Projektseite Volksmärchen Sagen Geschichten Etnologie Beriche © Arpa data
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


31. Der Tod als Geliebter

Es war einmal eine schöne junge Frau, die hatte keinen Vater und keine Mutter, auch keine Brüder und Bekannte, die waren alle schon gestorben. Sie lebte allein in einem kleinen Hause, und niemand kam zu ihr. Sie ging auch zu niemandem hin. Da kam einmal abends ein schöner Wanderer zu ihr, machte die Tür auf und rief: »Ich bin ein Wanderer und war weit in der Welt; ich will hier rasten, ich kann nicht



Zigeuner Maerchern-131 Flip arpa

mehr weitergehen.« Die junge Frau sagte: »Bleib nur hier! Ich gebe dir ein Polster zum Schlafen, und wenn du willst, auch Speise und Trank, was ich eben habe.« Der schöne Wanderer legte sich bald nieder und sagte: »Jetzt schlafe ich endlich wieder einmal, seit langem habe ich nicht geschlafen.« Die junge Frau fragte: »Sag mir, hast du seit langem nicht geschlafen?« Der Mann erwiderte: »Liebe Frau, in tausend Jahren schlafe ich nur einmal.« Da lachte die Frau und sprach: »Du scherzest, nicht wahr? Du bist ein schlimmer Mann!« Der Mann aber schlief schon, und morgens, als er aufstand, sagte er: »Du bist eine schöne junge Frau; wenn du willst, so bleibe ich hier noch eine Woche.« Die Frau willigte gerne ein, denn sie liebte schon den schönen Wanderer.

Einmal schliefen sie, und da weckte die Frau den schönen Mann auf und sagte: »Lieber Mann, höre! Ich hatte einen bösen Traum. Du warst so kalt und weiß, und wir fuhren auf einem schönen Wagen. Du bliesest in ein großes Horn. Da kamen die Gestorbenen heran und gingen mit dir; denn du warst ihr König und hattest einen schönen Tuchmantel an.« Da sagte der schöne Mann: »Das ist ein böser Traum!« Dann stand er auf und sagte: »Geliebte, ich muß gehen, denn in der Welt ist jetzt seit langem niemand gestorben. Ich muß gehen, laß mich los!« Die Frau weinte und sprach: »Geh nicht weg, bleib noch ein wenig!« Da sprach der Mann: »Ich muß gehen, behüt dich Gott!« Die Frau aber schluchzte, als er ihr die Hand reichte, und sprach: »Sag mir, wer du bist!« Da sagte der Mann: »Wer es erfährt, der stirbt; du fragst vergebens; ich sage es dir nicht, wer ich bin.« Da weinte die Frau und sprach: »Ich will alles erdulden, sag mir nur, wer du bist.« Da sagte der Wanderer: »Gut, dann kommst du mit mir, ich bin der Tod!«

Die junge Frau erschrak und starb .


Copyright: arpa, 2015.

Der Text wurde aus der Märchen-, Geschichten- und Ethnien-Datenback von arpa exportiert. Diese Datenbank wurde dank Sponsoren ermöglicht. Es würde uns freuen, wenn wir mit Ihrer Hilfe weitere Dokumente hinzufügen können.
Auch bitten wir Sie um weitere Anregungen in Bezug auf Erweiterungen und Verbesserungen.
Im voraus Dank für die Mithilfe. Spenden können Sie unter In eigener Sache

Ihr arpa team: www.arpa.ch Kontakt