleicht will er jemanden züchtigen. Es bleibt mir nichts übrig,



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als daß ich ihm folge und sehe, was er in dieser Nacht tut.' So erhob sich denn auch Abu Ishâk und ging ganz leise hinter ihm her, so daß jener ihn nicht sehen konnte. Da beobachtete er, wie 'Abdallâh eine Kammer öffnete und aus ihr einen Tisch mit vier Schüsseln voll Fleisch sowie Brot und einen Krug Wasser holte. Mit Tisch und Krug ging er weiter, während Abu Ishâk ihm heimlich folgte. Als der Statthalter in einen Saal trat, blieb Abu Ishâk hinter der Tür dieses Saales draußen stehen und spähte durch einen Spalt jener Tür. Er sah, daß es ein geräumiger Saal war, ausgestattet mit prächtigem Hausrat; und in der Mitte jenes Saales befand sich ein Lager aus Elfenbein, das ausgelegt war mit Gold von gleißendem Schein; und an jenem Lager waren zwei Hunde mit goldenen Ketten festgebunden. Weiter sah er, daß 'Abdallâh den Tisch beiseite in eine Ecke legte, sich die Ärmel über die Hände zurück streifte und den ersten Hund losband. Der begann sich an dem Strick in seiner Hand zu winden und seine Schnauze auf den Boden zulegen, als wollte er den Boden vor ihm küssen, indem er dabei mit leiser Stimme kläglich winselte. 'Abdallâh aber band ihm die Füße zusammen, warf ihn auf den Boden, schwang die Geißel und ließ sie auf ihn niedersausen; er versetzte ihm heftige Schläge ohne Erbarmen, während der Hund sich wand, aber sich nicht losreißen konnte. So lange hieb er mit jener Geißel auf ihn ein, bis das Tier aufhörte zu heulen und bewußtlos dalag. Darauf nahm er ihn und band ihn wieder an derselben Stelle an. Als dies geschehen war, holte er den zweiten Hund und tat mit ihm dasselbe, was er mit dem ersten getan hatte. Schließlich zog er ein Tuch heraus und wischte den beiden die Tränen ab und begann sie zu trösten, indem er sprach: ,Zürnet mir nicht! Bei Allah, dies geschieht nicht nach meinem Willen, und es ist mir nicht leicht geworden.



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Möge Allah euch beiden aus dieser Not Befreiung und Erlösung gewähren!' Und er betete für sie. All dies geschah, während der Tischgenosse Abu Ishâk dort stand und mit eigenen Ohren zuhörte und mit eigenen Augen zuschaute, erstaunt über ein solches Gebaren. Darauf setzte 'Abdallâh den beiden Tieren den Tisch mit Speisen vor und reichte ihnen die Bissen mit eigener Hand, bis sie satt waren. Nachdem er ihnen noch die Schnauzen abgewischt hatte, holte er den Krug und gab ihnen zu trinken. Schließlich nahm er Tisch und Krug und Kerze und wandte sich zum Gehen; Abu Ishâk aber eilte ihm vorauf, bis er wieder zu seinem Lager kam, und legte sich nieder, so daß der Statthalter ihn nicht sah und nicht erfuhr, daß er ihm gefolgt war und ihn beobachtet hatte. Dann brachte jener den Tisch und den Krug wieder in die Kammer, trat in das Gemach ein, öffnete den Wandschrank und legte die Geißel an ihren Ort; und nachdem er seine Kleider abgelegt hatte, begab er sich zur Ruhe.

Solches tat 'Abdallâh; Abu Ishâk seinerseits verbrachte den Rest jener Nacht damit, daß er über dies Geschehnis nachsann, und er konnte in seiner großen Verwunderung nicht einschlafen. Immer sprach er bei sich selber: ,Was mag wohl der Grund von diesem Tun sein?' Und immer wunderte er sich, bis es schließlich Morgen ward. Da erhoben sie sich und verrichteten das Frühgebet. Dann ward ihnen der Morgenimbiß gebracht; sie aßen und tranken Kaffee und begaben sich zur Staatsversammlung. Abu Ishâks Gedanken weilten den ganzen Tag bei jenem Ereignis; doch er schwieg davon und befragte 'Abdallâh nicht darüber. In der nächsten Nacht tat der Statthalter ebenso mit den beiden Hunden; nachdem er sie geschlagen hatte, begütigte er sie und gab ihnen zu essen und zu trinken. Dabei folgte ihm Abu Ishâk und sah, daß er mit den beiden Tieren das gleiche tat wie in der Nacht zuvor; und ebenso geschah



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es in der dritten Nacht. Am vierten Tage aber brachte der Statthalter den Tribut dem Tischgenossen Abu Ishâk; und der nahm ihn und brach auf, ohne jenem etwas zu verraten. Dann zog er rasch dahin, bis er Baghdad erreichte; und dort übergab er dem Kaufen den Tribut. Da fragte der Herrscher ihn nach der Verzögerung des Tributs, und er sprach: ,O Beherrscher der Gläubigen, ich sah, daß der Statthalter von Basra den Tribut bereit hatte und im Begriffe war, ihn abzusenden. Wäre ich einen Tag später gekommen, so wäre er mir auf dem Wege begegnet. Aber ich habe an 'Abdallâh ibn Fâdil ein wunderbares Gebaren bemerkt, desgleichen ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, o Beherrscher der Gläubigen.' ,Und was war das, o Abu Ishâk?' fragte der Kalif; und Abu Ishâk antwortete: ,Ach, ich habe solche Dinge gesehen!' und erzählte ihm, was jener mit den Hunden getan hatte, indem er mit den Worten schloß: ,Ich sah, wie er in drei Nächten nacheinander also tat, daß er die beiden Hunde schlug und sie dann begütigte und tröstete und ihnen zu essen und zu trinken gab, während ich ihm zuschaute, ohne daß er mich sehen konnte.' Da sprach der Kalif zu ihm: ,Hast du ihn nach dem Grunde gefragt?' ,Nein, bei deinem Haupte, o Beherrscher der Gläubigen!' erwiderte der Tischgenosse; und der Herrscher fuhr fort: ,Abu Ishâk, ich befehle dir, daß du nach Basra zurückkehrst und mir 'Abdallâh ibn Fâdil und die beiden Hunde bringst.' ,O Beherrscher der Gläubigen,' sagte jener, ,erlaß mir dies! 'Abdallâh ibn Fâdil hat mir doch die größten Ehren erwiesen, und ich habe diese Dinge nur zufällig und ohne Absicht beobachtet und dir davon erzählt. Wie könnte ich zu ihm zurückkehren und ihn dir bringen? Wenn ich wieder zu ihm käme, so würde ich dazu nicht den Mut finden, aus Scham vor ihm. Es wäre daher besser, einen anderen als mich zu ihm zu



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schicken mit einem Handschreiben von dir; der mag ihn dann mit den beiden Hunden bringen.' Doch der Kalif entgegnete ihm: ,Wenn ich einen andern als dich zu ihm schicke, so wird er womöglich diese Dinge ableugnen und sagen, er habe keine Hunde. Allein, wenn ich dich schicke, und du ihm sagst, du habest ihn mit eigenen Augen gesehen, so wird er es nicht ableugnen können. Drum geht es nicht anders an, als daß du dich zu ihm begibst und ihn mit den beiden Hunden bringst; sonst steht dir der sichere Tod bevor.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 980. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Kalif Harûn er-Raschîd zu Abu Ishâk sprach: ,Es geht nicht anders an, als daß du dich zu ihm begibst und ihn mit den beiden Hunden bringst; sonst steht dir der sichere Tod bevor.' Abu Ishâk erwiderte ihm: ,Ich höre und gehorche, o Beherrscher der Gläubigen! Allah ist unser Genüge und der trefflichste Sachwalter.' Der hat wahr gesprochen, der da sagte: Von der Zunge kommt, was dem Menschen nicht frommt. Ich habe wider mich selbst gesündigt, da ich dir dies erzählt habe. Doch gib mir ein Handschreiben, so werde ich zu ihm gehen und ihn dir bringen.' Da setzte der Kalif ein Handschreiben für ihn auf, und Abu Ishâk begab sich damit nach Basra. Als er dort zu dem Statthalter eintrat, rief jener ihm zu: ,Allah behüte uns vor dem Unheil deiner Rückkehr. o Abu Ishâk! Wie kommt es, daß ich dich so bald zurückkehren sehe? Fehlt vielleicht etwas an dem Tribut, so daß der Kalif ihn nicht annehmen will?' ,O Emir 'Abdallâh,' erwiderte Abu Ishâk. ,meine Rückkehr hat nicht den Grund, daß an dem Tribut etwas mangelt; nein, der ist vollkommen,



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und der Kalif hat ihn angenommen. Doch ich flehe dich an, zürne mir nicht, weil ich mich wider dich vergangen habe! Dies, was ich mir habe zuschulden kommen lassen, war von Allah, dem Erhabenen, vorherbestimmt.' Nun fragte der Statthalter ihn: ,Und was hast du dir zuschulden kommen lassen, Abu lshâks Tu es mir kund; du bist mein Freund, und ich will dir nicht zürnen!' Da gestand er ihm: ,Wisse, als ich bei dir war, folgte ich dir drei Nächte nacheinander, als du jedesmal um Mitternacht aufstandest und die Hunde züchtigtest und dann wiederkamst. Darüber wunderte ich mich, aber ich scheute mich, dich danach zu fragen. Später erzählte ich dem Kalifen dies von dir, nur zufällig und ohne Absicht. Doch er zwang mich, zu dir zurückzukehren; und hier ist sein Handschreiben. Hätte ich nur geahnt, daß die Sache dazu führen würde, so hätte ich ihm nichts gesagt; aber das Schicksal hat es so gewollt.' Und er fuhr fort, sich bei ihm zu entschuldigen; darauf sprach 'Abdallâh zu ihm: ,Da du es ihm berichtet hast, so will ich deinen Bericht vor ihm bestätigen, auf daß er dich nicht der Lüge zeihe; denn du bist mein Freund. Hätte ein andrer als du dies berichtet, so hätte ich es abgeleugnet und ihn für einen Lügner erklärt. Ich will also mit dir gehen und die beiden Hunde mit mir nehmen, auch wenn das dazu führt, daß meine Seele entschwindet und meine Lebenszeit ihr Ende findet.' ,Möge Allah dich schützen, wie du meine Ehre vor dem Kalifen geschützt hast!' rief Abu Ishâk; und 'Abdallâh holte ein Geschenk, wie es sich für den Kalifen geziemte, und nahm die beiden Hunde an goldene Ketten. Dann setzte er jeden Hund auf ein Kamel und machte sich mit Abu Ishâk auf den Weg, bis sie Baghdad erreichten. Dort trat er zum Kalifen ein und küßte den Boden vor ihm. Der Kalif gab ihm die Erlaubnis, sich zusetzen; und jener setzte sich, nachdem er die beiden



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Hunde vor den Herrscher geführt hatte. Nun fragte der Kalif: ,Was für zwei Hunde sind das, Emir 'Abdallâh?' Da begannen die beiden Hunde. den Boden vor ihm zu küssen und mit den Schweifen zu wedeln und zu winseln, als ob sie sich bei ihm beklagten. Darüber erstaunt, sprach der Kalif zu 'Abdallâh: ,Tu mir kund, was es mit diesen beiden Hunden auf sich hat, und weshalb du sie schlägst, aber nachdem Schlagen sie freundlich behandelst!' ,O Stellvertreter Allahs,' erwiderte jener, ,diese beiden sind keine Hunde; nein, sie sind zwei junge Männer von Schönheit und Lieblichkeit und des Wuchses Ebenmäßigkeit. Sie sind meine beiden Brüder, die Söhne meiner Mutter und meines Vaters.' Da fragte der Kalif: ,Wie kommt es, daß sie, die in Wirklichkeit menschliche Wesen sind, jetzt zu Hunden geworden sind?' Der Statthalter gab zur Antwort: ,Wenn du es mir erlaubst, o Beherrscher der Gläubigen, so will ich dir den wahren Sachverhalt kundtun.' Und Harûn er-Raschîd fuhr fort: ,Tu ihn mir kund! Doch hüte dich vor der Lüge; denn die ist eine Eigenschaft der Heuchler. Befleißige dich der Wahrheit; denn sie ist das Rettungsboot und das Kennzeichen der Tugendhaften!' Darauf erwiderte 'Abdallâh: .O Stellvertreter Gottes, wenn ich dir nun die Geschichte der beiden berichte, so werden sie meine Zeugen sein: wenn ich lüge, werden sie mich Lügen strafen; und wenn ich die Wahrheit sage, werden sie es bestätigen.' Der Herrscher aber rief: ,Die beiden gehören doch zu den Hunden; sie können durch Rede und Antwort nichts bekunden. Wie können sie für oder wider dich zeugen?' Da sprach 'Abdallâh zu ihnen: ,Meine Brüder, wenn ich ein Wort der Lüge spreche, so hebt die Köpfe und blicket starr mit euren Augen; doch wenn ich die Wahrheit sage, so lasset die Köpfe hängen und senkt eure Augen zu Boden!' Und dann erzählte er:



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,Wisse, o Stellvertreter Allahs, wir sind drei Brüder von derselben Mutter und von demselben Vater. Unser Vater hieß Fâdil, und er war deshalb so genannt, weil die Mutter unseres' Vaters Zwillinge zu gleicher Zeit zur Welt brachte, von denen der eine zur selbigen Stunde starb, während der andere übrig blieb; deswegen nannte sein Vater ihn Fâdil.' Sein Vater zog ihn auf und gab ihm die beste Erziehung, bis er herangewachsen war; da vermählte er ihn mit unserer Mutter, und dann starb er. Unsere Mutter gebar zuerst diesen meinen Bruder, und mein Vater nannte ihn Mansûr; dann empfing sie ein zweites Mal und brachte diesen meinen zweiten Bruder zur Welt, dem mein Vater den Namen Nâsir gab; und nachdem sie zum dritten Male empfangen hatte, schenkte sie mir das Leben, und mein Vater hieß mich 'Abdallâh. Nachdem er uns erzogen hatte, bis wir herangewachsen waren und das Mannesalter erreicht hatten, starb auch er. Da hinterließ er uns ein Haus und einen Laden, voll von bunten Stoffen aller Art, indischen, griechischen, chorasanischen und noch anderen; auch hinterließ er uns sechzigtausend Dinare. Nachdem unser Vater gestorben war, wuschen wir ihn und bauten ihm ein prächtiges Grabgebäude; darin bestatteten wir ihn zur Barmherzigkeit seines Herrn. Wir ließen für sein Seelenheil beten und hielten Lesungen aus dem Koran und gaben Almosen für ihn, bis die vierzig Tage verstrichen waren. Und als dies geschehen war, versammelte ich die Kaufleute und die Vornehmen des Volkes und bereitete ihnen ein großes Fest. Nachdem sie gegessen hatten, sprach ich zu ihnen: ,Ihr Kaufleute, seht, diese Welt ist vergänglich, aber die nächste Welt ist beständig Preis sei Ihm, der ewig besteht, nachdem Seine Geschöpfe verl.



