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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


53. Der dem Teufel Verschriebene

Ein reicher Mann fuhr einmal in den Wald und blieb mit seinem Wagen im Moraste stecken. Inzwischen gebar seine Frau daheim einen Sohn, und er wußte noch nichts davon. Da kam der Teufel und sprach: »Was gibst du mir, wenn ich dich herausziehe?« — »Du bekommst, was du willst.« — »Du mußt mir etwas geben, was du in deinem Hause hast.« — »Ich habe daheim Pferde und Rinder.« — »Die will ich nicht, du mußt mir etwas geben, was du noch nicht gesehen hast.« — »Das sollst du auch haben.« — »Dann mache einen Vertrag



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mit mir.« So schloß er einen Pakt. Der Teufel zog ihn aus dem Sumpf, und der Mann fuhr nach Hause. Als er heimkam, hatte er den Vertrag schon vergessen.

Der Knabe wuchs heran. Als er zwanzig Jahre alt war, sprach er eines Tages zu seiner Mutter: »Richte mir Brot, Mutter, denn ich muß zu dem gehen, dem mich mein Vater verschrieben hat.« Er begab sich weit über die Berge zu dem Hause des Teufels. In dem Hause fand er eine alte Frau und eine Tochter des Teufels, die fragte ihn: »Wohin gehst du, Knabe?« — »Ich bin zu dem Herrn hierher gekommen, um ihm zu dienen.« Das Mädchen betrachtete ihn, und er gefiel ihr. »Du sollst wissen, daß der Herr dieses Anwesens mein Vater ist. Mein Vater wird sich in ein Pferd verwandeln und dir sagen, du sollest es besteigen und in die Welt hinaus reiten. Fertige dir einen eisernen Prügel und einen eisernen Kamm; schlage ihn mit dem Prügel, sonst läßt er dich nicht aufsitzen, dann besteige ihn, und wenn du dann reitest, schlage ihm fortwährend auf den Kopf.« Der Jüngling ritt also über Land, kam wieder nach Hause und stellte das Pferd in den Stall. Alsdann begab er sich zu dem Mädchen. »Hat dich mein Vater nicht abgeworfen?« — »Nein, denn ich schlug ihm fortwährend auf den Kopf.«

Einmal rief ihn der Teufel und nahm ein Faß Mohn, schüttete es ins Gras und befahl ihm, den ganzen Mohn wieder zu sammeln und ins Faß zu schütten. »Wenn du es aber nicht füllst, schneide ich dir den Hals ab.« Der Jüngling ging zu dem Mädchen und weinte. »Weshalb weinst du?« fragte sie. »Dein Vater befahl mir, das Faß mit Mohn zu füllen, wenn es mir nicht gelingt, wird er mir den Kopf abschneiden.« Das Mädchen redete ihm zu, sich nicht zu ängstigen, und dann ging sie hinaus und pfiff, und da kamen die Mäuse in so großer Zahl, wie es Gräser und Blätter gibt. Die fragten sie: »Was wünschest du, Herrin?« — »Sammelt den Mohn und füllt das Faß damit.« Und die Mäuse nahmen die einzelnen Mohnkörner und füllten das Faß. Als der Teufel das volle



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Faß sah, lobte er den Jüngling und sprach: »Das hast du gut gemacht; du mußt aber noch eine Probe bestehen: Trockne den Sumpf aus, beackere und besäe ihn, und morgen mußt du mir den gerösteten Speit geben. Wenn du es nicht vermagst, schneide ich dir den Hals ab.«

Der Jüngling ging wieder zu dem Mädchen und weinte. »Dein Vater hat mir gesagt, daß ich den Sumpf trockenlegen und ihm morgen schon den darauf gepflanzten Speit geröstet geben soll.« — »Fürchte dich nicht«, beschwichtigte sie ihn und ging hinaus, nahm eine brennende Peitsche, schlug einmal den Sumpf damit, und er wurde trocken; dann schlug sie zum zweiten Male, da war er gepflügt, sie schlug zum dritten Male, und er war gesät, und als sie zum vierten Male schlug, war der Speit geröstet. Am andern Morgen gab der Jüngling dem Teufel gerösteten Speit.

Das Mädchen sagte ihm nun: »Wir sind drei Töchter, er wird uns alle gleichmachen, dich dann rufen, damit du feststellst, welches die Älteste, welches die Mittlere und welches die Jüngste ist. Du wirst es aber nicht erkennen können, denn wir werden alle ganz gleich aussehen. Ich werde obenan stehen, gib auf meine Füße acht, denn ich werde fortwährend meinen Fuß etwas bewegen. Die Mittlere steht in der Mitte und die Älteste steht dir zunächst, so wirst du es erraten.« Der Teufel sprach zu ihm: »Ich gebe dir noch eine Aufgabe: Fälle den ganzen Wald und lege ihn bis morgen in Haufen.« Der Jüngling ging zu dem Mädchen, das fragte ihn: »Hast du Vater und Mutter?« — »Ja.« — »So komm, wir wollen fliehen, denn mein Vater will dich töten. Nimm den Schleifstein und den Kamm; ich habe einen Lappen bei mir.« So brachen sie auf und flohen.

