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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


49. Der Eifersüchtige

Ein reicher Kaufmann hatte eine wunderschöne Frau, die ließ er niemals ins Freie gehen. Eines Tages mußte er zusammen mit einem andern Kaufmann eine Handelsfahrt auf der Donau unternehmen. Als es Abend wurde, zogen sie ihre Schiffe ans Ufer, banden sie dort fest und traten in ein Haus, um zu übernachten. Während sie sich miteinander unterhielten, meinte der eine: »Wird jetzt deine Frau zu Hause nicht etwa einen Liebeshandel anfangen?« Der Gatte aber erwiderte: »Das ist ausgeschlossen, meine Frau bleibt mir treu.« Der andere aber fuhr fort: »Nun, was wirst du mir geben, wenn ich es bin, dem sie ihre Liebe schenkt?« — »Wenn sie sich in dich verliebt, so werde ich dir meine Besitzungen, meine Waren und das Schiff geben.« — »Woran wirst du aber erkennen, daß ich Erfolg bei ihr hatte?« — »Wenn du mir ihr Muttermal nennen und den goldenen Ring von ihrem Finger



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vorzeigen kannst. Aber gewiß würde dich meine Frau schlagen, wenn du ihr einen Antrag machen solltest. Ich habe überdies eine Magd bei ihr zurückgelassen, so daß meine Frau das Haus nicht zu verlassen braucht.« Der andere aber erwiderte: »Es wird mir dennoch gelingen.« — »Nun, so gehe zu ihr ins Haus, ich werde solange auch die Führung deines Schiffes übernehmen.«

Jener ging also in das Haus der Kaufmannsfrau. Aber was sollte er nur tun, er konnte sich ihr nicht nähern. Da traf er eine alte Frau und sprach zu ihr: »Alte, was soll ich tun, um den Ring von deiner Herrin zu bekommen?« Die erwiderte: »Was wirst du mir geben? Erst dann werde ich es so einrichten, daß du den Ring erlangen kannst.« — »Ich gebe dir 100 Lei.« Da riet die Alte: »Zimmere eine große Truhe, bringe daran ein Fenster an, lege dich dann hinein und verschließe sie von innen. Dann will ich dich so zu meiner Herrin bringen.« Der Kaufmann tat so, und die Alte trug ihn in der Truhe bis vor das Haus und ging dann zu ihrer Herrin und sprach: »Ich bitte dich, Herrin, meine Truhe mit den Kleidern im Haus unterstellen zu dürfen, damit meine Kleider nicht gestohlen werden.« — »Gut, bringe sie nur in die Vorhalle«, sagte sie zu der alten Magd und half ihr auch noch dabei, die Truhe hineinzutragen. »Ach, ich bitte dich, Herrin, sie in dein Gemach stellen zu dürfen, morgen früh werde ich kommen, um sie wieder herauszuholen.« — »Schön, stelle sie nur in eine Ecke.« Darauf ging die Alte in ihr Haus. Am Abend bereitete sich die Kaufmannsfrau ihr Bad, legte den Ring auf den Tisch und badete. Da gewahrte der Mann durch das Fensterchen unter ihrer rechten Brust ein Mal. Die Kaufmannsfrau legte sich nun ins Bett und löschte die Kerze aus. Aber sie vergaß den Ring auf dem Tische. In der Nacht aber stieg der Mann aus der Truhe, nahm den Ring vom Tisch, legte sich wieder hinein und verschloß sie wieder. Vor Tagesanbruch erschien die alte Magd und trug ihre Truhe wieder hinaus, und der Mann stieg wieder heraus, nahm die Truhe und



