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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


41. Die Katze'

Es war einmal ein Kaiser, und dieser Kaiser hatte so viel Geld, daß er nicht wußte, was er damit anfangen sollte. Und doch war er bei all dem Reichtum nicht glücklich, denn er hatte keine Kinder. Darum sprach er zu seiner Gemahlin:



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»Mein Weib, du weißt, was uns bedrückt.« — »Mein lieber Gemahl«, antwortete sie, »laß mich, ich möchte eine Spazierfahrt machen.« — »Warte noch ein wenig, ich will dir ein Schiff bauen lassen.« Und der Kaiser gab Befehl, ein so schönes Schiff zu bauen, wie es kein anderes auf Erden gäbe. Eher hätte man in die Sonne schauen können, ohne geblendet zu werden, als auf das Schiff, so schön war es. Und als es fertig war, sagte der Kaiser zu seiner Gemahlin: »Meine Liebe, morgen kannst du abfahren, das Schiff steht bereit.« Und er gab der Kaiserin noch auf den Weg: »Wenn du nicht guter Hoffnung zu mir zurückkommst, wird deines Bleibens bei mir nicht mehr sein, dann komme nicht wieder vor meine Augen.« Nun fuhr sie weit übers Meer. Sie hatte nur zwei Dienerinnen bei sich, und während der langen Fahrt von zwei Monaten bekam sie außer diesen beiden nicht ein einziges menschliches Wesen auf dem Meere zu sehen. Eines Tages fiel ein starker Nebel, und es erhob sich ein heftiger Sturm und warf das Schiff hin und her. Als der Morgen dämmerte und Nebel und Sturm sich gelegt hatten, erwachte die Kaiserin und erblickte in der Ferne einen großen Palast auf dem Meere. Da kamen auch die beiden Dienerinnen aufs Deck herauf, und die Kaiserin zeigte ihnen das große Gebäude. »Schaut dort den großen Palast.« Da die Vorräte an Bord zur Neige gingen, legte das Schiff vor dem Palast an. Alsbald kamen zwei Dienerinnen aus dem Palast, und die Kaiserin fragte sie: »Wer wohnt hier?« Es wurde ihr geantwortet, daß die Mutter Gottes hier wohne. Als sie das hörten, wagten die Dienerinnen der Kaiserin nicht, in den Hof einzutreten. Doch die Kaiserin schritt selbst hinein und erblickte einen Apfelbaum mit goldenen Äpfeln, und es gelüstete sie, einen solchen Apfel zu essen. »Wenn ihr mir nicht einen solchen Apfel stehlt, sterbe ich«, sagte sie zu ihren beiden Dienerinnen. Da versuchten die Dienerinnen, an den Apfelbaum heranzukommen, aber der Wache wegen, die den Baum umgab, gelang es ihnen nicht. Die Kaiserin wurde daraufhin



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schwerkrank. Da warteten die Dienerinnen, bis die Wache sich schlafen legte. Dann liefen sie geschwind zu dem Apfelbaum und stahlen einen Apfel und brachten ihn, so schnell sie konnten, der Kaiserin. Und siehe da, als die Kaiserin den Apfel gierig verschlang und sich übergab, da war ihr plötzlich, als ob sie schon sechs Monate guter Hoffnung wäre. Vor Freude wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie sagte: »Laßt uns gleich nach Hause fahren, denn es hat sich mein sehnlichster Wunsch erfüllt.« Die Mutter Gottes hatte sich indessen erhoben und hatte bemerkt, daß ein Apfel, einer der schönsten, von ihrem Apfelbaume fehlte. »Wer hat mir einen Apfel von meinem Baume gestohlen?« rief sie und stieß eine Verwünschung aus: »Wenn ein Mädchen durch den Genuß des Apfels geboren wird, so soll es so schön wie die Sonne werden. In die Sonne wird man schauen können, ohne geblendet zu werden, auf sie nicht. Aber in ihrem siebzehnten Lebensjahre soll sie zur Katze werden, dazu verhelfe Gott! Mitsamt dem ganzen Palast soll sie so lange verzaubert bleiben, bis eines Tages ein Kaisersohn kommen und der Katze den Kopf abschlagen wird; erst dann soll das ganze Gesinde des Hofes wieder zu Menschen werden; und bis dahin muß das Mädchen Katze bleiben.«