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gangen sind! Wisset ihr, weshalb ich euch an diesem gesegneten Tage bei mir versammelt habe?' Da sprachen sie: ,Preis sei Allah, der das Verborgene weiß!' Und ich fuhr fort: ,Mein Vater hat viel Geld hinterlassen, und ich fürchte, es könnte jemand an ihn noch einen Anspruch haben wegen einer Schuld oder eines Pfandes oder dergleichen. Deshalb ist es mein Wunsch, die Verpflichtungen meines Vaters gegenüber den Menschen zu erfüllen; wer also einen Anspruch an ihn hat, der sage: ,Er schuldet mir dasunddas', und ich will es ihm zurückzahlen, um die Verpffichtungen meines Vaters zu tilgen.' Doch die Kaufleute sprachen zu mir: ,O 'Abdallâh, fürwahr, irdisch Gut wiegt nicht das Jenseits auf; und wir sind keine Betrüger. Ein jeder von uns weiß das Erlaubte vom Verbotenen zu unterscheiden, und wir leben in Furcht vor Allah dem Erhabenen; darum hüten wir uns, das Gut der Waisen zu verzehren. Wir wissen, daß dein Vater -Allah habe ihn selig! —immer sein Geld bei den Leuten stehen ließ und es vermied, daß jemand an ihn einen Anspruch behielt. Wir hörten ihn immer sagen: ,Ich achte voll Sorge das Eigentum der Menschen.' Auch pflegte er in seinen Gebeten zu sagen: ,Mein Gott, du bist meine Zuflucht und meine Hoffnung; laß mich nicht in Schulden sterben!' So war es denn seine Gewohnheit, wenn er jemandem etwas schuldete, es ihm ungemahnt zu ahlen. Doch wenn jemand ihm etwas schuldete, so drängte er ihn nicht, sondern sprach: ,Wie es dir genehm ist!' Und wenn der Mann arm war, so erließ er ihm die Schuld und sprach ihn von der Verpflichtung frei. War der Mann aber nicht arm und starb, so pflegte er zu sagen: ,Allah erlasse ihm, was er mir schuldet!' Wir alle bezeugen, daß er niemandem etwas schuldig ist.' Darauf sagte ich: ,Gott segne euch!' und wandte mich zu meinen beiden Brüdern, die hier sind, und sprach zu ihnen: ,Liebe



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Brüder, unser Vater schuldete niemandem etwas, und er hat uns dies Geld und Gut, das Haus und den Laden hinterlassen. Wir sind drei Brüder, und einem jeden von uns gehört ein Drittel von allem. Wollen wir uns nun einigen, nicht zu teilen, so daß unser Besitz uns gemeinsam bleibt und wir zusammen essen und trinken, oder wollen wir die Stoffe und das Geld teilen, so daß jeder von uns sein Teil erhält?' Sie sprachen: ,Laßt uns teilen, damit ein jeder von uns sein Teil nehmen kann!' Da wandte 'Abdallâh sich zu den beiden Hunden und fragte sie: ,Ist das nicht so geschehen, meine Brüder!' Und beide ließen die Köpfe hängen und senkten ihre Augen zu Boden, als ob sie sagen wollten: ,Jawohl.' Dann fuhr der Statthalter fort: ,Ich ließ also einen Erbteiler von seiten des Kadis kommen, o Beherrscher der Gläubigen, und er teilte unter uns das Geld und die Stoffe und alles, was unser Vater uns hinterlassen hatte; Haus und Laden wurden mir zugesprochen als Ersatz für einen Teil des Geldes, auf den ich Anspruch hatte. Damit waren wir zufrieden; und so fielen das Haus und der Laden mir zu. während die beiden ihren ganzen Anteil in Geld und Stoffen erhielten. Darauf eröffnete ich den Laden wieder und tat die Stoffe hinein; auch kaufte ich für einen großen Teil des Geldes, das außer dem Haus und dem Laden mein Eigentum geworden war, neue Stoffe, bis der Laden gefüllt war, und ich betrieb dann Kauf und Verkauf. Meine beiden Brüder aber kauften auch Stoffe, mieteten ein Schiff und fuhren zur See in fremde Länder. Ich sagte: ,Allah helfe den beiden! Mein Lebensunterhalt wird mir schon zuteil werden, und die Ruhe ist unschätzbar.' Ein volles Jahr lang lebte ich in dieser Weise, und Allah öffnete mir das Tor des Glücks, so daß ich großen Gewinn hatte, bis ich allein so viel besaß, wie unser Vater uns hinterlassen hatte. Als ich nun eines Tages in dem Laden saß, angetan



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mit zwei Pelzen, einem aus Zobel und einem zweiten aus Feh, weil es damals Winter und die Zeit der größten Kälte war, da begab es sich, während ich so geborgen war, daß meine beiden Brüder zu mir traten, ein jeder von ihnen in ein zerfetztes Hemd und sonst nichts gekleidet; ihre Lippen waren weiß vor Kälte, und beide zitterten. Wie ich sie erblickte, war ich ganz ergriffen, und ich hatte tiefes Mitleid mit ihnen.' —

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 981. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ihn Fâdil dem Kalifen des weiteren erzählte: ,Wie ich die beiden zittern sah, war ich ganz ergriffen, und ich hatte tiefes Mitleid mit ihnen, ja, es war mir, als ob mir die Sinne vergingen. Ich eilte auf sie zu und umarmte sie und weinte ob ihrer Not; und sogleich bekleidete ich den einen von ihnen mit dem Zobelpelz und den anderen mit dem Fehpelz. Dann führte ich sie ins Badehaus, und dorthin sandte ich für jeden von beiden eine Gewandung, wie sie sich für einen Kaufherrn ziemt, der tausend Säcke Goldes besitzt. Nachdem sie gebadet hatten, legte ein jeder seine Gewänder an, und ich führte sie in mein Haus; dort sah ich, daß sie fast verhungert waren, und so brachte ich ihnen einen Tisch voll Speisen. Sie aßen, und ich aß mit ihnen, indem ich ihnen freundlich zusprach und sie tröstete.' Wiederum wandte er sich an die beiden Hunde und sprach zu ihnen: ,Ist das nicht so geschehen, meine Brüder?' Und beide ließen die Köpfe hängen und senkten ihre Augen zu Boden. Dann fuhr der Statthalter fort: ,O Stellvertreter Allahs, darauf befragte ich sie, indem ich zu ihnen sprach: ,Wie ist euch dies widerfahren? Und wo sind eure Güter?' Sie gaben zur Antwort: ,Wir fuhren den Fluß hinauf und kamen dann in eine



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Stadt, die Kufa heißt; dort verkauften wir das Stück Zeug, das uns einen halben Dinar gekostet hatte, um zehn Dinare, und das, was uns einen Dinar gekostet hatte, um zwanzig Dinare. So hatten wir großen Gewinn und kauften von persischen Stoffen das Stück Seide um zehn Dinare, während es in Basra vierzig Dinare gilt. Weiter kamen wir in eine Stadt, die el-Karch heißt; und auch dort verkauften und kauften wir und erzielten viel Gewinn, so daß wir großen Reichtum unser eigen nannten.' In dieser Weise zählten sie mir die Orte und die Gewinne auf, bis ich zu ihnen sprach: ,Da ihr all dies gute Glück erlebtet, wie kommt es denn, daß ich euch nackt heimkehren seher' Sie seufzten und sprachen: ,Lieber Bruder, ein böses Auge muß uns getroffen haben, und auf das Reisen ist kein Verlaß. Nachdem wir all das Geld und Gut zusammengebracht hatten, beluden wir unser Schiff mit unserer Habe und fuhren auf See in der Absicht, nach der Stadt Basra heimzukehren. Wir waren schon drei Tage gefahren, da, am vierten Tage, sahen wir, wie das Meer sich senkte und bäumte, tobte und schäumte, raste und wild bewegt war und von tosenden Wogen erregt war, und wie aus den Wellen Funken sprühten, die gleich Feuer erglühten. Die Winde kehrten sich wider uns, und unser Schiff ward gegen ein Felsenriff geworfen; da zerbrach es, und wir gingen unter. Alles, was wir besaßen, versank im Meere; doch wir selbst rangen einen Tag und eine Nacht auf der Oberfläche des Wassers, bis Allah uns ein anderes Schiff sandte und wir von dessen Mannschaft aufgenommen wurden. Danach zogen wir bettelnd von Stadt zu Stadt, indem wir von dem lebten, was uns durch das Betteln zuteil ward, und wir erduldeten große Mühsal. Wir legten sogar unsere Kleider eins nach dem andern ab und verkauften sie, um uns zu ernähren, bis wir uns



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Basra näherten; aber wir kamen nicht eher wieder in dieser Stadt an, als bis wir tausend Leiden gekostet hatten. Wären wir mit allem, was wir besaßen, sicher heimgekehrt, so hätten wir Reichtümer mitgebracht, die den Schätzen des Königs gleich gewesen wären. Aber dies war uns von Allah vorherbestimmt.' Nun sprach ich zu ihnen: ,Liebe Brüder, macht euch keine Sorgen! Hab und Gut sind das Lösegeld für das Leben; und Gesundheit ist Gewinn. Da Allah euch unter denen verzeichnet hat, die gerettet werden, so ist das der Wünsche Ziel; ach, Armut und Reichtum sind nur so viel wie ein Schattenspiel an der Wand; und wie trefflich war der Mann, der diese Worte fand:

Wenn eines Mannes Haupt vom Tod gerettet wird,
Dann ist doch Geld und Gut dem Span des Nagels gleich.'

Und ich fuhr fort: ,Liebe Brüder, wir wollen annehmen, unser Vater sei erst heute gestorben und uns all dies Gut hinterlassen, das ich jetzt besitze; denn ich bin gern dazu bereit, daß wir es unter uns gleichmäßig verteilen.' So ließ ich denn zum zweiten Male einen Erbteiler von seiten des Kadis kommen und zeigte ihm meine ganze Habe; er teilte unter uns, und ein jeder von uns erhielt ein Drittel des Ganzen. Dann sprach ich zu den beiden: ,Liebe Brüder, Allah segnet dem Menschen sein täglich Brot, wenn er im eigenen Lande bleibt. Drum möge jeder von euch beiden einen Laden auftun und darin bleiben, um Handel zu treiben; und wenn einem im geheimen Ratschluß etwas vorherbestimmt ist, so muß er es auch gewinnen.' Darauf half ich jedem der beiden, einen Laden zu eröffnen, und füllte ihn mit Waren, indem ich zu ihnen sprach: ,Verkaufet und kaufet; doch behaltet euer Geld und gebt nichts davon aus; denn alles, was ihr an Speise und Trank und sonst noch nötig habt, soll euch von mir zuteil werden!' Und von



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da ab sorgte ich für ihre Bewirtung; beide pflegten den Tag über Handel zu treiben und am Abend zu kommen, um in meinem Hause zu übernachten, und ich duldete nicht, daß sie etwas von ihrem Gelde ausgaben. Aber sooft ich bei ihnen saß, um zu plaudern, priesen sie die Wanderschaft und schilderten ihre Freuden und beschrieben, welche Gewinne ihnen beiden durch sie zuteil geworden seien; denn sie wollten mich dazu reizen, daß ich mich mit ihnen entschlösse, in die Ferne zu fremden Völkern zu ziehen.' Dann sprach er zu den Hunden: ,Ist es nicht so geschehen, meine Brüder?' Da ließen sie die Köpfe hängen und senkten ihre Augen zu Boden, um seine Worte zu bestätigen. Und weiter erzählte er: ,O Stellvertreter Allahs, so fuhren sie fort, mich zu verlocken, mir all den großen Gewinn und Nutzen in der Fremde vorzuhalten und mich aufzufordern, mit ihnen zu reisen, bis ich schließlich zu ihnen sprach: ,Es bleibt mir nichts anderes übrig, als daß ich mit euch reise, euch zu Gefallen.' Dann schloß ich mit ihnen Teilhaberschaft, und wir brachten kostbare Stoffe von allen Arten zusammen, mieteten ein Schiff und beluden es mit den Kaufmannsgütetn; auch brachten wir auf jenes Schiff alles, dessen wir sonst bedurften. Darauf segelten wir von der Stadt Basra hinaus auf das tosende Meer mit den brandenden Wogen ringsumher, in dem jeder, der hineinfährt, verloren ist, und jeder, der hinausfährt, wie neugeboren ist. Ohne Aufenthalt fuhren wir dahin, bis wir zu einer Stadt kamen, in der wir verkaufen und kaufen konnten; und dort erwuchs uns großer Gewinn. Von dort fuhren wir zu einer anderen Stadt, und so segelten wir immer weiter von Land zu Land und von Stadt zu Stadt, indem wir Handel trieben und Gewinn erzielten, ja, unser Besitz ward groß, denn reicher Gewinn fiel uns in den Schoß. Schließlich kamen wir zu einem Berge, und dort warf der Kapitän



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die Anker aus und sprach zu uns: ,Ihr Fahrgäste, geht an Land, auf daß euch dieser Tag' erspart bleibe; sucht dort, vielleicht werdet ihr Trinkwasser finden!' Da gingen alle, die auf dem Schiffe waren, an Land, und auch ich verließ mit ihnen das Schiff; und während wir nun nach dem Trinkwasser suchten, schlug ein jeder von uns eine andere Richtung ein. Ich selbst stieg auf den Gipfel des Berges, und als ich dort umherging, erblickte ich plötzlich eine weiße Schlange, die eilig flüchtete, und hinter ihr einen schwarzen Drachen, der ihr nacheilte; der war von häßlicher Gestalt und furchtbar anzuschauen. Der Drache holte sie bald ein und trieb sie in die Enge; dann packte er sie am Kopfe und wand seinen Schwanz um ihren Schwanz. Da schrie sie auf, und ich erkannte, daß er sie vergewaltigen wollte. Ich hatte Mitleid mit ihr, und so nahm ich einen Feuerstein auf, der fünf Pfund wog oder noch mehr, und schleuderte ihn auf den Drachen. Er traf seinen Kopf und zerschmetterte ihn. Doch ehe ich mich dessen versah, verwandelte sich jene Schlange und ward zu einer jungen Maid, strahlend von Schönheit und Lieblichkeit, Anmut und Vollkommenheit und des Wuchses Ebenmäßigkeit, als wäre sie der leuchtende Vollmond. Sie trat auf mich zu, küßte mir die Hand und sprach zu mir: ,Allah schütze dich zwiefach; er schütze dich vor der Schande in dieser Welt und vor dem Feuerbrande in jener Welt am Tage der großen Auferstehung, dem Tage, an dem weder Gut noch Söhne helfen und nur der besteht, der reinen Herzens zu Allah kommt!"Dann fuhr sie fort: ,O Sterblicher, du hast meine Ehre geschützt, und ich bin in deiner Schuld für diese gute Tat; deshalb ist es auch meine Pflicht, dich einst zu belohnen.' Darauf machte sie mit der



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Hand ein Zeichen nach der Erde hin, der Boden spaltete sich, und sie stieg hinab; und die Erde schloß sich wieder über ihr. Da wußte ich, daß sie von der Geisterwelt war. In dem Drachen aber entzündete sich ein Feuer, und es verbrannte ihn, bis er zu einem Haufen Asche wurde. All das erstaunte mich sehr. Darauf kehrte ich zu meinen Gefährten zurück und berichtete ihnen, was ich erlebt hatte. Wir begaben uns dann zur Ruhe für die Nacht; und am nächsten Morgen holte der Kapitän die Anker herauf, breitete die Segel und rollte die Seile auf. Wir fuhren dahin, bis die Küste unseren Blicken entschwand, und segelten dann ununterbrochen zwanzig Tage lang, ohne daß wir ein Land oder einen Vogel sahen. Da ging uns wiederum das Trinkwasser aus, und der Kapitän sprach: ,Ihr Leute, das Süßwasser ist zu Ende bei uns.' Wir sagten: ,Laß uns an Land gehen; vielleicht finden wir Trinkwasser!' Doch er rief: ,Bei Allah, ich habe den Weg verloren, und ich kenne keinen Weg mehr, der uns zum Lande führen könnte.' Nun kam große Sorge über uns, und wir weinten und flehten zu Allah dem Erhabenen, er möchte uns auf den rechten Weg leiten. So verbrachten 'wir jene Nacht in ärgster Not; doch wie vortrefffich ist der Mann, der uns diese Worte bot:

Wie manche der Nächte verbracht ich in Kummer.
Der selbst einem Säugling die Haare wohl bleicht!
Doch ehe der Schimmer des Morgens noch nahte,
War Hilfe von Allah und Sieg schon erreicht!

