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Zigeunermärchen

Herausgegeben von Walther Aichele und Martin Block

EUGEN DIEDERICHS VERLAG


16. Die drei Kaisertöchter und der Teufel

Es war einmal ein Kaiser, der hatte kein einziges Kind. Erst im Alter wurden ihm drei Mädchen geboren. Weil sie so schön waren, kam der Teufel und nahm ihm alle drei Mädchen. Währenddessen hatte sich der Kaiser nämlich um die Tochter der Schlange geschlagen, bis ihm die eine Hälfte des Schnurrbarts und des Kopfes ganz weiß wurde, nur wegen der Tochter der Schlange. Da verging die Zeit, und er hatte immer noch kein Kind, denn die Mädchen hatte ihm der Teufel geholt. Er sann jetzt nach und sagte zur Kaiserin: »Was soll ich bloß machen, Frau? Ich gehe drei Jahre lang weg; wenn ich wiederkommen werde, will ich ein Kind von dir vorfinden, und wenn ich über Jahresfrist keines finde, werde ich dich töten.« Und er machte sich auf den Weg und ging ein ganzes Jahr. Seine Frau sann und sann, und wie sie



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so an ein Kind dachte, fand sie einen Mann mit Äpfeln: »Wer von diesen Äpfeln essen wird, wird schwanger.« Da ging sie hin und nahm einen Apfel und aß ihn, und wirklich wurde sie schwanger. Es kam die Zeit, daß sie gebären sollte, und wirklich gebar sie ein Kind, dem sie den Namen Cosma gab. Da kam der Kaiser über Nacht und fragte sie, ob sie die Bedingung erfüllt habe. Sie sagte: »Ich habe dein Wort erfüllt.« Da trat er hinein ins Haus, und als er sein Kind sah, da war sein Herz voller Freude. Der Knabe sollte nun auch heiraten, denn die Zeit war mittlerweile gekommen. Der Vater starb. Der Sohn fühlte sich so kräftig und stark, daß er den ganzen Hof auf seinen kleinen Finger setzen und in die Höhe heben konnte. Da kam er eines Tages von der Jagd, hob den Grundpfeiler des Hofes ein wenig in die Höhe und rief seine Mutter, daß sie die Brustwarze unter die Schwelle des Hofes legen solle. Die Mutter tat, wie ihr befohlen, und der Sohn klemmte ihre Brust unter den Balken, so daß sie vor Schmerz aufschrie. Da sagte der Knabe zu ihr: »Mutter, sage mir jetzt, warum war der Schnurrbart meines Vaters weiß?« Sie sagte: »Höre, dein Vater hat sich neunmal um die Tochter der Schlange geschlagen und hat sie nicht bekommen.« Da fragte er sie weiter: »Habe ich denn keine Brüder?« — »Nein«, sagte sie, »du hast keine Brüder, aber du hattest drei Schwestern, die hat der Teufel geholt.« Er fragte weiter: »Wohin hat er sie denn entführt?« Da antwortete sie, daß er sie dorthin geführt habe, wo die Sonne untergehe. Da nahm der junge Held den Sattel und den Zügel seines Vaters, sattelte seines Vaters Pferd und brach auf, um seine Schwestern zu suchen, und gelangte zu den Häusern, wo seine Schwestern wohnten, und schleuderte die Keule, daß die Pflaumenbäume davon zersplitterten. Da kam eine Schwester heraus und fragte ihn: »Warum hast du die Pflaumenbäume zerschmettert? Der Teufel wird gleich zurückkommen und dich töten.« Darauf sagte er: »Komm lieber heraus, an-1