Als die Kaiserin nach Hause zu ihrem Gatten kam und dieser sie guter Hoffnung sah, war er außer sich vor Freude. Und als die Zeit da war, wo sie gebären sollte, da kam ein so schönes Mädchen zur Welt, daß alle Welt ihre Freude an ihm hatte. In die Sonne konntest du schauen, ohne daß sie dich blendete, aber wenn du das Mädchen anschautest, wurdest du geblendet von seiner Schönheit. In dem Maße wie ein gewöhnliches Kind in einem Jahre wuchs, wuchs dieses an einem Tage. Die Zeit verging, und das Mädchen wurde siebzehn Jahre alt. Während es mit seinem Vater eines Tages beim Mittagsmahle saß, verwandelte es sich plötzlich in eine Katze und verschwand mitsamt dem ganzen Hofgesinde.

Nun lebte in einem entfernten Lande ein Kaiser, der hatte



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drei Söhne. Seine Gemahlin war ihm gestorben, und er hatte sich ganz dem Trunke ergeben. Da er seine Kinder los sein wollte, rief er sie alle drei zu sich und sagte zu ihnen: »Ich will euch Dienstleistungen aufgeben. Wer von euch ist imstande, mir Leinwand herbeizuschaffen, die so dünn ist, daß man hindurchblasen und sie in eine Nadel stecken kann? So soll jeder von euch mir etwas herbeibringen und mir zum Geschenke machen. Ich will sehen, wer von euch der größte Held ist.« Da machten sie sich alle drei auf, eingedenk des Wunsches ihres Vaters. Zunächst begaben sie sich zu dem großen Schlosse im Walde und veranstalteten ein Abschiedsfest, denn sie waren alle drei heute zum letzten Male beisammen. Drei Tage und drei Nächte dauerte das Gelage. Danach trennten sie sich. Ein jeder wählte sich seinen Weg, den er gehen wollte. Der Älteste ging einen Weg, auf dem er zu hungern hatte, denn es gab auf der ganzen Strecke nichts zu essen. Er hatte ein Pferd als einzigen Begleiter, und unterwegs traf er niemanden als einzig und allein ein kleines, hübsches Hündchen. Zwei Monate war er schon so geritten. Der zweite Bruder hatte einen Weg zurückzulegen, auf dem wohl er etwas zu essen hatte, aber nicht das Pferd, das er bei sich hatte. Er war schon zwei Monate geritten und hatte auf dem ganzen Wege nichts weiter gefunden als ein Stückchen Leinewand, das man tausendmal durch das Ohr einer großen Nadel ziehen mußte, wenn man es haben wollte. Der jüngste Bruder hatte auf seinem Wege einen großen, dunklen Wald zu durchschreiten. Als er mitten drin war, überraschte ihn eine Sintflut von Regen, die so stark war, daß er nicht einmal seine eigenen Finger sehen konnte. »Ach Gott, hier werde ich zugrunde gehen, hier werde ich meinen Tod finden! Ich weiß wirklich nicht mehr, wohin ich mich noch wenden soll, um ihm zu entrinnen.« Drei Tage und drei Nächte hatte es unaufhörlich so geregnet, und dabei war es stockfinstere Nacht. Und siehe, gegen Morgen des dritten Tages blitzte es einmal. Und als der Blitz die Umgebung beleuchtete, sah der junge