Als aber der Morgen sich erhob und die Welt mit seinen leuchtenden Strahlen durchwob, erblickten wir einen hohen Berg. Und wie wir jenen Berg sahen, waren wir hoch erfreut über unser Glück. Wir fuhren also an den Berg heran, und dann sprach der Kapitän: ,Ihr Leute, geht an Land und laßt uns nach Trinkwasser suchen!' Nachdem wir alle an Land gegangen



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waren, suchten wir nach Wasser, aber wir fanden dort keins, so daß von neuem drückende Sorge uns befiel wegen des Wassermangels. Ich selbst aber stieg auf den Gipfel jenes Berges hinauf, und da gewahrte ich auf der anderen Seite ein weites rundes Tal, das etwa eine Stunde oder mehr entfernt war. Ich rief meine Gefährten, und sie kamen auf mich zu. Wie sie dann bei mir waren, sprach ich zu ihnen: ,Schaut jenes runde Tal dort hinter dem Berge. Ich sehe in ihm eine Stadt, deren Bau sich in große Höhe streckt und die ihre Mauern bis in den Himmel reckt, von Wällen und Türmen umkränzt, von Hügeln und Wiesen umgrenzt; dort fehlt es sicher nicht an Wasser und guten Dingen. Drum auf, laßt uns in diese Stadt gehen und von dort Wasser holen; laßt uns auch alles kaufen, was wir an Wegzehrung, Fleisch und Früchten nötig haben, und dann zurückkehren!' Doch sie sprachen: ,Wir fürchten, daß die Bewohner jener Stadt Ungläubige sind, die Allah Gefährten geben und in Feindsch gegen den wahren Glauben leben; die könnten uns ergreifen, so daß wir Gefangene in ihrer Gewalt wären, oder uns gar umbringen, so daß wir unseren eigenen Tod verschulden würden; dann stürzen wir uns selbst in Gefahren und treiben ein schlimmes Gebaren. Preis für Verblendung ist eine Verschwendung, da sie sich immer in Gefahr durch Unheil wagt, wie ja auch ein Dichter darüber sagt:

Denn solang die Erde Erde und der Himmel Himmel ist,
Soll man nie Verblendung rühmen, wenn sie auch erfolgreich ist.

Wir wollen unser Leben nicht tollkühn aufs Spiel setzen. 'Darauf sagte ich zu ihnen: ,Ihr Leute, ich habe keine Gewalt über euch; aber ich will meine Brüder mitnehmen und mich in diese Stadt begeben.' Doch meine beiden Brüder sprachen zu mir: ,Auch wir fürchten uns davor, und wir wollen nicht mit dir gehen. So rief ich denn: ,Ich für mein Teil bin entschlossen, in diese Stadt



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zu gehen. Ich vertraue auf Allah und bin mit dem zufrieden, was er mir vorherbestimmt hat. Drum wartet solange, bis ich dorthin gegangen und wieder zu euch zurückgekehrt bin! '— — «

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 982. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des weiteren erzählte: ,Ich rief: ,Drum wartet auf mich, bis ich dorthin gegangen und wieder zu euch zurückgekehrt bin!' Dann verließ ich sie und schritt vorwärts, bis ich bei dem Tore jener Stadt ankam, und ich sah, daß es eine Stadt von wunderbarem Bau und seltsamer Anlage war; sie hatte hohe Wälle und feste Türme und ragende Burgen, ihre Tore waren aus chinesischem Eisen und waren so kunstvoll verziert, daß sie die Sinne berückten. Als ich in das Tor eingetreten war, entdeckte ich eine steinerne Bank, und dort saß auf ihr ein Mann, der an seinem Unterarm eine Kette aus Messing trug. An dieser Kette hingen vierzehn Schlüssel, und so wußte ich, daß jener Mann der Torwächter der Stadt war und daß die Stadt vierzehn Tore hatte. Ich trat an ihn heran und sprach zu ihm: ,Friede sei mit euch!' Doch er gab mir den Gruß nicht zurück, und auch als ich ihn ein zweites und ein drittes Mal grüßte, gab er mir keine Antwort. Da legte ich ihm meine Hand auf die Schulter und sprach zu ihm: ,He, du, warum erwiderst du nicht den Gruß? Schläfst du, oder bist du taub, oder bist du kein Muslim. daß du den Friedensgruß nicht erwiderst?' Doch immer noch antwortete er mir nicht und rührte sich nicht. Nun schaute ich ihn genauer an und erkannte, daß er aus Stein war. Da rief ich: ,Dies ist ein wunderbar Ding! Der Stein da ist gebildet nach der Gestalt eines Menschenkindes, und ihm fehlt nichts als die Sprache!' Dann verließ ich ihn und ging weiter in die Stadt



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hinein; und als ich einen Mann auf der Straße stehen sah, trat ich zu ihm und schaute ihn an und erkannte, daß auch er aus Stein war. Immer weiter schritt ich durch die Straßen jener Stadt, und jedesmal, wenn ich einen Menschen sah, ging ich nahe an ihn heran und betrachtete ihn und fand, daß er aus Stein war. Ich traf auch eine alte Frau, und die trug auf ihrem Kopfe ein Bündel von Kleidern, das für die Wäsche bereit gemacht war; als ich mich ihr nahte und sie genauer anschaute, entdeckte ich, daß auch sie aus Stein war; ja, auch das Bündel Kleider, das sie auf dem Kopfe trug, war aus Stein. Dann trat ich in den Basar ein und sah einen Ölhändler mit gerichteter Waage, der allerlei Waren vor sich hatte, wie Käse und dergleichen; doch all das war aus Stein. Weiter sah ich all die Händler in den Läden sitzen, und ich sah auch das Volk, von dem die einen standen, die anderen saßen, Männer, Frauen und Kinder, und alle waren aus Stein. Darauf ging ich in den Basar der Kaufleute und schaute, wie ein jeder Kaufmann in seinem Laden saß und wie die Läden mit Waren jeglicher Art angefüllt waren -wiederum alles aus Stein; doch die Stoffe sahen aus wie Spinnengewebe. Ich betrachtete sie, aber jedesmal, wenn ich ein Stück von den Stoffen anfaßte, zerfiel es in meinen Händen zu feinem Staub. Ferner sah ich Truhen, und als ich eine von ihnen öffnete, fand ich darin Gold in Beuteln; da faßte ich die Beutel an, und sie zerfielen in meiner Hand, nur das Gold blieb, wie es gewesen war. Ich nahm davon mit, soviel ich tragen konnte, und ich sagte mir: ,Wenn meine Brüder bei mir wären, dann könnten sie sich von diesem Golde nehmen, soviel sie wollten, und könnten ihre Freude haben an diesen Schätzen, die herrenlos sind.' Danach trat ich in einen anderen Laden und entdeckte darin noch mehr, aber ich konnte nicht mehr tragen, als ich mir bereits aufgeladen hatte.



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Von jenem Basar begab ich mich in einen anderen, und von dort wieder in einen anderen, und so ließ ich meine Blicke verweilen auf den verschiedenartigen Geschöpfen, die alle aus Stein waren; ja, auch die Hunde und die Katzen waren aus Stein. Schließlich kam ich in den Basar der Goldschmiede, und dort sah ich Männer in den Läden sitzen, die ihre Waren bei sich hatten, teils in ihren Händen, teils in Körben. Als ich das sah, o Beherrscher der Gläubigen, da warf ich alles Gold, das ich bei mir hatte, fort und nahm mir von den Geschmeiden, soviel ich tragen konnte. Aus dem Basar der Goldschmiede kam ich in den Basar der Edelsteine, und dort sah ich die Juweliere in ihren Läden sitzen; vor einem jeden von ihnen stand ein Körbchen, voll von allerlei edelen Steinen, Hyazinthen und Diamanten, Smaragden und Ballasrubinen und noch anderen von jeglicher Art; die Besitzer der Läden waren aus Stein. Nun warf ich auch die Geschmeide fort, die ich bei mir trug, und ich nahm von den Edelsteinen, soviel ich zu tragen vermochte, immer noch traurig darüber, daß meine Brüder nicht bei mir waren, um auch von diesen Edelsteinen zu nehmen, soviel sie wollten. Nachdem ich den Juwelenbasar verlassen hatte, kam ich zu einem großen Tor, das vergoldet und mit den schönsten Verzierungen geschmückt war. Innerhalb des Tores standen Bänke, und auf jenen Bänken saßen Eunuchen, Kriegsmänner und Leibwächter, Mannen und Hauptleute; sie waren mit den prächtigsten Gewändern bekleidet, und alle waren aus Stein. Ich rührte einen von ihnen an, und da zerfielen die Kleider auf seinem Leibe wie Spinnengewebe. Nachdem ich durch das Tor geschritten war, erblickte ich ein Schloß, unvergleichlich in seinem Bau und in seiner kunstvollen Ausführung. In jenem Schlosse sah ich einen Staatssaal, voll von Vornehmen und Wesiren, Großen und Emiren. die



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auf Thronen saßen, und alle waren sie aus Stein. Ferner sah ich einen Thron aus rotem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen eingelegt war; auf ihm saß ein Mensch, angetan mit den prächtigsten Gewändern, und auf seinem Haupte befand sich eine Krone wie die der Perserkönige, besetzt mit kostbaren Edelsteinen, deren Glanz so hell leuchtete wie das Tageslicht. Als ich an ihn herantrat, sah ich, daß auch er aus Stein war. Dann schritt ich weiter von jenem Staatssaal zum Tore des Harems, und nachdem ich dort eingetreten war, sah ich einen Staatssaal für die Frauen. Und auch in jenem Staatssaal erblickte ich einen Thron von rotem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen eingelegt war; auf ihm saß eine Frau, eine Königin, und auf ihrem Haupte ruhte eine Krone, die mit kostbaren Juwelen besetzt war. Rings um sie waren Frauen, schön wie Monde, die auf Thronen saßen, angetan mit den prächtigsten Kleidern von allen Farben. Auch standen dort Eunuchen, die Hände auf der Brust gekreuzt, als ob sie in ihrem Dienste dort ständen. Jener Staatssaal berückte die Sinne der Beschauer durch all seinen Goldschmuck, seine wunderbaren Malereien und seine prächtige Ausstattung. Dort hingen die strahlendsten Hängelampen aus klarem Kristall, und an jeder Kristallglocke befand sich ein Edelstein, einzig in seiner Art, dessen Preis kein Geld bezahlen konnte. Nun warf ich, o Beherrscher der Gläubigen, wiederum alles fort, was ich bei mir trug, und begann mir von jenen juwelen zu nehmen; ich lud mir auf, soviel ich nur zu tragen vermochte, ratlos, was ich mitnehmen und was ich dortlassen sollte; denn mir schien es, als ob jener Raum eine Schatzkammer von ganzen Städten wäre. Darauf entdeckte ich eine kleine Tür, die offen stand, und hinter ihr eine Treppe; ich ging durch jene Tür und stieg vierzig Stufen hinauf. Dort hörte ich, wie ein Mensch mit sanfter Stimme den Koran vortrug; so



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ging ich denn der Richtung des Schalles nach, bis ich zur Tür des Obergemaches kam. In ihr sah ich einen seidenen Vorhang, der mit goldenen Schnüren bestickt war und auf dem sich Perlen und Korallen, Rubinen und geschnittene Smaragde aneinanderreihten, lauter Edelsteine, die gleichwie Sterne glitzerten. Die Stimme nun klang hinter jenem Vorhang her; darum trat ich an den Vorhang heran und hob ihn, und dort zeigte sich vor meinem Blick eine vergoldete Zimmertür, deren Schönheit die Gedanken verwirrte. Ich trat durch jene Tür ein und erblickte ein Gemach, das einer Schatzkammer auf der Erdoberfläche glich; und darin befand sich eine Jungfrau, so schön wie der leuchtende Sonnenball mitten im klaren Weltenall. Sie war in die prächtigsten Gewänder gekleidet und mit dem kostbarsten Geschmeide geschmückt, das es nur geben konnte; dazu war sie herrlich an Schönheit und Lieblichkeit in des Wuchses Ebenmäßigkeit und an Anmut und Vollkommenheit. Ihr Leib war schlank und zart, schwer waren die Hüften gepaart; ihr Lippentau gab dem Kranken die Gesundheit wieder, müde träumten ihre Augenlider; und es war, als ob des Dichters Sang von ihr erklang:

Mein Gruß soll der Gestalt dort im Gewande gelten,
Den Rosen in der Wangen Gärten auch zumal.
Von ihrer Stirne hängen gleichsam die Plejaden,
Als Schnur auf ihrer Brust die andren Sterne all.
Wenn sie ein Kleid aus lauter zarten Rosen trüge,
Ein Rosenblatt von ihrem Leibe zöge Blut.
Und fiel ihr Lippentau ins Meer hinein, so schmeckte
Noch süßer als der Honig jene Salzesflut.
Und gäb sie ihre Huld dem alten Mann am Stabe, Der Greis zerrisse Löwen bald in seinem Mut.

O Beherrscher der Gläubigen, als ich jene Maid erblickte, ward ich von heißer Liebe zu ihr erfüllt; und ich näherte mich ihr und sah sie auf einem hohen Lager sitzen, wie sie das Buch



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Allahs, des Allgewaltigen und Glorreichen, aus dem Gedächtnisse vortrug. Ihre Stimme war wie der Klang der Tore im Paradies, wenn Ridwân' sie öffnen hieß; die Worte fielen von ihren Lippen Juwelen gleich, und ihr Antlitz war wie leuchtende Blüten an Schönheit reich. Einer solchen Maid hat der Dichter die Worte geweiht:

Die du der Menschen Herz erfreust durch Wort und Reize,
Zu dir hin zieht mich stets der Sehnsucht Allgewalt.
Zwei Dinge sind in dir, die jeden Mann der Liebe
Erweichen: Davids Sang und Josephs Wohlgestalt!

Ihrer Stimme, die den erhabenen Koran vortrug, lauschte ich von fern; und mein Herz, getroffen von ihren tödlichen Blicken, sprach: ,Friede, ein Wort von einem erbarmungsreichen Herrn!"Doch mein Mund brachte die Worte nur stammelnd heraus, und ich sprach den Friedensgruß nicht in schöner Weise aus, da Verwirrung mir in Geist und Auge drang, und ich war, wie einst der Dichter sang:

Mein stammelnd Wort verrät die Sehnsucht. die mich schüttelt;
Mein Blut zu lassen, tret ich in das Heiligtum.
Und wenn ich je ein Wort von unsren Tadlern höre,
Bekenne ich in Worten. meinem Lieb zum Ruhm.

Dann wappnete ich mich wider die Qualen der Sehnsucht und sprach zu der Maid: ,Friede sei mit dir, wohlbehütete Herrin mein, du wohlverwahrter Edelstein, Allah gebe den Pfeilern deines Glücks eine lange Dauer von Tagen, und hoch lasse er die Säulen deines Ruhmes ragen!' Darauf erwiderte sie: ,Auch von mir aus seien dir Frieden und Gruß und Ehrung beschieden, o 'Abdallâh. o Sohn des Fâdil! Sei mir willkommen, herzlich willkommen, mein Geliebter, du Trost meiner Augen!' Doch ich fuhr fort: ,Meine Gebieterin, woher weißt du men.



