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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


35. Die drei Brüder und die wilden Pferde

Es waren einmal drei Brüder, die besaßen gemeinsam eine Wiese. Doch niemals konnten sie von ihrer Wiese Heu ernten. So sehr sie sich auch bemühten, sie konnten nicht herausbekommen, wer das Heu stahl oder auf welche Weise das Heu verschwand. Da sagten sie: »Wir wollen doch einmal zusehen und selber aufpassen.« Da ging der älteste Bruder auf die Wiese, und er aß und trank gut und hielt dann von einem Baume Umschau. Aber er schlief ein, und es kamen drei wilde Pferde und fraßen drei Haufen Heu. Als der älteste Bruder wieder erwachte, sah er, daß nichts mehr da war, und er wunderte sich, wie das zugehen konnte, und was das wohl für eine Bewandtnis habe. »Himmeldonnerwetter, wie geht das zu?« fragte er sich. Er brach nach Hause auf, und seine Brüder fragten ihn: »Nun, wie war's?« — »Ich habe nichts ausgerichtet.« Da ging der zweite Bruder, und auch er konnte nichts ausrichten. Und als der jüngste Bruder auf die Wiese ging und aufpaßte, da ertappte und griff er die wilden Pferde, die ihn himmelhoch baten, er solle sie doch wieder freilassen. Aber er wollte ihnen durchaus nicht freien Lauf lassen. Die wilden Pferde sagten: »Was willst du denn von uns?« — »Ich will ein Pferd zum Reiten und will mir ein Mädchen holen, so schön, wie man es in der ganzen Welt nicht wieder findet.« Und damit nahm er eines und ließ dann die anderen wieder frei. Er nahm drei Haare aus der Mähne des Pferdes. Als er nach Hause kam, fingen die Brüder an, auf ihn loszuschlagen. »Wir haben nichts ausgerichtet, aber hast du denn was fertiggebracht, du Schuft?« Und sie schlugen



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sich. Aber sie vermochten ihn nicht zu töten, denn nach einiger Zeit hörte man Trommelschläge: der Kaiser gab Befehl, einen Graben zu graben von 300 Klafter Breite und 300 Klafter Länge und 300 Klafter Tiefe. Und der Kaiser sagte: »Wer über diesen Graben springt, der soll meine Tochter, die Jungfrau, zur Gemahlin haben.« Da kamen von überall her junge Burschen und versuchten über den Graben zu springen. Aber niemandem gelang es. Da kam auch jener, der die wilden Pferde ergriffen hatte, mit Namen Cheleos 1, und er sprang dreimal, einmal hinüber und wieder herüber, wieder hinüber und wieder zurück und noch einmal. Die Kaisertochter sah ihn, und sein Bild prägte sich ihr ein. Doch schon war er verschwunden, keiner wußte, wer er war. Man fragte hier, man fragte dort, heute und morgen und übermorgen, niemand konnte Bescheid geben. Da gab der Kaiser Befehl, daß man den Jüngling suche. Und sie suchten von Haus zu Haus, aber sie fanden ihn nicht. Da kam der schöne Held stolz auf seinem Pferde, schön gekleidet, gerade auf das Schloß des Kaisers zugeritten. Die Kaisertochter erblickte ihn und rief ihrem Vater zu: »Vater, da ist der Held!« Da eilten sie ihm mit Musik und dem ganzen Heer entgegen. Und der Kaiser rief ihn nach oben und fragte ihn: »Bist du es, der über den Graben gesprungen ist?« — »Ja, ich bin's.« — »Willst du meine Tochter haben?« — »Ja, ich will sie nehmen.« Da gab der Kaiser ihm seine Tochter und ließ Hochzeit machen, und bis auf den heutigen Tag sind sie dort geblieben und leben zusammen. Und auch ich war bei der Hochzeit damals, und ich habe ein großes Stück Fleisch mitgenommen.


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