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Held einen Palast vor sich. »0 Gott, wie danke ich dir! Auf dem ganzen weiten Wege habe ich nicht ein einziges menschliches Wesen noch irgendein Haus gesehen, wohin ich meine Zuflucht hätte nehmen können. Ich gehe schnurstracks auf das Haus zu, was auch immer mich treffen möge, ich kann nicht mehr!« Doch das Tor des Palastes war verschlossen, und rings herum war eine hohe Mauer aufgerichtet, die so hoch war, daß sie bis in den Himmel ragte. »Ach, ich sterbe vor Hunger«, schrie er in die Einsamkeit hinein. Aber niemand hörte ihn. Als er an dem Tor emporblickte, da sah er zu seinem großen Erstaunen eine Fleischkeule hängen und dachte bei sich: »Ich hole mir die Keule, ich bin hungrig, seit einem Monat habe ich nichts gegessen.« Jene Fleischkeule aber war in Wirklichkeit gar kein Fleisch, sondern bestand aus kostbaren Steinen und war einer Keule nachgebildet. So gut er es vermochte, versuchte der junge Held die Mauer emporzuklimmen. Als er nach langen Mühen endlich oben war, blieb er mit dem Fuße an dem vermeintlichen Fleische hängen und konnte nicht wieder los. Doch nachdem er sich von dem Schreck wieder ein wenig erholt hatte, hörte er eine Glocke läuten, und vor lauter Furcht ließ er sich hinunterfallen. In dem Augenblick, als er unten ankam, öffnete sich das Tor, aber er sah niemanden. Er erblickte nur eine Hand, die das Tor geöffnet hatte. Er trat in den Hof ein und dachte bei sich: »Ich will es wagen, was auch immer mich treffen mag!« Doch soviel er sich umschaute, er sah keine einzige Menschenseele. Er ging in den Palast hinein und guckte in ein Zimmer, doch er sah nichts weiter als einen einzigen Tisch, einen Leuchter und ein Bett. »Da trete ich ein«, sagte er, »da will ich mich ausruhen, denn ich bin vom Regen ganz durchnäßt.« Als er nun in das Zimmer getreten war und sich ein wenig auf die Bettstatt setzen wollte, da erschienen plötzlich zehn Hände, die nach dem jungen Helden griffen, ihn fürchterlich zurichteten und ihm die Kleider vom Leibe rissen. Er wußte nicht, woher die Hände kamen, er sah ja niemanden; er sah



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immer nur Hände. In seiner Not schrie er: »0 Gott, wer ist das nur, der mich so sehr schlägt?« Und siehe da, die Hände ließen ab von ihm, als er splitternackt war und keinen Fetzen seiner Kleidung mehr am Leibe hatte. Wie er sich so betrachtete, stand plötzlich eine Portion Essen vor ihm, und Kleider lagen für ihn zum Umkleiden bereit. Er stürzte sich sofort über das Essen, denn er hatte großen Hunger, und aß gierig, bis er völlig satt war. Nun hatte er wieder guten Mut und vergaß die Schläge, die er bekommen hatte. Am zweiten Tage trat er in eine andere Kammer, er wollte doch ein zweites Mal den Hieben, die er wieder zu bekommen fürchtete, entrinnen. Doch auch hier erging es ihm wie am Vortage. Wieder waren die Hände da und rissen ihm die Kleider vom Leibe. Wieder reichte man ihm Essen, und wieder erhielt er neue Kleider. Am dritten Tage gab die Kaiserin einer ihrer vielen Katzen Befehl, daß man den jungen Helden in den großen Prunksaal führen solle, der über und über mit Gold verziert war. Alles, was darin war, bestand aus purem Golde. Wieder kamen die zehn Hände. Diesmal brachten sie ein Gewand von reinstem Golde. Sie legten es dem jungen Helden an und führten ihn in den Prunksaal. Als er in den Saal trat, sah er weiter nichts als hundert Katzen, die wunderbar sangen und musizierten. Der junge Held wurde auf einen Thron von reinstem Golde gesetzt. Als er bei sich dachte: »Jetzt weiß ich wirklich nicht, wer die Herrin hier ist«, da fand er sich vor einem wunderhübschen kleinen Kätzchen, das in einem goldenen Korbe lag. Der Kaiserin der Katzen gefiel der junge Held, und gegen Mitternacht, als das große Fest bald vorüber war, erhob sich die Katze aus dem Korbe und sagte: »Von heute ab bin ich nicht mehr eure Herrin. Dieser ist euer Herr.« Da kamen alle Katzen gelaufen und küßten ihm die Hand und riefen: »Du sollst leben, unser Herr!«

