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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


55. Der Teufel freit ein Zigeunermädchen

Vorzeiten lebte ein Mädchen. Sie war ihrer Eltern einziges Kind. Da sie also nur zu dreien waren, konnten sie im Überfluß leben. Eines Tages ging das Mädchen fort, um Hemden zu waschen. Da sah sie stolz zu Rosse einen Zigeuner, der war schön, so schön wie sie noch niemals einen Mann gesehen



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hatte. Er fragte: »Heil dir, Mädchen, wo wohnst du?« Und sie antwortete: '>Da drüben, nicht weit. Doch wo wohnst du?« — »Geh nur voran, ich komme gleich.« Und er kam zu ihrem Zelt, band sein Pferd fest, trat dann ins Zelt und sprach: »Heil dir, alter Mann!« Der alte Mann fragte ihn: »Was für ein Landsmann bist du?« Er sagte: »Ich bin ein Zigeuner und ziehe umher. Ich möchte gern ein Geschäft machen, weißt du keins?« Der alte Mann antwortete: »Dort drüben, nicht weit von hier, lebt ein Herr, doch liebt er keine Zigeuner. Aber der Jüngling meinte: »Ach, das schadet nichts!«

Nun gingen beide von dannen, bis sie zu dem Palast des Herrn kamen. Der alte Mann blieb in einiger Entfernung zurück, und der Bursche ging in den Palast. Der Herr fragte: »Wer ist jener Bursche, der eben hereinkam?« Und der Bediente erwiderte: »Ein Zigeuner.« — »Schicke ihn hierher zu mir!« Da trat der Zigeuner in das Zimmer, und der Herr empfing ihn und sagte: »Kamst du von selbst und allein?« Aber er antwortete dem Herrn: »Draußen auf dem Felde wartet auf mich noch ein Gefährte.« Der Herr sandte den Diener hin. »Geh und rufe ihn!« Aber der alte Mann dachte, sie wollten ihn verfolgen, und lief davon. Nur mit großer Mühe riefen sie ihn zurück. Und endlich kam er in den Palast. Der Zigeunerbursche fragte: »Habt Ihr nichts zu tauschen, Herr?« Da brachte man aus dem Stall ein besseres Pferd als sein eigenes, und sie machten einen Tausch. Der Herr gab ihm obendrein noch sehr viel Geld.

Als sie zu dem Zelt zurückkamen, fragte der Bursche: »Du, Alter, würdest du mir, einem Zigeuner, deine Tochter geben?« Der Alte antwortete: »Ja, wenn es dem Mädchen paßt.« Und das Mädchen sagte: »Ich will mit ihm gehen.« Da sprach der Bursche: »Ich will meinen Vater noch in dieser Woche zu unserer Verlobung herbeiholen.« So kam er denn mit seinem Vater und er sagte zu dem Alten: »Ich möchte, daß du mir deine Tochter ohne die Hochzeitsfeier gibst; ich habe gerade jetzt keine Zeit, die Hochzeit zu feiern. Ich halte an der



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Grenze des Besitztums eines Herrn, und unsere Pferde haben sein Getreidefeld zertrampelt, daher habe ich jetzt keine Zeit; ich muß zu jenem Herrn gehen und das Getreide bezahlen. Wie ist's, bist du einverstanden? Willst du mir deine Tochter, das junge Ding, auch so geben? Sobald ich die Sache geordnet habe, wollen wir die Hochzeit feiern.« Der alte Mann antwortete: »Frage das Mädchen, ob es einwilligt. Wenn sie einwilligt, dann bin ich einverstanden.« Da wurde das Mädchen gefragt, und sie erwiderte: »Wenn ich diesem nicht folgen darf, will ich mit keinem anderen gehen, und ich werde mein ganzes Leben lang seinetwegen klagen.« Also erlaubte es der Alte. Sie sattelten die Pferde und ritten davon; sie ritten, es mögen fünfzig Werst gewesen sein, und erreichten ihre Zelte. Als sie angekommen waren, nahm das Mädchen den Eimer und ging, Wasser zu holen, und die kleinen Kinder liefen hinter ihr her. Da bemerkte sie kleine Hörner an den Köpfen dieser Kinder. Und sie fing an zu weinen, weil diese kleinen, nackten Dinger keineswegs Menschen, sondern leibhaftige Teufel waren. Und sie begann ihren Zigeuner zu bitten: »0, laß uns zu meinem Vater zu Besuch gehen!« Aber er wollte nicht. Doch sie überredete ihn, bis er endlich einwilligte, mit ihr zu gehen. Da sattelten sie ihre Pferde und ritten zu ihrem Vater.

Der Vater und die Mutter waren erfreut, daß ihre Tochter zu Besuch zu ihnen gekommen war. Der alte Mann bestieg sein Pferd und ritt fort, um Branntwein zu holen. Als er wiederkam, setzte er sich, um mit seinem Schwiegersohn zu trinken. Der Schwiegersohn betrank sich, und bald lag er unter dem Bett. Da klagte das Mädchen. »Ach«, sagte sie zu ihrem Vater und weinte, »gehe so schnell du kannst zu dem Pfarrer, laß den Pfarrer kommen.« Der Pfarrer kam, und die Leute versammelten sich im Zelte. Und als er das Zelt zu segnen begann, da merkte es jener Bursche, der unter dem Bett lag, und brach das Bett und das Zelt ab und entfloh ins Freie. Das Mädchen aber lebte nur noch eine Woche. Dann starb sie.


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