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nen Namen? Wer bist du? Und was ist es mit dem Volke dieser Stadt, daß alle zu Stein geworden sind? Ich bitte dich, berichte mir, wie es sich in Wahrheit hiermit verhält; denn ich bin voll Staunen über diese Stadt und ihre Bewohner, und darüber, daß sich außer dir kein lebendes Wesen in ihr gefunden hat. Um Allahs willen, ich bitte dich, sage mir die volle Wahrheit darüber!' Und nun sprach sie: ,Setze dich, 'Abdallâh, und ich werde, so Gott der Erhabene will, dir erzählen und alles genau berichten, was es in Wahrheit mit mir und mit dieser Stadt und ihrem Volke auf sich hat. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Nachdem ich mich ihr zur Seite gesetzt hatte, fuhr sie fort: ,Wisse, 'Abdallâh -Gott erbarme sich deiner! — ich bin die Tochter des Königs dieser Stadt, und mein Vater ist der, den du im Staatssaal auf dem hohen Throne hast sitzen sehen; die Männer rings um ihn sind die Großen seines Reiches und die Vornehmen seines Landes. Mein Vater war ein Herrscher von gewaltiger Macht, und er gebot über tausendmal tausend und einhundertundzwanzigtausend Krieger; die Zahl der Emire seines Reiches betrug vierundzwanzigtausend, und alle waren Statthalter und Würdenträger. Ihm waren tausend Städte untertan, dazu auch Flecken und Weiler, Festungen, Burgen und Dörfer. Die Emire der Beduinen, die unter seiner Herrschaft standen, waren tausend an der Zahl; und ein jeder von ihnen gebot über zwanzigtausend Reiter. Und er besaß an Geld und Schätzen, Edelsteinen und Juwelen so viel, wie kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 983. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des weiteren



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erzählte: ,Die Tochter des Königs der steinernen Stadt sprach: ,Sieh, 'Abdallâh, mein Vater besaß an Geld und Schätzen so viel, wie kein Auge je gesehen und kein Ohr je gehört hat. Er bezwang die Könige und pflegte die Helden und Recken im Kampf auf dem Blachgefild niederzustrecken, so daß die Gewaltigen in Furcht vor ihm schwebten und selbst die Perserkönige in Demut vor ihm lebten. Doch bei alledem war er ein Ungläubiger, der den Dienst anderer Götter neben Allah lehrte und statt seines wahren Herren Götzen verehrte: und auch alle seine Heerscharen waren Ungläubige und dienten den Götzen mit Fleiß, an Stelle des Königs, der alles weiß. Eines Tages aber, als er auf dem Throne seines Reiches saß, umgeben von den Großen des Landes, begab es sich, ehe er sich dessen versah, daß die Gestalt eines Mannes eintrat, der durch das Licht seines Antlitzes den ganzen Staatssaal erleuchtete. Mein Vater blickte ihn an und sah, daß er ein grünes Gewand trug; er war hochgewachsen, und seine Hände reichten ihm bis unter die Kniee herunter; sein Anblick flößte Ehrfurcht und heilige Scheu ein, und das Licht erstrahlte aus seinem Antlitz. Der sprach zu meinem Vater: ,O du verstockter Sünder, wie lange noch willst du in verblendetem Trotz die Götzen anbeten und die Verehrung des allwissenden Königs mit Füßen treten? Sprich: ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed sein Knecht und Gesandter ist! Werde Muslim, du mit deinem Volke; und tu den Götzendienst von dir ab; denn in ihm ist kein Nutzen und kein Heil! Wahre Anbetung gebührt nur Allah, der ohne Säulen die Himmel hoch oben weitete und aus Gnade gegen Seine Diener die Länder ausbreitete!' Darauf erwiderte mein Vater: ,Wer bist du, o Mann, daß du den Göttern die Anbetung versagst und solche Reden zu führen wagst? Fürchtest du dich



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nicht vor der Götter Zorngericht?' Doch der Mann fuhr fort: ,Die Götter sind nur Steine, deren Zorn mir nicht schadet und deren Huld mir nicht nützt. Bring mir deinen Gott, den du verehrst, und befiehl, daß ein jeder in deinem Volke seinen Gott herbeibringe! Wenn alle eure Götter da sind, so betet zu ihnen, daß sie mir zürnen. Ich aber will zu meinem Herrn beten, daß er ihnen zürne; und dann werdet ihr des Unterschiedes zwischen dem Zorn des Schöpfers und dem Zorn des Geschöpfes gewahr werden. Denn eure Götter habt ihr euch selbst gemacht, und die Teufel hausen in ihnen; ja, sie sind es, die aus dem Bauche der Götzenbilder sprechen. Eure Götter sind nur geschaffene Dinge, aber mein Gott ist ein Schöpfer, und Ihm ist kein Ding unmöglich. Wenn das Wahre sich euch offenbart, so folget ihm; und wenn das Falsche euch kund wird, so lasset von ihm.' Da riefen die Leute: ,Gib uns einen Beweis für deinen Herrn, daß wir ihn sehen!' Doch er sprach: ,Gebt ihr mir Beweise für eure Herren!' Nun befahl der König, ein jeder, der ein Götterbild als Herren anbete, solle es bringen; darauf brachten alle die Heerscharen ihre Götzen in den Staatssaal. Das geschah damals bei ihnen.

Ich aber saß derweilen hinter einem Vorhang verborgen, doch so, daß ich in den Staatssaal meines Vaters hinabschauen konnte; und ich hatte einen Götzen aus grünem Smaragd, der so groß war wie ein Mensch. Mein Vater verlangte nach ihm, und so sandte ich ihn zu ihm in den Staatssaal hinunter. Dort setzte man ihn neben den Götzen meines Vaters. Der Götze meines Vaters aber war aus Hyazinth, während der Götze des Wesirs aus Diamant war. Von den Götzen der Großen des Heeres und der Untertanen waren die einen aus Ballasrubin. die anderen aus Karneol, wieder andere aus Korallen oder Komoriner Aloeholz, noch andere aus Ebenholz oder aus Silber



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oder aus Gold; denn ein jeder hatte einen Götzen, je nachdem sein Besitz es ihm gestattete. Das gemeine Volk unter den Kriegern und die Untertanen hatten Götzenbilder teils aus Feuerstein, teils aus Holz, teils aus Ton oder aus Lehm. Und alle die Bilder waren von verschiedenen Farben, gelb oder rot, grün, schwarz oder weiß. Da sprach jener Mann zu meinem Vater: ,Bete zu deinem Gott und zu diesen anderen Göttern. daß sie mir zürnen!' Und man reihte jene Götzen auf wie eine Staatsversammlung, indem man den Gott meines Vaters auf einen goldenen Thron an den Ehrenplatz setzte und meinen Gott daneben; all die anderen Götzen wurden nach dem Range ihrer Besitzer, die sie anbeteten, aufgestellt. Nun erhob sich mein Vater, warf sich vor seinem Gott nieder und sprach zu ihm: ,O mein Gott, du bist der gütige Herr, und unter den Göttern ist keiner größer als du. Du weißt, daß dieser Mann zu mir gekommen ist, um deine Gottheit zu beschimpfen und dich zu verspotten. Und er behauptet, er habe einen Gott, der stärker sei als du, und er gebietet uns, von deinem Dienst abzulassen und seinen Gott zu verehren. Darum ergrimme wider ihn, o mein Gott!' So flehte er zu dem Götzen, aber der Götze gab ihm keine Antwort, ja, er sprach kein Wort zu ihm. Dann fuhr mein Vater fort: ,Mein Gott. dies ist doch sonst nicht deine Art. Du pflegtest mir zu antworten, wenn ich zu dir sprach. Was ist mir, daß ich sehen muß, wie du schweigst und nicht redest? Bist du unachtsam, oder schläfst du? So wach doch auf und hilf mir und gib mir Antwort!' Darauf schüttelte er den Götzen mit seiner Hand; aber der sprach nicht und rührte sich nicht von seiner Stelle. Nun sagte jener Mann zu meinem Vater: ,Warum sehe ich, daß dein Gott nicht redet?' Und der König erwiderte: ,Mich deucht, er ist unachtsam oder schläft.' Doch der Fremde sprach zu ihm: ,O du Feind Allahs,



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wie kannst du einen Gott anbeten, der nicht spricht und der über nichts Macht hat? Warum verehrst du nicht meinen Gott, der stets in der Nähe weilt und gnädige Antwort erteilt, der allgegenwärtig ist und nie in die Ferne enteilt, der nie unachtsam ist und den kein Schlummer bezwingt, und zu dem empor keine Vorstellung dringt, der da sieht und nicht gesehen wird und über alle Dinge mächtig ist? Dein Gott ist machtlos, und er vermag keinen Schaden von sich abzuwehren; ein verfluchter Satan hat sich in ihn gekleidet, und der führt dich in die Irre und täuscht dich. Aber jetzt ist der Satan entwichen; drum verehre Allah und bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Ihm, daß keiner verehrt werden darf neben Ihm und daß niemand der Anbetung würdig ist außer Ihm, und daß es nichts Gutes gibt als das, was da kommt von Ihm. Aber was diesen deinen Gott betrifft, so kann er sich selbst vor keinem Übel schützen; wie könnte er denn dich davor schützen? Sieh jetzt mit deinen eigenen Augen seine Ohnmacht!' Und nun trat er heran und versetzte dem Götzen einen Schlag auf den Nacken, so daß er zu Boden fiel. Der König aber ergrimmte und rief den Umstehenden zu: ,Dieser Frevler hat meinen Gott geschlagen; drum tötet ihn!' Da wollten sie sich erheben, um ihn zu erschlagen, aber keiner von ihnen vermochte sich von der Stelle zu rühren. Dann bot der Mann ihnen den Islam dar; doch als sie ihn nicht annahmen, sprach er: ,Jetzt will ich euch den Zorn meines Herren zeigen.' ,Zeige ihn uns nur!' riefen jene; und er breitete seine Hände aus und betete: ,Mein Herr und mein Gott, du bist es, bei dem mein Vertrauen und meine Hoffnung steht, erhöre du mein Gebet wider dies sündige Volk, das von deinem Gute zehrt, aber andere als dich verehrt! Der du die Wahrheit bist, o Herr der Macht, du Schöpfer des Tages und der Nacht, ich bitte dich, verwandle diese Leute in Steine! Denn



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du bist allmächtig, nichts ist dir unmöglich, und du hast Gewalt über alle Dinge.' Da verwandelte Allah die Leute dieser Stadt in Steine. Ich aber ward, als ich seinen Beweis sah, Muslimin vor dem Angesichte Allahs, und so ward ich vor dem Unheil bewahrt, das sie traf. Darauf trat jener Mann an mich heran und sprach: ,Dir bestimmte Allah im voraus die Seligkeit, und darin hielt Er ein Ziel bereit.' Dann unterwies er mich, und ich leistete ihm Eid und Gelöbnis; damals war ich sieben Jahre alt, und jetzt habe ich das Alter von dreißig Jahren erreicht. Und damals sprach ich zu ihm: ,Mein Gebieter, alles, was in der Stadt ist, und alle ihre Einwohner sind durch dein frommes Gebet zu Stein geworden. Ich aber bin gerettet, weil ich durch dich den Islam angenommen habe; und da du nun mein Scheich geworden bist, so nenne mir deinen Namen und leih mir deine Hilfe und gewähre mir etwas, durch das ich mein Leben fristen kann!' Er gab mir zur Antwort: ,Mein Name ist Abu el-'Abbâs el-Chidr'; und er pflanzte mir einen Granatapfelbaum mit eigener Hand. Der wuchs und trieb Blätter und blühte und trug einen Granatapfel zur selbigen Stunde. Dann sprach er: ,Iß von dem, was Allah der Erhabene dir zur Nahrung beschert, und diene ihm, wie es ihm gebührt!' Und weiter lehrte er mich die Vorschriften des Islams und die Vorschriften des Gebets und den Weg der Anbetung; auch lehrte er mich, den Koran vorzutragen. Nun diene ich Allah an dieser Stätte seit dreiundzwanzig Jahren, und an jedem Tage trägt mir dieser Baum einen Granatapfel, und den esse ich, und durch ihn ernähre ich mich von einem Tag zum andern. An jedem Freitag kommt el-Chidr -Heil sei über ihm! — zu mir, und er ist es. der mich mit deinem Namen bekannt gemacht und mir die frohe Botschaft gebracht hat, daß du zu mir an diese Stätte kommen würdest. Dabei sprach er zu mir:



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,Wenn er zu dir kommt, so nimm ihn ehrenvoll auf; gehorche seinem Geheiß und handle ihm nicht zuwider; du sollst ihm eine Gattin sein, und er werde der Gatte dein; geh mit ihm, wohin er will.' Und als ich dich sah, erkannte ich dich; und dies ist die Geschichte dieser Stadt und ihrer Bewohner. Das ist alles!'

Darauf zeigte sie mir den Granatapfelbaum, an dem eine einzige Granate hing; sie aß eine Hälfte davon und gab mir die andere zu essen, und nie habe ich etwas gekostet, das so süß und zart und schmackhaft war wie jener Granatapfel. Dann sprach ich zu ihr: ,Willigst du in das ein, was dein Scheich el-Chidr -Heil sei über ihm! —dir aufgetragen hat, nämlich darin, daß du mir zur Gattin werdest und daß ich dein Ehgemahl sei, und daß du mit mir in mein Land ziehest, damit ich mit dir in der Stadt Basra leben kann?' ,Jawohl,' erwiderte sie, ,so Allah der Erhabene will; ich höre auf dein Wort und gehorche deinem Geheiß ohne Widerspruch.' So nahm ich denn Eid und Gelöbnis von ihr hin, und sie führte mich in die Schatzkammer ihres Vaters; daraus entnahmen wir, soviel wir zu tragen vermochten. Dann verließen wir jene Stadt und schritten weiter, bis wir zu meinen Brüdern kamen, die ich nach mir suchen sah. Sie sprachen zu mir: ,Wo bist du gewesen? Du bist lange von uns fortgeblieben, und unsere Herzen waren in Sorge um dich.' Der Kapitän des Schiffes aber sprach zu mir: ,Kaufmann 'Abdallâh, der Wind ist uns schon lange günstig gewesen, und du hast uns an der Abfahrt gehindert.' Ich gab ihm zur Antwort: ,Darin liegt kein Schaden; oft bringt der Aufschub Gewinn, und mein Ausbleiben trug nur Vorteil ein; dadurch ist mir das Ziel meiner Hoffnungen gelungen, und wie vortrefffich hat der Dichter gesungen:

Wenn ich nach einem Lande zieh und Gutes suche,
So weiß ich niemals, was von beiden mir dort naht:



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Ob es das Gute ist, das ich im Sinne habe:
Ob es das Böse ist, das mich im Sinne hat.