Der Ball war zu Ende, alle Festteilnehmer waren nach Hause gegangen. Die Kaiserin der Katzen hatte den jungen Helden an der Hand genommen, ihn umarmt und ihn mit



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in ihre Kammer geführt und dort hatte sie ihn gefragt: »Mein lieber Held, zu welchem Zwecke bist du zu mir in meinen Palast gekommen?« Da sagte er: »Gute, liebe Katze, Gott führt den Menschen auf den verschiedensten Wegen, mich hat mein Vater geschickt, daß ich ihm hundert Meter Leinwand herbeischaffe, die so dünn sein soll, daß man hindurchblasen und sie in eine Nadel stecken kann. Ich bin aufgebrochen, diese Leinwand zu suchen.«

Seine beiden anderen Brüder waren schon nach Hause zurückgekehrt. Sie hatten geschworen, ein Jahr auszubleiben und aufeinander zu warten. Doch als sie sahen, daß ihr Bruder nicht zurückkam, waren sie nach Hause gegangen. Der Älteste brachte das kleine Hündchen mit, das er auf seinem Wege gefunden hatte. Da freute sich der Vater.

Der mittlere Bruder brachte hundert Meter Leinwand, die durch eine große, dicke Nadel ging. Da fragte ihn sein Vater, wo sein jüngerer Bruder wäre. Er antwortete: »Vater, ich habe ihn nicht gesehen, seitdem wir uns getrennt haben. Er ist einen Weg gegangen, von dem er wohl nicht wieder zurückkehren wird.« Da glaubte sein Vater, daß er gestorben wäre, er weinte, und es tat ihm sehr leid.

Doch siehe, der jüngste Bruder war immer noch bei der Katze. Diese fragte ihn eines Tages: »Mein Lieber, willst du denn nicht einmal nach Hause? Das Jahr ist nun um, wo ihr Brüder euch sehen wolltet.« —»Nein, nein, ich gehe nicht wieder nach Hause, was soll ich denn zu Hause, ich habe zu Hause nichts mehr zu suchen, hier ist mein Heim, hier bleibe ich bis an mein seliges Ende!« —»Nein, das darfst du nicht«, erwiderte die Katze, »wenn du hierbleiben willst, mußt du erst einmal wieder zu Hause gewesen sein und deinem Vater gebracht haben, was du versprochen hast.« Da fragte der junge Held: »Aber wo finde ich denn so dünne Leinwand mit einem so feinen Faden?« Die Katze beruhigte ihn, das solle sein geringster Kummer sein, darum brauche er sich nicht zu sorgen. Da fragte der Held: »Sag mir, mein gutes



