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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


61. Der Zigeuner als König

Es war ein König, der hatte eine Tochter, die keinen Mann nehmen wollte. Ihr Vater sprach zu ihr, sie solle doch einen Mann nehmen, der würde dann sein Nachfolger werden, er selbst sei zu alt zum Regieren. Da meinte seine Tochter: »Setze in die Zeitungen: >Wer die Birne von unserem Baum herabwirft, der soll Thronfolger werden und ich würde seine Frau.<« Er gab also in den Zeitungen bekannt, daß alle Männer herbeikommen sollten. Da kamen Grafen und Prinzen. Sie konnten jedoch die Birne nicht herabwerfen.

In der Nähe aber wohnte ein armer Zigeuner mit seiner Frau. Die kochte ihm immer Grießbrei zum Essen. Auch er ging hin und sah, wie die Freier nach der Birne warfen, sie aber nicht herunterholen konnten. Er ging nun wieder nach Hause und sagte zu seiner Frau: »Gib mir doch ein wenig Grießbrei zu essen.« Die Frau aber antwortete: »Es ist nichts mehr da; die Kinder haben ihn aufgegessen.« Da erklärte er: »Nun verlasse ich dich und nehme mir eine Deutsche«, und ergriff den Hammer, eilte weg und warf ihn nach der Birne. Da fiel die Birne herab. Und sie nahmen ihn, kleideten ihn an, und er ward nun Thronfolger. Dann brachte man ihm zu essen und zu trinken. Er aber schämte sich und aß nicht, sondern er lief am Tage in den Garten und füllte sich die Taschen mit Stachelbeeren. Des Nachts aber, als er sich schlafen legte, aß er dann die Stachelbeeren. Seine Frau jedoch fragte ihn: »Was ißt du?« — »Ich esse Zucker.« — »Gib mir auch davon!« — »Ich gebe dir nichts.« Am andern Tage ging er auf einer Straße spazieren und traf einen Handwerksburschen und sprach zu ihm: »Wir wollen unsere Kleider tauschen!« Der Handwerksbursche erklärte: »Ich kann mit dir nicht tauschen, denn du bist doch der König.« — »Wenn du nicht tauschest, schneide ich dir den Hals ab.« Da begann der Handwerksbursche seine Kleider auszuziehen, und der König nahm seine Kleider, während jener die des Königs anzog. Dann



Zigeuner Maerchern-287 Flip arpa

ging der Handwerksbursche in die Stadt und ward König. Der Zigeuner aber ging zu seiner Frau und gab ihr die Hand. Sie sprach zu ihm: »Bist du gekommen, Mann?« — »Ich bin gekommen, was soll ich mit der Deutschen? Bring mir doch, Frau, ein wenig Grießbrei, daß ich esse.« Sie gab ihm. Als er aber wieder einmal nach Hause kam und zu essen verlangte, erklärte seine Frau: »Ich habe nichts, die Kinder haben alles aufgegessen.« Da sagte er: »Nun gehe ich wieder und nehme eine Deutsche.« Also ging er. Da wollte man ihn totschlagen. Drum ging er doch wieder heim und schlug seine Frau.

Wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.


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