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entfernte sich, um den Ehemann aufzusuchen. Als sie sich trafen, fragte dieser: »Hast du bei meiner Gemahlin geschlafen?« — »Ja, gewiß.« — »Nun, was hat sie denn für ein Mal?« — »Unter der rechten Brust hat sie ein Muttermal. Aber wenn du es noch nicht glaubst, hier ist der Ring.« — »Wahrhaftig«, sagte der Ehegatte. »Nimm also mein Schiff mit allem, was darin ist, und komm mit mir nach Hause, dann will ich dir auch meine Besitzungen übergeben.« Da ging er mit dem andern Kaufmann in sein Haus. Er sprach nun mit seiner Gattin kein Wort, sondern machte nur ein kleines Schiff fertig, setzte sie hinein und ließ sie auf der Donau treiben. »Da du so gehandelt hast, fahre dahin!« rief er ihr nach. Nun war er, da er alle seine Güter weggegeben hatte, arm geworden und verdiente sich damit sein Brot, daß er Wasser für die Juden holte. Seine Gemahlin aber hatte ein Jahr auf der Donau zubringen müssen - damals war ein Jahr wie jetzt ein Tag -, da hielt ein alter Mann das dahintreibende Boot auf, zog es ans Ufer, öffnete es, führte sie heraus und nahm sie mit sich. Bei diesem Alten blieb sie dann drei Jahre, spann mit der Spindel und ersparte sich Geld. Dann kaufte sie sich prächtige Männerkleider, zog diese an, schnitt sich ihre Haare ab und ging so zu ihrem Gemahl zurück. Unterwegs brachte sie eine Nacht unter einer Linde zu und schlief dort. In der nahen Stadt war ein Kaiser, der sein Augenlicht verloren hatte. Nun hatte die Kaufmannsfrau einen Traum. In der Linde sei eine Öffnung, darinnen sei Wasser, und wenn der Kaiser sich damit bestreiche, so würde er sein Augenlicht wiedergewinnen. Als sie am Morgen erwachte, suchte sie ringsum und fand schließlich jene Oeffnung. Sie hatte einen kleinen Krug bei sich, den füllte sie mit dem Wasser, steckte ihn in die Tasche und ging in die Stadt hinein. Dort setzte sie sich in eine Schenke, trank für drei Kreuzer Raki 1 und fragte dabei einen Juden: »Was hört man Neues bei euch?« — »Unser Kaiser ist erblindet«, erwiderte er, »und



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wer ihm wieder zum Augenlicht verhilft, dem wird er sein ganzes Reich übergeben.« — »Da bin ich der richtige Mann«, sprach die verkleidete Kaufmannsfrau. Sofort ging der Jude zum Kaiser, brachte ihm die Kunde, und der Kaiser befahl: »Man soll ihn sogleich zu mir bringen.« Da wurde die Kaufmannsfrau vor den Kaiser geführt. Und der Kaiser sprach: »Mache mich sehend, dann werde ich dir mein Reich übergeben.« Da nahm sie von dem Wasser, strich ihm damit über die Augen, und er war wieder sehend. Darauf setzte ihr der Kaiser die Krone aufs Haupt und sprach: »Du sollst nun Kaiser sein, ich bin es zufrieden, wenn ich nur bei dir bleiben kann.« Er zog ihr also die kaiserlichen Gewänder an, ließ das Heer aufmarschieren und machte unter Paukenschlägen bekannt, ein neuer Kaiser hätte die Herrschaft angetreten. Da erblickte plötzlich die einstige Kaufmannsfrau ihren Mann, wie er Wasser für die Juden holte, und rief ihn heran mit den Worten: »Komm einmal her und erzähle, wie es kommt, daß du so arm bist.« Der entgegnete: »Ich war nicht immer so arm, ich war einmal reich und hatte Besitzungen und war ein großer Handelsherr.« — »Aber wodurch hast du denn deinen Besitz verloren?« fragte sie weiter. »Ich verlor ihn durch eine Wette«, erzählte er. »Meine Gattin verliebte sich in einen andern, und so mußte ich an diesen meine Güter abtreten. Sie selbst aber setzte ich in ein Boot auf der Donau und überließ sie ihrem Schicksal.« Da schickte sie sogleich nach dem andern Kaufmann. Er wurde herbeigeführt, und sie fragte ihn: »Wie kamst du zu dem Besitz dieses Mannes?« — »Durch eine Wette«, antwortete er. »Worum ging denn die Wette?« — »Daß seine Frau sich mit mir einlasse.« — »Hattest du denn Erfolg bei ihr?« fragte sie weiter. Er erwiderte: »Ja, sie willigte ein.« — »Was für besondere Male hatte sie denn?« fragte die Kaufmannsfrau. Er entgegnete: »Unter der rechten Brust hatte sie eine kleine Warze.« Da fragte sie: »Wirst du jenes Mal wiedererkennen?« — »Gewiß werde ich es erkennen.« Da öffnete sie die Brust und fragte: »Warst du etwa bei



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mir?« — »Nein, nie«, antwortete er. »Warum hast du gelogen?« sprach sie und befahl, daß er ergriffen und in Stücke gehauen würde. Dann wandte sie sich zu ihrem Gemahl. »Warum hast du mich denn damals nicht gefragt?« Der erwiderte: »Ich war töricht und war erregt.« Da gebot sie: »Nehmt ihn und zählt ihm 25 auf, damit er zur Vernunft kommt.« Dann legte sie die kaiserlichen Gewänder wieder ab, gab sie dem Kaiser zurück und sprach: »Du bist der Kaiser, und ich will deine Kaiserin sein.«


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