Dann sprach ich zu ihnen: ,Seht, was mir zuteil geworden ist, während ich jetzt abwesend war!' Und ich zeigte ihnen die Schätze, die ich bei mir trug, und erzählte ihnen, was ich in der steinernen Stadt erlebt hatte, indem ich mit den Worten schloß: ,Wenn ihr auf mich gehört hättet und mit mir gegangen wäret, so hättet ihr viel von diesen Dingen gewonnen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 984 Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil des weiteren erzählte: ,Ich sprach zu meinen Gefährten und zu meinen Brüdern: ,Wenn ihr mit mir gegangen wäret, so hättet ihr viel von diesen Dingen gewonnen.' Doch sie erwiderten mir: ,Bei Allah, wären wir mitgegangen, so hätten wir es doch nicht gewagt, zu dem König der Stadt einzutreten.' Und ich sagte zu meinen Brüdern: ,Macht euch keine Sorgen! Was ich bei mir habe, genügt für uns alle; dies war uns bestimmt.' Darauf teilte ich meinen Gewinn nach Maßgabe unserer Zahl: ich gab meinen beiden Brüdern und dem Kapitän je einen Teil und behielt für mich so viel, wie je einer von ihnen empfangen hatte. Ein weniges gab ich auch den Dienern und den Seeleuten, und die freuten sich und segneten mich. Alle waren mit dem zufrieden, was ich ihnen gab, nur meine beiden Brüder nicht; denn sie sahen mit einem Male ganz verändert aus, und ihre Augen blickten unstet. Daraus ersah ich, daß die Gier über sie Gewalt gewonnen hatte, und ich sprach zu ihnen: ,Meine Brüder, mich deucht, was ich euch gegeben habe, hat euch nicht befriedigt. Aber ich bin ja euer



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Bruder, und ihr seid meine Brüder, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch. Mein Gut und euer Gut sind einunddasselbe; und wenn ich sterbe, soll mich kein anderer beerben als nur ihr beide.' So sprach ich ihnen in Güte zu. Dann führte ich auch die Maid an Bord der Galeone und geleitete sie in die Kabine; darauf sandte ich ihr etwas zu essen und setzte mich nieder, um mit meinen Brüdern zu plaudern. Sie fragten mich: ,Bruder, was willst du mit dieser wunderschönen Jungfrau tun?' Und ich erwiderte ihnen: ,Ich will mit ihr den Ehevertrag schließen, sobald ich wieder in Basra bin, und dann will ich eine große Hochzeit feiern und dort zu ihr eingehen.' Der eine von beiden rief: ,Bruder, diese junge Herrin ist von wunderbarer Schönheit und Anmut, und mein Herz ist von Liebe zu ihr ergriffen; darum wünsche ich, du mögest sie mir geben, auf daß ich mich mit ihr vermähle.' Und der andere rief: .Auch mich verlangt nach ihr; gib sie mir, daß ich mich mit ihr vermählen kann.' ,Liebe Brüder,' erwiderte ich ihnen, ,sie hat mir Eid und Gelöbnis abgenommen, daß ich mich selber mit ihr vermähle; wenn ich sie also einem von euch beiden gebe, so verletze ich den Bund, der uns beide vereint, und vielleicht würde ihr dann das Herz brechen. Denn sie ist nur unter der Bedingung mit mitgekommen, daß sie meine Gemahlin wird. Wie kann ich sie da einem anderen vermählen? Wenn ihr sie liebt, so liebe ich sie noch mehr als ihr; denn sie ist ein Geschenk des Himmels für mich. Daß ich sie einem von euch geben sollte, ist etwas, das nie und nimmer geschehen kann; aber wenn wir wohlbehalten in der Stadt Basra eingetroffen sind, so will ich mich für euch nach zwei von den besten Töchtern Basras umsehen und will um sie für euch werben und die Brautgabe aus meinem eigenen Gelde bezahlen. Dann will ich ein einziges Hochzeitsfest rüsten, und wir wollen alle drei in derselben



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Nacht zu unseren Frauen eingehen. Also lasset ab von dieser Maid; denn sie ist mir vom Schicksal bestimmt!' Beide schwiegen, und ich glaubte, daß sie mit dem, was ich gesagt hatte, zufrieden wären. Wir setzten also unsere Fahrt nach dem Lande von Basra fort, während ich der Prinzessin immer Speise und Trank zusandte, so daß sie die Kabine des Schiffes nie verließ; ich schlief aber mit meinen Brüdern auf dem Deck der Galeone. So fuhren wir ohne Aufenthalt vierzig Tage dahin, bis uns die Stadt Basra in Sicht kam; wir waren erfreut, daß wir uns ihr näherten, und ich vertraute auch meinen Brüdern und fühlte mich ganz sicher im Gedanken an sie. Aber niemand kennt das Verborgene außer Allah dem Erhabenen! Ich legte mich also an jenem Abend zur Ruhe nieder; doch als ich in festen Schlaf versunken war, wurde ich plötzlich, ehe ich mich dessen versah, von den Händen dieser meiner beiden Brüder hochgehoben; der eine hatte mich an den Beinen gepackt und der andere an den Händen. Denn die beiden hatten sich verabredet, mich im Meere zu ertränken, damit sie jene Jungfrau gewönnen. Wie ich mich nun von ihren Händen hochgehoben sah, rief ich: ,Meine Brüder, weshalb tut ihr mir dies an?' Sie erwiderten: ,O du frecher Tor, wie kannst du um eines Mädchens willen unsere Freundschaft verscherzen? Dafür wollen wir dich ins Meer werfen.' Und dann warfen sie mich über Bord.' Nun wandte 'Abdallâh sich wieder zu den beiden Hunden und fragte sie: ,Ist dies wahr, meine Brüder, oder nicht?' Sie senkten ihre Köpfe zu Boden und begannen zu winseln, als ob sie seine Worte bestätigen wollten; darüber staunte der Kalif. Doch der Statthalter fuhr fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, als sie mich so ins Meer geworfen hatten, sank ich bis auf den Grund hinab. Aber das Wasser trug mich wieder zur Oberfläche des Meeres empor, und ehe ich mich



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dessen versah, stieß ein mächtiger Vogel, so groß wie ein Mensch, auf mich nieder, ergriff mich und schwebte mit mir hoch in den Luftraum empor. Wie ich meine Augen auftat, fand ich mich in einem Schlosse, dessen Bau sich in große Höhe reckte und seine Mauern bis in den Himmel streckte, und das ein Schmuck von prächtigen Malereien und Gehängen mit Edelsteinen aller Arten und Farben bedeckte. Darin standen Mädchen, die ihre Hände auf der Brust gekreuzt hatten; und in ihrer Mitte saß eine Herrin auf einem goldenen Throne, der mit Perlen und Juwelen besetzt war. Sie trug Gewänder, vor denen kein Sterblicher die Augen öffnen konnte wegen des Strahlenglanzes der Juwelen; um ihre Hüften lag ein Juwelengürtel, dessen Wert kein Geld bezahlen konnte, und auf ihrem Haupte ruhte eine dreigliedrige Krone, die Sinn und Verstand berückte und Herz und Auge entzückte. Der Vogel aber, der mich entführt hatte, schüttelte sich und ward zu einer Jungfrau, die der strahlenden Sonne glich. Als ich die genauer anschaute, erkannte ich in ihr plötzlich jene, die auf dem Berge in Gestalt einer Schlange gewesen war, sie, mit der jener Drache gekämpft und um die er seinen Schwanz gewunden hatte und die ich befreit hatte, da ich den Drachen mit einem Steine tötete, als ich sah, daß er Macht und Gewalt über sie gewann. Nun sprach zu ihr die Herrin, die auf dem Throne saß: ,Weshalb hast du diesen Sterblichen hierher gebrachte' Sie gab ihr zur Antwort: ,Mutter, dies ist der Mann, dem ich es verdanke, daß meine Ehre unter den Töchtern der Geister geschützt wurde.' Dann fragte sie mich: ,Weißt du, wer ich bin?' ,Nein', erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Ich bin jene, die auf demunddem Berge war; damals kämpfte der schwarze Drache mit mir und wollte meine Ehre schänden, aber du tötetest ihn.' Darauf sagte ich: ,Ich habe nur eine weiße Schlange bei dem



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Drachen gesehen.' Und dann erzählte sie: ,Ich war die weiße Schlange; aber ich bin die Tochter des Roten Königs, des Königs der Geister, und mein Name ist Sa'îda. Die dort sitzt, ist meine Mutter, und sie heißt Mubâraka, die Gemahlin des Roten Königs. Und der Drache, der mit mir kämpfte und meine Ehre schänden wollte, war der Wesir des Schwarzen Königs; er hieß Darfîl, und er war ein häßliches Geschöpf. Es begab sich einmal, daß er mich sah und von Liebe zu mir erfüllt wurde; dann warb er um mich bei meinem Vater. aber mein Vater ließ ihm sagen: ,Was bist denn du, o Abschaum der Wesire, daß du dich mit Königstöchtern vermählen willst? Darüber ward er zornig, und er schwor einen Eid, er wolle meine Ehre schänden; und dann lief er meiner Spur nach und verfolgte mich, wohin ich nur ging, in der Absicht, mir die Ehre zu rauben. Darauf entstanden zwischen ihm und meinem Vater heftiger Streit und viel bitteres Leid; aber mein Vater vermochte ihn nicht zu bezwingen, da er wild und voll Lug und Trug war, und sooft mein Vater ihn bedrängte und im Begriffe war, sich seiner zu bemächtigen, entschlüpfte er ihm, bis mein Vater schließlich ratlos war. Ich aber nahm von Tag zu Tage eine andere Gestalt und Farbe an, allein sooft ich mich in eine Gestalt verwandelte, nahm er die Gegengestalt an, und sooft ich in ein anderes Land floh, witterte er mich und folgte mir in jenes Land, so daß ich durch ihn große Qual erlitt. Schließlich nahm ich die Gestalt einer Schlange an und begab mich auf jenen Berg; er jedoch verwandelte sich in einen Drachen und verfolgte mich dorthin. Da kam ich in seine Gewalt, und wir rangen miteinander, bis er mich ermüdet hatte und schon auf mich stieg, um mit mir zu tun, wonach ihn gelüstete. Aber da kamst du und trafst ihn mit dem Steine und tötetest ihn. So verwandelte ich mich wieder in ein Mädchen



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und zeigte mich dir und sprach zu dir: ,Ich schulde dir für deine Wohltat Dank, der nur bei Bastarden verloren geht.' Als ich nun sah, daß deine Brüder solche Tücke an dir begingen und dich ins Meer warfen, eilte ich zu dir und errettete dich vor dem Verderben; und nun gebührt dir Ehre auch von meiner Mutter und von meinem Vater.' Dann fuhr sie fort: ,Liebe Mutter, ehre ihn zum Dank dafür, daß er meine Ehre geschützt hat.' Und die Königin sprach: ,Willkommen, Sterblicher! Da hast eine gute Tat an uns vollbracht, für die dir Ehre gebührt.' Darauf befahl sie, mir eine Gewandung wie aus einem Schatzhause zugeben, die sehr viel Geld wert war; auch schenkte sie mir eine Menge von Juwelen und Edelsteinen. Dann sprach sie: ,Nehmt ihn und führt ihn zum König hinein!' Da nahm man mich und führte mich zum König in den Staatssaal; ich sah den Herrscher, wie er auf einem Throne saß, umgeben von den Mârids und den Geisterwächtern. Als ich ihn anschaute, wurde mein Blick geblendet durch die Fülle der Juwelen, die er an sich trug. Doch wie er mich sah, erhob er sich, und alle seine Mannen erhoben sich mit ihm, aus Ehrfurcht vor ihm. Darauf begrüßte er mich und hieß mich willkommen und erwies mir die höchsten Ehren; auch gab er mir von den kostbaren Dingen, die er bei sich hatte. Zuletzt sprach er zu einigen aus seinem Gefolge: ,Führt ihn zu meiner Tochter zurück, damit sie ihn wieder an die Stätte bringt, von der sie ihn geholt hat!' Da nahmen die Leute mich mit sich und geleiteten mich zu seiner Tochter Sa'îda; die hob mich hoch und flog mit mir und den Kleinodien, die ich erhalten hatte, auf und davon. So erging es mir damals mit Sa'îda.

Inzwischen war der Kapitän der Galeone durch das Geräusch des Falles aufgewacht, als meine Brüder mich ins Meer warfen. Da rief er: ,Was ist dort ins Wasser gefallen?' Meine Brüder



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aber begannen zu weinen und sich auf die Brust zu schlagen und zu rufen: ,Ach um den Verlust unseres Bruders! Er wollte über den Bordrand ein Bedürfnis verrichten und ist dabei ins Meer gefallen.' Dann legten sie Hand an mein Gut; doch wegen der Jungfrau erhob sich ein Streit zwischen ihnen, denn ein jeder von beiden sagte: ,Keiner soll sie besitzen als ich!' Und nun fuhren sie fort, miteinander zu zanken; sie dachten nicht mehr an den Bruder. noch daran, daß er ertrunken war, und ihre Trauer um ihn war zu Ende. Aber während die beiden noch in dieser Weise miteinander stritten, ließ sich Sa'îda mit mir plötzlich mitten auf der Galeone nieder.' ——«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 985. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh ibn Fâdil des weiteren erzählte: ,Während die beiden noch in dieser Weise miteinander stritten, ließ sich Sa'îda mit mir plötzlich mitten auf der Galeone nieder. Als meine Brüder mich erblickten, umarmten sie mich und taten, als ob sie über mein Kommen erfreut wären, und sie sprachen: ,Lieber Bruder, wie ist es dir in dem ergangen, was dir widerfahren ist? Unser Herz war in Sorge um dich!' Doch Sa'îda hub an: ,Wenn euer Herz um ihn besorgt gewesen wäre und ihr ihn geliebt hättet, so hättet ihr ihn nicht ins Meer geworfen, während er schlief. Jetzt aber wählt euch die Todesart aus, auf die ihr sterben wollt!' Und sie ergriff die beiden und wollte sie töten; aber die beiden schrieen auf und riefen: ,In deinen Schutz, o Bruder!' Darauf legte ich bei ihr Fürbitte ein, indem ich zu ihr sprach: ,Ich bitte dich flehentlich, töte meine Brüder nicht.' Sie erwiderte: ,Es ist nicht anders möglich, als daß sie sterben; denn sie sind Verräter.' Doch ich ließ nicht ab, ihr gut zuzureden und sie zu besänftigen,



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bis sic sagte: ,Dir zuliebe will ich sie nicht töten; aber ich werde sie verzaubern.' Dann holte sie eine Schale hervor, füllte sie mit Meerwasser und murmelte unverständliche Worte darüber; und indem sie sprach: ,Verlasset die menschliche Gestalt und nehmt die Gestalt von Hunden an!' sprengte sie das Wasser auf sie. Da wurden die beiden zu Hunden, wie du sie jetzt siehst, o Stellvertreter Allahs.' Wiederum wandte er sich zu den beiden und fragte: ,Ist das wahr, was ich gesagt habe, meine Brüder?' Und sie senkten die Köpfe, als ob sie zu ihm sagen wollten: ,Du hast die Wahrheit gesprochen.' Dann fuhr er fort: ,O Beherrscher der Gläubigen, nachdem sie die beiden in Hunde verzaubert hatte, sprach sie zu den Leuten auf der Galeone: ,Wisset, dieser 'Abdallâh ibn Fâdil ist mein Bruder geworden, und ich werde ihn jeden Tag einmal oder zweimal besuchen. Jedem von euch, der ihm widerspricht oder sich seinem Befehl widersetzt oder ihm mit Hand oder Zunge ein Leid zufügt, werde ich das gleiche antun, was ich diesen beiden Verrätern angetan habe; ich werde ihn in einen Hund verwandeln, so daß er in der Hundegestalt sein Leben beschließen und nie Befreiung finden wird.' Insgesamt sprachen sie zu ihr: ,O unsere Herrin, wir alle sind seine Knechte und seine Diener, und wir werden ihm nicht widersprechen.' Ferner sagte sie zu mir: ,Wenn du wieder in Basra bist, so prüfe deinen ganzen Besitz; und wenn etwas daran fehlt, so laß es mich wissen, und ich werde es dir bringen, bei wem und wo auch immer es sich befinden mag; und ich werde den, der es genommen hat, in einen Hund verwandeln. Wenn du dann deine Güter aufgespeichert hast, lege jedem dieser beiden Verräter ein eisernes Kettenhalsband um, binde sie an den Fuß eines Lagers und sperre sie für sich allein dort ein. In jeder Nacht geh du um Mitternacht zu ihnen und versetze einem