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Kätzchen, ist es wahr, daß drei Tage bei dir soviel sind wie ein Jahr?« — »Jawohl, noch mehr; von dort, von wo du gekommen bist, bis zu mir sind es neun Jahre.« Der junge Held traute seinen Ohren nicht und fragte ganz erstaunt: »Aber wie ist das möglich, daß morgen sich meine Trennung von meinen Brüdern jährt, warum soll ich denn da noch nach Hause gehen, wenn es noch neun Jahre dauert, bis ich nach Hause komme?« Da sagte die Katze zu ihm: »Gib mir mal die Lederpeitsche her, die dort an der Wand hängt, die Feuerpeitsche!« Sie nahm sie, knallte dreimal damit in drei Richtungen, und siehe da, es kam sofort ein Blitzwagen. Sie stiegen ein, und als der Held dreimal knallte nach drei Richtungen, rief eine Stimme, der Wagen solle sich niederlassen. Und im Nu ließ sich der Wagen vom Himmel herab. Da fragte ihn die Katze: »Bist du bereit?« — »Jawohl, ich bin bereit«, erwiderte er. »Nun, dann nimm noch diese Nuß mit nach Hause, aber daß du sie nicht aufmachst, ehe du zu Hause angekommen bist. Erst wenn du bei deinem Vater angelangt bist, knacke diese Nuß auf und gib ihm die Leinewand, die er sich erbeten hat.« Und wie der Wagen so aus heiterem Himmel herniederkam, erschraken seine Brüder und sein Vater gar sehr, sie glaubten, das Jüngste Gericht wäre angebrochen. Er sah seinen Vater, seine Brüder wieder, die sich jedoch ärgerten, daß er zurückgekehrt war. Sein Vater fragte ihn: »Hast du mir das mitgebracht, was ich von dir verlangt habe, mein Sohn?« — »Jawohl, Vater, ich habe es dir mitgebracht.« Bei diesen Worten zerschlug er die Nuß. Und siehe da, in der Nuß fand er ein Maiskorn, er zerschlug das Maiskorn und fand darin ein Weizenkorn. Als er das sah, ärgerte er sich und glaubte, die Katze habe ihn schmählich betrogen. Er rief aus: »Zum Teufel mit der Katze, sie hat mich wohl gar hinter das Licht geführt.« Kaum waren diese Worte seinem Munde entronnen, als er an seiner Hand eine Kralle fühlte, und als er näher hinschaute, entdeckte er, daß seine Hand mit Blut bedeckt war. Da zerschlug er das Weizenkorn



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und fand darin ein Samenkorn der Rade, eines Unkrauts, das am Wege wächst. Endlich zerschlug er auch noch dieses Samenkorn und siehe, da holte er hundert Meter ganz dünner, feiner Leinewand heraus. »Ich verbeuge mich vor dir, Vater, ich habe meinen Dienst ausgeführt.« — »Bravo, mein Sohn, du sollst leben, du verdienst die Krone zu tragen, werde an meiner Statt Kaiser«, rief der Vater, doch der junge Held erwiderte: »Nein, Vater, ich habe schon meine Reichtümer, ich habe schon ein Kaiserreich, ich habe zu leben, ich werde dorthin wieder zurückgehen, von wo ich gekommen bin.« Da sagte ihm sein Vater: »Nein, mein Sohn, das ist nicht möglich, das darfst du nicht eher, als bis jeder von euch sich ein Mädchen zur Frau geholt hat. Ich will doch auch sehen, wen ihr nehmt. Nun gut, ich will dann so entscheiden: Wer von euch das schönste Mädchen heimführt, der soll Kaiser an meiner Stelle werden.« — »Gut, wir sind einverstanden«, sagten die Brüder. Und sie brachen auf und suchten sich eine Frau, der jüngste Bruder aber setzte sich wieder in den Feuerwagen und fuhr zur Katze zurück. Bei seiner Ankunft fragte ihn die Katze: »Nun, was hast du ausgerichtet?« Da erzählte er nun, daß er die Leinewand seinem Vater gegeben, daß ihm dieser dafür die Krone des Landes aufsetzen wollte, daß er jedoch erwidert habe, er brauche sie nicht, und daß nun ein jeder ausgeschickt sei, sich eine Frau zu suchen. Die Schönste solle die Krone des Landes tragen. Die Katze hörte aufmerksam zu, sagte aber zu alledem kein Sterbenswörtchen. Der junge Held lebte mit der Katze weiter einen Monat zusammen, ohne daß sie auch nur diese Angelegenheit berührte. Da sagte sie eines Tages: »Nun, willst du denn jetzt nicht wieder nach Hause?« — »Ach, wozu soll ich denn nach Hause gehen, ich habe doch gar keine Veranlassung.« Mit der Zeit waren beide ineinander verliebt. Da fragte der junge Kaisersohn eines Tages die Katze: »Warum bist du eigentlich eine Katze?« Doch sie erwiderte ihm: »Frag mich jetzt noch nicht, ein ander Mal, mir ist es verhaßt, auf der Welt zu