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statt mir Vorhaltungen zu machen, und gib mir einen Schluck Wein und ein Stück Brot.« Und sie kam mit Wein und Brot. Und indem sie ihm Brot und Wein in die Hand gab, blickte sie auf das Pferd ihres Vaters und erkannte es wieder. Sie sagte: »Mir scheint, dieses Pferd gehört meinem Vater.« — »Ja, und vernimm, ich bin der Sohn deines Vaters.« Da fielen sie sich beide ohnmächtig in die Arme. Darauf sagte sie ihm: »Mein Bruder, der Teufel kommt von zwölf Ländern her, und sowie er kommt, wird er dich umbringen.« Und er kam und warf die Keule und schloß zwölf Türen auf und hängte sie an den Nagel. Dann nahm er die Keule wieder in die Hand und trat ins Haus ein. Der Teufel aber sagte: »Frau, ich rieche Menschenfleisch.« Doch sie verwandelte ihren Bruder in einen Ohrring und steckte ihn sich ins Ohr. Darauf sagte sie zu ihm: »Du verspeist alle Sorten Fleisch und bist wohl gekommen und willst mich fressen, denn ich bin ja auch ein menschliches Wesen.« Da sagte er zu ihr: »Lüge nicht. Es ist mein Schwager gekommen, nicht wahr?« — »Nun, wenn wirklich dein Schwager gekommen wäre, würdest du ihn fressen?« Da sagte er zu ihr: »Nein, ich fresse ihn nicht.« — »Schwöre bei deinem Schwert, daß du ihn nicht fressen wirst.« Da nahm sie den Ohrring vom Ohr und führte ihn zu Tisch und aß mit ihm zu Mittag. Da tat der junge Held, als ob er einmal hinausginge, und zog am Knöchel des Pferdes und versteckte sich dort. Da erhob sich der Teufel und durchstreifte das ganze Land. Aber seinen Schwager fand er nicht. Und er ließ sein Horn ertönen. Auf diesen Ruf hin versammelten sich alle Vögel auf dem Pferde und durchsuchten sogar das ganze Fell des Pferdes. Auch der Teufel suchte. Und als er daran war, dem Pferde die Knöchel zu untersuchen, fingen die Hähne an zu krähen, und plumps! da fiel er herunter. Und Cosma kam heraus und ging auf ihn zu: »Guten Tag, Schwager.« Darauf fragte ihn der Unhold: »Wo warst du denn?« — »Ich war vorhin mit dem Pferd im Heu.« Da sagten sie sich Lebewohl und nahmen Abschied. Er aber eilte zu



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den anderen Schwestern und machte es ebenso wie bei der ersten und ließ sich in einen Ring verwandeln. Da fragte ihn die kleine Schwester: »Wo willst du denn hin, Bruder?« — »Ich will die weiße Stute hüten, um mir ein Füllen zu stehlen. Dann will ich mich dorthin begeben, von wo ich die Tochter der Schlange holen kann.« Und sie sagte zu ihm: »Gehe, lieber Bruder, doch wenn du das Füllen hast, so komme erst zu mir.« Da ging er dorthin.

Da jagten eines Tages einige Rumänen einen Wolf auf und wollten ihn töten. Der Wolf bat: »Cosma, Cosma, verlasse mich nicht. Lenke die Rumänen anderswohin, damit sie mich nicht töten. Hier hast du ein Haar, stecke es in deine Tasche. Sobald du an mich denken wirst, bin ich bei dir, was auch immer dir zustoßen könnte.« Und er ging und ging und traf eine Krähe, deren Flügel gebrochen war. Sie sagte zu ihm: »Tritt nicht auf mich, Cosma, verbinde meinen Flügel, ich gebe dir eine Feder, die stecke in deine Tasche. Bei irgendeiner Schwierigkeit, welche es auch sei, stehe ich dir bei.« Und er ging weiter und traf einen Fisch, der sagte: »Geh nicht vorbei, Cosma, binde mich an den Schwanz deines Pferdes und setze mich ins Wasser, auch ich werde dir dann Gutes tun.« Und so tat er es auch. Er steckte ihn ins Wasser. Da kam er zu der alten Frau, die eine weiße Stute hatte, und setzte sich an ihre Tür und bat sie: »Gib mir ein Füllen von der weißen Stute, Alte.« Darauf erwiderte die Alte: »Wenn du sie drei Tage hütest, dann sollst du ein Füllen von ihr haben, aber wenn du das nicht vermagst, haue ich dir den Kopf ab und setze ihn auf diesen Pfahl.« Da sagte er: »Ich führe sie auf die Weide.« Sie gab ihm die weiße Stute, und er ging mit ihr auf die Weide. Die Stute lief mitten unter die Schafe, und dort verschwand sie im Erdboden. Da stand der Knabe auf und suchte die weiße Stute; doch er fand sie nicht. Da erinnerte er sich an den Wolf, und er dachte an ihn. Bei diesem Gedanken kam auch schon der Wolf und fragte ihn: »Was hast du gemacht, Knabe?« — »Schau, ich finde die weiße