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jeden von ihnen so viel Schläge, daß er ohnmächtig wird; wenn aber eine einzige Nacht verstreicht, ohne daß du sie schlägst, so werde ich zu dir kommen und dir dein Teil Schläge geben und danach den beiden das ihre.' ,Ich höre und gehorche!' erwiderte ich; und sie fuhr fort: ,Binde sie nun mit Stricken fest, bis du in Basra ankommst.' So legte ich denn einem jeden von beiden einen Strick um und band sie beide an den Mast; darauf ging sie ihrer Wege. Am nächsten Tage trafen wir in Basra ein; da kamen die Kaufleute mir entgegen und begrüßten mich, aber niemand fragte nach meinen Brüdern. Doch die Leute sahen auf die Hunde und fragten mich: ,Du, was willst du mit diesen beiden Hunden tun, die du mitgebracht hast?' Ich antwortete ihnen: ,Die beiden habe ich während dieser Reise aufgezogen, und nun habe ich sie mitgebracht.' Dann kümmerten sie sich nicht weiter um die beiden, und so erfuhren sie nicht, daß es meine Brüder waren. Ich aber brachte sie in ein Zimmer, und danach war ich jenen ganzen Abend damit beschäftigt, die Ballen unterzubringen, in denen sich die Stoffe und die Edelsteine befanden. Die Kaufleute aber blieben noch bei mir zur Begrüßungs feier, und ich ward durch sie so abgelenkt, daß ich die beiden Hunde weder mit Ketten festband noch ihnen ein Leids tat. Dann legte ich mich nieder, um zu schlafen: doch ehe ich mich dessen versah, erschien Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, vor mir und sprach zu mir: ,Habe ich dir nicht gesagt, du sollest ihnen Ketten um den Hals legen und einem jeden sein Teil Schläge versetzen?' Und alsbald legte sie Hand an mich, zog eine Geißel hervor und schlug mich solange, bis ich das Bewußtsein verlor; dann eilte sie in den Raum. in dem meine Brüder waren, und hieb auf einen jeden so lange mit der Geißel ein, bis er dem Tode nahe war. Zuletzt sprach sie: ,Schlag beide in jeder Nacht, so



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wie ich sie geschlagen habe! Wenn eine einzige Nacht vergeht, ohne daß du sie schlägst, so werde ich dich geißeln.' Ich gab ihr zur Antwort: ,Meine Gebieterin, morgen will ich ihnen die Ketten um den Hals legen, und in der nächsten Nacht will ich sie schlagen, und ich will sie hinfort in keiner Nacht mit der Geißelung verschonen.' Und sie schärfte es mir noch einmal ein, sie zu schlagen. Am nächsten Morgen aber ward es mir nicht leicht, ihnen die Ketten um den Hals zu legen, und so begab ich mich zu einem Goldschmied und befahl ihm, goldene Kettenhalsbänder für die beiden zu machen; nachdem er das getan hatte, nahm ich sie mit und legte sie den Hunden um den Hals und band sie fest, wie Sa'îda mir befohlen hatte; und in der folgenden Nacht schlug ich sie wider meinen Willen. Diese Sache trug sich zu unter dem Kalifat von el-Mahdî, dem fünften Nachkommen von el-'Abbâs.' Ich wurde ihm dadurch vertraut, daß ich ihm Geschenke sandte. und er betraute mich mit der Regierung und machte mich zum Statthalter in Basra. So lebte ich eine ganze Weile dahin; dann sagte ich mir einmal: ,Vielleicht ist ihr Zorn jetzt abgekühlt'; und so ließ ich die beiden in einer Nacht ungeschlagen. Doch da kam sie zu mir und versetzte mir Schläge, deren Brennen ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Von jener Zeit an unterließ ich es nie, die beiden zu geißeln, solange el-Mahdî regierte. Als er dann gestorben war und du ihm in der Herrschaft folgtest, sandtest du zu mir, um mich als Statthalter der Stadt Basra zu bestätigen; und jetzt sind schon zwölf Jahre vergangen, in denen ich sie jede Nacht wider meinen Willen schlage. Aber wenn ich sie geschlagen habe, so bei.



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gütige ich sie und bitte sie um Entschuldigung, und ich gebe ihnen zu essen und zu trinken, während sie immer eingesperrt sind. Keins von den Geschöpfen Allahs des Erhabenen hat etwas von ihnen erfahren, bis du den Tischgenossen Abu Ishâk wegen des Tributs zu mir sandtest; der hat mein Geheimnis entdeckt und es dir kundgetan, als er zu dir zurückkehrte. Dann schicktest du ihn ein zweites Mal zu mir, um mich und die beiden zu holen; da erwiderte ich: ,Ich höre und gehorche!' und ich brachte die beiden vor dich. Und weil du mich nach der Wahrheit hierüber gefragt hast, so habe ich dir den Bericht erstattet. Dies ist also meine Geschichte.'

Staunend hörte der Kalif Harûn er-Raschîd, welche Bewandtnis es mit diesen beiden Hunden hatte; und er fragte: ,Hast du jetzt deinen Brüdern vergeben, was sie wider dich gesündigt haben? Hast du ihnen Verzeihung gewährt oder noch nicht?' ,Mein Gebieter,' gab 'Abdallâh zur Antwort, ,Allah vergebe ihnen und spreche sie von ihrer Schuld frei in dieser und in jener Welt! Ich habe es nötig, daß sie mir vergeben, da schon zwölf Jahre vergangen sind, in denen ich sie jede Nacht geißele.' Dann fuhr der Kalif fort: ,'Abdallah, so Gott der Erhabene will, werde ich ihre Befreiung erwirken, so daß sie wieder zu Menschen werden, wie sie es früher gewesen sind, und ich will euch miteinander versöhnen, damit ihr hinfort euer Leben als liebende Brüder verbringt. Und wie du ihnen vergeben hast, so werden sie dir vergeben. Nimm sie also mit dir in deine Wohnung und schlag sie heute nacht nicht; morgen wird alles gut sein!' Darauf erwiderte der Statthalter: ,Mein Gebieter, bei deinem Haupte, wenn ich sie nur eine Nacht ungeschlagen lasse, so kommt Sa'îda zu mir und schlägt mich; und mein Leib verträgt die Schläge nicht mehr.' Doch der Kalif sagte: ,Fürchte dich nicht; ich will dir ein Handschreiben



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von mir geben! Wenn Sa'îda zu dir kommt, so gib ihr das Blatt; und wenn sie es gelesen hat und dich verschont, so geschieht es durch ihre Huld. Wenn sie aber meinem Befehl keine Folge leistet, so befiehl du deine Sache Allah und laß dich von ihr schlagen, und nimm an, du hättest vergessen, sie in einer Nacht zu geißeln, und seiest deswegen von ihr geschlagen worden; doch geschieht es also, daß sie mir zuwider handelt, dann will ich, so wahr ich der Beherrscher der Gläubigen bin, mit ihr noch fertig werden.' Darauf schrieb der Kalif an sie auf einem Blatt, das zwei Finger breit war, und nachdem er geschrieben hatte, setzte er sein Siegel darunter. Und er sprach: ,'Abdallah, wenn Sa'îda zu dir kommt, so sprich zu ihr: ,Der Kalif, der König der Menschenwelt, hat mir befohlen, sie nicht zu schlagen; und er hat für mich dies Blatt geschrieben, und er entbietet dir seinen Gruß.' Dann gib ihr das Schreiben und befürchte kein Leid!' So nahm er dem Statthalter Eid und Gelöbnis ab, daß er sie nicht schlagen wolle; und der nahm die beiden Hunde und ging mit ihnen in seine Wohnung, indem er bei sich sprach: ,Ich möchte wohl wissen, was der Kalif gegen die Tochter des Sultans der Geister ausrichten kann, wenn sie nicht auf ihn hört und mich in dieser Nacht doch schlägt! Aber ich will noch einmal die Schläge ertragen und meine Brüder heute nacht in Ruhe lassen, auch wenn mir um ihretwillen Leid widerfährt.' Dann dachte er weiter in seinem Sinne nach, und sein Verstand sagte ihm: ,Wenn der Kalif sich nicht auf eine starke Hilfe verlassen könnte, so würde er mir das Schlagen nicht verbieten.' Er trat also in seine Wohnung ein und nahm seinen Brüdern die Kettenbänder vom Hals und sprach: ,Ich vertraue auf Allah!' Darauf begann er sie zu trösten, indem er sprach: ,Euch soll kein Leid widerfahren! Denn der Kalif, der sechste Nachkomme



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von el-'Abbâs ', hat sich für eure Lösung verbürgt, und ich habe euch verziehen. So Allah der Erhabene will, ist nun die Zeit gekommen, und ihr sollt noch in dieser gesegneten Nacht befreit werden; drum freut euch auf Glück und Fröhlichkeit!' Als die beiden diese Worte gehört hatten, begannen sie wie Hunde zu bellen. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 986. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallah ibn Fâdil zu seinen Brüdern sprach: ,Freut euch auf Glück und Fröhlichkeit!' Und als die beiden diese Worte gehört hatten, bellten sie wie Hunde und neben ihre Backen an seinen Füßen, als ob sie Segen auf ihn herabflehten und sich vor ihm demütigten. Er aber war betrübt um sie und begann ihre Rücken zu streicheln, bis der Abend nahte. Und als man dann den Tisch aufgetragen hatte, sprach er zu den beiden: ,Setzt euch!' Sie setzten sich und aßen mit ihm am Tische; doch seine Leibwächter waren starr vor Verwunderung, daß er mit den Hunden zusammen aß, und sie sprachen: ,Ist er irre, oder ist er schwachsinnig? Wie kann der Statthalter von Basra mit Hunden zusammen essen, er, der größer ist als ein Wesir? Weiß er denn nicht, daß der Hund unrein ist?' Dann sahen sie die Hunde an, wie sie mit ihm gesittet aßen; aber sie wußten nicht, daß die beiden seine Brüder waren. Ja, sie hörten nicht auf, 'Abdallah und die beiden Hunde anzuschauen, bis sie die Mahlzeit beendet hatten. Danach wusch 'Abdallâh sich die Hände, und auch die Hunde streckten ihre Pfoten aus, um sie sich zu waschen, so daß alle, die dort zugegen waren, über sie zu lachen begannen



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und erstaunt zueinander sprachen: ,Wir haben doch nie in unserem Leben gesehen, daß die Hunde speisen und sich nach der Mahlzeit die Pfoten waschen!' Dann setzten sich die Hunde auf die Kissen neben 'Abdallâh ihn Fâdil, aber niemand wagte ihn danach zu fragen. So blieb es bis Mitternacht; nun entließ er die Diener, und man ging zur Ruhe, auch jeder von den beiden Hunden legte sich auf ein Ruhelager nieder. Da begannen die Diener untereinander zu sprechen: ,Seht, dort schläft er, und die beiden Hunde schlafen bei ihm!' Einige sagten: ,Sintemalen er mit den Hunden an demselben Tische gegessen hat, so macht es nichts aus, wenn sie auch bei ihm schlafen; aber dies ist nur die Art von Irren.' Die Diener aßen dann auch nichts von den Speisen, die auf dem Tische übrig geblieben waren, sondern sie sagten: ,Wie können wir das essen, was die Hunde übrig lassen?' Dann nahmen sie den Tisch mitsamt dem, was darauf war, und warfen alles fort, indem sie sprachen: ,Das ist unrein!' Soviel von ihnen.

Hören wir nun, was mit 'Abdallâh ibn Fâdil geschah! Ehe der sich dessen versah, klaffte der Boden vor ihm auseinander, und Sa'îda stieg zu ihm empor und sprach: ,O 'Abdallâh, warum hast du die beiden heute Nacht nicht geschlagen, und warum hast du ihnen die Ketten vom Hals genommen? Hast du also getan, um mir zu trotzen und um meinen Befehl zu mißachten? Ha, jetzt werde ich dich schlagen und dich wie sie in einen Hund verwandeln!' Er aber sprach: ,Hohe Herrin, ich beschwöre dich bei den Zeichen auf dem Siegelringe Salomos, des Sohnes Davids - über beiden sei Heil! —, bezwinge deinen Zorn wider mich, bis ich dir den Grund berichtet habe, und dann tu mit mir, was du willst!' ,Berichte mir!' gebot sie ihm; und er fuhr fort: ,Der Grund, weshalb ich sie nicht geschlagen habe, ist dieser: Der König der



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Menschenwelt, der Beherrscher der Gläubigen, der Kalif Harûn er-Raschîd, hat mir befohlen, ich solle sie in dieser Nacht nicht schlagen; ja, er hat mir daraufhin Eid und Gelöbnis abgenommen. Er entbietet dir seinen Gruß und hat mir ein Schreiben von seiner eigenen Hand gegeben und mir befohlen, es dir zu überreichen. Ich mußte seinem Befehle willfahren und gehorchen; denn der Gehorsam gegen den Beherrscher der Gläubigen ist Pflicht. Da hast du das Schreiben; nimm es und lies es, und danach tu, was du willst!' ,Gib es her!' erwiderte sie; und er reichte ihr das Schreiben. Sie öffnete es und las es und fand darin geschrieben: ,Im Namen Allahs des allbarmherzigen Erbarmers! Von dem König der Menschenwelt, Harûn er-Raschîd, an Sa'îda, die Tochter des Roten Königs. Des ferneren: Sieh, dieser Mann hat seinen Brüdern vergeben und hat seinen Anspruch wider sie fallen lassen; so habe ich ihm denn geboten, sich mit ihnen auszusöhnen. Wo nun Versöhnung stattfindet, da wird die Strafe aufgehoben. Wenn ihr euch unseren Entscheidungen widersetzt, so werden wir uns euren Entscheidungen widersetzen und eure Satzungen zerreißen. Wenn ihr aber unser Gebot befolgt und unsere Befehle ausführt, so werden auch wir eure Befehle ausführen. Nun gebiete ich dir, ihnen kein Leid anzutun. Wenn du an Allah und an seinen Gesandten glaubst, so geziemt dir Gehorsam gegen den, der mit der Obrigkeit betraut ist. Wenn du die beiden verschonst, so will ich es dir lohnen, wie mein Herr mich dazu befähigt. Und das Zeichen des Gehorsams ist, daß du den Zauber von diesen beiden Männern nimmst, damit sie morgen als Erlöste vor mir erscheinen können. Doch wenn du sie nicht befreist, so werde ich sie erlösen, dir zum Trotz, durch die Hilfe Allahs des Erhabenen.' Als sie jenen Brief gelesen hatte, sprach sie: ,O 'Abdallah. ich will nicht eher etwas tun, als bis ich zu meinem



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Vater gegangen bin und ihm das Schreiben des Königs der Menschenwelt gezeigt habe; mit seiner Antwort werde ich eilends zu dir zurückkehren.' Darauf machte sie mit ihrer Hand ein Zeichen nach dem Boden hin, und der spaltete sich, und sie stieg hinab. Als sie verschwunden war, flog das Herz 'Abdallâhs vor Freuden, und er rief: ,Allah stärke die Macht des Beherrschers der Gläubigen!' Sa'îda aber trat zu ihrem Vater ein, berichtete ihm, was geschehen war, und überreichte ihm das Schreiben des Beherrschers der Gläubigen. Der küßte es, legte es auf sein Haupt und las es dann; nachdem er seinen Inhalt verstanden hatte, sprach er: ,Liebe Tochter, der Befehl des Königs der Menschenwelt ist gültig für uns, und sein Gebot muß bei uns befolgt werden; wir können ihm nicht zuwider handeln. Drum geh zu den beiden Männern und befreie sie noch in dieser Stunde, indem du zu ihnen sprichst: ,Die Fürsprache des Königs der Menschenwelt tritt für euch ein.' Denn wenn er uns zürnt, so wird er uns alle bis zum letzten Mann vernichten; drum lad uns nichts auf, was über unsere Kraft geht!' ,Lieber Vater,' erwiderte sie ihm, ,was kann denn der König der Menschenwelt uns antun, wenn er uns zürnt?' Darauf sagte er zu ihr: ,Meine Tochter, erbat Macht über uns aus mehreren Gründen. Erstlich ist er ein Mensch und hat als solcher den Vorrang vor uns'; zweitens ist er der Stellvertreter Allahs; und drittens betet er beständig die zwei Rak'as der Morgendämmerung. Wenn alle Stämme der Geister aus den sieben Welten sich gegen ihn vereinen würden, so würden sie doch nicht vermögen, ihm ein Leid zu tun. Wenn er wider uns ergrimmt, so wird er die beiden Rak'as der Morgendämmerung beten und einen einzigen Schrei gegen uns ausstoßen; dann müßten wir uns alle gehorsam



