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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


29. Die vier Brüder

Es lebten einmal vier Brüder, die waren gar sehr arm. Da sagte der älteste Bruder: »Ich will nicht mehr arm sein. Ich ziehe in die Welt, und wenn ich reich werde, komme ich zu euch und hole euch ab.« Der arme Bruder wanderte nun Tag und Nacht und hatte nichts zu essen. Müde kam er in einen großen Wald, der kein Ende zu haben schien, und legte sich nieder und schlief ein. Als er schlief, kam ein kleines Männchen, das hatte einen langen, weißen Bart und schrie: »Steh auf, du bist ein armer Mann und schläfst am Tage; du bist faul und willst nicht arbeiten. Steh nur auf!« Der Bruder stand auf und sagte: »Ich bin müde und habe keine Arbeit!« Das alte Männchen sprach: »Komm her in mein Haus. Ich gebe dir Speise und Trank und sehr viel Geld, Silber und Gold, wenn du weißt, was das Rätsel bedeutet, das ich dir sagen werde.« Sie gingen in den Wald hinein, und da war ein großes, schönes Haus. Sie gingen zusammen in die Wohnung des alten Männchens, und dieses sperrte eine große eiserne Tür auf und sagte: »Sieh, dies viele Gold gehört dir, wenn du mir sagst, was dies Rätsel bedeutet. Höre:

Ein Hölzchen, vier Schnürchen,

Ein Stäbchen, viel Härchen,

Sie rufen zum Tanze

Verliebte Pärchen!

Sag, was ist das?« Der Bruder sagte: »Guter Mann, ich weiß nicht, was das ist.« — »Gut«, sprach der alte Mann, »es ist die Geige; da du es nicht weißt, so bleibst du hier und wirst mein Diener.« Der arme Diener mußte jetzt schwer arbeiten, und der alte Mann schlug ihn immer. Er war sehr stark, obwohl er klein war.

Die Brüder wußten inzwischen nicht, wo ihr ältester Bruder weilte, und einmal sagte der zweite Bruder: »Unser Bruder kommt nicht, ich gehe jetzt fort, wenn ich reich werde, so



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komme ich zu euch.« Der Bruder ging auch weg und kam in den großen Wald und legte sich nieder. Als er schlief, kam das kleine alte Männchen und schrie: »Steh auf, du bist ein armer Mann und arbeitest nicht. Komm mit mir, ich gebe dir Speise und Trank und sehr viel Geld, Silber und Gold, wenn du weißt, was das Rätsel bedeutet, das ich dir sagen werde.« Sie gingen in das schöne Haus des Alten, und er sperrte die eiserne Türe auf und sprach: »Sieh, dies viele Gold ist dein, wenn du sagst, was dies Rätsel bedeutet! Höre:

Beinlos ist ein Hund und zungenlos,
Hebst ihn aber du in deinen Schoß,
Bellt und heult und klafft er fürchterlich,
Legst du nieder ihn, nicht muckst er sich!

Was ist das? Weißt du es?« — »Ich weiß es nicht«, sagte der zweite Bruder, »ich bin nicht so klug.« Da sagte der alte Mann: »Wenn du so dumm bist und es nicht weißt, so sage ich es dir: es ist die Kette! Jetzt bleibst du hier und wirst mein Diener!« Nun waren die zwei armen Brüder beim alten Männchen, und sie waren sehr unglücklich.

Die zwei anderen Brüder wußten nicht, wo ihre Brüder waren, und da sagte der dritte Bruder: »Lieber Bruder, die anderen haben uns vergessen; ich gehe fort, und wenn ich reich bin, so komme ich zu dir.« Er ging weg und kam in den großen Wald, und müde legte er sich nieder. Und als er schlief, kam wieder das alte Männchen und schrie: »Steh auf, du Faulpelz! Du bist ein armer Mann und schläfst, anstatt zu arbeiten! Steh auf, komm her! Ich gebe dir Speise und Trank und viel Geld, wenn du weißt, was das Rätsel bedeutet, das ich dir sagen werde.« Sie gingen in das schöne Haus des alten Männchens. Dieses sperrte die eiserne Tür auf und sprach: »Sieh, dies gebe ich dir, wenn du weißt, was dies Rätsel bedeutet! Höre:

Zwischen zwei Bergen bellt ein stinkiger Hund
Laut in dem dunklen, finstren Waldesgrund!



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Sag, was ist das?« »Ich weiß es nicht«, sagte der Bruder, »ich habe nicht viel gelernt und bin nicht so klug wie du. Du bist alt, ich aber bin noch jung und weiß nicht viel.« — »Gut«, sagte der Alte, »wenn du es nicht weißt, so sage ich es dir: es ist der F. . z.« Da lachte der Bruder, aber der alte Mann sprach: »Lache nicht, denn du wirst noch weinen. Du wirst mein Diener!« Und der arme Bruder wurde nun wie die zwei anderen Brüder Diener des alten Mannes. Und sie waren sehr unglücklich.

Da dache der vierte, der jüngste Bruder: »Die Brüder sind fortgegangen und haben mich vergessen, ich gehe in die Welt.« Er hatte drei Tiere, das waren ein Bär, ein Wolf und ein Fuchs. Diese liebte er sehr, und sie liebten ihn auch und gingen mit ihm. Sie kamen in den Wald, und der junge Bruder sagte: »Geht, meine Freunde, und sucht euch Speise, aber wenn ich pfeife, so kommt sogleich zu mir!« Sie gingen weg, und er legte sich nieder und schlief. Da kam der alte Mann und schrie: »Du, Mann da, nicht schlafen, steh auf und arbeite!« Der Bruder stand auf und sprach: »Was willst du?« — »Komm«, sprach der alte Mann, »ich gebe dir Speise und Trank und viel Geld, Silber und Gold, wenn du mir sagst, was das Rätsel bedeutet, das ich dir sagen werde.« Sie gingen in das große, schöne Haus des alten Männchens, dieses sperrte die eiserne Tür auf und sprach: »Dies viele Silber und Gold gebe ich dir, wenn du sagst, was das Rätsel bedeutet:

Graue endlos lange Leinewand
Breitet man durchs ganze Land.

Was ist das?« Der junge Mann sagte: »Das sind die Wege, die im Lande sind.« — »Gut«, sagte der alte Mann, »du bist klüger als deine Brüder, du sollst auch mein Diener sein. Deine Brüder sind schon meine Diener.« — »Ich will nicht«, sagte der jüngste Bruder, »gib mir dein Gold!« Der alte Mann wollte ihm das Gold nicht geben und schlug ihn. Da pfiff er, und es kamen der Bär, der Wolf und der Fuchs und



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zerrissen den alten Mann. Den vier Brüdern aber gehörte das viele Geld, Silber und Gold, und sie waren nun reiche und große Herren


Copyright: arpa, 2015.

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