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Stute nicht.« Da antwortete der Wolf: »Dort unter den Schafen ist sie. Gehe dorthin, nimm den Hirtenstab und setze dich mit dem Hirtenstab auf sie, so wirst du sie finden.« So tat er es auch, und wirklich, die Stute erhob sich. Und sie bekam ein Füllen, und alle drei gingen zur alten Frau, welche sagte: »Nun hast du noch zwei Tage.« — »Jawohl, Alte«, sagte der Knabe. Und wieder ging er mit der weißen Stute auf die Weide. Die Alte schlug die Stute und fragte sie, warum sie sich nicht gut versteckt habe, er dürfe sie nicht wieder finden. Da sagte die Stute: »Verzeihe mir, Alte, jetzt verstecke ich mich hinter die Wolken, da wird er mich nicht finden.« Der Knabe ging mit ihr auf die Weide, und sie verschwand in den Wolken. Der Knabe suchte von frühmorgens bis zum Mittag. Und als er sie nicht fand, kam ihm die Krähe in den Sinn. Und wie er an sie dachte, da kam auch schon die Krähe: »Was hast du denn, Knabe?« — »Ich habe die Stute verloren und finde sie nicht wieder.« Da versammelte die Krähe alle Krähen, und sie suchten in allen Ländern, bis sie sie endlich fanden. Da nahm sie die Stute in den Schnabel und brachte sie dem Knaben. Und der Knabe nahm sie am Zügel und führte sie zur Alten. »Einen Tag hast du noch«, sagte die Alte. Und es kam der Tag, an dem er sie nochmals hüten sollte. Die Alte aber ging mit der Stute in den Stall und schlug sie nachts so, daß sie bald gestorben wäre. Da sagte die Stute zu der Alten: »Jetzt, Alte, wird er mich nicht finden, und wenn doch, so wisse, daß ich sterbe, denn ich begebe mich schnurstracks in das Meer.« Und als der Knabe mit ihr aufbrach, ging sie ins Meer. Der Knabe suchte und suchte, und bis zum Abend blieb ihm nur noch herzlich wenig Zeit. Da erinnerte er sich an den Fisch. Und der Fisch kam und fragte ihn: »Was hast du denn, Knabe?« — »Ich weiß nicht, wo die weiße Stute sich hinbegeben hat.« Da verschwand der Fisch, und er versammelte alle Fische, und sie trafen die Stute weit draußen mit dem Füllen, das immer hinter ihr hertrabte. Der Knabe nahm sie am Zügel und ging mit ihr zur Alten. Die



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sagte zu ihm: »Nimm sie dir, wenn sie dir so gefällt.« Der Knabe aber nahm das Füllen. Doch die Alte sagte: »Nicht dieses, Knabe, denn dieses Füllen ist nicht gut. Nimm ein schöneres.« Da sagte der Knabe: »Laß mir dieses.« Dann ging der Knabe weit weg, und das Füllen überschlug sich und verwandelte sich in eines von Gold mit 24 Flügeln; es gehörte ja nicht der Alten, der Schlange, sondern ihm. Darauf ging er zu seinen Schwestern, nahm sie alle drei mit und holte auch die Tochter der Schlange. Alle zusammen kamen nach Hause. Weder der Teufel noch das Waldungeheuer haben sie wieder einholen können. So machte er Hochzeit, und sie aßen und tranken, und dort habe ich sie zurückgelassen und bin gekommen und habe euch dies erzählt.


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