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leben, gehen wir lieber gemeinsam zu deinem Vater nach Hause.« Wieder nahm sie die Lederpeitsche. Der Held eilte sofort herbei. Wieder knallte sie dreimal nach drei Richtungen, worauf wieder der Feuerwagen erschien. So gelangte er zu seinem Vater. Seine Brüder waren schon da und freuten sich, als sie sahen, daß ihr jüngster Bruder allein kam und keine Gemahlin mit nach Hause gebracht hatte. Als das sein Vater sah, fragte er ihn: »Nun, du hast dir keine Gemahlin genommen, du hast dich nicht verheiratet, oder wer ist deine Gemahlin?« Da zeigte der junge Kaisersohn auf die Katze und sagte: »Diese hier ist es! Dieses Kätzchen hier!« Die Katze saß in dem goldenen Körbchen. »0 wehe, was willst du denn mit der Katze, sprichst du denn nicht mit ihr?« Die Katze ärgerte sich so sehr über diese Worte, daß sie aus dem Körbchen sprang und in ein anderes Zimmer entschlüpfte. Sie überschlug sich hier und verwandelte sich in ein wunderschönes Mädchen, das so schön war, daß du wohl in die Sonne blicken könntest, aber auf ihre Schönheit nicht, ohne geblendet zu werden. Als sie aus dem Zimmer trat, ging sie auf den jungen Kaisersohn zu und nahm ihn in ihre Arme. Als dies der Vater und die Brüder sahen, waren sie ganz versteinert. Der Vater war so begeistert von dem schönen Mädchen, daß er zu seinem Sohne sagte: »Wahrlich, du hast dir die schönste Gemahlin ausgesucht, du sollst Kaiser werden, sei du Herr über mein ganzes Kaiserreich.« Doch das Mädchen konnte nicht lange in diesem Zustande verharren. Während der Held zu seinem Vater sagte: »Nein, Vater, das geht nicht, ich habe schon ein Kaiserreich und eine Krone, gib beides meinem ältesten Bruder«, überschlug es sich einmal und wurde wieder zu einer Katze und legte sich in ihr goldenes Körbchen. Der Kaiser aber nahm die Krone und setzte sie seinem ältesten Sohne aufs Haupt. Der junge Held verließ nun mit der Katze wieder seinen Vater. Er war aber ein wenig erzürnt, weil sie nicht ein so hübsches Mädchen geblieben war. »Ach, mein Lieber, ich werde dir später einmal



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sagen, warum ich das nicht vermag, auf mir lastet nämlich ein Fluch.« So kamen sie wieder in ihr Reich und lebten wie vorher. Eines Tages ging der junge Held auf die Jagd. Währenddessen wetzte die Katze zwei große Jatagane 1 scharf. Als er von der Jagd nach Hause kam, setzten sie sich an den Tisch und aßen zusammen. Nachdem sie gegessen hatten, gingen sie in ihre Kammer, plauderten und hielten Zwiesprache. Nach einer Weile stellte sich die Katze krank. »Was hast du, meine Liebe«, fragte er sie. »Ach, ich bin sehr krank. Wenn du mich lieb hast und mir Gutes tun willst, dann haue mir den Schwanz ab! Er ist zu groß und auch zu schwer, ich kann ihn nicht mehr tragen.« Da fing der junge Held an zu jammern: »Nein, du darfst nicht sterben, lieber will ich sterben, ich habe eine Salbe, mit der werde ich dich wieder heilen.« Da sie nun immer mehr in ihn drang, er solle ihr doch den Schwanz abschneiden, tat er es endlich doch ihr zu Gefallen: er hieb ihr den Schwanz ab. Und siehe da, was geschah mit ihr? Sie verwandelte sich in ein Mädchen, aber nur zur Hälfte. Bis zur Hüfte war sie ein Mädchen, zur anderen Hälfte aber blieb sie eine Katze. Als der Held dies sah, freute er sich gar sehr, doch die Katze ließ nicht ab mit Bitten. Sie wolle nicht mehr auf dieser Welt leben, sie sei des Lebens, das sie bisher geführt habe, überdrüssig. »Ich bitte dich, haue mir doch den Kopf ab! Du sollst auch alles, was du hier siehst, das ganze Kaiserreich, haben.« — »Wie kannst du von mir verlangen, daß ich dir den Kopf abschlage?« — »Wenn du mich lieb hast und du mir ein Liebes tun willst, dann haue mir den Kopf ab!« So vielem Bitten und Drängen konnte er nicht widerstehen. Er nahm den andern Jatagan und schlug ihr den Kopf ab. Und siehe da, in demselben Augenblick verwandelte sich die Katze in ein wunderschönes Mädchen, und alle Katzen, die im Palaste waren, wurden wieder Menschen, und die ganze Stadt wurde wieder so, wie sie gewesen war. Und alle Welt rief: »Hoch lebe unsere Kaiserin!« Da nahm