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vor ihm versammeln und wären wie die Schafe vor dem Schlächter. Wenn er will, so kann er uns befehlen, uns aus unseren Heimstätten in ein wüstes Land zu begeben, in dem wir nicht leben könnten. Oder auch, wenn er will, daß wir untergehen sollen, kann er uns befehlen, uns selbst zu vernichten, indem wir uns gegenseitig umbringen. Wir dürfen uns seinem Befehle nicht widersetzen; denn wenn wir seinem Gebot nicht gehorchen, so würde er uns mit Feuer verbrennen, und wir hätten keine Zuflucht vor ihm. So steht es mit jedem Knechte Gottes, der beharrlich die beiden Rak'as der Morgendämmerung betet; sein Gebot hat Macht über uns. Sei drum nicht um zweier Männer willen die Ursache unseres Verderbens, sondern geh hin und erlöse sie, ehe der Zorn des Beherrschers der Gläubigen uns trifft!' Da kehrte sie zu 'Abdallâh ibn Fâdil zurück und berichtete ihm, was ihr Vater gesagt hatte, indem sie hinzufügte: ,Küsse dem Beherrscher der Gläubigen für uns die Hände und flehe für uns um sein Wohlgefallen!' Darauf holte sie die Zauberschale hervor, füllte sie mit Wasser und sprach die Beschwörung darüber, indem sie unverständliche Worte murmelte; dann besprengte sie die beiden mit dem Wasser, indem sie sprach: ,Tretet aus der Hundegestalt heraus wieder in die Menschengestalt ein!' Da wurden sie wieder Menschen wie früher, und der Bann des Zaubers war von ihnen genommen; und ein jeder von beiden sprach: ,Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah, und ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Allahs ist.' Dann stürzten sie sich auf ihres Bruders Hand und Füße und küßten sie und baten ihn um Verzeihung. Doch er sprach zu ihnen: ,Vergebt ihr mir!' Und nun bereuten sie aufrichtig und sagten: ,Der verfluchte Teufel hat uns verblendet, und die Habgier hat uns verführt. Aber unser Herr hat uns vergolten, wie wir es verdienten; und 557



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Vergebung gehört zu den Kennzeichen der Edlen.' So gaben sie ihrem Bruder gute Worte, indem sie weinten und bereuten, was sie getan hatten. Dann fragte er sie: ,Was habt ihr mit meiner Gemahlin getan, die ich aus der steinernen Stadt mitgebracht hatte?' Sie antworteten: ,Als Satan uns verführte und wir dich ins Meer geworfen hatten, erhob sich ein Streit unter uns, und jeder von uns sagte: ,Ich will sie zur Frau haben!' Und als sie unsere Worte hörte und unser Streiten sah und erfuhr, daß wir dich ins Meer geworfen hatten, kam sie aus der Kabine hervor und rief uns zu: ,Streitet nicht um mich! Ich werde keinem von euch beiden gehören; mein Gemahl ist im Meere versunken, und ich werde ihm folgen.' Dann stürzte sie sich ins Meer und ertrank.' Da rief 'Abdallâh: ,Wahrlich, sie ist als Märtyrerin gestorben. Es gibt keine Macht und es gibt keine Majestät außer bei Allah, dem Erhabenen und Allmächtigen!' Und er weinte bitterlich um sie; dann sprach er zu seinen Brüdern: ,Das war nicht recht von euch, eine solche Tat zu begehen und mich meiner Gemahlin zu berauben!' Sie erwiderten: ,Siehe, wir haben gesündigt, und unser Herr hat uns unser Tun vergolten; dies war etwas, das Allah uns vorherbestimmte, ehe Er uns noch erschaffen hatte.' Und er nahm ihre Entschuldigung an. Darauf sprach Sa'îda: ,Kannst du ihnen denn vergeben, nachdem sie dir all dies angetan haben?' Er antwortete: ,Liebe Schwester, wer die Macht hat und vergibt, dessen Lohn steht bei Allah.' Doch sie fuhr fort: ,Sei auf deiner Hut vor ihnen; denn sie sind Verräter!' Dann nahm sie Abschied von ihm und verschwand. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 987. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallah, nach



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dem Sa'îda ihn vor seinen Brüdern gewarnt und Abschied von ihm genommen hatte und ihrer Wege gegangen war, den Rest jener Nacht mit seinen Brüdern verbrachte, indem sie aßen und tranken und fröhlich und guter Dinge waren. Als es wieder Morgen ward, führte er sie ins Bad, und nachdem sie es verlassen hatten, kleidete er einen jeden von ihnen in eine Gewandung, die viel Geld wert war. Darauf ließ er den Speisetisch bringen, und man setzte um vor ihn hin, und er aß mit seinen Brüdern. Wie aber die Diener die beiden erblickten und in ihnen seine Brüder erkannten, sprachen sie den Gruß vor den beiden und sagten zu dem Emir 'Abdallâh: ,O unser Herr, Allah erfreue dich durch die Vereinigung mit den teuren Brüdern! Wo sind sie in all dieser Zeit gewesen?' Er gab ihnen zur Antwort: ,Sie waren es. die ihr in Gestalt von Hunden gesehen habt. Preis sei Allah, der sie aus der Gefangenschaft und von der schweren Qual befreit hat!' Dann nahm er sie mit sich und begab sich zum Staatssaal des Kalifen Harûn er-Raschîd; dort führte er sie hinein, und nachdem er den Boden vor dem Herrscher geküßt hatte, wünschte er ihm, seine Macht und sein Glück möchten ewig bestehen, doch alles Übel und Unheil solle vergehen. Darauf sagte der Kalif: ,Willkommen, o Emir 'Abdallâh! Berichte mir, was dir widerfahren ist!' Und der Statthalter berichtete: ,O Beherrscher der Gläubigen Allah stärke deine Macht! —, wisse, nachdem ich meine Brüder mit mir genommen und sie in meine Wohnung geführt hatte, war ich über sie beruhigt, und zwar durch dich, da du dich für ihre Befreiung verbürgt hattest. Denn ich sagte mir: Den Königen ist nie etwas unmöglich, wenn sie sich darum bemühen, da ja die Vorsehung ihnen hilft. So nahm ich ihnen denn die Ketten vom Hals und vertraute auf Allah; und ich aß mit ihnen am selben Tisch. Als meine Diener sahen, daß



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ich mit den beiden aß, die noch in Gestalt von Hunden waren, hielten sie mich für schwachsinnig und sprachen untereinander: ,Er ist wohl irre! Wie kann der Statthalter von Basra mit den Hunden essen, er, der größer ist als ein Wesir?' Dann warfen sie fort, was auf dem Tische zurückgeblieben war, indem sie sprachen: ,Wir essen nicht, was die Hunde übrig gelassen haben.' So spotteten sie meines Verstandes, während ich ihre Reden hörte; doch ich sprach zu ihnen kein Wort darüber, da sie ja nicht wußten, daß die beiden Tiere meine Brüder waren. Als die Zeit der Ruhe kam, schickte ich sie fort und wollte schlafen, aber ehe ich mich dessen versah, klaffte der Boden auseinander, und Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, stieg empor, ergrimmt wider mich und mit Augen gleich Feuer.' Dann berichtete er dein Kalifen alles, was sie und ihr Vater getan hatten, und wie sie die beiden aus der Hundegestalt wieder in die Menschengestalt verwandelt hatte. Und er fügte hinzu: ,Hier stehen sie vor dir, o Beherrscher der Gläubigen!' Der Kalif schaute hin, und als er in ihnen zwei Jünglinge, schön wie Monde, erkannte, sprach er: ,Allah lohne dir statt meiner mit Gutem, o 'Abdallâh, daß du mich mit einer Kraft bekannt gemacht hast, die ich früher nicht kannte! So Gott der Erhabene will, werde ich hinfort nie das Gebet dieser beiden Rak'as vor Anbruch der Morgendämmerung unterlassen, solange ich lebe.' Dann schalt er die beiden Brüder von 'Abdallâh ibn Fâdil wegen ihrer früheren Vergehungen wider ihn; und nachdem sie sich vor dem Kaufen entschuldigt hatten, sprach er zu ihnen allen: ,Reichet euch die Hände und verzeihet einander; und Gott vergebe, was vergangen ist!' Darauf wandte er sich wieder zu 'Abdallâh und sprach: ,O 'Abdallah, mache deine Brüder zu deinen Helfern und laß sie dir angelegen sein!' Als er die beiden dann noch zum Gehorsam gegen ihren Bruder ermahnt



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hatte, erwies er ihnen seine Gnade: denn er befahl ihnen, nach der Stadt Basra aufzubrechen, nachdem er ihnen reichliche Gaben verliehen hatte. So verließen sie denn fröhlich den Staatssaal des Kaufen. Der Kalif aber freute sich über die Kraft, die er aus diesem Verlauf der Dinge sich erworben hatte, nämlich die des Beharrens im Gebete der zwei Rak'as vordem Anbruch der Morgendämmerung; und er rief: ,Der hat recht, der da sagte: Das Unglück des einen ist des anderen Glück!'

Wenden wir uns nun von dem Kalifen wieder zu 'Abdallâh ibn Fâdil! Der reiste von der Stadt Baghdad ab mit seinen Brüdern, indem er sie auszeichnete und ehrte und ihr Ansehen mehrte, bis sie in der Stadt Basra ankamen. Dort zogen die Großen und Vornehmen ihnen entgegen, nachdem man die Stadt geschmückt hatte; und so geleitete man sie in einem unvergleichlich schönen Prunkzug hinein. Das Volk flehte den Segen des Himmels auf sein Haupt herab, während er Gold und Silber unter sie streute. Und als nun das ganze Volk ihm mit Segenswünschen zujubelte, achtete niemand auf seine Brüder. Da schlichen wieder die Eifersucht und der Neid in die Herzen der beiden, obwohl er sie doch hegte und pflegte, wie man ein krankes Auge pflegt; und je freundlicher er sie behandelte, desto mehr wuchs ihr Groll und ihr Neid gegen ihn. Darüber ist einmal gesagt worden:

Ich tat den Menschen Gutes; doch bei meinem Neider
Gewann ich keine Gunst, und keine Müh gelang.
Wie kann der Mensch dem Neider seines Glückes wohltun,
Da den doch nichts befriedigt als sein Untergang?

Er gab jedem von beiden eine Odaliske, die nicht ihresgleichen hatte; auch schenkte er ihnen Eunuchen und Diener, Sklavinnen, schwarze und weiße Sklaven, von jeder Art vierzig. Ferner gab er einem jeden von beiden fünfzig Prachtrosse von



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edelem Geblüt, nebst Wärtern und Gefolge; dazu verlieh er ihnen auch noch Einkünfte und bestimmte ihnen Gehälter. und er machte sie zu seinen Helfern, indem er zu ihnen sprach: ,Meine Brüder, wir sind gleich, ich und ihr, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 988. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh seinen Brüdern Gehälter bestimmte und sie zu seinen Helfern machte, indem er sprach: ,Meine Brüder, wir sind gleich, ich und ihr, und es ist kein Unterschied zwischen mir und euch. Nächst Allah und dem Kalifen gehört die Macht mir und euch beiden; drum herrschet in Basra, wenn ich abwesend und wenn ich anwesend bin! Euer Befehl soll gelten; aber es ist eure Pflicht, die Furcht Allahs in den Entscheidungen walten zu lassen. Hütet euch vor der Ungerechtigkeit, die da, wenn sie anhält, vernichtet; und haltet euch an die Gerechtigkeit, die, wenn sie anhält, blühenden Wohlstand errichtet! Bedrücket die Diener Allahs nicht; sonst werden sie euch fluchen, und euer Tun wird dem Kalifen ruchbar werden, und das wäre eine Schmach für mich und für euch! Trachtet nicht danach, irgendeinem mit Gewalt etwas zu nehmen; wenn es euch nach etwas von der Habe der Menschen verlangt, so nehmt es von meiner Habe zudem hinzu, dessen ihr bedürft! Was uns die Schrift über die Unterdrückung an unverbrüchlichen Versen überliefert, ist euch nicht unbekannt; und wie trefflich ist der Mann, der diese Verse erfand:

Es lauert in des Mannes Seele Unterdrückung,
Die nur das Unvermögen im Verborgnen hält.
Der weise Mann erhebt sich nie zu einem Werke.



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Bis er die rechte Zeit erkennt, die ihm gefällt.
Des klugen Mannes Zunge wohnt in seinem Herzen;
Allein das Herz des Toren wohnt in seinem Mund.
Und wer nicht größer ist als seine eignen Sinne,
Den richtet bald das kleinste Ding der Welt zugrund.
Des Mannes Ursprung mag verborgen bleiben; dennoch,
Was er verbirgt, das wird aus seinem Handeln klar.
Wer seine Herkunft nicht aus gutem Stamme leitet,
Aus dessen Munde wird nichts Gutes offenbar.
Wer sich dem Toren zugesellt in seinem Handeln,
Der macht sich selber ihm in seiner Torheit gleich.
Wenn einer allen Menschen sein Geheimnis preisgibt,
Erwachen ihm die Gegner aus des Feindes Reich.
Der Mensch begnüge sich mit dem, was ihm gebührt
Und lasse das, was ihn nicht angeht, unberührt!'