Als der Teufel aufstand, sah er, daß der Wald nicht gefällt war. »Geht und ruft ihn zu mir!« — »0, der Knabe und auch das Mädchen sind beide verschwunden!« — »Geschwind, eilt hinter ihnen her!« Sie liefen, aber die beiden sahen sie schon kommen. Da sagte das Mädchen: »Ich will mich in einen



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Acker Weizen verwandeln und du tust so, als wolltest du den Weizen besichtigen, und jene werden dich fragen: >Ist nicht ein Mädchen und ein Knabe hier vorbeigekommen?< Du mußt dann antworten: >Doch, sie kamen vorbei, als ich den Weizen säte.<« Als er den Verfolgern diese Antwort gab, sprachen sie: »So wollen wir umkehren, denn wir holen sie doch nicht mehr ein.«

»Habt ihr niemanden unterwegs getroffen?« fragte der Teufel. »Wir kamen zu einem Weizenfeld und einem Landmann.« — »Geht schnell zurück, denn sie war der Acker, und er war der Bauer.« Die beiden sahen sie wieder kommen, und das Mädchen sprach zum Jüngling: »Ich überschläge mich und verwandle mich in eine alte Kapelle, und du überschlägst dich und verwandelst dich in einen alten Mönch. Sie werden dich fragen: >Ist nicht ein Knabe und ein Mädchen vorbeigekommen?< — >Doch<, mußt du antworten, >als ich mit dem Bau der Kirche anfing.« So tat er und die Verfolger riefen: »Wehe, wir wollen umkehren, denn wir treffen sie doch nicht mehr, denn wann hat er wohl mit dem Bau der Kirche angefangen! Sie ist doch schon alt!« Nach ihrer Rückkehr fragte der Teufel wieder: »Habt ihr nicht irgend etwas unterwegs gefunden?« —»Wir fanden nur eine Kirche und einen Mönch.« — »Die Kirche war ja das Mädchen, und der Mönch war der Jüngling. Ich will mich selbst auf den Weg machen.« Die beiden sahen den Teufel von weitem. »Nun kommt mein Vater, ihm werden wir nicht entrinnen, wirf den Kamm nieder.« Er ließ den Kamm fallen, und es entstand ein Wald, der von der Erde bis zum Himmel reichte. Bis der Teufel durch das Dickicht des Waldes gedrungen war, hatten sie einen weiten Vorsprung. Aber er holte sie doch ein. Da rief das Mädchen: »Wirf den Stein hin.« Der Jüngling warf ihn nieder, und es entstand ein großer Fels von der Erde bis zum Himmel. Bis der Teufel einen Gang durch den Felsen gehauen hatte, waren sie weit weg. Doch er erreichte sie wieder. »Dein Vater ist wieder hinter uns her!« Sie warf den Lappen nieder, und



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es entstand ein großes Wasser und ein Mühlstein. Sie standen am andern Ufer, und der Teufel rief: »Hure, wie bist du übers Wasser gekommen?« — »Binde dir den Mühlstein an den Hals und springe ins Wasser.« Er band sich den Stein um den Hals, sprang ins Wasser und ertrank. Da sagte sie zum Jüngling: »Fürchte nichts mehr, denn mein Vater ist ertrunken.«

Er ging nun mit dem Mädchen zu seinem Vater, und der freute sich über die Maßen. Aber das Mädchen sprach zu dem Jüngling: »Ich will gehen, um für die Sünde an meinem Vater zu büßen, denn ich habe ihn ertränkt. Auf drei Jahre muß ich mich von dir trennen.« Sie nahm ihren Ring, brach ihn entzwei und gab ihm eine Hälfte mit den Worten: »Bewahre diese Ringhälfte wohl und verliere sie nicht.« Dann blieb sie drei Jahre weg.

Er hatte sie vergessen und war dabei, eine neue Gattin heimzuführen, und so machte er gerade Hochzeit. Da kam sie, und er erkannte sie nicht mehr und lud sie ein: »Trink einen Becher Branntwein.« Sie trank, legte die Ringhälfte in den Becher und gab ihn ihm zurück. Als er trank, bekam er das Ringstück in den Mund, nahm es in die Hand und besah es, nahm dann seine Ringhälfte und legte die beiden Stücke zusammen. »Ach, das ist ja meine Gattin, sie hat mich vom Tode errettet.« Er erklärte nun die begonnene Hochzeit für ungültig, nahm seine frühere Gattin und lebte nun mit ihr.


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