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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


18. Der gestohlene Ochse

Es war einmal ein Bojar und ein armer Bauer. Der arme Bauer hatte zwölf Kinder. Er wußte aber nicht, wie er sie ernähren sollte. Drum bettelte er von den Bauern so lange, bis ihm die Bauern nichts mehr gaben. Dann saß er wieder leer da. Er hatte nun nichts mehr, was er seinen Kindern zu essen geben konnte. Was tat er nun vor Kummer? Er ging ins Dorf, stahl einem Bojaren einen Ochsen und schlachtete ihn. Seinen Kinderchen schmeckte das Fleisch ganz gut. Frühmorgens kam der Herr, dem der Ochse gehörte, und suchte seinen Ochsen. Und während er so suchte und suchte, traf er unterwegs die Kinder, die ihm den Ochsen aufgezehrt hatten. Und er fragte die kleinen Kinder: »Kinder, was macht ihr hier?« — »Wir spielen.« — »Aber gestern abend, da wolltet ihr doch vor Hunger sterben und schriet.« Da sagten die Kinder: »Unser Vater ist auf den Hof gegangen und hat einen Ochsen gestohlen und hat ihn geschlachtet, und wir haben ihn bis zur Hälfte aufgegessen, und die Hälfte ist noch übrig geblieben, und der Vater hat sie in ein Fell gesteckt und auf den Boden getragen.« Der Bojar rief den Alten, der den Ochsen gestohlen hatte: »He, Alter, warum hast du meinen Ochsen geschlachtet?« — »Warum sollte ich ihn nicht schlachten? Ich habe Hunger gehabt und wußte nicht, wie ich meine Kinder ernähren sollte.« — »Dann bezahle mir auch meinen Ochsen.«



Zigeuner Maerchern-088 Flip arpa

— »Aber was soll ich dir denn geben für deinen Ochsen, ich habe doch kein Geld. Ich gebe dir ein Kind, das dir sieben Jahre dienen soll.« Und er gab ihm ein Kind, das ihm sieben Jahre dienen sollte, um damit den Ochsen zu bezahlen. Das Kind wurde immer größer und so tüchtig wie ein Held und ging mit seinem Herrn auf die Jagd. Doch als die sieben Jahre um waren, ging es nach Hause zu seinem Vater. Der Bojar gab ihm ein Schriftstück mit, in dem stand: wenn er heirate, solle er den Bojaren rufen. Denn der Bojar wollte ihn trauen. »Wenn du mich nicht benachrichtigst, haue ich dir den Kopf ab.« Auf seinem Heimweg traf er ein Waldungeheuer in Gestalt einer Schlange. In ihrem Maule hielt sie einen Hirsch. Neun Jahre lag der Hirsch schon in dem Schlangenmaule, denn die Schlange konnte den Hirsch wegen der Hörner nicht verschlingen. Doch die Schlange war keine wirkliche Schlange, sondern ein Kaisersohn. Als sie den schönen Knaben sah, sagte sie: »Den hat mir Gott geschickt.« — »Junge«, sprach sie zu ihm, »ziehe die Hörner des Hirsches nach vorn und reiße sie ab, damit ich ihn verschlinge. Neun Jahre halte ich ihn schon in meinem Maule.« So tat es auch der Junge, er zerschlug das Geweih, und die Schlange fraß ihn. »Nun, mein Lieber, lege mir ein Band um den Hals und führe mich zu meinem Vater. Denn er weiß nichts mehr von mir.« Da führte er sie zum Vater der Schlange, der ihn für seine Tat bezahlte.

Von dort bin ich gekommen und habe euch dies erzählt.


Copyright: arpa, 2015.

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