So ermahnte er seine Brüder, indem er ihnen Gerechtigkeit gebot und Ungerechtigkeit verbot, bis er glaubte, sie hätten ihn sehr lieb gewonnen wegen der guten Ratschläge, die er ihnen so reichlich erteilt hatte. So verließ er sich denn auf sie und erwies ihnen die höchsten Ehren; aber trotz all seiner Großmut gegen sie wurden ihr Neid auf ihn und ihr Haß gegen ihn nur noch heftiger. Eines Tages nun kamen seine beiden Brüder Nâsir und Mansûr zusammen; da sagte Nâsir zu Mansûr: ,Ach, Bruder, wie lange noch sollen wir unserem Bruder 'Abdallâh untertan sein, ihm, der solche Herrschaft und Macht besitzt? Nachdem er ein Kaufmann gewesen war, ward er ein Emir; erst war er klein, und dann ward er groß. Aber wir sind nicht groß geworden; wir haben keine Macht und kein Ansehen erlangt. Er hat sich über uns lustig gemacht, als er uns zu seinen Helfern ernannte; was hat denn das zu bedeuten? Heißt das nicht, daß wir seine Diener und ihm untertan sindt Solange er am Leben ist, wird unser Rang nicht erhöht, und wir haben nichts zu bedeuten. Unsere Wünsche



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werden sich nur erfüllen, wenn wir ihn umbringen und uns seinen Besitz aneignen; wir können ja diese Reichtümer nicht eher erlangen, als bis er beseitigt ist. Haben wir ihn aber getötet, so werden wir herrschen und alles gewinnen, was seine Schatzkammern bergen an Juwelen und Edelsteinen und anderen Kleinodien; das wollen wir dann unter uns teilen. Danach wollen wir dem Kalifen ein Geschenk herrichten und von ihm die Herrschaft über Kufa erbitten; so wirst du Statthalter von Basra werden, und ich werde Statthalter von Kufa. Oder auch du magst Statthalter von Kufa sein, während ich als solcher in Basra bleibe. So kommt ein jeder von uns wirklich zu Ansehen und Macht aber das wird uns nie zuteil, wenn wir ihn nicht umbringen.' Darauf erwiderte Mansûr: ,Du hast recht mit dem, was du sagst; doch was sollen wir mit ihm machen, daß wir ihn zu Tode bringend' Der andre fuhr fort: ,Wir wollen in dem Hause des einen von uns beiden ein Gastmahl feiern und ihn dazu einladen, und wir wollen ihm mit größter Ergebenheit aufwarten. Dann wollen wir ihn durch Plaudern unterhalten und wollen ihm Geschichten und Scherze und seltene Begebenheiten erzählen, bis sein Herz durch das lange Wachen zergeht. Darauf wollen wir ihm ein Lager breiten, auf daß er ruhe; aber sowie er eingeschlafen ist, wollen wir auf ihm niederknieen, ihn im Schlafe erdrosseln und in den Fluß werfen. Am nächsten Morgen wollen wir sagen: ,Seine Schwester, die Dämonin, kam zu ihm, während er plaudernd bei uns saß, und rief: ,O du Abschaum der Menschheit. was bist du, daß du dich über uns bei dem Beherrscher der Gläubigen beklagen darfst? Glaubst du etwa, wir fürchten uns vor ihm? Wie er ein König ist, so sind auch wir Könige; und wenn er sich nicht gesittet gegen uns verhält, so lassen wir ihn des schmählichsten Todes sterben. Inzwischen aber will ich dich



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töten, damit wir sehen, was die Hand des Beherrschers der Gläubigen zu tun vermag!' Dann ergriff sie ihn, der Boden spaltete sich, und sie stieg mit ihm hinab. Als wir das sahen, sanken wir in Ohnmacht; und als wir wieder zu uns kamen. wußten wir nicht, was aus ihm geworden ist.' Danach wollen wir eine Botschaft an den Kalifen schicken und es ihm kundtun; der wird uns an seine Stelle setzen. Nach einer Weile aber wollen wir dem Kalifen ein kostbares Geschenk senden und ihn um die Herrschaft in Kufa bitten; dann kann einer von uns in Basra bleiben und der andere in Kufa sein. So soll das Land uns Freude bringen, wir wollen die Untertanen niederzwingen, und alle unsere Wünsche sollen uns gelingen!' ,Vortrefflich ist, was du rätst. mein Bruder'. erwiderte Mansûr: und die beiden kamen überein, ihren Bruder zu ermorden. Nun rüstete Nâsir ein Gastmahl und sprach zu seinem Bruder 'Abdallâh: ,Lieber Bruder, bedenke, ich bin dein Bruder, und ich möchte, daß ihr beide, du und mein Bruder Mansûr, mein Herz erfreuet. indem ihr als meine Gäste in meinem Hause speiset, damit ich mich deiner rühmen kann und es heißt: ,Der Emir 'Abdallâh hat als Gast im Hause seines Bruders Nâsir gespeist.' So möge mein Herz daran seine Freude haben!' 'Abdallâh erwiderte ihm: ,Das mag gern geschehen, lieber Bruder. Es ist kein Unterschied zwischen mir und dir, noch zwischen meinem Hause und deinem Hause. Du hast mich eingeladen, und nur ein schlechter Kerl lehnt die Gastfreundschaft ab.' Dann wandte er sich an seinen Bruder Mansûr und sprach zu ihm: ,Willst du mit mir in das Haus deines Bruders Nâsir gehen, daß wir dort als seine Gäste speisen und sein Herz erfreuen?' Jener antwortete ihm: ,Lieber Bruder, bei deinem Haupte, ich will nur dann mit dir gehen, wenn du mir schwörst, daß du auch in mein Haus kommst, wenn du



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das Haus meines Bruders Nâsir verlassen hast, und dann als mein Gast speisest. Wenn Nâsir dein Bruder ist, bin ich nicht auch dein Bruder? Und solltest du nicht auch mein Herz erfreuen, wie du das seine erfreust?' 'Abdallâh erwiderte: ,Auch das mag gern geschehen, herzlich gern! Wenn ich das Haus deines Bruders verlasse, will ich in dein Haus kommen; denn du bist mein Bruder ebenso, wie er es ist.' Darauf küßte Nâsir die Hand seines Bruders 'Abdallâh, verließ den Staatssaal und rüstete das Gastmahl. Am nächsten Tage bestieg 'Abdallâh sein Roß und begab sich, indem er eine Schar von Kriegern und seinen Bruder Mansûr mit sich nahm, zum Hause seines Bruders Nâsir; er trat ein und setzte sich mit seinem Gefolge und seinem Bruder. Darauf ließ Nâsir ihnen die Tische vorsetzen und hieß sie willkommen; und sie aßen und tranken, waren vergnügt und guter Dinge. Dann wurde der Tisch mit den Schüsseln fortgenommen, und man konnte zum Waschen der Hände kommen; so verbrachten sie jenen Tag bei Speise und Trank und in der Freude Überschwang, bis es Abend ward. Nachdem sie dann noch die Abendmahlzeit eingenommen hatten, verrichteten sie die Gebete des Sonnenuntergangs und des Abends. Und wiederum setzten sie sich zur Unterhaltung nieder; da erzählte bald Mansûr eine Geschichte, bald erzählte Nâsir eine andere, während 'Abdallâh zuhörte. Sie waren allein in einem Gemach, während die Krieger sich in einem anderen Raum befanden, und sie erzählten unablässig Scherze und Geschichten, seltsame Begebenheiten und Ereignisse, bis das Herz ihres Bruders 'Abdallâh durch das lange Wachen zerging und der Schlaf ihn übermannte. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 989. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir



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berichtet worden, o glücklicher König, daß 'Abdallâh des langen Wachens müde ward und zu schlafen wünschte; so breitete man ihm ein Lager, und nachdem er seine Obergewänder abgelegt hatte, ging er zur Ruhe. Die beiden Brüder legten sich neben ihm auf ein anderes Lager und warteten, bis er in tiefen Schlaf versunken war. Aber als sie wußten, daß der Schlaf ihn fest umfing, sprangen sie hoch und knieten auf ihn nieder; er wachte auf, und als er die beiden auf seiner Brust knieen sah, rief er: ,Was ist das, meine Brüder?' Doch sie fuhren ihn an: ,Wir sind nicht deine Brüder, und wir kennen dich nicht, du frecher Kerl. Jetzt ist es besser, daß du stirbst, als daß du am Leben bleibst!' Und sie packten ihn an der Kehle und würgten ihn, bis er die Besinnung verlor und sich nicht mehr regte, so daß sie ihn für tot hielten. Da nun jenes Gemach am Flusse lag, so warfen sie ihn dort hinein. Als er jedoch ins Wasser fiel, machte Allah ihm einen Delphin dienstbar, der unterhalb jenes Schlosses zu schwimmen pflegte, weil die Küche ein Fenster hatte, das auf den Fluß führte, und sooft man ein Tier schlachtete, warf man die Abfälle durch jenes Fenster in den Fluß, und jener Delphin kam und schnappte sie von der Oberfläche des Wassers fort; so hatte er sich an jenen Ort gewöhnt. Nun hatten die Leute an jenem Tage schon viel Abfall hinausgeworfen infolge des Gastmahls; und jener Delphin hatte mehr als sonst gefressen, so daß er große Kraft bekommen hatte. Als er das Aufschlagen des Leibes auf das Wasser hörte, eilte er rasch herbei und sah, daß es ein Mensch war; und der rechte Leiter leitete ihn, so daß er ihn auf seinen Rücken nahm und mit ihm quer durch den Fluß schwamm. Er hörte nicht eher auf zu schwimmen, als bis er das andere Ufer erreichte, und dort warf er ihn an Land. Jene Stätte aber, an der das Tier den Leib abwarf, lag an der Landstraße; und



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so kam dort bald eine Karawane vorbei. Als die Leute ihn am Ufer liegen sahen, sprachen sie: ,Da ist ein Ertrunkener, den der Fluß an Land geworfen hat'; und eine Schar von Reisenden aus jener Karawane scharte sich zusammen, um ihn zu betrachten. Der Scheich der Karawane war ein trefflicher Mann, der Kenntnisse in allen Wissenszweigen besaß, auch in der Heilkunde erfahren war und einen scharfen Verstand hatte; der sprach zu ihnen; ,Ihr Leute, was gibt es?' Man gab ihm zur Antwort: ,Da ist ein Ertrunkener!' Als er nun an den Leib herangetreten war und ihn genau betrachtet hatte, sagte er: ,Ihr Leute, in diesem jungen Manne ist noch Leben. Er gehört zu den besten der Söhne vornehmer Leute und ist in Pracht und Wohlstand aufgewachsen; so Allah der Erhabene will, ist noch Hoffnung für ihn vorhanden!' Darauf nahm er ihn mit, legte ihm Gewänder an und wärmte ihn am Feuer; und er hegte und pflegte ihn drei Tagereisen lang, bis 'Abdallâh wieder zu sich kam. Doch er zitterte noch und war von Schwäche überkommen, und der Scheich der Karawane behandelte ihn dann mit Kräutern, die er kannte. Sie zogen immer weiter dahin, bis sie dreißig Tagereisen von Basra entfernt waren, und immer noch wurde 'Abdallâh von dem Scheich gepflegt. Dann kamen sie in eine Stadt im Perserlande, die Audsch hieß; dort stiegen sie in einem Chân ab und breiteten für 'Abdallâh ein Lager, auf dem er ruhte. Aber er stöhnte jene ganze Nacht hindurch und störte die Leute durch sein Stöhnen. Am nächsten Morgen kam der Pförtner des Châns zum Scheich der Karawane und sprach: ,Was ist es mit dem Kranken, der bei dir ist? Er raubt uns den Schlaf!' Der Scheich erwiderte: ,Den habe ich unterwegs am Flußufer gefunden; er war fast ertrunken, und ich habe ihn gepflegt, doch ohne Erfolg, denn er ist noch nicht genesen.' ,Bring ihn doch zur Scheichin Râdschiha!'



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sagte darauf der Pförtner; und der Karawanenführer fragte: ,Wer ist die Scheichin Râdschiha?' Der Pförtner fuhr fort: ,Bei uns ist eine heilige Jungfrau, unvermählt und schön, deren Name Scheichin Râdschiha ist. Jeden, der ein Leiden hat, bringt man zu ihr, und wenn er nur eine Nacht in ihrer Nähe verweilt, so ist er am anderen Morgen geheilt, als ob ihm nie etwas gefehlt hätte.' Da bat der Scheich der Karawane: ,Führe mich zu ihr!' Und der Pförtner erwiderte: ,Heb deinen Kranken auf!' So hob jener den Kranken auf und trug ihn, während der Pförtner des Châns vor ihm her ging, bis er zu der Klause kam. Dort sah er, wie die Menschen mit Weihgaben hineingingen und wie andere voller Freuden wieder herauskamen. Zuerst trat der Pförtner des Châns ein, und als er zu dem Vorhang kam, rief er: ,Mit Verlaub, o Scheichin Râdschiha, nimm diesen Kranken auf!' ,Bring ihn herein hinter diesen Vorhang!' rief die Scheichin zurück. Da sprach der Pförtner zu 'Abdallâh: ,Tritt ein!' Nun trat er ein und schaute die Heilige an und sah, daß sie seine Gemahlin war, die er aus der steinernen Stadt mitgebracht hatte. Er erkannte sie, und sie erkannte ihn; sie grüßte ihn, und er grüßte sie. Dann fragte er sie: ,Wer hat dich an diese Stätte geführte' Und sie erzählte ihm: ,Als ich sah, daß deine Brüder dich ins Meer geworfen hatten und um mich stritten, stürzte ich mich selbst ins Wasser. Aber mein Scheich el-Chidr Abu el-'Abbâs nahm mich in seine Arme und brachte mich zu dieser Klause. Und er gab mir Erlaubnis, die Kranken zu heilen, und ließ in dieser Stadt ausrufen: ,Wer ein Leiden hat, der komme zur Scheichin Râdschiha!' Zu mir jedoch sprach er: ,Verweile an dieser Stätte, bis die Zeit erfüllet ist, daß dein Gatte zu dir in diese Klause kommt!' Dann pflegten alle Kranken zu mir zukommen, und wenn ich meine Hände auf sie gelegt hatte, waren sie am andren



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Morgen wieder gesund; dadurch verbreitete sich mein Ruf unter dem Volke. Und die Leute kamen zu mir mit Weihgaben, so daß ich viel Gut bei mir habe; jetzt lebe ich hier in Ruhm und Ehren, und alles Volk dieses Landes bittet um mein Gebet.' Dann legte sie die Hände auf ihn, und er ward gesund durch die Macht Allahs des Erhabenen. Nun pflegte aber el-Chidr -Heil sei über ihm! —in jeder Freitagsnacht zu ihr zu kommen, und es traf sich, daß jener Abend, an dem 'Abdallâh mit ihr wieder vereinigt wurde, der Abend vor dem Freitag war. Als die Nacht dunkelte, setzte sie sich zu ihm nieder, nachdem beide von den kostbarsten Speisen zu Abend gegessen hatten; und dann blieben sie beieinander sitzen, um auf die Ankunft el-Chidrs zu warten. Während sie so dasaßen, erschien der Heilige plötzlich vor ihnen, trug sie aus der Klause empor und setzte sie dann im Schlosse des 'Abdallâh ibn Fâdil in Basra nieder; dort verließ er sie und ging seiner Wege. Als es Morgen ward, schaute 'Abdallâh sich in dem Schlosse um, und siehe da, er entdeckte, daß es sein eigenes war; doch er hörte ein Lärmen unter dem Volk. Da blickte er zum Fenster hinaus und sah, wie seine beiden Brüder am Kreuze hingen, ein jeder an seinem Pfahl. Dies hatte sich also zugetragen. Als die beiden ihren Bruder in den Fluß geworfen hatten, begannen sie am nächsten Morgen zu weinen und zurufen: ,Unseren Bruder hat die Dämonin entführt!' Dann machten sie ein Geschenk bereit und schickten es an den Kaufen, indem sie ihm zugleich diese Meldung bringen ließen und ihn um die Herrschaft in Basra baten. Doch er ließ sie vor sich kommen und befragte sie selbst; sie berichteten ihm, was wir schon erzählt haben, und da ergrimmte der Kalif gewaltig. Am Ende jener Nacht aber betete er nach seiner Gewohnheit zwei Rak'as vor dem Anbruch der Morgendämmerung und berief dann die



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Stämme der Geister; und die erschienen gehorsam vor ihm. Er fragte sie nach 'Abdallâh, und sie schworen ihm, daß keiner von ihnen ihm ein Leids angetan habe, und fügten hinzu: ,Wir haben keine Kunde über ihn.' Dann kam Sa'îda, die Tochter des Roten Königs, und berichtete dem Kalifen die Wahrheit; darauf entließ er die Geister. Am andren Tage aber unterwarf er Nâsir und Mansûr der Folter durch Stockschläge, bis sie widereinander bekannten; da ergrimmte der Kalif über sie und rief: ,Schleppt sie nach Basra und kreuzigt sie vor dem Schlosse 'Abdallâhs!' So erging es den beiden.

Hören wir nun noch, was 'Abdallâh des weiteren tat! Nachdem er seine Brüder hatte begraben lassen, saß er auf und begab sich nach Baghdad; dort berichtete er dem Kaufen, was er erlebt und was seine Brüder ihm angetan hatten, von Anfang bis zu Ende. Darob erstaunte der Kalif. und er berief den Kadi und die Zeugen und ließ den Ehevertrag niederschreiben für 'Abdallâh und die Prinzessin. die er aus der steinernen Stadt mitgebracht hatte. So ging denn 'Abdallâh zu ihr ein undichte mit ihr in Basra, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt. Gepriesen sei der Lebendige, der nie stirbt! Ferner wird erzählt, o glücklicher König,


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
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