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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


63. Der Bescheidene

Es war einmal ein Zigeuner und seine Frau. Als der Mann sich einmal vergangen hatte, verhafteten ihn die Gendarmen und sperrten ihn auf ein Jahr ins Gefängnis.

Seine Frau aber ging auf die Reise. Ihr Mann war vier Wochen bereits eingesperrt In der vierten Woche ging die Frau nun hin, um ihrem Mann Essen zu bringen. Sie ging auf



Zigeuner Maerchern-292 Flip arpa

einem Weg, auf dem sonst niemand ging, denn dieser Weg war verrufen. Die Zigeunerin aber wußte es nicht. Am Wege war ein Brunnen, und im Brunnen hauste eine Schlange. Die Zigeunerin ging zum Brunnen, um Wasser zu trinken. Aber als sie sich über den Brunnen beugte, wurde sie von der Schlange erblickt. Die Schlange kam heraus, erfaßte die Frau und warf sie in den Straßengraben. Dann fraß sie das Essen alles auf, das die Frau mitgebracht hatte. Als sie damit fertig war, legte sie sich an die Brust der Frau und trank. Schließlich überkam sie der Schlaf. Die Zigeunerin aber, die sehr langes Haar hatte, begann ihre Haare abzuschneiden. Und das abgeschnittene Haar focht sie und machte eine Schlinge. Die Schlange aber schlief. Sowie die Zigeunerin sah, daß sie ganz fest schlief, legte sie ihr die Schlinge an, zog sie fest und band sie an einen Baum. Als sie sie festgebunden hatte, schlug die Schlange so lange um sich, bis sie tot war. Dann lief die Frau nach der Stadt. Die Leute aber sahen, daß sie geradeswegs daher gelaufen kam, wo die Schlange ihren Wohnsitz hatte. Nachdem sie die Stadt erreicht hatte, erzählte sie den Leuten, sie habe eine Schlange getötet, und zwar auf jener Straße. Als die Leute das hörten, glaubten sie ihr nicht. Aber sie erklärte, wenn es nicht die Wahrheit wäre, könnten sie mit ihr tun, was sie wollten. Da ließ der Bürgermeister in der Stadt ausrufen, man solle Wagen anspannen und Flinten und Säbel mitnehmen. Dann fuhren die Leute hinaus und sahen, daß die Schlange gebunden und tot war. Sie nahmen sie nun und legten sie auf zwei Heuwagen, und doch schleppten noch ihr Leib und ihr Schwanz auf der Straße. So brachte man sie in die Stadt. Den Gatten der Zigeunerin aber ließen sie frei und fragten ihn, was er haben wolle. Da wünschte er sich eine Pfeife und ein Paket Tabak. Dreimal fragten sie ihn und dreimal wünschte er sich die Pfeife und den Tabak. Nun sprachen sie zu ihm: »Nimm die zwei Kreuzer, kaufe einen Strick und hänge dich auf, da du nicht mehr gefordert hast!« Dann brachen der Zigeuner und seine Frau auf, und sie zogen weiter.


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