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der junge Kaisersohn das hübsche Mädchen und herzte und küßte es. Sie aber sagte ihm: »Von nun an bist du mein Gemahl, denn ich war bisher verflucht von der Mutter Gottes so lange, bis sich ein Kaisersohn fand, der mir den Kopf abhieb, und das warst du. Nun laß uns jetzt zu deinem Vater gehen, doch nimm dich vor deinen Brüdern in acht, sie trachten dir nach dem Leben.« Als die beiden zu seinem Vater kamen, da wußte der gar nicht, was er vor Freude tun sollte. Und noch mehr entbrannte sein Herz für die schöne Gemahlin seines Sohnes. Da versuchte er, seinen Sohn zu töten, um in den Besitz des schönen Mädchens zu kommen, und sagte eines Tages zu ihm: »Gehe auf die Jagd, ich habe so großen Appetit auf Wildbret.« Als der Kaiser nun so mit der schönen Frau allein war, ging er zu ihr ins Zimmer. Auf dem Wege zu ihr lief ihm eine Katze über den Weg. Er sagte seiner Schwiegertochter, sie solle ihn doch lieb haben, doch da gab sie ihm eine tüchtige Ohrfeige. »Was glaubst du denn, wer ich bin, du alter Tolpatsch?« rief sie, und als ihr Gemahl nach Hause kam, erzählte sie ihm, was ihr sein Vater angetan hatte. »Sogleich müssen wir von hier fort, wir kehren nach Hause zurück!« Der Sohn stellte sich freundlich zu seinem Vater und tat so, als habe ihm seine Gemahlin nicht davon erzählt, und sagte: »Es ist schön von dir, daß du mit meiner Gemahlin plauderst.« Sein Vater aber wollte ihn zwingen und drohte ihm: »Wenn du mir nicht jene da hier läßt, so werde ich dich aufhängen lassen.« — »Wenn ich bis heute abend sterben soll, so wisse, läßt mich meine Gemahlin nicht sterben.« Da gab sein Vater Befehl, daß man seinen Sohn einsperren solle mitsamt seiner Gemahlin. Als das die beiden erfuhren, flohen sie. Seinem Vater aber rief er noch zu: »Damit du es weißt, Vater, noch eine kurze Weile, und meine Gemahlin wird dich bestrafen!« Als die beiden wieder in ihr Reich kamen, hoben sie ein großes Heer aus und erklärten ihrem Vater den Krieg, um sich an ihm zu rächen. Was sollte da der alte Kaiser tun? Wohl oder übel mußte er sich mit



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dem Kaiser der Katzen schlagen. In drei Tagen hatte er schon sein Heer beisammen; doch der Sohn schlug seinen Vater und vernichtete sein ganzes Heer. Nur der Vater allein blieb übrig. Als er sah, daß er verloren war und keine Kräfte mehr hatte, sagte er zu seinem Sohn: »Verzeihe mir, mein lieber Sohn, in meinem ganzen Leben habe ich keinen Fehltritt getan, richte gerecht! Du wirst mein Kaiserreich mit Gerechtigkeit regieren. Woher ich gekommen bin, habe ich dir erzählt.«


Copyright: arpa, 2015.

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